Genuine Internetdaten als historische Quellen

Catherina Schreiber von der Universität Luxembourg hat unter dem Titel ‘Genuine Internetdaten als historische Quellen – Entwurf einer korrealistischen Quellentheorie’ einen interessanten Artikel in der Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften, Nr. 1 (2012), verfasst. Ein Abstract und der Volltext befindet sich auf der Webseite der Zeitschrift.

Der Beitrag fasst wunderbar zusammen, was eine digitale Quelle (‘born digital source’) definiert. Eine solche ist genuin digital, multimodal und –dimensional, veränderbar, prozessorientiert sowie zeitlich und räumlich unabhängiger. Zudem kann sie für einen grösseren Umfang an quantitativen und qualitativen Analysen verwendet werden. Dass damit die bisherige quellenkritische Methode nicht mehr ausreicht und einer Erweiterung bedarf, sollte für jeden Leser nachvollziehbar sein.

Was für mich jedoch nicht ganz plausibel erscheint, ist ihre Kritik an der Aufwertung der äusseren Quellenkritik, die nun zu stark mit der inneren Kritik verknüpft würde. Als Beispiel zitiert sie Eva Pfanzelter, welche die Wichtigkeit der Autorenangaben betont. Jedoch werden digital entstandene Texte und ‘Objekte’ (Graphiken, dynamischer Content etc.) leider selten mit einem Urheberhinweis versehen, ausser es ist damit ein finanzielles Motiv damit verbunden (Urheberrecht). Fachportale (bspw. hsozkult) bilden zwar meistens die Ausnahme, aber dies trifft auf Fachseiten (bspw. Universitätswebseiten) schon nicht mehr zu.

Meines Erachtens können auch nicht urheberidentifizierte Quellen, d.h. Quellen, deren Urheber nicht identifiziert werden kann, wissenschaftlich verwendet werden. Vor allem bei quantitativen Analysen können mit solchen ‘anonymen’ Daten und Informationen Aussagen erarbeitet werden. Sobald jedoch eine singuläres Objekt (mit seinen gesamten Beziehungen und Wechselwirkungen) als Quelle im wissenschaftlichen Kontext verwendet werden soll, dann müssen die äusseren ‘Werte’ genau geprüft werden. Eva Pfanzelters Bemerkung, dass die Angaben zu den Autorinnen und Autoren nach wie vor als zentrales Qualitätskriterium gelten, scheint mir deshalb immernoch korrekt zu sein, weil diese Informationen zur Bewertung der Plausibilität, Seriosität und Vertrauenswürdigkeit der Quelle sehr viel beitragen können. Wahrheitsgehalt und Originalität (im Punkt 3 aufgeführt) ist auch in der analogen Welt kein Kriterium die Quelle nicht zu verwenden, aber der Wahrheitsgehalt muss bekannt sein. Diese Anforderung bleibt auch in der digitalen Welt erhalten. Deshalb kann ich Punkt 2.3 nur bedingt zustimmen.

Was im Beitrag leider nicht erwähnt wurde, ist die Flüchtigkeit und Änderbarkeit eines digitalen Objektes: das Objekt kann zum Beispiel bei einem weiteren Zugriff verschwunden sein (eine URL-Angabe mit Datum ist deshalb nur als ‘hilfreicher Hinweis’ einzustufen und nicht als ‘wissenschaftlicher Verweis’). Schlecht steht es um die Nachvollziehbarkeit, wenn die Quelle vom Urheber unerkannt verändert und vom Nutzer verwendet wurde. Dies scheint mir ein wichtiger Aspekt der zu erweiternden Quellenkritik zu sein und entsprechend müssen solche Probleme von der Methodik aufgegriffen werden.

Die Kieslerschen Theorie des Korrealismus in die Quellenkritikdiskussion einzubringen finde ich einen guten Ansatz, dem man nur zustimmen kann. Jedoch hoffe ich auch, dass jeder Historiker in seiner Ausbildung methodisch gelernt hat, eine Quelle immer im grösseren Zusammenhang zu sehen. Deswegen ist der Ansatz nicht neu, aber trägt zum Verständnis der Methodik bei und sollte betont werden.

Catherine Schreiber: Genuine internet data as historical sources
Abstract

 

Quelle: http://hsc.hypotheses.org/123

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