Nachdem es im Blog aus verschiedenen Gründen eine Weile still war, soll nun eine neue Reihe gestartet werden. Geplant ist es, in den nächsten Monaten kapitelweise das sogenannte Chronicon Bürglense, Gründungsbericht und Traditionsbuch des sanktblasianischen Priorats Bürgeln mit lateinischem Text und deutscher Übersetzung im Blog zu veröffentlichen. Damit adaptieren wir eine Idee des Mittelalterblogs, wo seit einigen Monaten eine Übersetzung der Historia Occidentalis des Jakob von Vitry veröffentlicht wird.
Im Folgenden soll kurz die Relevanz der Quelle für die Forschung sowie deren Inhalt, Entstehungskontext und Überlieferung vorgestellt werden. Daran an schließen der lateinische Text und eine deutsche Übersetzung des ersten Kapitels, sowie ein kurzer Kommentar zum ersten Kapitel.
I. Relevanz der Quelle für die Forschung
Zwar hat das Chronicon Bürglense einen deutlich lokaleren Bezug als die Historia Occidentalis des Jakob von Vitry, es handelt sich aber keineswegs um eine nur für die landesgeschichtliche Forschung interessante Quelle. Es ist vielmehr ein gutes Beispiel dafür, dass die anlässlich der Ausschreibung eines Editionsstipendiums von den MGH unlängst postulierte Trennung in landesgeschichtliche Quellen einerseits und für die Mittelalterliche Geschichte im Allgemeinen relevante Quellen andererseits, kaum möglich ist.1 Das Chronicon bietet nämlich sowohl Informationen für die landesgeschichtliche Erforschung des Klosters St. Blasiens, von dessen Prioraten sowie der Adelsgeschichte des Breisgaus, ist aber auch als Beispiel klösterlicher Gründungsgeschichten oder Historiae fundationum monasteriorum – so der von Jörg Kastner gewählte Sammelbegriff2 – relevant. Es bietet Ansatzpunkte für Fragen nach Entstehungsgrund und Funktion dieser Quellen3, aber auch zu Fragen adligen Selbstverständnisses, klösterlichen Reformbewegungen oder der Qualität von Besitzübertragungen.
II. Inhalt
Ähnlich wie die wesentlich prominenteren Zwiefalter Chroniken (1, 2) beschreibt das Chronicon Bürglense die Gründung eines, wenn auch deutlich kleineren Klosters, durch eine Adelsfamilie. Im Falle des zwischen Basel und Freiburg, unweit von Schliengen gelegenen Bürgelns,4 war dies die nach Ausweis des Chronicons die im Breisgau, Burgund und Rhätien begüterte Familie der Herren von Kaltenbach. Anders als die Gründer von Zwiefalten, die Grafen Liutold von Achalm und Kuno von Wülflingen, traten Werner von Kaltenbach und seine Frau Ita aber bereits anlässlich der initialen Schenkung in das Kloster St. Blasien ein, ein Schritt, den – teilweise vor, teilweise nach den Eltern – auch zwei Söhne und zwei Töchter vollzogen.5. Damit traten alle Mitglieder der Familie ins Kloster St. Blasien und dessen Priorate ein,6, hier Kapitel 2, S. 367)), ein in seiner Totalität durchaus ungewöhnlicher Fall.7
Neben dem beinahe hagiographisch anmutendem Lob der Gründerfamilie und deren Klostereintritt, schildert das Chronicon auch die weitere Entwicklung Bürgelns und damit verbundene Rechtsstreitigkeiten. Besonderen Raum nimmt dann das Wirken der von Werner dem Jüngere und Wipert von Kaltenbach, den Söhnen des ursprünglichen Schenkers, für Bürgeln ein. Während beide zeitweise als Pröpste von Bürgeln tätig waren8, hebt das Chronicon insbesondere Wipert von Kaltenbach hervor, der im 17. und letzten Kapitel des Chronicons – einer Auflistung von Traditionsnotizen – mehrfach als Ankäufer von Gütern und Vermittler von Schenkungen dargestellt wird.9. Das Chronicon Bürglense beinhaltet damit auch Elemente eines Traditionsbuchs, wenngleich mir diese weniger im Vordergrund zu stehen scheinen, als dies Jörg Kastner in seiner vergleichenden Studie postuliert und in der “Darstellung der Besitzgeschichte” Bürgelns, das “eigentliche[n] Vorhaben” des Chronicons gesehen hat10.
III. Entstehungskontext und Überlieferung
Das Chronicon selbst ist wohl zwischen 1160 und 1180 im Kloster St. Blasien entstanden, ein späteres sankblasianisches Repertorium schreibt es einem Mönch Konrad des 12. Jahrhunderts zu, der möglicherweise noch Zeitgenosse Wiperts von Kaltenbach war.11.
Das Chronicon Bürglense liegt bislang nicht in einer modernen Edition, sondern lediglich in einem Druck des 18. Jahrhunderts vor, den der Sanktblasianer Mönch Rusten Heer besorgte.12. Dieser stützte sich dabei zwar hauptsächlich auf eine Abschrift des Chronicons, die 1494 der Notar Ulrich Buck anfertigte und zudem ins Deutsche übersetzte,13) konnte aber auch noch auf das heute verlorene Autograph zurückgreifen, nach Angabe Bucks ein ungefähr handbreiter und sieben Ellen langer Rodel, der heute wohl verloren ist.14 Heer notierte gelegentlich Variationen aus dem Autograph hielt sich aber sonst an die Abschrift Bucks, der nach Heer auch die zusammenfassenden Kapiteltitel verfasste.15.
Notarzeichen des Notars Ulrich Buck und Schriftproben aus dem heute verlorenen Autograph sowie der Handschrift GLA Karlsruhe 65/139, gedruckt Chronicon Bürglense, S. 384
IV. Lateinischer Text und Deutsche Übersetzung
Kapitel 1: Qualiter Monasterium in monte Bürglen inchoatum sit, et cuius mons ipse antea fuit?
Omne, quod praedicatur aut scribitur, si veritatis ratione caret, vacuum et inane non ambigitur. Unde ad depellendas caliginosas tetrae oblivionis tenebras, et ad verae cognitionis luces serenandas, stili narratione duximus dignum, ad utilitatem posterorum, qualiter Dei servitium in monte Bürglon monasteriali more sit initiatium. Praedictus namque mons cum omni sua pertinentia in Dominium parentelae, quae dicitur de Caltinbach, attinet hereditario iure a progenitorum prosapia, et illorum potestati deditus fuit et subditus curae. Nam pridem vetus ibidem constructa habebatur ecclesia, ac unius Clerici informabatur instantia: Nunc vero Domini optitulante gratia monachorum (uti in praesenti cernere est) solerti instituitur vigilantia.
Kap. 1: Wie das Kloster am Berg Bürgeln begonnen sein soll und wem der Berg zuvor gehörte?16
Man zweifelt nicht an, dass alles, was verkündet oder geschrieben wird – sofern es am Grundsatz der Wahrheit mangelt – leer und unnütz ist. Deshalb, um die dunkle Finsternis des schändlichen Vergessens zu vertreiben und um das Licht der wahrhaften Erkenntnis zu erhellen, hielten wir es für angemessen zum Nutzen der Nachwelt zu erzählen, wie am Berg Bürgeln der Dienst an Gott nach klösterlicher Gewohnheit seinen Anfang nahm. Der besagte Berg gehört – erbrechtlich von einer Vorfahrensippe herrührend – nämlich, mit allem seinem Zubehör zur Herrschaft einer Verwandtengruppe, die von Kaltenbach genannt wird; er war ihrer Herrschaft gegeben und ihrer Obhut unterworfen. Dort soll vor langer Zeit eine alte Kirche erbaut und ihr durch die Emsigkeit eines einzelnen Klerikers Gestalt gegeben worden sein. Nun aber ist sie dank der Hilfe und der Gnade des Herrn mit der klugen Fürsorge der Mönche versehen worden (wie es derzeit zu sehen ist).
V. Kommentar
Jörg Kastner hat dieses erste Kapitel als “einleitende Arenga” beschrieben, in der “in gewohnter Weise die Entstehungsursache des Werkes” angezeigt werde.17. Dabei wird einerseits auf den Nutzen des Werks für die Nachwelt (ad utilitatem posterorum) verwiesen, andererseits ein allgemeiner Impetus für Geschichtsschreibung bemüht, nämlich, dass Geschehenes nicht in Vergessenheit geraten dürfe (ad depellendas caliginosas tetrae ovlivionis tenebras).
Ist die Rechtfertigung des Schreibens also eher topisch gehalten und kann als “weiteres Beispiel für die im Hirsauisch-St. Blasianischen Bereich wirksamen Formtendenzen” beschrieben werden,18, so scheinen mir die allgemeine Qualität des Lateins, insbesondere aber die Bemühungen um eine ausgeprägte Metaphorik, sowie gewisse Parallelitäten in der Satzkonstruktion (ac unius Clerici informabatur instantia […] monachorum solerti instituitur vigilantia) auf eine hohe sprachliche Bildung des Autors und dessen literarischen Anspruch hinzuweisen. Auch wenn der Autor ähnliche Werke möglicherweise gekannt hat, habe ich aber keine größeren Übernahmen aus anderen Werken feststellen können.
Mangels eigener Kompetenz in der Beurteilung sprachlicher Fragen wird sich die Kommentierung künftiger Kapitel eher auf den historischen Kontext konzentrieren, für Anregungen, Kommentare und Hinweise zur sprachlichen Qualität des Chronicon Bürglense sowie hinsichtlich von möglichen wörtlichen Übernahmen aus anderen Quellen bin ich aber sehr dankbar.
Empfohlene Zitierweise: Chronicon Bürglense, Kapitel 1, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Johannes Waldschütz, in: Mittelalter am Oberrhein, 13. Juni 2014, http://oberrhein.hypotheses.org/?p=425 (ISSN: 2199-210X).
- Vgl. dazu auch die Diskussion bei Archivalia
- Vgl. Jörg Kastner: Historiae fundationum monasteriorum. Frühformen monastischer Institutionengeschichtsschreibung im Mittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 18), München 1978
- Vgl. die bisherige Forschungsdiskussion zusammenfassend: Stephan Molitor: Das Traditionsbuch. Zur Forschungsgeschichte einer Quellengattung und zu einem Beispiel aus Südwestdeutschland, in: Archiv für Diplomatik 36 (1990), S. 61–92, der dazu tendiert auch Chartularchroniken als Traditionsbücher einzuordnen und deren rechtliche und sakrale Funktion gegenüber deren historiographischer und administrativer Funktion höher bewertet. Den historiographischen Aspekt betonen Kastner, Historiae und Hans Patze: Adel und Stifterchronik. Frühformen territorialer Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Reich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 100 (1964), S. 8–81 und 101 (1965), S. 67–128. Dabei hebt Patze eher die Bedeutung der Chronistik für den Adel hervor, während Kastner diese als “Frühformen monastischer Institutionengeschichtsschreibung” deutet
- Nicht wie Kastner, Historiae S. 45 fälschlicherweise meint Bürglen in der Schweiz
- Vgl. zur Chronologie der Eintritte Adolf Schmidt-Clever: Die Gründung der Probstei Bürgeln. Mit einem Nachwort von Friedrich Pfaff, in: Alemannia 40 (1912), S. 47-80, hier S. 76f., online einsehbar mit US-Proxy; hinsichtlich der historischen Fragen wenig hilfreich aber den Inhalt paraphrasierend: Robert Gerwig:
- Ein im Chronicon genannter dritter Sohn tritt ist sonst nicht historisch greifbar und könnte früh verstorben sein, vgl. Conradi de S. Blasio Chronicon Bürglense, hg. von Rusten Heer, in: Ders.: Anonymus Murensis denudatus et ad locum suum restitutus seu acta fundationis principalis Monast. Murensis denuo examinata, et auctori suo adscripta…, Freiburg i. Br. 1755, Appendix II, S. 365-84, Digitalisat bei der Bayerischen Staatsbibliothek
- Vgl. als Parallelbeispiel den Fall der Grafen von Cappenberg, die ihre Burg in ein Stift umwandelten, Norbert Bewerunge: Der Ordenseintritt des Grafen Gottfried von Cappenberg, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 33, 1981, S. 63-81
- Vgl. dazu Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien im Schwarzwald. Von den Anfängen bis zum Jahr 1299, bearb. von Johann Wilhelm Braun (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A: Quellen 23), 2 Bde. und CD, Stuttgart 2003, Vorbemerkung zu Nr. 131
- Chronicon Bürglense, S. 381-383, UB St. Blasien, Nr. 131
- Vgl. dazu Kastner, Historiae, S. 45f. mit der Beurteilung des Werks als “Vorstufe einer Cartularchronik“
- Conradi Monachi Saeculo XII, vgl. ausführlich Adolf Schmidt-Clever, Gründung, S. 47
- Conradi de S. Blasio Chronicon Bürglense, hg. von Rusten Heer, in: Ders.: Anonymus Murensis denudatus et ad locum suum restitutus seu acta fundationis principalis Monast. Murensis denuo examinata, et auctori suo adscripta…, Freiburg i. Br. 1755, Appendix II, S. 365-84, Digitalisat bei der Bayerischen Staatsbibliothek
- Heute GLA Karlsruhe 65/139, vgl. zu dieser Handschrift den Eintrag im Katalog: Die Handschriften der Staatsarchive in Baden-Württemberg, Bd. 2: Die Handschriften 65/1-1200 im Generallandesarchiv Karlsruhe beschrieben von Michael Klein, Wiesbaden 1978, hier S. 61 (online einsehbar bei Google Books); ebenfalls zu dieser und weiteren davon abhängigen Handschriften, UB St. Blasien, Nr. 130 (Vorbemerkung
- Vgl. Chronicon Bürglense, S. 383
- Chronicon Bürglense, S. 365.
- Für Hilfe bei der Übersetzung bin ich Dr. Tobie Walther, Mark Wittlinger M. A. und Albert Stoer zu großem Dank verpflichtet
- Kastner, Historiae, S. 45
- Kastner, Historiae, S. 45
Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/425