Kaum ein anderes Werk Gerhard Richters hat so unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen, wie das Südquerhausfenster (CR 900) im Kölner Dom. Es besteht aus gut 11.250 kleinen Quadraten in 72 verschiedenen Farben, die auf rund 10 Quadratmeter verteilt wurden. Das Richter-Fenster ist neben dem Dreikönigenschrein zu einer Sehenswürdigkeit geworden, für die man gern zu unterschiedlichen Tageszeiten den Dom aufsucht. Denn durch die stete Veränderung des Sonneneinfalls in das Fenster entsteht der Eindruck eines fluiden Lichts, dass vom kühlen Boden tänzelnd die Wände der Kathedrale erobert und den Innenraum zum Leben erweckt. Das farbige Flimmern verleiht dem sakralen Innenraum einen würdigen unwirklich transzendenten Charakter.
Das 22 Meter hohe Südquerhausfenster wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und nach einem Entwurf von Wilhelm Teuwen neu verglast.1 Bereits 2002 beriet das Kölner Domkapitel über eine Neugestaltung mit Heiligen der Neuzeit. Drei Jahre später trat die Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner mit dem künstlerischen Anliegen an Gerhard Richter heran. Der Künstler nahm den Auftrag begeistert und zugleich erschrocken an. “Erschrocken, war ich, weil ich ahnte, dass ich überfordert sein würde. Ich habe zunächst eine figürliche Darstellung versucht und war schon dabei, den ganzen Auftrag doch abzulehnen.”2 so Richter. Er verwarf diese Idee, als er die Schablone des Domfensters zufällig auf eine Reproduktion seines 1974 gemalten Werks 4096 Farben (CR 359) legte. Überrascht von der ästhetischen Wirkung entschied er sich, das Fenster aus Farbfeldern zu gestalten. Dafür wählte er Farben, die er auf Bitten des Domkapitels, aus den mittelalterlichen Fenstern des Domes extrahierte. Mit Hilfe eines Computers wurden sie zufällig angeordnet.3 Vor Ort simulierte Richter das Fenster mit Folien und Gläsern und passte das Werk den liturgischen Bedürfnissen und architektonischen Gegebenheiten an. Vor fünf Jahren, am 25. August 2007, konnte das Südquerhausfenster feierliche eingeweiht werden.
Unmittelbar nach der Weihe wurde die Kritik Kardinal Meisners laut. Doch entgegen vieler polemischer Zeitungsartikel galt Joachim Meisners Kritik nicht der Kunst des Kölner Malers an sich, sondern dem Motiv, dass in seiner “Unkonkretheit” auch in einer Moschee oder Bahnhofshalle hätte angebracht werden können.4 Der “Fensterstreit” nährte das öffentliche Interesse und damit auch das Gerhard Richter Archiv. Die Aufsätze und Zeitungsartikel über das Fenster von 2006 bis heute füllen bereits zehn Ordner und ein Ende scheint nicht in Sicht. Diese Ordner wachsen ebenso schnell, wie die Begeisterung der Besucher des Domfensters. Mittlerweile fragen viele Touristen bereits am Eingang nach dem Fenster im Südquerhaus und manchmal steigen sogar Zugreisende im benachbarten Hauptbahnhof kurz aus, um sich das Fenster anzusehen, so Barbara Schock-Werner im Interview.
Das Archiv hat anlässlich der Einweihung des Fensters eine DVD herausgeben, die die Entstehung des Fensters dokumentiert.5 Corinna Belz belegt mit ihrem Film, dass mit Hilfe eines Rechners, Kunst immer noch einen Künstler bedarf, um zu einem Meisterwerk zu werden.
Weiterführende Informationen zum Kölner Domfenster finden Sie u.a. hier.
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3 Zur Bedeutung des Zufalls in Richters Farbfeldmalerei vgl. u.a. die Aufsätze in: Gerhard Richter. Texte zu 4900 Farben, hg. von Dietmar Elger, Ostfildern 2009 (SChriften des Gerhard Richter Archiv, Band 3).
4 vgl. http://www.welt.de/newsticker/news3/article108738302/Besuchermagnet-in-72-Farben-Fuenf-Jahre-Richter-Fenster.html
5 Gerhard Richter. Das Kölner Domfenster. Ein Film von Corinna Belz, hg. vom Gerhard Richter Archiv Dresden, zero one 2007 (Schriften des Gerhard Richter Archiv, Band 2).
Quelle: http://gra.hypotheses.org/98