Die Einheit der “drei Lehren”

Die auch für die Kulturgeschichte Chinas bestimmenden Systeme der Welt- und Wirklichkeitsdeutung – Daoismus (daojiao 道教) , Konfuzianismus (rujiao 儒教) und Buddhismus (fojiao 佛教) – werden im Chinesischen als die “drei Lehren” (sanjiao 三教) [1] bezeichnet. Die wechselseitigen Beeinflussungen und die damit in jeder dieser Lehren einhergehenden Transformationsprozesse führten schließlich zur Ansicht, dass alle drei Lehren auf eine einzige Quelle (sanjiao yiyuan 三教一源) zurückzuführen wären. [2] Diesem geflügelten Wort begegnet man auch in der Form sanjiao yijia 三教一家, das – je nach Interpretation des Schriftzeichens jia 家 – sowohl im Sinne von “Drei Lehren – eine Familie” als auch im Sinne von “Drei Lehren – ein Haus(halt)” zu verstehen ist. [3]

Die “Einheit” der drei Lehren wurde auch in Kunst und Literatur wiederholt dargestellt, so zum Beispiel in der Geschichte “Die drei Lachenden vom Tigerfluss” (Huxi sanxiao 虎溪三笑). Die drei Protagonisten der seit der Tang-Zeit (618-906) tradierten und vor allem während der Song-Zeit populär gewordenen Geschichte sind der Dichter Tao Yuanming 陶淵明 (365-427), der daoistische Philosoph und Magier Lu Xiujing 陸修靜 (406-477) und der buddhistische Mönch Huiyuan 慧遠 (334-416) – schon die Lebensdaten zeigen, dass es sich dabei um eine fiktive Begebenheit handelt – die allerdings wiederholt von der bildenden Kunst wiederholt aufgegriffen wurde [4]. in ihrem Kern stellt die Geschichte ein chinesisches Pendant zur Lessing’schen Ringparabel dar:

“Huiyuan hatte sich in ein Kloster zurückgezogen und gelobt dieses nie zu verlassen, um die Welt der Begierden zu meiden. Eines Tages besuchten ihn Lu Xiujing und Tao Yuanming. Als er die beiden hinausbegleitete, überschritt er, ohne es zu merken, die Brücke über den Tigerfluss. Plötzlich brüllte ein Tiger und Huiyuan wurde sich schlagartig bewusst, dass er sein Gelübde gebrochen hatte. Die drei Freunde brachen jedoch in heftiges Gelächter aus, weil sie sich einig waren, dass künstlich auferlegte Schranken und feierliche Gelübde angesichts der Macht geistiger Freiheit und Reinheit nichtig sind.” [5]

Die Interpretation der Theorie von der Einheit der drei Lehren hing natürlich vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab und hier vor allem die Frage, “ob die Vereinigung der drei Lehren unter dem Primat des Konfuzianismus, des Daoismus oder des Buddhismus stattfand” [6]

 

[1] Vgl. dazu “Sanjiao: The Three Teachings”. Living in the Chinese Cosmos. Understanding Religion in Late-Imperial China (1644-1911). Asia for Educators, Columbia University (Faculty Consultants: Myron L. Cohen, Stephen F. Teiser). [nach oben]

[2] Vgl. Lionel Jensen: Manufacturing Confucianism. Chinese Traditions and Universal Civilization (Durham/London 1997) 296. [nach oben]

[3] Elmar Holenstein: Vergleichende Kulturphilosophie. Chinesische Bilder, japanische Beispiele, schweizerische Verhältnisse (Wiedergabe nach dem Preprint in Forschungstexte der Professur für Philosophie an der ETH Zürich 4 – 1993. [PDF (2007), S. 5] [nach oben]

[4] Vgl. etwa ein auf das Jahr 1616 datiertes Fächerblatt im Museum für Ostasiatische Kunst (Köln), Inv.Nr. A 55/51 (Bildindex der Kunst und Architektur, http://www.bildindex.de/obj05720257.html#|home) [nach oben]

[5] Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hg.): Goldener Drache – Weißer Adler. Kunst im Dienste der Macht am Kaiserhof von China und am sächsisch-polnischen Hof (1644-1795) (München 2008) 451 (“Religion”, Eva Ströber). [nach oben]

[6] Volker Olles: Der Berg des Lao Zi in der Provinz Sichuan und die 24 Diözesen der daoistischen Religion (Asien- und Afrikastudien der Humboldt-Universität zu Berlin 24; Wiesbaden 2005) 148. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/329

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2500 Jahre in 90 Minuten? “Kulturgeschichte Chinas” in einer Ringvorlesung

Im Rahmen der am Institut für Geschichte der Universität Wien in jedem Sommersemester anzubietenden Kulturgeschichte-Ringvorlesung  werden sich diesmal – und über das Semester verteilt – mehrere Vorträge mit den Kulturen Asiens beschäftigen. In der Vorlesungseinheit am 19.3. stand die Kulturgeschichte Chinas auf dem Programm.

Dass man sich bei einem weiten Feld wie der Kulturgeschichte und bei der räumlichen Ausdehnung Chinas auf einen beziehungsweise auf einige wenige Aspekte beschränken muss, liegt auf der Hand. Bei der Durchsicht meiner bisher für die in Arbeit befindliche “Einführung in die Kulturgeschichte Chinas” gesammelten Notizen und Textfragmente fiel meine Wahl auf die Bedeutung der “drei Lehren” (san jiao 三教) – Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus – für die kulturellen Entwicklungen in China.

Nach einleitenden Hinweisen zum Kulturbegriff im Chinesischen war die erste Hälfte der Vorlesung einer Kurzpräsentation der Geschichte der “drei Lehren” gewidmet. Für jede der drei Lehren wurde der jeweilige chinesische Begriff erläutert und kurz auf die Geschichte der im Westen dafür gebräuchlichen Bezeichnungen hingewiesen.

Im Zusammenhang mit dem Konfuzianismus folgte auf Bemerkungen zu Leben und Wirken des Konfuzius ein Abriss der durchaus wechselvollen Geschichte der auf ihn zurückgeführten Lehren – begleitet von Kartenmaterial und einigen Fotos aus dem Kongmiao 孔廟 (Konfuzius-Tempel) in Beijing. Als exemplarisch für das “konfuzianische” Denken wurden einige sozialethische Anschauungen vorgestellt: neben den “fünf Grundbeziehungen” (wulun 五論) vor allem die “drei Gehorsamspflichten” (sancong 三從; gegenüber Vater, Ehemann beziehungsweise Sohn) und “vier Tugenden” (side 四德; Keuschheit, angemessene Sprache, “richtiges” Betragen und Fleiß)  die die untergeordnete Stellung der Frau im traditionellen China besonders deutlich machen.

Bei der Geschichte des Daoismus wurde der weite Bogen vom “philosophischen” Daoismus (daojia 道家) – wie er mit der historisch nicht belegten Figur des Laozi 老子 und dem Daodejing 道德經 (“Buch vom Weg und von der Wirkkraft”) verbunden wird (im “Westen” gemeinhin unter den Schreibungen Lao-tse beziehungsweise Tao-te-king “bekannter”) – bis zum “religiösen” Daoismus (daojiao 道教) mit seinen daoistischen “Meistern” (daoshi 道士), seiner Bedeutung für die Entwicklung der Alchemie und der Entstehung eines Netzes von Tempeln (guan 觀) – die Geschichte der daoistischen Tempel wurde am Beispiel des Baiyun guan 白雲觀 (“Tempel der Weißen Wolke”) in Beijing skizziert, der auch das Jahrzehnt der “Kulturrevolution” (1966-1976) unbeschadet überstanden hat.

Die Entwicklung des Buddhismus und seiner Verbreitung nach Südost- und Ostasien wurde anhand entsprechender Karten und Graphiken erläutert. Die legendenumwobenen Anfänge des Buddhismus in China im 1. nachchristlichen Jahrhundert – zwei Mönche, die auf weißen Pferden die ersten Sutren aus Indien gebracht hatten – kamen ebenso zur Sprache wie die ausgedehnten Reisen chinesischer buddhistischer Mönche nach Indien. Diese oft als “Pilgerreisen” bezeichneten Unternehmungen dienten primär dem Sammeln weiterer buddhistischer Texte. Der berühmteste dieser Indienreisenden war Xuanzang 玄奘, der im zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts auf seinen knapp siebzehn Jahre dauernden Reisen insgesamt 25000 Kilometer zurückgelegt haben soll. Die weitere Entwicklung des Buddhismus – nach der Buddhistenverfolgung der 840er Jahre – wurde dann vor allem anhand der Bedeutung, die dem Lamaismus vor allem in der Qing-Dynastie (1644-1912) beigemessen wurde, dargestellt.

Im zweiten Teil der Vorlesung illustrierte ich die Bedeutung der “Drei Lehren” an den Bereichen “Herrschaft”, “Bildung” und “Kunst” (wie sich bei der Vorbereitung zeigte, musste auf den ursprünglich ebenfalls geplante Bereich “Festkultur” aus Zeitgründen verzichtet werden).

Beginnend mit den streng ritualisierten Abläufen der offiziellen Etikette (Einhaltung detaillierter Vorschriften bei kaiserlichen Audienzen) wurden Rolle und Funktion des Kaisers von China vor allem am Beispiel des so genannten “Staatskultwesens” skizziert (illustriert unter anderem mit dem Rundhügel, der dreistufigen Terrasse am Tiantan 天壇 (Opfergelände des Himmels) in Beijing).

In Anlehnung an den dem Konfuzius zugeschriebenen Ausspruch “Etwas lernen und sich immer wieder darin üben – schafft das nicht auch Befriedigung?” wurde die Bedeutung von Bildung und Literatur am Beispiel des Systems der Beamtenprüfungen gezeigt. In diesem Zusammenhang durfte auch der Hinweis auf die von den Kaisern unternommenen Bemühungen zur Herausgabe umfassender Enzyklopädien und Anthologien – und der damit einhergehenden Zensurmaßnahmen – nicht fehlen.

Um die Bedeutung der “drei Lehren” für die Geschichte der chinesischen Kunst zu veranschaulichen, wurde neben Beispielen für buddhistische Statuen auch kurz auf die Malerei eingegangen: zum einen auf die aufgrund ihres Detailreichtums kulturgeschichtlich überaus wertvolle Bildrolle Qingming shanghe tu 清明上河圖 (“Flussaufwärts beim Qingming-Fest”, von Zhang Zeduan 張擇端, 12. Jh.), die die vielen Facetten des Lebens in einer Metropole im frühen 12. Jahrhunderts zeigt, zum anderen auf ein Werk des Bada Shanren 八大山人 (17. Jh.), der den größten Teil seines Lebens dem Wein, der Kalligraphie und der Malerei gewidmet hatte.

 

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/313

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (IV): der Westen

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten und (III) der Süden)

Das Schriftzeichen xi 西 (Westen) zeigt einen Vogel, der sich am Abend – wenn die Sonne im Westen steht – in seinem Nest niedergelassen hat. Nach traditionellen Vorstellungen korrespondiert der Westen mit dem Planeten Venus, mit der Farbe Weiß, mit dem Herbst, mit der Lunge und mit der Wandlungsphase Metall. [1]

Nicht nur der Osten sondern auch – und im noch stärkeren Maße – der Westen galten seit dem Altertum als die “klassischen Himmelsrichtungen für das Paradies” [2].

Im Westen vermutete man den Sitz der Xiwangmu 西王母, der “Königlichen Mutter des Westens”. Der Begriff leitete sich ursprünglich von einem Ortsnamen ab und erhielt schließlich – nicht zuletzt durch das für die Transkription verwendete Zeichen  mu 母 (Mutter) die später geläufige Bedeutung. Wie Fracasso einleitend schreibt, haben wenige Figuren des chinesischen Pantheon so viel Aufmerksamkeit erhalten wie Xiwangmu [3]. Als Sitz der “Königlichen Mutter des Westens” galt das Kunlun 崑崙-Gebirge. Wurde die Göttin zunächst in den düstersten Farben geschildert, so wandelte sich ihr Äußeres in späteren Texten und in der Ikonographie grundlegend. Nach Ferdinand Lessing zeigen bildliche Darstellungen “eine vornehme chinesische Dame [...] deren Erscheinung die Mitte hält zwischen mädchenhafter Zartheit und der Fülle der Matrone.” [4] Anläßlich ihres Geburtstages, den sie – so die Vorstellungen – am 3. Tag des 3. Monats des chinesischen Mondkalenders feiert, lädt sie Götter und Unsterbliche ein, um diesen die nur alle paar tausend Jahre reif werdenden “Pfirsiche der Unsterblichkeit” (pantao 蟠桃) aufwarten zu lassen. [5]

Die mit dem Westen verknüpften Paradiesvorstellungen wurden mit der Verbreitung des Buddhismus in China weiter verstärkt. Die Jingtu 淨土-Schule (“Schule des Reinen Landes”) des Buddhismus verehrte besonders den Buddha Amitābha, der das “Reine Land”, das im Westen gelegene Paradies, regiert. Einige weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Buddhismus geprägt worden waren, enthielten das Schriftzeichen xi 西 (Westen): Indien wurde mit Xiguo 西國 (Land im Westen) und Sanskrit mit Xiyu 西語 (Sprache des Westens) wiedergegeben. [6]

Ab dem 10. Jahrhundert wurden die Meere Südostasiens mit dem Begriff Xiyang 西洋(“Westlicher Ozean”) bezeichnet. Für die bedeutenden maritimen Expeditionen des Zheng He 鄭和 in den Indischen Ozean wurde ebenfalls der Ausdruck xia Xiyang 下西洋, “den westlichen Ozean befahren”) gebraucht. Schon kurz nach ihrem Erscheinen an den Küsten Chinas zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden schließlich die Europäer unter anderem auch als Xiyang ren 西洋人 (“Menschen vom westlichen Ozean”) bezeichnet. Im frühen 17. Jahrhundert prägten die Jesuitenmissionare und deren chinesische Mitarbeiter den Ausdruck Da Xiyang 大西洋 (“Großer Westlicher Ozean”), der fortan für den Atlantik stand. [7]

 

[1] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise Bd. 2, S. 940 (Nr. 4080). [nach oben]

[2] Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück, 142. [nach oben]

[3] Ricardo Fracasso: “Holy Mothers of Ancient China. A New Approach to the Hsi-wang-mu Problem.” In: T’oung Pao 74 (1988) 1-46. – Vgl. auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 203 f. (“Xi Wangmu”). [nach oben]

[4] Zitiert nach Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 136-138 (“Hsi-wang-mu”). [nach oben]

[5] Welch: Art, 204. [nach oben]

[6] Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 729. [nach oben]

[7] Wilkinson: Chinese History, 729 f. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/184

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