Digitalität und Geschichtswissenschaft

Seit einigen Wochen diskutiert die Historikerzunft engagiert (aber allmählich auch wieder abflauend) über „Quellenkritik im digitalen Zeitalter: Die Historischen Grundwissenschaften als zentrale Kompetenz der Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter“ (so der Titel des Positionspapiers von Eva Schlotheuber und Frank Bösch (http://blog.historikerverband.de/2015/10/30/quellenkritik-im-digitalen-zeitalter-die-historischen-grundwissenschaften-als-zentrale-kompetenz-der-geschichtswissenschaft-und-benachbarter-faecher/; Forum dazu unter http://www.hsozkult.de/text/id/texte-2890?title=diskussionsforum-historische-grundwissenschaften-und-die-digitale-herausforderung). Zeit, die Debatte Revue passieren zu lassen – was naturgemäß nicht in allen Punkten geschehen kann. Den fachkundigen Anmerkungen der vielen an der Diskussion beteiligten Vertreter der Historischen Hilfswissenschaften (ich bevorzuge weiterhin den Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“) zu eben diesen und der Digitalen Geisteswissenschaftler zu eben jenen mag ich nichts hinzufügen; stattdessen möchte ich mich auf wenige grundsätzliche Bemerkungen beschränken.

Das zentrale Argument von Schlotheuber und Bösch lautet: Wir erleben eine massenhafte Digitalisierung von Quellenbeständen und müssen es schaffen, die entsprechende Quellenkritik zu vermitteln, auf dass Studierende kompetent mit diesen Quellenbeständen umgehen können.

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Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/384

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Seminararbeiten und Rechtschreibung

Zur Klage über moderne Studierende gehört – gewissermaßen standardisiert – auch die Klage über die Rechtschreibung in Seminararbeiten. Unter dem Titel “Sprachnotstand an der Uni. Studenten können keine Rechtschreibung mehr” (http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/sprachnotstand-an-der-uni-studenten-koennen-keine-rechtschreibung-mehr-12862242.html) hat sich nun Hannah Bethke (Politikwissenschaft, Greifswald) in der FAZ an diesem Thema versucht.

Das Schlimme daran: Auch wenn ich versuche, meinen eigenen kulturpessimistischen Anwandlungen entgegenzuarbeiten, muss ich dem Befund erst einmal zustimmen. Die Zahl an Seminararbeiten, die schon sprachlich nicht die Voraussetzungen erfüllen, die mit dem Abitur eigentlich nachgewiesen sein müssten, ist einfach zu hoch, als dass es sich um Einzelfälle handeln könnte. Das reicht von orthographischen Fehlern über Schwierigkeiten, einen Satz korrekt zu Ende zu führen, bis hin zu Schwierigkeiten in der Textgestaltung (Aufbau von Absätzen und Kapiteln). Und ja, es sind oft sehr grundlegende Fähigkeiten, die offenkundig fehlen – oder zumindest fehlt die Übung. Meinen ungeliebten kulturpessimistischen Anwandlungen gemäß hängt das oft auch mit fehlender analytischer Sprachausbildung zusammen. Analytischer Umgang mit Sprache wird in der Didaktik moderner Fremdsprachen offenbar kaum noch gepflegt. Das Zerlegen eines Satzes in Subjekt, Prädikat und Objekt scheint inzwischen das Monopol der altsprachlichen Didaktik zu sein. Für Historiker/innen, die sich permanent mit Texten anderer beschäftigen müssen, ist diese Fähigkeit zur analytischen Auseinandersetzung mit Sprache aber eine absolute Voraussetzung (und das betrifft im Übrigen auch den Umgang mit Bildern, Artefakten usw.). Die Unfähigkeit oder mangelnde Übung, eigene Texte korrekt und stringent aufzubauen, korrespondiert in meiner Erfahrung mit dieser analytischen Kompetenz. Der Umgang mit dem Konjunktiv, die KNG-Kongruenz, das Strukturieren von Gedanken in einem flüssigen Text setzt das Verständnis von Textstrukturen und darunter grammatischen Strukturen  voraus.

Schade nur, dass Frau Bethke dieses an sich so wichtige Thema durch den üblichen Kulturpessimismus, gegen den sie sich offenbar nicht zu wehren versucht, schwächt. Ihr Text enthält vor allem Schuldzuweisungen an die Adresse der Studierenden, die diese Fehler begehen – anstatt über eine produktivere Sprachdidaktik etwa im Deutschunterricht oder in den modernen Fremdsprachen nachzudenken. Sie hängt sich an der Partizipenseuche auf, die sie am Wort “Studierende” festmacht – als ob dieses Wort wirklich sprachlich stolpern lässt. Sie kritisiert “Niveaunivellierung” – es ist, meine ich in der Rückschau, ein Ceterum censeo dieses Blogs, das ich zumindest an der Universität die Verantwrtung für solche Niveaunivellierungen, falls es sie tatsächlich gibt, auch in den Fächern sehe. Zumindest fühle ich mich bisher nicht gezwungen, ein Niveau zu nivellieren; auf eine verantwortungslose, inflationäre Notenvergabe (wo wurde die empirisch belegt?) fühle ich mich nicht verpflichtet. Sie macht das daran fest, dass diese Gesellschaft abweichendes Verhalten (z.B in der Schule) nicht mehr sanktioniert, sondern als Buntheit akzeptiert und affirmativ begrüßt. Das lastet sie der “liberalen” Gesellschaft an – als ob uns eine illiberale Gesellschaft besser tun würde.

Hannah Bethke möchte sich “nicht einreihen in den Chor derer, die den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören; wenngleich es zur Bestätigung dieser kulturpessimistischen These sicher lohnenswert wäre, eine Umfrage unter Studenten zu machen, wer von ihnen überhaupt noch weiß, was das Abendland eigentlich ist – und wie man es schreibt.” Dieses Zitat sagt eigentlich genug. Im nachvollziehbaren Bestreben, die Sprachfäöhigkeiten der Studierenden, eigentlich: der Schülerinnen und Schüler zu verbessern, wird eine solche platte Diagnose leider nichts ändern. Um Bethes letzten, sprachlich misslungenen Satz ebenso “ungekonnt” zu paraphrasieren: Es ist zu hoffen, dass der jetzige Bestand dieser Diagnose eher von kurzer als von langer Dauer sein wird.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/204

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Massive Open Online Courses

Bisher habe ich oft auf aktuelle Berichterstattung reagiert; heute möchte ich eher auf Kommentare eingehen, die ich zum Artikel “Der Online-Angriff auf den Unterricht” von Frank Kelleter (FAZ) gefunden habe. Kelleter selbst kritisiert vor allem die universitären Aktivitäten, die sich in Zielvereinbarungen, Optimierungskonzepten, Entwicklungsplänen verstecken, den akademischen Servicemarkt, der sich um diese Prozesseherum gebildet hat, und die Absurdität, dass gerade engagierte Hochschulangehörige sich bis zur Grenze der gesundheitlichen Zumutbarkeit in solchen absurden Prozessen aufreiben müssen. Insbesondere den letzten Punkt kann ich nachvollziehen, auch wenn ich lange nicht alles für absurd halte.

Er warnt dann aber auch vor MOOCs, den Massive Open Online Courses, die seit einiger Zeit durch die Online-Zeitschriften geistern. Meinem Eindruck nach – und vielleicht täusche ich mich – sind MOOCs eher ein Medienphänomen als eine real relevante Erscheinung. Mir ist nicht bekannt, dass bisher auch nur ein einziger Studiengang in Deutschland in erheblicher Weise durch MOOCs ausgestaltet ist.

Genau an diesem Punkt setzen aber die Kritiker des Artikels ein. So klagt ein Leser: “Die Universität war schon immer eine elitärere Institution, was in Deutschland noch immer sinnlos künstlich aufrecht erhalten wird mit Numerus Clausus und der Bafög-Schulden-Keule. Das widerspricht allein schon der Herkunft des Wortes ‘Universität’.” Universität meint aber nicht “für alle” im Sinne von universal oder Ähnliches, sondern nur die Gemienschaft von Lehrenden und Lernenden (ein Aspekt, den zu betonen heute sicher viel wichtiger wäre als viele andere, nur zum Teil “Bologna” geschuldete Fragen). Es ist eben nicht möglich, durch MOOCs Lehrende für Forschung freizustellen; das verbieten nicht nur die Deputatsverordnungen der Länder, sondern auch der gesunde Hochschulverstand, der in der Verbindung von Forschung und Lehre auch den Kern von Hochschule als besonderem Ort von Wissensgenerierung und -vermittlung sieht. Diese Wissensvermittlung steht allen frei, die die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen; wer diese Voraussetzungen erfüllt, kann in Deutschland fast allerorten kostenfrei studieren, etwas, was die MOOC’s bisher nur versprechen, aber wohl kaum halten werden (wenn man das ökonomische Interesse hinter diesen Projekten berücksichtigt).

Dass die Universitäten sich dabei nicht hinter die eigenen Mauern zurückziehen, ist wohl selbstverständlich. Die Mainzer Historiker/innen, für die ich arbeite, haben sich in den letzten Jahren an vielfältigen Formaten der Universität beteiligt, in denen universitäre Wissenschaft in die Öffentlichkeit der Stadt Mainz und des Landes getragen wird.

Ein anderer Leser raunt: “Sicher, die Beamten-Uni muß sich bedroht fühlen. Unis, deren Studenten zu 1/3 nie einen Abschluß machen, deren Professoren maximal 12 Stunden wöchentlich im Hörsaal stehen, deren Lehrpläne keinen Bezug zur Arbeitsrealität haben. Unis, die vornehmlich die eigene Eitelkeit polieren und in Deutschland inzwischen über 16.000 (!) unterschiedliche Studiengänge anbieten – und jedes Jahr kommen fast 500 neue zum Wohle der Professoren dazu.” Auch hier überrascht die Wahrnehmung der Universität. Dass 1/3 der Studierenden eines Faches den Abschluss nicht machen, ist nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, aber erstens kein Problem der Präsenzlehre und zweitens nicht wirklich schlimm; manches muss man eben ausprobieren, um herauszufinden, ob es auch der eigene Weg ist. Professoren, die im oben angesprochenen Sinne Forschung und Lehre verbinden sollen und möchten, sollten tatsächlich nicht 12 Stunden im Hörsaal stehen; wer auch nur eine ungefähre Vorstellung von den Zeiten für Vor- und Nachbereitung seriöser universitärer Lehre hat, wird wissen, dass die Woche dann allein mit Lehre schon fast ausgefüllt wäre. Und dass die Universität nicht 100% passgenau auf Berufe hin ausbildet – das ist ja gerade der Witz universitärer Bildung. Erst das erlaubt es, aus dem universitären Studium heraus in die unterschiedlichsten Berufsfelder mit Entscheidungsbefugnis, Leitungsfunktion oder Führungsaufgaben zu wechseln. Alles andere ist Berufsausbildung – genauso ehrenwert, aber eben anders.

Und ein letzter Gedanke: Ein Leser fordert, die Debatte “eine Nummer kleiner” zu führen, um dann doch e-Vorlesungen zu fordern: “Wenn Universitäten ihre ganz alltäglichen Vorlesungen einfach zum Nachhören ins Netz stellen, stellen sie mit geringstem zusätzlichen Aufwand eine ohnehin getätigte öffentlichen Bildungsleistung einem breiteren Publikum zur Verfügung. Hilfreich für die Studenten, wenn sie mal was verpasst haben. Eine Möglichkeit für Schüler, sich ein Bild zu machen, was in einem Studium auf sie zukommt. Und eine Gelegenheit für alle anderen, sich einfach aus Interesse akademisch in dem Fach weiterzubilden, das sie interessiert. Alles kein großes Ding. Aber nützlich, interessant und höchst demokratisch.” Das klingt pragmatisch, sympathisch, nicht überambitioniert. Wer aber ene konkrete Universität in den Blick nimmt, an der Woche für Woche eine drei- oder vierstellige Zahl von Vorlesungen gehalten wird, wird vielleicht eine Ahnung vom Kostenaufwand haben, den das bedeuten würde: an Material, aber auch an Personal. Die Kosten wären immens und müssten an anderer Stelle eingespart werden. Es würde mich interessieren, wo da noch gespart werden könnte; die Grundausstattung der Universitäten in ganz Deutschland ist in den letzten Jahren schon massiv heruntergefahren worden. Demokratisierung gerne, auch Öffentlichkeit und Transparenz – aber nicht für jede Vorlesung, die ihre Bedeutung zunächst einmal innerhalb eines Studiengangs und damit innerhalb eines bestimmten Programms entfaltet, das nur als Ganzes jenen Kompetenzerwerb und die Ausprägung einer soliden Fachlichkeit ermöglicht, die das eigentliche Ziel auch der Vorlesung sind.

Auf die Diskussion hierüber freue ich mich schon …

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/152

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Wissenschaftlich schreiben und lesen

Unter dem Titel “Orte der Einkehr” berichtet die duz von der Expansion universitärer Schreibzentren, von der zunehmenden Vernetzung der entsprechenden universitären Akteure und der Gründung der Gesellschaft für Schreibforschung und Schreibdidaktik. Die duz schließt sich dem Appell der Gesellschaft an: Es braucht mehr Geld, das konstant und damit erwartbar zur Verfügung stehe; Schreibausbildung sei ein zentraler Bestandteil des Bologna-Studiums. Es brauche auch einen sichtbaren Ort, der für Beratung, Workshops und Gruppenarbeit genutzt werden könne. Personell seien mindestens ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, ein Koordinator und mehrere studentische Hilfskräfte nötig. Zudem sollten Universitäten in die Weiterbildung dieser Mitarbeiter investieren.

Wahrscheinlich wird eine solche Forderung jene, die sie überhaupt wahrnehmen, eher polarisieren; die einen werden sie für einen Ausdruck der Bologna-Bulimie halten (Techniken ohne Inhalte), andere werden darin einen Beitrag zum Erwerben der gegenüber Fachinhalten viel wichtigeren Schlüsselkompetenzen sehen.

Produktiver ist jedoch wohl ein dritter Weg: die Integration der Schreib- und Leseschulung in das fachwissenschaftliche Studium, ausgerichtet an fachlichen Inhalten, die zugleich auch Fachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz schulen. Im Studiengang B.A. Geschichte (Kernfach) gibt es gegenwärtig eine Übung Historische Darstellung im Modul Grundlagen, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft (1./2. Semester), die die Sensibilität für die textliche Verfasstheit historischer Erkenntnisse fördern soll. Hier sind Lesen und Schreiben in einer Veranstaltung miteinander integriert. Zugleich wird das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten in vier Proseminaren eigens thematisiert – keine Mainzer Errungenschaft, sondern ein Standard in der geschichtswissenschaftlichen Ausbildung. Hört man sich jedoch in anderen geisteswissenschaftlichen Fächern um, so scheint die Erkenntnis, dass man Lesen und Schreiben schulen muss, nicht überall verbreitet. Häufiger ist das Klagen, das Studierende ohne Lesemotivation und ohne besondere Talente im Schreiben an die Universtät kommen. Das wird jedoch nicht durchweg in eine universitäre Aufgabe übersetzt.

Die Universität Mainz geht tendenziell verschiedene Wege: Manche Fachbereiche bemühen sich um fachbereichsweite Angebote, andernorts integrieren Fächer das Lesen und Schreiben in ihr Curriculum. Die Universität organisiert über die Universitätsbibliothek eine “Lange Nacht der Hausarbeiten”, in denen nicht nur Lesen und Schreiben angesprochen, sondern auch viele weitere Themen berührt werden. Als offenes Angebot hat das einen hohen Wert. Und im Rahmen des Qualitätspaktes Lehre wurde ein Angebot geschaffen, in dem sich Lehrende und studentische Tutoren intern in der aktivierenden Textarbeit weiterbilden können.

Braucht es dann noch Schreibzentren? Im Sinne der inneruniverstären wisseschaftlichen Weiterbildung sicherlich. Ob man aber die Arbeit mit Studierenden in Schreibzentren auslagern darf, ist zumindest ambivalent: Es entlastet die Fächer, die sich dann wieder auf ihre Inhalte konzentrieren können, zu sehr: Sie werden aus der Pflicht entlassen, sich selbst darum zu kümmern. Mein Eindruck ist, dass sie eher stärker in die Pflicht genommen werden müssten. Auch das peer-to-peer Gespräch über Texte, die man liest, und solche, die man schreibt, scheinen vom innerfachlichen Gegenstand, an den sie in der oben genannten Übung gebunden sind, zu profitieren. Und die textliche Verfasstheit der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse differiert so deutlich, dass es lohnen dürfte, diese Aufgabe ins Fach zu geben. Die Studierenden – und die Lehrenden – werden hiervon sicherlich profitieren.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/88

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Wie Studierende denken, wenn man der FAZ Glauben schenken möchte …

Es mag schon eine ältere Veröffentlichung sein, aber sie hat mich nachhaltig geärgert und irritiert:Am 24.06.2012 schrieb der Soziologe Georg Kamphausen unter dem Titel “Wie Studenten denken” über Studierende, die seinen Ansprüchen in einer Klausur offenbar nicht gerecht geworden waren. Aufhänger seiner Polemik war eine Karikatur, auf der ein Lehrer mit blauem Auge der Mutter eines Skinheads erklärt: “Ihr Sohn ist kein Choleriker. Er ist einfach emotional intelligent.”

Nachdem Kamphausen die vermeintliche Verschulung der Wissenskultur an der Universität (“Mit der Bachelor- und Modularisierung ihrer Studiengänge schließt die Universität nahtlos an die schulische Praxis der Wissensvermittlung an, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu vermitteln, ohne die lästige Frage zu stellen, was sich denn eigentlich zu wissen lohnt, und die Kunst zu lehren, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.”) und die wachsende Relevanz von Lehrbüchern, Skripten und PowerPoint-Präsentationen kritisiert hat, kommt er auf seinen eigentlichen Punkt zu sprechen: “Was, aber vor allem wie denken unsere Studenten?”

Ausgangspunkt ist die bereits erwähnte Karikatur. Nach Kamphausens eigener Auskunft bestand die Klausuraufgabe darin, diese Karikatur zu “kommentieren”.Dabei ging es ihm “darum festzustellen, ob junge Leute mit Abitur in der Lage sind, ein eigenständiges Urteil zu begründen”. Ausführlich legt er dann Auszüge aus den Klausuren vor, die vor allem eines dokumentiere: Die Studierenden kommen mit der gestellten Aufgabenicht klar.

Ist das ein Wunder? “Kommentieren Sie die Karikatur” ist keine präzise Aufgabenstellung; selbst ein Zusatz wie “… und begründen Sie Ihr Urteil” würde diesen Mangel nicht heilen. Ein Studierender kann eine solche Aufgabe gar nicht zufriedenstellend lösen; er kann alles Mögliche kommentieren (und beispielsweise laut darüber nachdenken, wieso diese Karikatur nicht in Farbe abgedruckt wird), ohne dass eine Abweichung von der Zielsetzung der Aufgabe deutlich würde.

Viel interessanter und aussagekräftiger aber sind die Antworten, wenn man versucht, aus Ihnen Rückschlüsse über die der Klausur zugrundliegende Vorlesung (“Einführung in die Soziologie”) zu ziehen. Viele Antworten bemühen sich sichtlich, einen der soziologischen Klassiker (Max Weber, Theodor W. Adorno u.v.a.) heranzuziehen, um in deren Diktion eine Reaktion auf die unglückliche Aufgabenstellung zu formulieren. Offenkundig bestand die Vorlesung aus einer in solchen Einführungsvorlesungen leider üblichen Reihung soziologischer Klassiker – viele Lehrbücher, die in die Soziologie einführen, sind genauso aufgebaut. Ein problemorientierter Ansatz würde anders aussehen.

Vielleicht ist das dem Autor selbst undeutlich klar, denn er schreibt einleitend:

“Ein Problem als Problem zu behandeln, eine Frage als Frage zu erörtern ist daher nicht das Ziel modularisierter Vorlesungen. Es werden nur Fragen gestellt, auf die es auch eine Antwort gibt, Beobachtungen gemacht, aus denen sich Regeln ableiten lassen.”

Sollte er seine eigene Vorlesung so aufgebaut haben wie beschrieben, als Reihung von Klassikern ohne Problemorientierung, dann würden die studentischen Klausurantworten Sinn ergeben. Und eine solche Vorlesung würde auch die Aufgabenstellung erklären helfen: Wer nicht so recht weiß, wie er Studierende in soziologisches Denken (und eben nicht in Klassiker!) einführt, der weiß auch nicht recht, wie er entsprechende Prüfungsaufgaben stellen sollte.Kompetenzorientieres Prüfen heißt zuerst: Studierende vor Probleme stellen, die sie nur lösen können, wenn sie die fachspezifischen Standards des Problemlösens beherrschen. Das stellt für Vorlesungen natürlich eine besondere Herausforderung dar.

“An den Universitäten herrscht eine große Hilflosigkeit vor Texten und ein Mangel an Urteilskraft” – so fasst Kamphausen seine Eindrücke zusammen. Was viel mehr erschüttert, ist seine Hilflosigkeit vor Lehre und Prüfungen und sein Mangel an Selbstreflexion.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/35

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