“Per Brettspiel in die Vergangenheit”. Historische Realität in Spielwelten

 

Computerspiele als Vermittlungsinstanzen von Geschichte und Medien der Geschichtskultur sind Untersuchungsfelder, mit denen sich die Geschichtsdidaktik schon seit Längerem befasst. Die Geschichtswissenschaft hat dieses Forschungsfeld ebenfalls seit ein paar Jahren für sich entdeckt.1 Die Frage nach der Modellierung von Geschichte im Brettspiel, dem kleinen analogen Bruder der Computerspiele, wurde dagegen bislang kaum gestellt. Gibt es auch beim guten alten Brettspiel Spezifika in der Darstellung historischer Phänomene?

 

“German Games” in der Geschichte

Deutschland hat die weltweit größte Brettspielgemeinde, jährlich erscheinen etwa 400 bis 500 neue Spiele auf dem Markt. In der Spielebranche sind deutsche Brettspiele in den letzten Jahren zu Exportschlagern geworden. Ein knappes Fünftel der Spiele, die seit 1979 mit dem Kritikerpreis “Spiel des Jahres” ausgezeichnet wurden, weist ein historisches Setting auf. Beim “Deutschen Spielpreis”, einem seit 1990 verliehenen Publikumspreis, liegt die Quote in der Kategorie “bestes Familien- und Erwachsenenspiel” mit 19 von 23 prämierten Spielen noch deutlich höher. Die meisten dieser Spiele gehören in die Kategorie Strategiespiel, bei denen durch elegante Spielmechanismen versucht wird, das Glückselement einzuschränken. Da die AutorInnen überwiegend aus Deutschland stammen, werden diese Spiele häufig als “German Games” bezeichnet. Auch aus diesem Grund hat sich auf dem Brettspielemarkt eine ethische Übereinkunft etabliert, im Unterschied zu Computerspielen auf kriegerische Aspekte und Thementableaus zu verzichten.2 Stattdessen rangieren historisch anmutende Spielszenarien aus dem Mittelalter auf dem ersten Platz, gefolgt von Antike und Früher Neuzeit.

Vergangenheit als übersichtlicher “Spiel-Raum”

Anders als Computerspiele stellen Brettspiele ihre “Gemachtheit” offen aus. Das Spielfeld ist dabei der zentrale Verständnishintergrund, der für die Spieler in der Vogelperspektive den Handlungsraum konstituiert, lokalisiert und gleichzeitig die Bewegungsmöglichkeiten einschränkt. In konsequenter Reduktion repräsentiert dabei das Spielfeld das “Ganze” der möglichen Spielzüge. Die Überschaubarkeit gewährleistet nicht der Computer, sondern muss von allen SpielerInnen bewältigt werden können. Damit wird durch die Spiellogik des Brettspiels Geschichte als Abfolge einer gewissen Regelhaftigkeit präfiguriert. Gleichzeitig konstituiert das Spielfeld in seiner Begrenzung einen Spielraum, der Möglichkeiten und Alternativen der Akteure bereithält und in kontrafaktischen Szenarien Geschichte ergebnisoffen hält. Die Beschränkung der Anzahl der Spieler auf in der Regel zwei bis vier Personen limitiert den Kreis historischer Akteure.

Geschichte als Transmissionsriemen

Historische Settings sorgen im Brettspiel nicht nur für die Identifikation des Spielers mit der spezifischen Spielwelt. Sie fungieren als Transmissionsriemen für die Akzeptanz von als stimmig empfundenen Regelwerken. Geschichte als Folge von Entscheidungssituationen und die Unterbrechung von Geschichtsabläufen von regelkonformen Katastrophen, Zufällen und Überraschungen verleihen dem Spiel Plausibilität. Spiellust und Spielfluss präfigurieren dabei eine hohe Ereignisdichte und das lange Offenhalten möglichst ähnlicher Aktionsradien und Handlungsspielräume für alle SpielerInnen. Die überwiegende Situierung der Spielszenarien in traditionelle Gesellschaften mit Aufgabenstellungen wie etwa Handel mit Ressourcen und Aufbau von Infrastrukturen, korreliert dabei in besonderer Weise mit der regelhaften Zuweisung verschiedener Handlungsmöglichkeiten und Aktionsradien. Die Abbildung von historischer Realität spielt also im Brettspiel eine noch viel untergeordnetere Rolle als in Computerspielen. Für beide ist aber die Frage nach deren Wirkung auf Geschichtsvorstellungen ein Forschungsdesiderat.

“Geschichte” und Spiel: Ein Aushandlungsprozess?

Für Brettspiele sei daher eine erste These gewagt: Die SpielerInnen schätzen insbesondere den reduzierten Glücksfaktor der Autorenspiele, bei denen das gemeinsame Studieren und Anwenden des oft komplexen Regelwerks selbst Teil des Spiels ist. Damit wird im Brettspiel eine Vorstellung von Geschichte als eine Abfolge personeller Entscheidungen und Aushandlungen gefördert, die in überschaubarer Spielzeit und Personenanzahl regelbasiert zum Erfolg führen und einen eindeutigen Sieger hervorbringen. Zugleich wird mit dem Spielende auch ein Ende der Geschichte definiert, das dem “Sieger” überdies die Anerkennung der Mitspieler sichert – ein schönes Gefühl bis zur nächsten Partie.

 

 

Literatur

  • Bernhardt, Markus: Das Spiel im Geschichtsunterricht. 2. Auflage, Schwalbach/Ts. 2010.
  • Deterding, Sebastian: Wohnzimmerkriege. Vom Brettspiel zum Computerspiel. In: Nohr, Rolf F. / Wiemer, Serjoscha (Hrsg.): Strategie Spielen. Medialität, Geschichte und Politik des Strategiespiels. Münster u.a. 2008, S. 87-113.
  • Scheuerl, Hans: Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. 12. Auflage, Weinheim / Berlin 1994.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
 © Johannes Dennhöfer (Studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg).

Empfohlene Zitierweise
Bühl-Gramer, Charlotte: “Per Brettspiel in die Vergangenheit”. Historische Realität in Spielwelten. In: Public History Weekly 2 (2014) 25, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2253.

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Sprachverwirrung. Was ist ein geschichtsdidaktisches Medium?

 

Medien gelten als unangefochtene Kategorie bei der Planung von Geschichtsunterricht und in der geschichtsdidaktischen Handbuchliteratur. Kaum ein anderes Feld wird in der geschichtsdidaktischen Forschung so intensiv beackert. Über den Medienbegriff des Geschichtslernens wird allerdings wenig diskutiert, seit sich in den 1980er Jahren Hans-Jürgen Pandel mit seiner Einteilung in Quellen, Darstellungen und Fiktionen durchgesetzt hat. Es ist zwar keine neue Debatte der Geschichtsdidaktik, ob zu den Medien nicht nur (Lern-)Objekte, sondern im eigentlichen Wortsinn auch Mittler, also Informationsträger zählen. Der zurzeit viel diskutierte digitale Medienwandel ruft die Frage erneut auf den Plan – und führt den hybriden Begriff der Medien des Geschichtslernens an seine Grenze.

 

Holz, Säge, Nietzsche

Ein Brett soll zersägt werden. Als Material benötigt man Holz, als Werkzeug eine Säge. Einen sinnhaften Oberbegriff für Holz und Säge gibt es nicht. Anders beim Geschichtslernen: Alles, was den Lernprozess (außer den beteiligten Menschen) umgibt und unterstützt, wird in der Unterrichtspraxis diffus als Medien bezeichnet. Das Schulbuch ist genauso Medium wie die darin enthaltenen Texte und Bilder, digitale Geräte genauso wie die multimedialen Inhalte des Internets oder dessen neue Möglichkeiten zur Kommunikation. Die begriffliche “Medienlandschaft” ist ein schwer durchdringbares Gelände – nicht nur, weil Medien im Alltagssprachgebrauch allerlei Bedeutungen zugesprochen werden (so meint z.B. “Fernsehen” entweder ein Gerät, eine Tätigkeit oder ein System konkurrierender Sender), sondern auch, weil der Begriff in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ganz unterschiedlich und teils konträr aufgefasst wird. Die Unübersichtlichkeit steigert sich in der Differenzierung, aber auch dem Zusammenwirken verschiedener Wahrnehmungskanäle (vornehmlich Sehen und Hören) und der Kodalität von Medien (Sprache, Zeichensysteme, Bilder, Filme, Musik usw.). Kurzum: Medien scheinen gut auf Nietzsches Feststellung zu passen: “Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nichtgleichen”.1

Quellenwert oder Funktionalität?

Die Geschichtsdidaktik hat sich angesichts des hybriden Medienbegriffs bisher elegant aus der Affäre gezogen. Der weithin etablierte Medienbegriff Pandels beschränkt sich auf (Lern-)Objekte, also auf das “Material” des Geschichtslernens.2 Kennzeichnend für dieses Medienverständnis ist die fachspezifisch notwendige Kategorisierung in Quelle und Darstellung je nach Entstehungszeit des Mediums. Ob allerdings Authentizität zur Differenzierung in “reale” und “fiktive” Geschichtsdarstellungen als triftige Kategorie gelten kann, hat zuletzt Jan Hodel bezweifelt, der hier ein grundsätzliches “Spannungsverhältnis zur Prämisse des Konstruktcharakters von Geschichte”3 ausmacht. Auf der Kölner Tagung “Geschichtsdidaktische Medienverständnisse”4 im April 2014 hat Hilke Günther-Arndt vorgeschlagen, Geschichtsdarstellungen nicht anhand ihrer Authentizität, sondern nach ihrer geschichtswissenschaftlichen und geschichtskulturellen Bedeutung zu differenzieren.5 Bereits in den 1980er Jahren stritt Horst Gies mit Pandel darüber, Medien des Geschichtslernens nicht nur im Sinne von Objekten als Mittel, sondern als Werkzeuge und damit als Mittler aufzufassen.6 Seinerzeit ging es beispielsweise um die (aus der Rückschau spitzfindige) Frage, welchen Unterschied es mache, ob Bilder gedruckt oder mittels Folie projiziert werden. Wenn heute im entgrenzten Internet per Knopfdruck auf eine Fülle von Texten, Bildern und Filmen zugegriffen werden kann, wenn verschiedene Mediengattungen multi- und intermedial verschnitten oder historische Narrative durch neue Kommunikationstools anders ausgehandelt werden können, stellt sich die Frage drängender, ob und wie durch Mittler historische Lern- und Denkprozesse berührt werden.7

Den Medienbegriff einfangen?

Um den wachsenden Anforderungen an den Medienbegriff des Geschichtslernens Rechnung zu tragen, bieten sich prinzipiell zwei Möglichkeiten an. Die erste: Man kann versuchen, den Begriff zu öffnen und damit einzufangen. Ein integrativer Medienbegriff, der sowohl Material als auch Werkzeuge historischen Lernens umfasst, wurde 2012 von Daniel Bernsen, Alexander König und Thomas Spahn vorgeschlagen. Demnach könne “an” – “mit” – “über” und “in” Medien gelernt werden.8 Einen anderen Weg beschreitet Jan Hodel in seiner Dissertation: Angelehnt an neuere Ansätze zur Mediengeschichte erklärt Hodel Medien in toto als “kulturelle Praktiken”, die ein “prägendes Element des Gegenstandes von Geschichte an sich”9 sind. So verstanden bilden Medien nicht nur Vergangenheit und Geschichte ab, sondern können selbst zum Motor historischer Entwicklung werden. Beide Konzepte weisen Anker zum historischen Denken auf, kritisch lässt sich aber zuspitzen: Wenn alles Medien sind, dann ist nichts nicht ein Medium. Die notwendige Konkretion kann nur gelingen, wenn für einzelne Aspekte der Verwendung von Medien in Lernprozessen ein zugrundeliegender Medienbegriff jeweils ausbuchstabiert würde – was auch einem pluralistischen Wissenschaftsverständnis entgegenkäme, in dem es den Medienbegriff nicht mehr gäbe.

Weg von dem Medienbegriff – hin zu

Was einer pluralistisch verfassten Wissenschaftsdisziplin gefallen mag, lässt außer Acht, dass die PraktikerInnen des Geschichtslernens orientierungslos zurückbleiben – ähnlich wie bei der Diskussion um historische Kompetenzmodelle, die inzwischen zu einem spürbaren Verdruss geführt hat. Eine zweite Möglichkeit, den hybriden Medienbegriff für das Geschichtslernen (be-)greifbar zu machen, wäre, nicht mehr vorrangig von den Medien zu sprechen, sondern stattdessen Begriffe aus der zweiten Reihe vorzuziehen. Für das Material des Geschichtslernens müssten Begriffe wie historische Objekte oder Lernobjekte hervorgehoben werden. Hier behielte die Differenzierung von Quelle und Darstellung ihre Triftigkeit. Davon abgegrenzt bilden Werkzeuge des Geschichtslernens als Mittler oder Lernmittler eine eigene Kategorie, die einen entscheidenden (und im digitalen Wandel wachsenden) Einfluss auf die Entstehung historischer Narrative haben. Zu guter Letzt fehlt bislang auch eine begriffliche Ausschärfung der Wechselwirkungen zwischen Lernenden, historischen Objekten und Mittlern. Wasser an sich ist kein Medium – aber für den Fisch, der in ihm schwimmt.

 

 

Literatur

  • Bernsen, Daniel / König, Alexander / Spahn, Thomas: Medien und historisches Lernen. Eine Verhältnisbestimmung und ein Plädoyer für eine digitale Geschichtsdidaktik. In: Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften, Nr. 1 (2012), online unter: http://universaar.uni-saarland.de/journals/index.php/zdg/article/view/294/358 (zuletzt am 11.6.2014)
  • Hodel, Jan: Verkürzen und Verknüpfen. Geschichte als Netz narrativer Fragmente. Wie Jugendliche digitale Netzmedien für die Erstellung von Referaten im Geschichtsunterricht verwenden, Bern 2013; hier insbesondere das Kapitel: Geschichte – Medien – Lernen, S. 82-126.
  • Pandel, Hans-Jürgen: Das geschichtsdidaktische Medium zwischen Quelle und Geschichtsdarstellung. In: ders. / Schneider, Gerhard  (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, Düsseldorf 1985, S. 11-27.

Externer Link

 



Abbildungsnachweis
© By Ricardo Liberato (All Gizah Pyramids) [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons, bearbeitet vom Autor

Empfohlene Zitierweise
Pallaske, Christoph: Sprachverwirrung. Was ist ein geschichtsdidaktisches Medium? In: Public History Weekly 2 (2014) 25, DOI:  dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2311.

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