„…wir, burgermeister, rat und gemein burgere van Lyns…“ – 700 Jahre kommunale Selbstverwaltung in der Bunten Stadt
Festvortrag anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Altbürgermeister Adi Buchwald am 29. August 2014.
Lieber Herr Dr. Faust, lieber Herr Buchwald, geehrte Ratsdamen und Ratsherren, meine sehr geehrten Damen und Herren, „…wir, burgermeister, rat und gemein burgere van Lyns…“, mit dieser Formulierung in einer Urkunde vom 19. Mai 1328 tritt der Linzer Stadtrat in das Licht der Geschichte. Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft – das die klassische Dreiheit des mittelalterlichen Stadtregiments und eines der Hauptmerkmale einer vollwertigen Stadt. Und zur Stadt war Linz einige Jahre zuvor geworden – nämlich zwischen 1311 und 1320 – das genaue Jahr ist nicht bekannt. Der Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg investierte vor allem aus politischen Gründen kräftig in den Ort, um sein Territorium nahe der südöstlichen Grenze des Kurfürstentums zu stärken, ließ die in Teilen heute noch vorhandene Stadtbefestigung errichten und gewährte Linz alle Rechte und Freiheiten, die auch seine übrigen Städte genossen. Und da ein grundlegendes Merkmal städtischer Selbständigkeit damals wie heute die kommunale Selbstverwaltung war und ist, gibt es auch seit 700 Jahren in Linz eine Stadtregierung. Im Mittelalter bestand diese aus Bürgermeister und Magistrat, also einem Kollegium von Ratsherren, die die Bürgerschaft nach außen repräsentierten. Mit Bürgerschaft ist allerdings nicht die gesamte Einwohnerschaft gemeint ist, denn in mittelalterlichen Städten wurde man zum Bürger erst durch u.a. der Ableistung des Bürgereids und Zahlung des Bürgergelds.
Über die Zusammensetzung der städtischen Verwaltung im Mittelalter geben die Urkunden, das Statutenbuch und die Stadtrechnungen Auskunft, und auch die Namen der Bürgermeister sind seit dem ersten bekannten Träger dieses Amtes von 1322, Johann van deme Kelre, fast vollständig, ab 1461/62 bis heute nahezu lückenlos überliefert. Es ist im Mittelalter aber äußerst selten, das einmal der komplette Rat in den Quellen namentlich genannt wird. Doch zum Glück hat diese beeindruckende Urkunde die Jahrhunderte überdauert. Ein wunderschönes Stück, oder? Leider als einzige der Quellen, die ich für meinen Vortrag ausgewählt habe, nicht aus dem Linzer Stadtarchiv, sondern aus dem nordrhein-westfälischen Landesarchiv in Duisburg. Sie können an der Länge der Urkunde schon die Bedeutung des Ereignisses ermessen: Es handelte sich um nichts weniger als eine mittlere Verschwörung gegen den Erzbischof von Köln, an der die offensichtlich seit jeher selbstbewussten Linzer vor 650 Jahren beteiligt waren.
Wie gehört, hatte der Landesherr Linz erst vor kurzem zur Stadt aufgewertet, doch die Linzer zeigten sich zur Enttäuschung des Erzbischofs nicht so dankbar wie erwartet, sondern es gab schon früh Versuche, sich zu emanzipieren. So entzündete sich bereits gegen Ende der 1330er Jahre ein erster Konflikt zwischen der jungen Stadt und dem Stadtherrn. Für Unmut sorgte – wie so oft – die Erhebung einer Steuer, wogegen viele Linzer Bürger protestierten, weil sie sich ungerecht behandelt fühlten. Nur wenige Jahrzehnte später schloss Linz sich vor der Wahl eines neuen Erzbischofs mit den kurkölnischen Städten Neuss, Bonn, Ahrweiler und Andernach zu einem Bündnis zusammen, und die Bündnispartner verkündeten, nur denjenigen als neuen Landesherrn anzuerkennen, der ihnen ihre Freiheitsrechte in vollem Umfang garantierte.
Das ging jedoch gründlich schief, denn der neu gewählte Erzbischof Adolf von der Mark ließ den Einigungsvertrag kurzerhand zerreißen, und noch der Zorn seines Nachfolgers entlud sich auf Linz als der schwächsten unter den fünf widerspenstigen Städten: Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft mussten in der Pfarrkirche St. Martin sprichwörtlich zu Kreuze kriechen und in Anwesenheit zahlreicher adeliger Herren – sie sehen deren Siegel hier unten an der Urkunde – vor dem Erzbischof bekennen, dass sie wegen ihrer Frevelhaftigkeit und ihres Ungehorsams, wie es im Text der Urkunde heißt, alle Privilegien verspielt hätten und es keine freie Ratswahl mehr geben würde, sondern der Landesherr zukünftig die Kandidaten bestimmte. Unter anderem als Machtdemonstration ließ der Erzbischof außerdem die Linzer Burg errichten, die ja nicht umsonst auch „Zwingburg“ heißt. Diese Urkunde ist also in doppelter Hinsicht besonders, denn durch sie lernen wir nicht nur die Linzer Stadtverwaltung vor 650 Jahren namentlich kennen, sondern in ihr wird außerdem eines der ältesten und bedeutendsten Gebäude Stadt – eben die Burg – erstmals schriftlich erwähnt.
Namentliche Nennung von Bürgermeister und Rat der Stadt Linz und Ersterwähnung der Linzer Burg, 1365
(Original: LAV NRW Abt. Rheinland Kk Urk. 211)
Die Namen von Bürgermeister und Stadtrat werden gleich am Anfang der Urkunde aufgeführt – ich habe Sie Ihnen zur besseren Lesbarkeit noch einmal herausgezogen, untereinander gestellt und transkribiert: Johann Lotte, Bürgermeister, Jacob op me Kelre, Johann Kuylynck, Johan vame Kessel, Heyman Upladen, Johann van Staene, Herman vander Lynden, Jacob Wijnrich van Dadenberg, cleyne Johan van Luypstorp, Clays Kelleneir van Luypstorp, Arnolt Russche, Jacob Valder, Lodewich Ruytze, Rat von Linz. Genaueres zu diesen Personen ist nicht bekannt, aber vermutlich handelt es sich größtenteils um Kaufleute, da diese in Haus und Geschäft über ausreichend Personal verfügten und so die für eine städtische Führungsfunktion nötige Zeit hatten. Clays Kelleneir van Luypstorp könnte außerdem in Diensten des Landesherrn gestanden haben, denn ein Kellner war ein kurfürstlicher Verwaltungsbeamter. Und wie wir außerdem an den Vertretern aus Dattenberg und Leubsdorf sehen, kamen Ratsherrn nicht nur aus der Stadt Linz, sondern auch aus dem Kirchspiel, dessen Ausdehnung sich ziemlich genau mit der der heutigen Verbandsgemeinde Linz deckt. Unter den hier genannten Personen scheinen auch erstmals Angehörige später bedeutender Ratsfamilien wie Kessel oder Keller auf – Letzterer möglicherweise ein früher Verwandter des berühmten Linzer Kupferstechers Josef von Keller. Und mit der hier zweimal vertretenen Familie Russche/Ruytze war einige Jahrzehnte später Tilman Joel verschwägert, dessen Schwester den Linzer Bürgermeister Jacob Ruysch heiratete.
Aus der Zeit der Stadtwerdung vor 700 Jahren stammt übrigens auch das Große Siegel der Stadt Linz – Sie sehen hier links unten einen Abguss – aus dem später das Stadtwappen entstand, das ja bis heute aus Kreuz und Schlüssel besteht. Bei dem Kreuz handelt es sich um das kurkölnische Stiftswappen, wodurch die territoriale Zugehörigkeit zum Kölner Erzstift zum Ausdruck gebracht wird, der Schlüssel ist als Attribut des hl. Petrus, des kurkölnischen Landespatrons, zu verstehen.
Näheres zum Linzer Stadtrat im Mittelalter verrät uns auch das Statutenbuch, eines der schönsten Stücke aus dem Linzer Stadtarchiv. Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs und Fan oder Follower des Stadtarchivs ist – und einige von Ihnen sind es ja bereits – dem wird es dort als Titelbild bekannt sein. Ein Ratsherr sollte also laut Statutenbuch ehelich geboren sein und von ehrbaren und frommen Eltern abstammen. Da er im Amt über die Vergehen von anderen zu urteilen hatte, sollte er selbst auch ein ehrliches Leben führen und über Klugheit und Urteilskraft verfügen. Natürlich wurden Rat und Bürgermeister nicht vom Volk gewählt – das allgemeine Wahlrecht wurde erst geschlagene 600 Jahre später eingeführt – sondern vielmehr ließ – wie eben gehört – bis zum Ende des 14. Jahrhunderts der Erzbischof von Köln jährlich 13 geeignete Personen aus Stadt und Kirchspiel auswählen. Später dann wurde das Amt auf Lebenszeit vergeben, und beim Tod eines Ratsherrn wählten die übrigen Mitglieder des Stadtrats einen neuen Ratsherrn hinzu. Dieser leistete bei seinem Amtsantritt einen Eid, in dem er sich dem Landesherrn gegenüber zu Gehorsam und der Stadt gegenüber zum Befolgen alter Gewohnheiten verpflichtete. Anschließend machte der Schultheiß der durch Glockengeläut versammelten Gemeinde die Wahl des neuen Ratsherrn öffentlich bekannt.
Zu den vielfältigen Aufgaben des Stadtrats gehörten u.a. die Aufsicht über das Rechnungswesen, die Besteuerung, die Maße und Gewichte, das militärische Aufgebot der Bürgerschaft, die Zünfte, die Schulen und das Armenwesen. Jährlich am Johannistag, also dem 24. Juni, wählten die Ratsherrn außerdem aus ihrem Kreis den Bürgermeister, der dem Rat verpflichtet war und der nichts ohne die Kenntnis und die Zustimmung des Rats beginnen durfte. Die Tatsache, das sich die Stadtratsmitglieder aus einem kleinen, sozial unausgewogenen Kreis rekrutierten und dazu noch lebenslang im Amt blieben, legt natürlich den Verdacht nahe, – und so war es häufig auch – dass Entscheidungen nicht immer im Sinne der Gesamtbevölkerung, sondern lediglich im Sinne der städtischen Führungsschicht getroffen wurden, zumal die Stadtverwaltung praktisch keinerlei Kontrolle unterlag. Immerhin legte der Bürgermeister bisweilen den Bürgern der einzelnen Stadtviertel die jährliche Stadtrechnung vor, damit diese den Umgang mit den öffentlichen Geldern überprüfen konnten.
Für ihre Tätigkeit erhielten die Ratsherrn eine kleinere Aufwandsentschädigung, bei längeren Verhandlungen wurden außerdem Brot, Fleisch und Käse gereicht und Wein getrunken. Vor den Sitzungen begaben sich die Ratsherrn zur Messe – wir haben das ja heute nachempfunden – die ab 1462 in der Ratskapelle gleich gegenüber dem Rathaus am Marktplatz gelesen wurde. Der von seinem Stifter Tilman Joel prachtvoll ausgestattete Bau entsprach dem neu erlangten Selbstbewusstsein der Stadt, die nach der Demütigung durch den Erzbischof vor 100 Jahren jetzt wieder an politischer Bedeutung gewann und sogar zur Hauptstadt der Linzer Eintracht aufstieg, eines Verteidigungsbündnisses rheinischer Städte und Dörfer. Überhaupt darf diese Zeit als Blütezeit der Stadt angesehen werden, was sich auch im Bau eines repräsentativen Bürger- und Rathauses widerspiegelte.
Meine Damen und Herren, wir sind an historischer Stätte versammelt, denn genau hier an diesem Ort – zwar ursprünglich ein Stockwerk höher, aber trotzdem hier in diesen Räumlichkeiten – versammelt sich der Linzer Stadtrat seit mindestens 550 Jahren. In einer 10-jährigen Bauzeit, von 1517 bis 1527, wurde dieses Gebäude als Bürger- und Rathaus anstelle eines kleineren, mittelalterlichen Vorgängerbaus aus Fachwerk errichtet. Meister Mathias und Meister Andreas, unter deren Leitung die Bauarbeiten standen, ließen es aus Basaltlava und Tuffstein vom Kaiserberg und aus der Eifel, Steinen vom Stern und vom Minderberg und Bausand u.a. von der Mündung des Altenbachs und vom Nonnenwerth errichten. Die Hölzer für den Dachstuhl kamen per Floß aus Mainz, weiteres Bauholz wurde in den heimischen Wäldern bis hin nach Ehrenstein geschlagen. Einige Bauteile wurden außerdem in fertigem Zustand aus Andernach und Breisig per Schiff angeliefert. Den Baurechnungen zufolge waren fast 200 Männer am Bau des Rathauses beteiligt, darunter 13 Meister, außerdem Zimmererknechte, Steinbrecher, Sägeschneider, Handlanger, Schiffer und Fuhrleute.
Wie Sie hier auf dieser Zeichnung sehen, die den Zustand von 1706 zeigen soll, waren die Räumlichkeiten des Bürger- und Rathauses ursprünglich anders aufgeteilt als heute und wurden auch anders genutzt. Denn das komplette Erdgeschoss bestand aus einer großen, ungeteilten Halle, die vom Markplatz aus durch zwei große Tore betreten und befahren werden konnte. Die Umrisse sind ja heute noch an der Fassade zu sehen. Die Halle diente u.a. der Aufbewahrung von Baumaterial, Löschgerätschaften und Feuerwaffen, es gab ein Wachlokal für die Stadtwache und eine Stube für die Wollenweberzunft, die in der Halle auch ihren Tuchmarkt abhielt. Außerdem wurde die Halle für gesellige Veranstaltungen wie Feiern oder Theateraufführungen genutzt, und es war eine komplette Küche mit gemauertem Herd, Tischen, Bänken, Schüsseln, Gläsern und Krügen für die Verpflegung eingerichtet.
Ins Obergeschoss gelangte man über eine Außentreppe, die oben von einer Loggia abgeschlossen wurde – hier auf dieser Zeichnung gut zu sehen. Die Loggia spielte im öffentlichen Leben der Stadt eine besondere Rolle, denn von hier aus wurden der Bevölkerung beispielsweise die neu gewählten Ratspersonen vorgestellt, Gerichtsurteile verkündet und Befehle des Landesherrn oder Beschlüsse des Magistrats verlesen. Die historische Treppenanlage bestand bis 1833, dann wurde sie wegen Baufälligkeit abgebrochen und eine Innentreppe errichtet. Im Obergeschoss schließlich befanden sich die Große Stube für die Sitzungen des Stadtrats, die Schöffenstube für die Sitzungen des Stadtgerichts und die Kleine Stube für den Empfang von Gästen. Im Obergeschoss trafen sich Rat und Bürgerschaft zum geselligen Beisammensein, und Bürgermeister und Stadtrat bewirteten im Laufe der Jahrhunderte hier ganze Legionen von kurfürstlichen Beamten, Angehörigen des Adels, Mitglieder der Linzer Union, Hochzeitsgäste oder auch Theaterschauspieler mit Wein und Speisen.
Achterinstruktion, 1649Die Punkte 1-7 regeln u.a. die Aufsicht der Achter über das Rechnungs-, Finanz- und Bauwesen der Stadt
Bis ins 17. Jahrhundert hinein war die Ratsherrschaft in Linz fest verankert. Ratsfamilien wie Salzfaß, Mengelberg, Keller, Eiserfey, Mohr, Zimmermann, Kastenholz, Kessel oder Neuerburg waren untereinander versippt und bestrebt, die städtischen Ämter in ihren Reihen zu halten. Während des Dreißigjährigen Krieges kam es dann aber zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen zwischen Rat und Gemeinde. Die Bürger beschwerten sich u.a. über ungleich verteilte Steuerlasten und Missstände in der Finanzverwaltung, denn die Unstimmigkeiten in den Stadtrechnungen häuften sich. Da sich die Proteste auf Dauer nicht ignorieren oder unterdrücken ließen, musste der Rat ab Mitte des 17. Jahrhunderts eine Beteiligung der Bürgerschaft am Stadtregiment und damit eine erste Demokratisierung der Stadtverfassung hinnehmen. 1649 nämlich wurde das Kollegium der Achter gebildet – Sie sehen hier eine Seite aus der von Kurfürst Ferdinand erlassenen Achterinstruktion.
„Policeyordnung“, 1664, Titelseite„Demnach Dero Kurfürstlicher Durchlaucht zu Köllen Herzog Maximilian Henrich […] unterthänigst referiert worden welcher Gestalt in Dero Stadt Linz wegen des Policeywesens vor langen Jahren hero einige Unordnungen und schädlicher Mißbrauch vor und nach eingeschlichen wodurch auch zwischen Bürger-Meister, Scheffen und Rath und der gemeinen Bürgerschaft daselbsten Unei-nigkeiten und Mißtrauen entstanden […]“
Das Kollegium bestand – wie der Name schon sagt – aus acht Männern, die die Interessen der gemeinen Bürger vertreten sollten und ein Kontroll- und Mitspracherecht in allen Ratsangelegenheiten hatten. Im Gegensatz zu den Ratsherrn, die ja meist Kaufleute waren, setzte sich das Kollegium der Achter überwiegend aus Handwerkern zusammen. Der Stadtrat, der über drei Jahrhunderte praktisch die Alleinherrschaft inne gehabt hatte, gewährte das Mitspracherecht natürlich nur widerwillig und torpedierte die Achter, wo es nur ging. Da sich auch Beschwerden über die Disziplin der Ratsherrn häuften, musste schließlich auf Bitten beider Parteien Kurfürst Max Heinrich mehrere Gesandte nach Linz schicken, um den Streit zu schlichten. Ergebnis der Verhandlungen war die 1664 erlassene „Policeyordnung“ für Stadt und Kirchspiel Linz – Sie sehen hier die Titelseite – die wichtige Bereiche der Stadtverwaltung und des Zusammenlebens der Bürger neu regelte. U.a. sollte das Rechnungswesen reformiert und gestrafft und die Satzungen der Stadt eingehalten werden. Den Ratsherrn wurden in der Sitzung „ungeziemende“ und aufbrausende Reden bei Strafe von zwei Pfund Wachs verboten. Damit die Sitzungen besser besucht würden, wurden den Ratsherrn vor den jeweiligen Terminen durch den Stadtdiener so genannte „Ratsschilder“ zugestellt, die die Ratsherrn bei Strafandrohung vor der Sitzung wieder beim Bürgermeister abzuliefern hatten.
Meine Damen und Herren, die Geschichte des Linzer Stadtrats kommt natürlich an einer Person auf keinen Fall vorbei – Sie sehen ihn hier und kennen ihn alle – Augustin Kastenholz. Das Leben als Ratsherr des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war nämlich mitnichten immer so angenehm, wie es auf den ersten Blick scheinen mag – gewählt auf Lebenszeit, stets unter Seinesgleichen, kaum einer Kontrolle unterworfen – denn politische Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen waren in jedem Jahrhundert an der Tagesordnung – genannt seien hier nur die Belagerung der Stadt Linz durch kaiserliche Truppen im Neußer Krieg 1475, die Besetzung im Kölnischen Krieg 1583 und natürlich vor allem auch die Besetzung der Stadt durch die Schweden während des Dreißigjährigen Krieges 1632/33.
Als städtischer Amtsträger sah man sich also wie die übrigen Stadtbewohner auch nicht selten an Leib und Leben bedroht. Im Dreißigjährigen Krieg gipfelte das in der Hinrichtung von Augustin Kastenholz. Kastenholz, Zollschreiber, Schöffe und ehemaliger Bürgermeister, hier in der Stadt und im Ratshaus allgegenwärtig durch den nach ihm benannten Kastenholz-Platz und der Castenholtz-Schule, der Plakette draußen an der Fassade, durch den von ihm gestifteten Altar dort hinten an der Wand und durch sein Porträt – Sie sehen es hier – das Original hängt ein Stockwerk höher. Dieser Augustin Kastenholz also wurde am 22. Februar 1633 von den Schweden auf dem Marktplatz hingerichtet, vermutlich wegen Hochverrat. Der genaue Hintergrund, ist nicht bekannt, möglicherweise hatte er den Bürgermeister von Hönningen vor den anrückenden schwedischen Truppen warnen lassen, vielleicht auch hatte er Truppen zum Entsatz von Linz angefordert. Sein Todesdatum jedenfalls wurde im Bürgerbuch eingetragen, wo er unter den Schöffen und Ratspersonen ab 1618 geführt wird – Sie sehen den Eintrag hier, zusammen mit seiner Frau Katharina Kessel.
Eintrag im Bürgerbuch, 1618„Augustin Castenholtz und Catharina Kessell. Consul, 1633, d. 22. Februar obiit”
Rat und Achter wuchsen im Verlauf der Zeit immer stärker zusammen. Die Achter wurden nämlich nicht von der Bürgerschaft gewählt, so weit sollte die Demokratisierung dann auch wieder nicht gehen – sondern vom Rat! Zwar schlugen die übrigen Achter dem Stadtrat bei der Neuwahl eines Achtermitglieds einen Kandidaten nach ihrem Gusto vor, aber der Rat war natürlich bestrebt, die Achter-Wahlen stets so zu regeln, dass seine Kreise nicht durch ungeeignete oder unerwünschte Angehörige der bürgerlichen Schichten gestört wurde. Da es jedoch bald üblich wurde, dass neue Ratsherrn aus dem Achterkollegium ausgewählt wurden, bildete sich mit der Zeit ein Kreislauf. Das Achteramt entwickelte sich zum Aufstiegsamt in den Rat, und die Achter waren in ihrer ursprünglichen Rolle als Kontrollorgan nicht mehr zu erkennen. Vielmehr bildeten Rat und Achter die neue Führungsschicht innerhalb der Bürgerschaft und an den ursprünglich angeprangerten Missständen änderte sich nur wenig. Die geringe Fluktuation innerhalb der Verwaltung zeigt die Ratsliste von 1769 ganz deutlich: die ersten sieben – also die Schöffen – führten alle den Bürgermeistertitel, die zweiten sieben – die Räte – den Baumeistertitel. Alle saßen also schon längere Zeit im Magistrat und hatten die jeweiligen Funktionsämter durchlaufen. Wie Sie an den Namen sehen, saßen im Rat jetzt im 18. Jahrhundert allerdings nicht mehr nur Angehörige der bekannten Ratsfamilien des 15. und 16. Jahrhunderts. Hier hatte ein Wechsel stattgefunden, der vielleicht auch auf die Durchmischung mit den Achtern zurückzuführen ist.
Zum Ende des 18. Jahrhunderts waren dann auch in Linz die Auswirkungen der Französischen Revolution zu spüren. Es waren allerdings nicht die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die in der Stadt Resonanz fanden, vielmehr litt die Stadtbevölkerung in den Jahren 1796 und 1797 im Zuge der Revolutionskriege – mal wieder – unter der Besatzung durchziehender Truppen. Diese forderten horrende Geld- und Sachleistungen, und der Stadtrat war bemüht, die Forderungen durch Bestechung der zuständigen französischen Heeresverwaltungsbeamten zumindest abzumildern, was auch öfters – wenn auch nicht immer – gelang.
Das 19. Jahrhundert bescherte der Stadt dann nach einigen Jahren unter nassauischer Regierung nicht nur den Übergang an Preußen und die Bildung des Kreises Linz, wenn auch nur für wenige Jahre, sondern auch einen weiteren kleinen Schritt hin zu einer Demokratisierung innerhalb der Stadtverwaltung. Denn die Stadträte wurden seit der Gemeindeordnung von 1845 erstmals von der Bevölkerung gewählt. Allerdings waren sie dadurch nach wie vor kein demokratisches Gremium, da nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewählt wurde, das das Wahlrecht an das Steueraufkommen band, wodurch nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung wahlberechtigt war. In Linz waren 1846 nur gut sechs Prozent der Einwohnerschaft wahlberechtigt, 1871 sieben Prozent und 1913 knapp 15 Prozent. Wir sehen hier die erste Seite des Wählerverzeichnisses von 1856. In der Klasse 1 der „Meistbeerbten“, wie es hieß, finden sich bekannte Namen wie Rhodius, Cahn oder Mayer, allesamt Fabrikantenfamilien, oder auch Salm-Kyrburg oder von Rolshausen. Die Wähler wurden anlässlich einer Wahl ins Rathaus geladen und durften dort für einen ihrer Klasse zugeteilten Kandidaten stimmen. Wie wir sehen, wurden die Namen der Gewählten offensichtlich jeweils gleich hinter den Namen des Wählers eingetragen, weshalb von einer geheimen Wahl nicht die Rede sein kann.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts dann wurde Linz auch von der deutschen Märzrevolution erfasst, und Bürgermeister und Stadtrat setzten sich an die Spitze der Bewegung. Nach dem Verlust der kurkölnischen Privilegien wie dem Rheinzoll und von Verwaltungsbehörden und dem daraus resultierenden Niedergang von Handel, Handwerk und Gewerbe war zu dieser Zeit in der Stadt ohnehin eine allgemeine Katastrophenstimmung spürbar. Es kam während der Märzrevolution in Linz zu revolutionären Umtrieben, der preußische Adler wurde vom Rathaus abmontiert und in Volksversammlungen machte sich Unzufriedenheit Luft. Bürgermeister Franz Stephan Christmann richtete nach dem Vorbild Kölns und anderer rheinischer Städte eine Eingabe an den preußischen König, in der u.a. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Ausdehnung des aktiven Wahlrechts und Gleichheit vor dem Gesetz gefordert wurde. Da diese Forderungen einigen Linzer Politikern zu weit gingen, kam es in der Stadtverwaltung zu Aufruhr, man versuchte, den Bürgermeister abzusetzen, und viele Stadtratsmitglieder blieben den Sitzungen fern. Doch schon im November 1848 war die deutsche Revolution gescheitert und auch in Linz kehrte wieder Ruhe ein.
Meine Damen und Herren, wir sind am Beginn des 20. Jahrhunderts angelangt. Aus dieser Zeit stammt das erste Foto von Mitgliedern der Linzer Stadtverwaltung, in der Mitte Bürgermeister Dr. Paul Pieper, und ich finde, dass sich an den ernsten Mienen schon erkennen lässt, welche Verantwortung auf den Schultern dieser Männer lastete. Denn diese Stadtregierung hatte in den zehn Jahren zuvor – das Bild wurde etwa 1925 aufgenommen – nicht weniger als die Auswirkungen eines Weltkriegs – des Ersten Weltkriegs – auf die Stadt Linz bewältigen müssen, mit Mangelwirtschaft, Hunger und dem täglich Kampf ums Überleben, die Nachkriegszeit mit der Besetzung durch französische Truppen, den Einmarsch der Separatisten und schließlich Wirtschaftskrise und Hyperinflation. Immerhin wurde nach dem Übergang von der Monarchie zur Republik 1919 deutschlandweit nun endlich auch ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht eingeführt, das auch für Frauen galt.
Doch diese Freiheit währte nur ein gutes Jahrzehnt, denn die der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 folgende Gleichschaltung traf Ende 1933 auch das Linzer Stadtparlament. Seit den letzten freien Stadtverordnetenwahlen vom März 1933 bestand der Stadtrat aus neun Angehörigen der Zentrumspartei und jeweils vier von Bürgerliste und NSDAP. Durch das Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 wurden diese gewählten Stadtverordneten durch Ratsherrn ersetzt, die auf Vorschlag der Gauleitung der NSDAP berufen und auf Adolf Hitler vereidigt wurden. Der Stadtrat wurde dadurch zu einem bloßen Beratergremium des Bürgermeisters herabgewürdigt und es gab keine freien kommunalpolitischen Entscheidungen mehr.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde eine neue politische Ordnung geschaffen. Die unter alliierter Besatzung neu gebildete Stadtverwaltung musste sich in den ersten Nachkriegsjahren vor allem der Organisation des Lebensnotwendigen widmen, denn die Ernährungslage in der Stadt war äußerst kritisch und es drohte eine Hungerkatastrophe. So lautete denn auch der erste Tagesordnungspunkt der ersten aufgezeichneten Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg von 7. Oktober 1945 – Sie sehen es hier -: „Bericht des Vorsitzenden über die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Lage der Stadt Linz“. Und auch Frauen engagierten sich jetzt in der Kommunalpolitik, denken wir nur an Else Missong-Peerenboom – die Stadt Linz hat kürzlich an sie erinnert – oder auch Liesel Kretz oder Gertrud Grefrath, die bereits in den ersten Nachkriegsjahren im Stadtrat saßen.
Der Linzer Stadtrat vereinte jetzt Bürger aller Schichten und Berufsgruppen. Die Kommunalwahlen vom 14. Dezember 1948 beispielsweise brachten für die CDU mit Ferdinand Nitzgen einen Arbeiter, Peter Frings einen Gärtnermeister, Dr. Franz-Josef Wuermeling einen Staatssekretär, Peter Paffhausen einen Magazinverwalter, Peter Rechmann einen Klempner, Franz Wald einen Gastwirt, Gertrud Grefrath eine Hausfrau, Andreas Heim einen Oberstudiendirektor, Karl Müllenstädt einen Kaufmann und Peter Meyer einen Lokführer in den Stadtrat. Die SPD stellte mit Johann Bündgen einen Küfer, Heinrich Ries einen Uhrmacher, Theo Lück einen Angestellten und Josef Herz einen Schmied. Die DDP entsandte mit Matthias Oellig einen Bauunternehmer, Josef Houben einen Kaufmann, Hubert Dütz einen Gastwirt und mit Karl Aufdermauer und Severin Schoop jeweils einen Gärtnermeister in den Stadtrat. Nach 700 Jahren ist das Linzer Stadtparlament also endlich in jeder Hinsicht zu einem demokratischen Gremium geworden.
Meine Damen und Herren, am Schluss meines Vortrags schlage ich noch einmal den Bogen zu unserem heute frisch gekührten Ehrenbürger Adi Buchwald. Sie sehen ihn hier noch ganz zu Beginn seiner Amtszeit am 9. November 1990 mit Raissa Gorbatschowa (links) und Hannelore Kohl beim „Damenprogramm“ in Linz, derweil der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn den “Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit” unterzeichneten. Ein wahrhaft historisches Datum also. Durch die zahlreichen Staatsgäste, die Linz während der Bonner Republik besuchten, war die Stadt in diesen Jahrzehnten praktisch immer in enger Tuchfühlung mit der internationalen Politik.
Zu den vielen Verdiensten von Adi Buchwald um die Stadt, von denen wir heute schon gehört haben, zählen auch sein Engagement für die Stadtgeschichte und das Stadtarchiv. Er ist jedem stadtgeschichtlichen Projekt stets offen und interessiert begegnet und hat die Realisierung umstandslos ermöglicht – ich erinnere hier nur an die beiden großen Ausstellung zum Joseph-von-Keller-Jubiläum 2011 und zum Ersten Weltkrieg in diesem Jahr, die ja zu echten Erfolgsgeschichten wurden. Ich schließe ich mich also den Gratulanten an und bin froh, dass ich mit Ihnen, lieber Herr Buchwald, so lange und so gut zusammen arbeiten durfte. Und wenn ich heute hier als Chronistin der Stadtgeschichte auftrete, dann kann ich guten Gewissens konstatieren: Sie haben sich auch mit Ihrer nachhaltigen Kulturarbeit einen so festen wie prominenten Platz in der langen und reichen Geschichte unserer Stadt erarbeitet. Ihnen, Ihrem Nachfolger Herrn Dr. Faust, dem Stadtrat und allen Zuhörern heute wünsche ich nun einen schönen Abschluss auf der Kirmes. Für Fragen stehe ich hier und auch später natürlich gerne zur Verfügung. Meine Damen und Herren – ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!