Kriegsspiel mit Herz? Computer Games zum Ersten Weltkrieg

 

“Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?”1 Diesen provokanten Titel trägt eine Publikation zu Computer Games mit historischem Bezug. Er verweist auf das gezielte Töten, das Kriegsspiele, insbesondere Ego-Shooterspiele charakterisiert. Am 25. Juni kam nun überraschend ein außergewöhnliches Spiel zum Ersten Weltkrieg, „Valiant Hearts: The Great War“2, auf den Markt, in dem der Spieler andere nicht tötet, sondern diesen hilft. Das Spiel setzt dabei auf positiv konnotierte Gefühle wie Liebe und Freundschaft der am Krieg Beteiligten – und zwar bemerkenswerterweise über nationale Grenzen hinweg.3 Dabei bewegt sich das Geschehen zwischen Fiktion und Fakten.

 

 

Historisches Lernen im Kriegsspiel?

Ein weiteres, eher neuartiges Ziel des Kriegsspiels ist es, den Adressaten historisch zu unterweisen. Zwar sind die Charaktere der Protagonisten fiktiv gewählt, aber es werden originale Egodokumente (z. B. Feldpostbriefe, Tagebucheinträge) integriert, die dem Handlungsfortgang Authentizität verleihen sollen. Auch die erfundene Geschichte selbst folgt dem chronologischen Verlauf der tatsächlich stattgefundenen Ereignisse (z. B. Schlacht an der Marne, Bombenangriff auf Reims, Gaseinsatz in Ypres, Kampf in den Schützengräben bei Verdun). Dabei liefern Darstellungen Hintergrundinformationen; Quellen werden kommentierend dazu eingeblendet.

Mitgefühl statt Aggression

Mit “Valiant Hearts” hat die französische Firma Ubisoft ein animiertes Graphic-Novel-Abenteuer, ein Amalgam aus Action-, Erkundungs- und Rätselspiel entwickelt, in dem sich der Spieler wechselweise mit Figuren identifiziert, die sich im Kriegsgeschehen des Ersten Weltkrieges befinden und getötet werden können, jedoch andere Menschen nicht zu töten im Stande sind. Es geht um das eigene Überleben und darum, im Kriege verlorene Freunde wiederzufinden, wobei der Einsatz “tapferer Herzen”, wie es der Titel impliziert, notwendig ist. Und das unterscheidet dieses Spiel von den meisten herkömmlichen Kriegsspielen. Zu den Aufgaben des Spielers gehört es, mit Aktionen, wie Sprengen von Gegenständen, Feinden zu entkommen und Freunde zu retten. Dabei ist das Spiel bewusst so angelegt, dass Mitgefühl geweckt wird. Laut Produzenten zielt es darauf ab, “sich gegenseitig zu helfen und in den Grauen des Krieges […] Menschlichkeit zu bewahren.”4 Nicht ohne Stolz berichteten diese bei der Präsentation des Spiels in Paris, dass die Testpersonen auch geweint hätten.

Transnationale Freundschaften

Erzählt wird die Geschichte von vier Protagonisten verschiedener, sich im Krieg feindlich gegenüberstehender Nationalitäten in den Jahren von 1914 bis 1918 und deren Schicksal, das sich im Kriegsgeschehen kreuzt. Über nationale Grenzen hinweg helfen sie sich gegenseitig, sie pflegen oder entwickeln im Lauf des Spiels Freundschaften zueinander. Der Deutsche Karl, der mit einer Französin verheiratet ist, wird eingezogen und muss nun gegen seinen eigenen Schwiegervater, den Franzosen Emile kämpfen. Weitere Protagonisten sind die belgische Krankenschwester Anna und der Amerikaner Freddie, Fremdenlegionär in der französischen Armee. Emile hilft ihm zu Beginn des Spieles etwa, weil er wegen seiner dunklen Hautfarbe diskriminiert wird.

Computerspiele und transnationale Erinnerungskultur

Was im Mega-Gedenkjahr zum Ersten Weltkrieg bislang auffällt: Der aktuelle Erinnerungsboom wird maßgeblich mitgetragen von populären Formen der Geschichtskultur. Insbesondere bei Darstellungsformen wie Filmen, Comics, Ausstellungen und eben auch Computerspielen ist neben der kognitiven und der politischen die ästhetische Dimension besonders ausgeprägt. Nur, was medial (attraktiv) darstellbar ist, kann auch vermittelt werden.5 Zudem wird zunehmend auf transnationale Formen der Erinnerung gesetzt. Das lässt sich etwa in Ausstellungen,6 aber auch Fernsehdokumentationen wie “14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges”7 beobachten. Im Ästhetischen Bereich wirkt – wie in “Valiant Hearts” – häufig das identitätsstiftende Narrativ des gemeinsam erlebten Leides von beteiligten Alltagsmenschen. Fördern diese medialen, von Politik größtenteils losgelösten Formen eine transnationale bzw. europäische Erinnerung mit dem Ziel der Versöhnung? Oder aber wird nur ein banales, emotional verbindendes Narrativ instrumentalisiert, um Kassenschlager zu landen? Der Untertitel des vorgestellten Spiels “The Great War” und andere Narrative im Spiel, etwa die einführende, sehr verkürzte und einseitige Darstellung, wie es zum Krieg kam, deuten darauf hin, dass nationale Erinnerungsmuster bedient werden. Lassen sich transnationale Tendenzen der Erinnerung bei geschichtskulturellen Formen ausmachen, die stärker politisch beeinflusst sind? Welche Anstöße liefert die Geschichtswissenschaft dazu?8

 

 

Literatur

  • Korte, Barbara / Paletschek, Sylvia / Hochbruck, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur, Essen 2008.
  • Schwarz, Angela (Hg.): “Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen? ” Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, 2. erweiterte Auflage, Münster 2012.
  • Themenheft Aus Politik und Zeitgeschichte zum Ersten Weltkrieg, (64) 2014, Heft 16-17.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
© Monika Fenn. Screenshot des Startmenüs im Computerspiel ‘Valiant Hearts’.

Empfohlene Zitierweise
Fenn, Monika: Kriegsspiel mit Herz? Computergames zum Ersten Weltkrieg. In: Public History Weekly 2 (2014) 26, DOI:  dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2334.

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