Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).
Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.
Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:
Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.
Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.
Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:
“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”
Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3
Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?
Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.
Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.
Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.
- Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
- e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
- Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
- Siehe auch Wander und Plaut.