Barbaren (V): In allen Himmelsrichtungen

Vor allem in der chinesischen Antike wurden die nicht-chinesischen Ethnien (“Barbaren”) auch nach den vier Himmelsrichtungen eingeteilt (die “fünfte” Himmelsrichtung – die Mitte – war ja für die Chinesen selbst reserviert).

Mit dem Osten verband man die yi 夷, mit dem Süden assoziierte man die man 蠻, mit dem Westen die rong 戎 und mit dem Norden die di 狄.[1] Während die rong und die di bald aus dem Bewusstsein und damit auch aus den Quellen verschwunden waren, machten die Begriffe man 蠻 und yi 夷 in späterer Zeit eine erstaunliche Karriere.

Nachdem die Mongolen China erobert hatten, teilten sie während ihrer Herrschaft (Yuan-Dynastie 1271-1368) die Bevölkerung in vier Gruppen ein. Nach der aus Inner- und Westasien stammenden Gruppe und den bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter mongolische Herrschaft gekommenen Nordchinesen wurden die Südchinesen, die erst mit dem Ende der Südlichen Song-Dynastie (1127-1279) unter die Kontrolle der Eroberer gekommen waren, offiziell als nanren 南人 (“Leute aus dem Süden”) bezeichnet. Meistens wurde diese Gruppe jedoch mit dem abwerteten Begriff manzi 蠻子 (der von den Chinesen selbst für alle indigenen Ethnien des Südens verwendet worden war) bezeichnet. [2] – Auf diesen Begriff gehen auch die Bezeichnungen “Manzi” und “Mangi” bei Marco Polo zurück.[3]

Der Begriff yi 夷 – ursprünglich für die östlichen “Barbaren” gebraucht, hatte spätestens zur Zeit der Ming-Dynastie (1368-1644) eine Umdeutung erfahren – als yibing 夷兵 (“fremde Soldaten”) waren Mongolen, Uiguren und Angehörige anderer innerasiatischer Ethnien bezeichnet worden, die im Norden und Nordwesten des Chinesischen Reiches rekrutiert worden waren, um zeitweilig in der chinesischen Armee Dienst zu tun.[4] Andererseits wurden während der Ming-Zeit auch die Japaner mit dem Begriff dongyi 東夷 (also “Ostbarbaren”) belegt.[5] Der Begriff spielte in den chinesisch-westlichen Beziehungen dann auch zur Zeit der Opiumkriege (1839-1860) eine Rolle. Vom für die chinesische Seite vertraglich festgelegten Verbot, den Begriff yi 夷 weiterhin auf die Europäer (und Amerikaner) anzuwenden, bis zu dessen endgültigen Verschwinden sollte es allerdings noch einige Jahre dauern …

Die ersten vier Teile der Serie:
Barbaren (I): Die “Haarigen”
Barbaren (II): Roh oder gekocht?
Barbaren (III): Großnasen/Langnasen
Barbaren (IV): “Fremde Teufel”

  1. Vgl. dazu den kurzen Überblick bei Endymion Wilkinson: Chinese History. A New Manual (Cambridge MA, Third rev. printing, 2013) 352 f.
  2. Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 327 (no. 3922 und ebd., 339 (no. 4099).
  3. Zu den Berichten Marco Polos vgl. zuletzt Hans Ulrich Vogel: Marco Polo was in China. New evidence from currencies, salts and revenues (Monies, markets, and finance in East Asia, 1600-1900; Leiden 2012).
  4. Vgl. Hucker: Dictionary of Official Titles, S. 268 (Nr. 2986).
  5. Vgl. dazu Wilkinson: New Manual, 352. Zur ursprünglichen Anwendung des Begriffs dongyi vgl. Fang Weigui: “Yi” 夷, “Yang” 洋, “Xi” 西 und “Wai” 外. Zum wort- und begriffsgeschichtlichen Wandel des Chinesischen im 19. Jahrhundert.” In: Orientierungen 1/2000, S. 16,

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1440

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Barbaren (II): Roh oder gekocht?

Im ersten Beitrag (“Barbaren (I): die “Haarigen”) zu chinesischen “Barbaren”-Diskursen beschäftigten wir uns mit Beschreibungen europäischer beziehungsweise ‘westlicher’ “Barbaren”. Seit ältester Zeit spiegeln – nicht nur die chinesischen – Barbaren-Diskurse Vorstellungen von angeblichen Abstufungen kultureller/zivilisatorischer Errungenschaften wider.

Eine der chinesischen Perspektiven unterschied zwischen “inneren” (neiyi 内夷) beziehungsweise “gekochten” Barbaren (sh(o)ufan 熟番) auf der einen Seite und “äußeren” (waiyi 外夷)  beziehungsweise “rohen” Barbaren (shengfan 生番) auf der anderen Seite.[1]

Das Begriffspaar roh/gekocht wurde von den Chinesen im Zusammenhang mit als “Barbaren” betrachteten Ethnien zumindest seit der Song-Zeit (960-1279) angewandt – zuerst zur Beschreibung der Miao 苗 im Südwesten Chinas.[2]

In späteren Berichten werden als eine Art “Zwischenstufe” die “semisinisierten Barbaren” (guihua shengfan 歸化生番) eingeführt. Wie Höllmann schreibt, erinnert diese dreistufige Einteilung “gänzlich unchinesisch – ein wenig an die Zubereitung eines Steaks [...] rawmediumwell done.”[3]. Eine ähnliche Dreiteilung etablierten die seit dem 17. Jahrhundert in verstärktem Maß nach Taiwan kommenden Chinesen für die indigene Bevölkerung dieser Insel. Neben den “gekochten” Barbaren, die nach ihren Wohngebieten auch als “Barbaren der Ebene” (pingpufan 平埔番) bezeichnet wurden und den “rohen” Barbaren (auch als “Bergbarbaren” (shanfan 山番) bezeichnet) wurde auch die Kategorie der “assimilierten” beziehungsweise “transformierten” Barbaren (huafan 化番) eingeführt.[4]

Während die als “gekochte” Barbaren bezeichneten Ethnien zur Übernahme der (han-)chinesischen Lebensweise bereit waren, blieben die “rohen” Barbaren ihren eigenen kulturellen Traditionen auch weiterhin verhaftet.

  1. Gudula Linck: “Die Menschen in den Vier Himmelsrichtungen.” Chinesische Fremdbilder. In: Helwig Schmidt-Glintzer (Hg.): Das andere China. Festschrift für Wolfgang Bauer zum 65. Geburtstag (Wolfenbütteler Forschungen 62; Wiesbaden: Harrassowitz, 1995) 257-289, hier v.a. 258 f., Magnus Fiskesjö: “On the ‘Raw’ and the ‘Cooked’ Barbarians of Imperial China,” Inner Asia 1 (1999) 139-168.
  2. Paul Barclay: “‘They Have for the Coast Dwellers a Traditional Hatred’: Governing Igorots in Northern Luzon and Central Taiwan, 1895-1915,” in: Julian Go, Anne L. Foster (Hg.): The American Colonial State in the Philippines. Global Perspectives (Durham 2003), 226.
  3. Thomas O. Höllmann: Das alte China. Eine Kulturgeschichte (München 2008) 74.
  4. Vgl. Chia-yu Hu: “Taiwanese Aboriginal Art and Artifacts: Entangled Images of Colonization and Modernization,” in: Yuko Kikuchi (Hg.): Refracted Modernity. Visual Culture and Identity in Colonial Taiwan (Honolulu 2007) 197.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1228

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