Fastnacht der Hölle – Inklusion als Herausforderung im Museum

 

 

Die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention zeigt auch Wirkungen auf die museumspädagogische Arbeit. Derzeit wird am Haus der Geschichte Baden-Württembergs in Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Heidelberg/Abt. Geschichte und Abt. Sonderpädagogik für die aktuelle Ausstellung “Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne”1 an einem Angebot für Förderschüler/innen gearbeitet. Das kooperative Erarbeiten eines solchen Angebots von Vertreterinnen der Museumspädagogik, der Geschichtsdidaktik und der Sonderpädagogik kann durchaus als innovativ und den Herausforderungen angemessen bezeichnet werden.2

 

 

Gemeinsamer Nenner: Das Erlebnis

Bei dem kooperativen Projekt wird kein eigentlich inklusives Angebot erarbeitet, sondern die museumspädagogischen Zielgruppen werden um die FörderschülerInnen erweitert. Diese Adressatengruppe ist in sich nicht homogen, sondern umfasst SchülerInnen mit Lerneinschränkungen und solche mit geistigen Beeinträchtigungen. Deren kognitiven Fähigkeiten, z.B. was die Lesekompetenz oder schriftsprachliche Fähigkeiten angeht, können weit auseinander liegen.3 Auch über deren Ausprägungen des Geschichtsbewusstseins ist wenig empirisch Gesichertes bekannt: SchülerInnen mit Lernbeeinträchtigungen können recht sicher zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden, äußern aber, z.B. nach einer Bildbetrachtung, kaum konkrete Unterscheidungsmerkmale. Sie betrachten Geschichte im Sinne eines Wandels und haben ein sehr subjektives Verständnis für Chronologie, d.h. sie stellen häufig keinen korrekten Bezug zu Daten bzw. Zeiträumen her.4 Auch in der Museumspädagogik gibt es nur wenige, eher allgemeine Hinweise, die sich mit den Ansätzen in der Sonderpädagogik decken: Ein Museumsbesuch ist nachhaltiger, wenn er als Erlebnis gestaltet wird und die Inhalte auf mehreren Wahrnehmungsebenen gleichzeitig und emotional angebunden vermittelt werden.5 Die Forschungsergebnisse sind direkt in das Konzept des museumspädagogischen Angebots für Förderschulen eingegangen. So steht am Anfang die Arbeit am Zeitbegriff (vor 100 Jahren), durch das Anknüpfen an die eigene Familiengeschichte: Damals haben die Urgroßeltern gelebt! Gleichzeitig ist für die SchülerInnen wichtig zu erfahren, dass es sich um ein Geschehen in der Vergangenheit handelt, sie also keine Angst haben müssen, dass “morgen” ähnliches passiert.

“Der Erste Weltkrieg zerstörte die Sinne!”

Genauso wie bei allen anderen museumspädagogischen Angeboten gilt, dass die Ausstellungsziele im museumspädagogischen Angebot zentral sind und für die entsprechende Zielgruppe aufgearbeitet werden. Die Kuratorin der Ausstellung formuliert die Ausstellungsziele wie folgt:

“Die Ausstellung zeigt das Empfinden des Krieges mit allen Sinnen. Denn der Erste Weltkrieg sprengte damals alle Maßstäbe der Wahrnehmung, beeinträchtigte und zerstörte die Sinne. Doch die Regierungen instrumentalisierten die Sinne auch, indem sie die Kriegswahrnehmung bewusst lenkten.”

Die Sinneserfahrungen wirkten sich nachhaltig auf den Menschen aus: auf seinen Körper, auf sein Erleben und seine Psyche – nicht nur an der Front, sondern auch in der Etappe und in der Heimat. Diese Zielsetzung soll elementarisiert und auf die Aneignungsniveaus der Adressaten bezogen beibehalten werden.

Wie fühlt sich der Krieg an?

Wichtige Zugänge zu den Ausstellungszielen sind für die FörderschülerInnen sinnliche Wahrnehmungen, also direkt zu empfinden, wie sich der Krieg angefühlt (Tornister, Gewehr, Papierhemd), angehört (Kanonendonner), angesehen (Bilder von Schützengräben, Lazarette), wie er gerochen (Leichengeruch, Eau de Cologne) und geschmeckt (“nachgebackener” Notzwieback) hat. Hinzu kommt, dass für diese Adressatengruppe der Lebensweltbezug und die Einbettung in eine Rahmenhandlung als direkt fassbarer “roter Faden” wichtig ist, weshalb eine reale Familie durch einen Tag im Krieg begleitet werden soll. Allerdings gestaltet sich die Recherche einer solchen Familie aufgrund der Quellenlage schwierig: Meist sind nur die Feldpostbriefe der Soldaten erhalten, weil deren Ehefrauen diese gesammelt haben. Die weibliche Perspektive und damit auch die Perspektive der Heimat fehlt häufig. Hier ist die Museumspädagogin dabei, nach einer realen, im Südwesten verankerten Familie zu recherchieren, die im Idealfall ein Kind im Alter der SchülerInnen hat: Wie nimmt der Vater an der Front und in der Etappe den Krieg wahr, wie die Mutter und das Kind in der Heimat? Wie verändern sich deren Sinne durch den Krieg? Um diesen Lebensweltbezug beizubehalten soll das museumspädagogische Angebot in der Heimat beginnen: Der Vater wird aus dem Familienalltag herausgerissen, fährt an die Front, hat Angst und muss kämpfen, wird verwundet und die restliche Familie bleibt in der Heimat und muss mit dem Mangel zurechtkommen.

Originalobjekte als „Leitquelle“

Die Ausnahmesituation des Krieges, die ein anderes Verhalten erzwang als es in der Zeit üblich war, soll kontinuierlich angesprochen werden: Das Gewehr steht für das Töten und Sterben an der Front, für die Angst in den Schützengräben und für das Töten auf Distanz, das natürliche Hemmschwellen verringert. Die Prothese in der Etappe und in der Heimat für eine Verletzung im Krieg, die die Amputation erzwang und ein Weiterleben mit größten Beeinträchtigungen zur Folge hatte. Den Originalobjekten sollen Materialien zur Seite gestellt werden, die die SchülerInnen anfassen/lesen/betrachten können. So kann beispielsweise ein Tornister, der den Vater als Soldaten durch den Kriegsalltag begleitete, diesen erfahrbarer machen und gleichzeitig eine Art “Leitquelle” durch das museumspädagogische Angebot darstellen. Ein Feldpostbrief übersetzt in “Leichte Sprache” kann eine Brücke für das unterschiedliche Kriegserleben in der Heimat und in der Etappe sein. Für die Stationen Front-Etappe-Heimat wird das Material differenziert für SchülerInnen mit Lerneinschränkungen und für SchülerInnen mit geistigen Beeinträchtigungen bereitgestellt werden. Bevor das museumspädagogische Angebot im September 2014 zur Verfügung steht, sollen Rückmeldungen bei den anfragenden Lehrpersonen und gegebenenfalls bei Selbsthilfeorganisationen eingeholt werden.

 

 

Literatur

  • Barsch, Sebastian / Hasberg, Wolfgang (Hrsg.): Inklusiv – Exklusiv. Historisches Lernen für alle, Schwalbach/Ts. 2014.
  • Barsch, Sebastian / Dziak-Mahler, Myrle: Problemorientierung inklusive: Historisches Lernen im inklusiven Unterricht. In: Amrhein, Bettina / Dziak-Mahler, Myrle (Hrsg.): Fachdidaktik inklusiv. Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule, Münster 2014, S. 119-132.
  • Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Das inklusive Museum – Ein Leitfaden zu Barrierefreiheit und Inklusion. Berlin 2013.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
Ausstellungsplakat. © Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart.

Empfohlene Zitierweise
Alavi, Bettina: Fastnacht der Hölle - Inklusion als Herausforderung im Museum. In: Public History Weekly 2 (2014) 21, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2120.

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Inklusion konkret: Heidelberg in Leichter Sprache

 

“Heidelberg in Leichter Sprache” ist ein Stadtführer für Menschen, die Bilder und kurze Texte bevorzugen, also z.B. ältere Menschen, Kinder, Personen mit Deutsch als Zweitsprache oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Zweck des Stadtführers ist es, aufmerksam zu machen auf Orte zum historischen Lernen und auf Themen, die in Heidelberg beheimatet sind. Im Folgenden sollen die Gestaltung, die Sprache und die Inhalte der oben abgebildeten Doppelseite des Stadtführers im Hinblick auf Chancen und Grenzen des historischen Lernens analysiert werden. Wichtig erscheint eine solche Analyse, um die Möglichkeiten eines Transfers auf den inklusiven Geschichtsunterricht zu beurteilen.

 

Zur Entstehung des Stadtführers

Die VerfasserInnen des Heidelberger Stadtführers – zwei ProfessorInnen der Geistig-und Mehrfachbehindertenpädagogik mit Studierenden, Beschäftigten der Heidelberger Werkstätten und SchülerInnen einer Schule für Geistigbehinderte – haben bei der Erstellung des Stadtführers eng zusammengearbeitet und bei der Entwicklung der Touren auf die Verständlichkeit des Textes sowie die Handhabbarkeit des Buches geachtet. So gelangen zur Orientierung nicht genordete, sondern auf einen zentralen Ausgangs- und Endpunkt ausgerichtete Karten mit reduzierten Informationen (nur die Hauptstraßen) und eingefügten Fotos der Tourenziele zur Anwendung. Die Wege zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten sind genau beschrieben, der Textteil ist bewusst knapp gefasst. Die an der Produktion beteiligten Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung haben die Endredaktion der Texte vorgenommen, also die Verständlichkeit geprüft.

Analyse von Gestaltung und Sprache

Die farblich blau markierte Kopfzeile enthält auf der linken Seite den Hinweis, dass es sich um eine Doppelseite aus der Altstadt-Tour (als erste von fünf Stadttouren) handelt. Diese Tour ist beidseitig durch ein Symbol, nämlich die Heiliggeistkirche (als Zentrum der Altstadt) visualisiert. Auf den beiden Seiten zur Gedenkstätte befindet sich außen eine Fotoleiste, wobei jedem Foto ein Textblock mit Erläuterungen zugeordnet ist. Die Textblöcke sind in serifenloser Schrift im Flattersatz abgedruckt. Die Sätze beinhalten jeweils nur eine Hauptinformation; sie sind deshalb kurz und in klarer und gleichförmiger Satzstruktur (Subjekt-Prädikat-Objekt) gehalten. Die Wortwahl konzentriert sich auf einfache Wörter, Komposita werden getrennt (Gedenk-Stätte, Gast-Wirt). Die Sätze sind im Aktiv formuliert:”Schauen Sie rechts durch das Fenster. Dort sehen Sie Dinge aus der Sattlerei.” Damit folgen die Texte den Regeln der Leichten Sprache, die von SelbstvertreterInnen des Netzwerks Leichte Sprache entwickelt wurden.

Analyse des Inhalts

Der Inhalt der beiden Seiten ist klar gegliedert:1 Auf der linken Seite stehen biographische Informationen zu Friedrich Ebert, auf der rechten Seite stehen Informationen zum Wohnen im Geburtshaus Friedrich Eberts. Auf der Folgeseite wird auf das Museum verwiesen (“Hier können Sie mehr über Friedrich Ebert erfahren”). Die biografischen Informationen beginnen mit dem wichtigsten Amt, das Friedrich Ebert inne hatte: seine Amtszeit als Reichspräsident der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie. Diese wichtige historische Zäsur nach dem Ende des 1. Weltkriegs wird allerdings nicht erwähnt, seine Stellung wird mit dem zu vagen “Er war ein mächtiger Mann” umschrieben. Unklar im Sinne der Elementarisierung bleibt, warum die kurze Zeit als Reichskanzler (1918) erwähnt und genau datiert wird, nicht aber der Beginn seiner Zeit als Reichspräsident. Die Vita Eberts wird mit seiner Geburt in Heidelberg 1871, seiner Reichskanzlerschaft/Reichspräsidentschaft 1918/1919 und seinem Tod 1925 umrissen, ebenso seine unterschiedlichen Tätigkeiten und Wohnorte. Was er aber als Reichspräsident gemacht hat, bleibt ungeklärt, wahrscheinlich wird auf einen Besuch im Museum gehofft.

Chancen und Grenzen

Dieser Sachverhalt scheint aber auf ein grundsätzliches Problem der “Leichten Sprache” zu verweisen: Komplexe und abstrakte Inhalte sind nur bedingt vereinfachbar, die historische Kontextualisierung muss vorhanden sein oder sukzessive aufgebaut werden. Insgesamt zeugt die Doppelseite von der Wichtigkeit einer klaren Strukturierung und Elementarisierung, der Stadtführer scheint aber bei abstrakten und komplexen Inhalten an seine Grenzen zu stoßen. Darauf verweist insbesondere die zweite Seite, die der gut zu veranschaulichenden Sozial- und Alltagsgeschichte gewidmet ist. Die Nachfrage des Stadtführers ist hoch und bezieht sich auf Schulen mit und ohne Förderschwerpunkt. Ein nächster Schritt könnte nun sein, dass wissenschaftlich empirisch erfasst wird, inwiefern die LeserInnen in dieser Aufbereitung eine Hilfe zum Lesen historischer Inhalte und zum Erschließen eines historischen Ortes sehen.2

Konsequenzen für die Geschichtsdidaktik

Im BlogJournal-Beitrag “Sprachlos im Geschichtsunterricht” hat Saskia Handro3 das noch ungeklärte Verhältnis zwischen Sprachlernen und Fachlernen problematisiert. Hier nun interessiert, wie durch eine andere Sprache und deren visuelle Präsentation das Verstehen von historischen Inhalten und Zusammenhängen erleichtert werden kann. Dieser Ansatz ist auch bedeutsam für den inklusiven Geschichtsunterricht. Denn hier wird es verstärkt darauf ankommen, Texte für unterschiedliche Aneignungsniveaus anzubieten. Sehr strukturierte Sachtexte mit begriffssensibler Wortwahl für historische Sachverhalte, in denen die Leichte Sprache ebenso wie sich wiederholende Symbole und durchgängige Visualisierungen zur Anwendung gelangen, sind gerade im inklusiven Geschichtsunterricht ein praktikabler Ansatzpunkt. Ganz generell stellt sich hier auch noch einmal die Frage nach dem Quelleneinsatz, d.h. sind diese Verständnishilfen für Sachtexte auch auf Quellentexte übertragbar?

 

 

Literatur

  • Terfloth, Karin / Klauß, Theo (Hrsg.): Heidelberg in Leichter Sprache. Heidelberg 2013.
    (Bezugsadresse: Lebenshilfe Heidelberg, Freiburger Straße 70, 69126 Heidelberg. Tel. 06221/3392314. freizeitbereich@offene-hilfen-heidelberg.de / Ansprechpartner : Ulf Prokein. Der Stadtführer kostet 10,- Euro).
  • Berkemeier, Anne: Visualisierend Präsentieren als eine Form des Informationsmanagements. In: Krelle, Michael / Spiegel, Carmen (Hrsg.): Sprechen und kommunizieren, Baltmannsweiler 2009, S. 156-170.
  • Ratz, Christoph: Schriftsprachliche Fähigkeiten von Schülen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In: Dworschak, Wolfgang / Kannewischer, Sybille / Ratz, Christoph / Wagner, Michael (Hrsg.): Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Oberhausen 2012, S. 111-132.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
© Karin Terfloth und Theo Klauß; Auszug aus “Heidelberg in Leichter Sprache. Heidelberg 2013″, S. 32-33. Seiten in grosser Abbildung: Hier.

Empfohlene Zitierweise
Alavi, Bettina: Inklusion konkret: Heidelberg in Leichter Sprache. In: Public History Weekly 2 (2014) 7, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1409.

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Inklusion und Geschichtswettbewerb – Barrierefreier Geschichtswettbewerb?

 

Am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten nehmen durchschnittlich 5000 SchülerInnen teil. Die Zahl der Beiträge aus Real-, Haupt- oder Förderschulen ist jedoch seit Jahren fallend. Der Geschichtswettbewerb richtet sich aber an alle SchülerInnen. Am Beispiel eines aktuellen Beitrags aus einer Förderschule soll auf wichtige Stolpersteine hingewiesen werden, die die Teilnahme von SchülerInnen mit Lernschwierigkeiten erschweren und Maßnahmen vorgeschlagen werden, die einen barrierefreien Zugang zum Geschichtswettbewerb ermöglichen.

 

Gibt es ein Textproblem?

„Wir Haben uns in 2 Gruppen geteilt und jede der 2 Gruppen hat jeweils verschiedene Geschichten und Aufgaben bekommen. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Jeder von uns hat gut mitgemacht. Wir haben die Geschichte vom Brettener Hundle gelesen. Es war sehr spannend zu zuhören wieso es die Geschichte vom Brettener Hundle gab. Deshalb haben wir uns entschieden des Thema zu nehmen vom Brettener Hundle.“1

Der Schüler der 9. Klasse einer Förderschule für Kinder und Jugendliche mit Lernproblemen und Entwicklungsverzögerungen beschreibt im Arbeitsbericht die Phase der Themenfindung für den Geschichtswettbewerb 2012/13 „Vertraute Fremde. Nachbarn in der Geschichte“. Exemplarisch werden hier einige Spezifika deutlich, die die Teilnahme am Geschichtswettbewerb erschweren: Der kurze Text zeugt von einer großen Mühe des Schülers beim Formulieren der inhaltlichen Aussagen und deren korrektem Niederschreiben. Der Geschichtswettbewerb ist aber stark auf Lesen, Schreiben und Schriftlichkeit insgesamt ausgerichtet. In diesem Fall können die SchülerInnen keinen inhaltlich strukturierten, den Arbeitsprozess elaboriert reflektierenden Arbeitsbericht abgeben. Vielmehr sind an der Chronologie des Projektablaufs orientierte, von mehreren SchülerInnen additiv verfasste und den eigenen Entscheidungs- und Erkenntnisprozess andenkende Textabschnitte eine zu würdigende Leistung. Das „Textproblem“ des Geschichtswettbewerbs zeigt sich auch auf anderen Ebenen: Das in den jeweiligen Wettbewerb einführende Magazin „spurensuchen“2, ist nicht auf die Bedürfnisse dieser Schülergruppe ausgerichtet. Sie haben Schwierigkeiten, die dort formulierte Aufgabenstellung zu verstehen („Wurden Nachbarn diskriminiert, gemieden oder besonders geachtet, und warum?“). Auch die dort aufgeführten Beispiele zum Thema Nachbarschaft sind für sie allein schwerlich zu bewältigen und deshalb auch nicht anregend. Hier würden schon einige Seiten in „Leichter Sprache“ mit für die Schülergruppe naheliegenden und verstehbaren Beispielen weiterhelfen3.

Eigener Preis?

Wir haben „die Stadtmauer nach gebaut und haben einen Kampf um das Essen als Theater nachgespielt. Dabei haben wir die Engel-Teufelsmusik gehört.“
Die Schwierigkeiten im Textumgang bedeuten auch, dass das Wettbewerbsthema sinnlich und handlungsorientiert erarbeitet werden muss. Theaterpädagogische Elemente und musikalische Einstimmung auf Belagerer (Teufelsmusik) und Belagerte (Engelsmusik) eröffnen hier einen Zugang zur Alterität des vergangenen Geschehens. Das widerspricht aber der dem Wettbewerb zugrunde liegenden Leitidee des forschenden historischen Lernens, die auf Wissenschaftspropädeutik und Kognition ausgerichtet ist und als Endprodukt eine an wissenschaftlichen Standards orientierte Hausarbeit vorsieht. Letzteres ist gerade dieser Schülergruppe nicht angemessen. Ihre Projektprodukte als Wettbewerbsbeiträge wie Fotobücher mit kleineren Textbeiträgen, Ausstellungsplakate oder wie hier das Drehbuch und der Film eines von der Schülergruppe gestalteten Stadtrundgangs sind zwar im Wettbewerb möglich, werden aber zu wenig gewürdigt. Hier könnte ein eigener reservierter Wettbewerbspreis für eine solche Schülergruppe die Inklusion in den Wettbewerb steigern.

Frageboxen

Gleichzeitig müsste das Prinzip des forschenden historischen Lernens begrifflich modifiziert werden. Im ersten Zitat wird deutlich, dass die Schülergruppe aus zwei Vorschlägen ein Thema ausgewählt hat. Die Vorstellung, dass die SchülerInnen das Thema allein entwickeln, ist hier illusorisch (und gelingt auch bei anderen Schülergruppen nur bedingt). Hinzu kommt, dass gerade FörderschülerInnen nicht immer durchgängig Geschichtsunterricht hatten, bei dem historische Kompetenzen angebahnt wurden. Oftmals ist Geschichte in der Förderschule ein weniger wichtiges Fach. So müssen bei einer angestrebten Wettbewerbsteilnahme viele Grundlagen geschaffen werden, bevor der Forschergeist erwacht. Dieser zeigt sich dann bspw. in einer vollen Fragebox, wobei die darin befindlichen Fragen zeigen, dass Quellen kritisch durchdacht („Wer ist der Zeuge, der die Geschichte der Belagerung geschrieben hat?“) und Ereignisse befragt werden („Hat der Bürgermeister beim Ausfall der Brettener während der Belagerung mitgekämpft?“). Die Schülergruppe konnte einen Experten interviewen und dabei feststellen, dass nicht alle Fragen an die Vergangenheit geklärt werden können. Diese Ergebnisse zeigen, dass forschendes historisches Lernen grundsätzlich möglich ist, wenn auch mit Einschränkungen.

Begleitete Selbständigkeit

Auch die dem forschenden historischen Lernen implizite Selbstständigkeit ist hier zu modifizieren: TutorInnen, die historische Kompetenzen anbahnen und historische Projekte für die SchülerInnen mit Förderbedarf methodisch angemessen anbahnen können, sind für eine Teilnahme am Wettbewerb unumgänglich. Spezielle Tutorenworkshops durch die Körber-Stiftung könnten hier mehr Lehrkräfte motivieren, ebenso ein Tutorenpreis, der für diesen Kreis an LehrerInnen reserviert bleibt.

Gegen die Elitentendenz

Gerade weil die derzeit viel beschworene und diskutierte Inklusion kein Schlagwort bleiben soll, darf sich die Elitentendenz des Geschichtswettbewerbs nicht weiter verfestigen. Vielmehr sollten Anstrengungen unternommen werden, die in letzten Wettbewerb geringe Zahl an Beiträgen aus Förderschulen (vier von 1314) zu steigern.

 

Literatur

  • Alavi, Bettina / Terfloth, Karin: Historisches Lernen im inklusiven Unterricht. In: Klauß, Theo / Terfloth, Karin (Hrsg.): Gemeinsam besser lernen! Inklusive Schulentwicklung, Heidelberg 2013. S. 185-207.
  • Borries, Bodo von: „Forschendes historisches Lernen“ ist mehr als „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“. Rückblick und Ausblick. In: Heuer, Christian / Pflüger, Christine (Hrsg.): Geschichte und ihre Didaktik – Ein weites Feld … Unterricht, Wissenschaft, Alltagswelt. Gerhard Schneider zum 65. Geburtstag, Schwalbach/Ts. 2009. S. 130-148.
  • Nellen, Jörg: Kompetenzen historischen Denkens am Beispiel erfolgreicher Beiträge zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten aus Hauptschule, Realschule und Gesamtschule. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 9 (2010), S. 110-130.

Externe Links

Abbildungsnachweis
© Thomas Platow, http://www.koerber-stiftung.de/bildung/geschichtswettbewerb/thema-nachbarn/themenideen-im-internet.html.

Empfohlene Zitierweise
Alavi, Bettina: Inklusion und Geschichtswettbewerb – Barrierefreier Geschichtswettbewerb? In: Public History Weekly 1 (2013) 1, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-129.

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Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/1-2013-1/inklusion-und-geschichtswettbewerb-barrierefreier-geschichtswettbewerb-bundespraesidenten/

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