Die älteste erhaltene ungarische Evangelienübersetzung von 1466 digital zugänglich – Hussitenbibel mit Kalender

 

Cod.hung.1.4Der „Münchener Kodex“ ist das Kernstück der ungarischen Handschriftensammlung der Bayerischen Staatsbibliothek (Cod.hung. 1) und zugleich das sprachhistorische Denkmal der Ungarn-Forschung. Ab sofort ist er nicht nur in der Ausgabe von Szabó T. Ádám (BSB-Bestand: Hbh/Dp 3501[2), sondern auch im digitalen Faksimile der akademischen Welt frei über das Internet zugänglich. Das älteste Evangeliar in ungarischer Sprache (1466) ist Teil der sogenannten „Hussitenbibel“. Es gibt lediglich zwei weitere ungarische Codices, die zur Hussitenbibel gezählt werden – den Apor-Kodex (Übersetzung von 150 Psalmen – im Besitz des Szekler Nationalmuseums in Sfântu Gheorghe) und den Wiener Kodex (Auszüge aus dem Alten Testament - mittlerweile im Besitz der Széchényi-Nationalbibliothek).Cod.hung.1.2Die Geschichte der ungarischen Bibelübersetzung sowie die verschlungenen Wege, auf denen das Evangeliar und der Kalender ihre Wege in die Bayerische Staatsbibliothek gefunden haben, sind bemerkenswert. Wer würde vermuten, dass die älteste erhaltene zusammenhängende Bibelübersetzung auf Ungarisch jenseits der Grenzen des historischen Ungarn angefertigt wurde - im liberalen Fürstentum Moldau in dem Städtchen Târgu Trotuș (ungar. Tatros), wo die geflohenen Hussiten Asyl gefunden hatten - und dass im Kolophon der Sohn Hensel Emres (Emerichs) Németi György (Georg möglicherweise aus einem Ort namens Németi, eine Ortschaft mit Bezug zu deutschen Siedlern) als Schreiber genannt ist? Als Übersetzer der ungarischen Hussitenbibel gelten unter den meisten Forschern Valentinus de Ilok (ungar. Újlaki Bálint) und Thomas de Quinque-Ecclesiis (ungar. Pécsi Tamás), die in den Jahren 1399 bzw. 1411 an der Prager Universität immatrikuliert waren. Sie sollen später als Priester in Kemenitz (ungar. Kamanc, serb. Sremska Kamenica) in Syrmien gewirkt haben, einem Gebiet zwischen dem heutigen Kroatien und Serbien, zwischen den Flüssen Donau, Save und Drau, und in den Jahren 1438-1439 infolge der Inquisition in das Fürstentum Moldau geflohen sein. Die kirchenpolitischen Reformen des Jan Hus waren also bis tief nach Südost- und Osteuropa spürbar.

Cod.hung.1.1Der Kalender für die Jahre 1416-1435 und das Evangeliar wurden erst im Besitz des berühmten Diplomaten, Orientalisten und Humanisten Johann Albrecht Widmanstetter (1506-1557) zusammengebunden und kamen 1558, im Jahr der Gründung der Hofbibliothek nach München. Es gibt keine eindeutigen Nachweise wie der Kalender und das Evangeliar in den Bestand Widmanstetters gelangten. Eine Theorie besagt, dass Widmanstetter den Codex vom französischen Orientalisten Guillaume Postel erhalten hat. Dieser hielt sich in den Jahren 1553-1554  zur gleichen Zeit wie Widmanstetter in Wien auf und hatte zuvor ausgedehnte Forschungsreisen mit einem Halt in dem Städtchen Târgu Trotuș unternommen. Die andere Theorie stützt sich auf die Orthographie: Genau wie in der Bibelübersetzung tauchen die orthographischen Neuerungen auch in der Druckerei des späteren Palatins Tamás Nádasdy auf. Für diese könnte das Evangeliar die Vorlage gewesen sein. Auch in privaten Briefen wandte Nádasdy die neue Orthographie an. Am Wiener Hof, an dem Widmanstetter von 1552-1556 wirkte, könnte die Übergabe bzw. Schenkung stattgefunden haben.

Cod.hung.1.3Im letzten September hat eine ungarische Studiengruppe von der ELTE die Bayerische Staatsbibliothek besucht und den Münchener Kodex begutachtet sowie die Digitalisierung dieser Handschrift gewünscht. Nicht zuletzt diesem Wunsch ist die BSB nachgekommen und hat einen weiteren Schritt in der digitalen Aufbereitung ihrer wertvollen Handschriften getan.

 

 Weiterführende Literatur (Auswahl):

  • Szabó,T. Ádám: Der Münchener Kodex (1466) als ungarisches Sprachdenkmal. In: Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös nomi-natae. Sectio linguistica 17 (1986), S. 3-36 [BSB-Bestand: Z 70.1768-16/17]

Richard Holzberger

 

 

Quelle: http://ostbib.hypotheses.org/482

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