Geschichtswettbewerbe schießen seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden. Auch international sind sie ein zur Nachahmung anstiftendes Erfolgsmodell. Wohin führt diese anscheinend so positive Entwicklung der historisch-politischen Bildung? Und wie wirken sich die durch den digitalen Wandel veränderten historischen Quellen- und Informationszugänge auf die Wettbewerbe aus?
Zeitensprünge, Erinnerungszeichen, Gedächtnisräume – War was?
Geschichtswettbewerbe können heute nicht mehr als „Randerscheinung des Geschichtslernens“1 gelten. In erfrischendem Kontrast zu den oft ernüchternden empirischen Studien2 richten sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Spitzenleistungen in allen Schularten und auf ein faszinierendes Schulfach, das zuletzt eher negative Schlagzeilen machte. Bundesweite Ausschreibungen gab es zu Jubiläen wie dem 20. Jahrestag des Mauerfalls oder zum 2. Mai 1933, dem Tag der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten. Im Unterschied zum stärker schülerorientierten Konzept der Körberstiftung3 wird hier die „große Geschichte“ zum Ausgangspunkt und auf die zeitgenössischen Alltagserfahrungen im kleinen Raum bezogen. Darüber hinaus entstanden eine Reihe regionaler Geschichtswettbewerbe, wie zum Beispiel das Jugendprogramm „Zeitensprünge“4. Es fördert speziell junge Menschen in den ostdeutschen Bundesländern, die sich mit der „Geschichte ihrer Heimatregion“ im 20. Jahrhundert auseinandersetzen. Auf den jährlich stattfindenden Jugendgeschichtstagen präsentieren die „Zeitenspringerteams“ ihre Ergebnisse. Auch der bayerische Landeswettbewerb „Erinnerungszeichen“5 setzt auf ein ausgeprägtes Regionalbewusstsein. Er lädt Kinder und Jugendliche ab der dritten Klasse dazu ein, die „Geschichte und Kultur ihrer Heimat“ zu erkunden. In diesem Jahr geht es um „Flussgeschichte(n)“. Im Vergleich dazu legt der Geschichtswettbewerb „War Was? Heimat im Ruhrgebiet“6 in Nordrhein-Westfalen durch seinen Zusatz „Erinnerungsorte und Gedächtnisräume“ auf einen modernen Heimatbegriff besonderen Wert. Die Preise der Stiftung Ettersberg7 wiederum sind für Facharbeiten vorgesehen, die sich mit Diktaturen und Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Unterhalb dieser Ebenen entstanden außerdem zahlreiche und weniger bekannte lokale Initiativen wie das des Netzwerks „Freiburger Schulen im Archiv“8.
Internationalisierung und neue Fragen
Der Schülerwettbewerb deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten und der amerikanische National History Day9, die 1973 zeitgleich und mit ähnlichen Zielstellungen an den Start gegangen sind, haben seit den 1990er Jahren auch eine Modellfunktion für andere Länder übernommen. Während sich beispielsweise Südkorea oder Australien10 am National History Day orientierten, inspirierte das deutsche Vorbild forschend-entdeckendes Geschichtslernen in den ehemaligen kommunistischen Ländern Ost-und Mitteleuropas.11 Das Programm EUSTORY verbindet heute 24 Länder Europas, die Geschichtswettbewerbe organisieren.12 Die Frage ist, was diesen Boom von Geschichtswettbewerben in Deutschland und international eigentlich antreibt, und wohin er führen wird: zu mehr TeilnehmerInnen oder zu einer Wettbewerbsmüdigkeit? Zur Behauptung offener Lehr- und Lernkonzepte gegenüber einem noch vorwiegend an Inhalten orientierten Zentralabitur? Oder wird gar die Tendenz des „Wettbewerbstourismus“ begünstigt, wenn Beiträge gleichzeitig bei mehreren Stiftungen eingereicht werden können?
Immer nur das lokale Archiv?
Da Kindern und Jugendlichen über quellengesättigte Fallstudien immer wieder echte Neuentdeckungen und Neubewertungen gelingen, sind lokal- und regionalgeschichtliche Titel in den Listen der Schülerprojekte prominent vertreten. Dennoch stellt sich das Problem einer Erweiterung der Perspektiven. So bezieht der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ein zentrales Kriterium für die Themenfindung nicht mehr nur auf den Schul- oder Wohnort der Teilnehmer. Im Wettbewerb „Vertraute Fremde. Nachbarn in der Geschichte“ wurden zuletzt auch Beiträge akzeptiert, die weder einen regionalen noch einen biografischen Bezug hatten. Unter den im vergangenen Monat ausgezeichneten 50 Bundessiegern waren diese indessen (noch?) nicht vertreten. Obwohl forschungsbasiertes Lernen heute auch mit im Internet leicht verfügbaren Quellensammlungen und Geschichtsdeutungen realisiert werden könnte, werden Digitalisate offenbar weniger angenommen als die originalen Spuren.13 Der medial-technische Wandel schlägt sich hierzulande eher in den Beitragsformaten nieder. So betont der „History Award“ des TV-Senders History, der mit dem ZDF kooperiert, diesen Aspekt mit filmischen Präsentationen und einer Online-Abstimmung über die Gewinner.14
Neuland
Obwohl sich die Ausschreibungen thematisch unterscheiden, gibt es weltweit gemeinsame Konzepte, z.B. den Ursprungsgedanken „Grabe, wo du stehst!“. Der Reiz im Familiennachlass zu stöbern, Zeitzeugen selbst zu befragen und hinter die Mauern des örtlichen Archivs zu sehen, ist in Zeiten der Globalisierung und des Internets nicht aus der Mode gekommen. In anderen Ländern gibt es jedoch mehr Beiträge zur Geschichtskultur und zur Weltgeschichte, die durch Schulbücher, Nachrichten, TV-Shows und nicht zuletzt auch durch Internetressourcen und Social Media angeregt werden. Warum man auf diesen Zug nicht so einfach aufspringen kann, der doch den Lebenswelten und Mediengewohnheiten der Digital Natives Rechnung trägt? Sie benötigen auch die Instrumente an die Hand, damit sie dieses Neuland heuristisch und methodisch erkunden können.
Siehe auch: Alavi, Bettina: Inklusion und Geschichtswettbewerb – Barrierefreier Geschichtswettbewerb? In: Public History Weekly 1 (2013) 1, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-129.
Literatur
- Johnson, Chrystal: Building Citizens or Building Nations? Alternative Visions for Learning History in Germany and the United States: The Geschichtswettbewerb Des Bundespraesidenten and National History Day, 1974-1984, Chicago 2010.
- Messner, Rudolf (Hrsg.): Schule forscht. Ansätze und Methoden zum forschenden Lernen, Hamburg 2009.
Externe Links
- Homepage von EUSTORY. History Network for Young Europeans. Das EUSTORY Netzwerk umfasst 22 nationale Mitgliedsorganisation, die Geschichtswettbewerbe für SchülerInnen veranstalten.
Abbildungsnachweis
Das historische Gemälde im Rücken, das Siegerfoto auf dem Handy Display: Preisverleihung des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten im Jahre 2009 im Schloss Bellevue, © Körber-Stiftung / David Ausserhofer.
Empfohlene Zitierweise
John, Anke: Neuland, Boom, Vielfalt. Geschichtswettbewerbe heute. In: Public History Weekly 1 (2013) 14, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-838.
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