Lösen blogging, twitter und facebook in der Historiographie bald klassische Hilfswissenschaften wie Epigraphik, Sphragistik oder Numismatik ab? Mit dieser provozierenden (wenngleich nicht ganz ernst gemeinten) Frage eröffnete der Historiker Bodo Mrozek am 25. Juni in Potsdam einen Workshop über wissenschaftliches Bloggen.
Die Veranstaltung fand statt am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, der Max Weber-Stiftung, dem Deutschen Historischen Institut Paris, dem Arbeitskreis Popgeschichte und der Plattform de.hypotheses.org. Mareike König, „digital native“ vom DHI-Paris und Sascha Foerster, Community-Manager der der Max-Weber-Stiftung, nahmen zahlreiche (weniger überraschend: vornehmlich junge, durchaus überraschend: mehrheitlich weibliche) Interessierte mit in die Blogosphäre der Geisteswissenschaften.
Vollbesetzte Reihen: Der Potsdamer Workshop “Wissenschaftliches Bloggen”
stieß vor allem bei jungen Wissenschaftlerinnen auf großes Interesse.
Mareike König (DHI Paris) und Sascha Foerster (Max Weber-Stiftung) führen in Potsdam in die Praxis des Bloggens ein.
Vorgestellt wurde die Plattform hypotheses.org, ein nicht-kommerzielles europäisches Blogportal für Geistes- und Sozialwissenschaften. Hypotheses ermöglicht, das Genre des Blogs und seinen eigenen Stil in wissenschaftlicher Seriosität zu verankern – nur wissenschaftliche Blogs dürfen auf hypotheses eröffnet werden. Darunter sind sowohl persönliche Blogs einzelner Wissenschaftler als auch Gruppenblogs, die an einem gemeinsamen Thema arbeitende Wissenschaftler vereinen. Projektbezogene Blogs begleiten etwa eine Konferenz oder ein Editionsvorhaben. Viele Blogs richten sich an die breite Öffentlichkeit, manche auch an ein spezifisches Fachpublikum. Der französische Begriff für letztere, „carnets de recherche“, macht deutlich was die Kernidee des wissenschaftlichen Bloggens ist: Das eigene wissenschaftliche Arbeiten und Denken, das bisher meist als Gekritzel in privaten Notizbüchern landete, öffentlich machen.
Carnet de recherche moderne et à l’ancien: Vom Block zum Blog.
Frankreich erschien in der Präsentation vielfach als Vorreiter und Deutschland in Hinblick auf das wissenschaftliche bloggen tatsächlich immer wieder als das in diesen Tagen viel gekalauerte Neuland. Das gilt nicht nur für die aktiv Bloggenden in den Wissenschaften, sondern auch für die großen Institutionen, die für die Dokumentation, Archivierung, Verbreitung und damit nicht zuletzt auch Anerkennung wissenschaftlicher Arbeiten verantwortlich zeichnen. Zur Praxis der Bibliotèque Nationale de France an Blogs eigene ISSN-Ziffern zu vergeben und sie damit in ihren Katalog aufzunhmen, musste die Deutsche Nationalbibliothek erst durch eine „Pflichtablieferungsverordnung“ getragen werden. Und auch die VG-Wort hat Blog-Publikationen in ihr Vergütungssystem aufgenommen.
Der Workshop führte angehende und
erfahrene BloggerInnen zusammen.
Die Diskussion während des Workshops machte deutlich: Das Bloggen fordert die Welt-, Selbst- und Arbeitsbilder der Geisteswissenschaften in vielen Punkten radikal heraus. Sich für drei Jahre in sein Kämmerchen einzuschließen, dort Aktenberge und Datenmengen anzuhäufen und dann mit einem fertigen dicken (und in der Regel nur für ein winzigen Publikum lesbaren) Werk zurück ans Licht der Öffentlichkeit zu kommen, ist noch immer der verteidigte Status quo. Beim Bloggen macht man Skizzen, Vermutungen, Ideen, liefert Prozesshaftes und Unfertiges –kann das Wissenschaft im hehren alten Sinne sein?
Die Fragen, die die Teilnehmenden ansprachen, zielten somit auch vor allem auf die Absicherung als wissenschaftlicher Nachwuchs: Mache ich mich nicht angreifbar, wenn ich öffentlich mache, das ich etwas nicht weiß? Wie schütze ich mich davor, dass andere meine noch nicht zwischen zwei Buchdeckeln festgeschriebenen Ideen abkupfern? Verpulvere ich nicht mein Material für wichtige Aufsätze und Bücher, wenn ich es vorher schon gebloggt habe?
Das Bloggen sei eine Form der wissenschaftlichen Publikationen neben anderen, die auch weiter ihre Berechtigung behalten würden, argumentierte Mareike König. Welches im konkreten Fall die angemessene Form ist, müsse jeder für sich entscheiden. Angesichts der Ausdifferenzierung der Publikationsformen, würden die Chancen, die das Bloggen dabei bietet aber immer deutlicher: Die kleinere Form, die zeitliche Beschleunigung im Vergleich zu den zähen peer-review-Publikationen, die Öffnung des Leserkreises und die potenziellen Anregungen durch die direkte Kommunikation mit dem Publikum, zählten zu den großen Vorteilen. Vor allem aber bildet das bloggen über die eigene Forschung – so eine wesentliche Erkenntnis des Workshops – eine ständige Trainingseinheit in wissenschaftlichem Arbeiten: Es übt das Strukturieren und Schreiben von Texten, schult das Loslassen eigener Texte im Publikationsprozess, unterstützt das Netzwerken mit anderen und trainiert darin, sich selbst und die eigene Forschung einer interessierten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
PopHistory-Bloggerinnen Glaucia Peres da Silva und Sarah Zalfen (v.l.n.r).
Sascha Foerster gab schließlich Einblicke in die Praxis des Bloggens. Er öffnete die technische Werkzeugkiste des digitalen Historikers: Social media, Facebook, google+, twitter und co. Foerster stellte den technischen Aufbau von hypotheses.org vor und ebnete den Teilnehmenden damit den Weg zum ersten eigenen Blog. Vom Anlegen eines eigene Profils, über das Erstellen des ersten Artikels bis zum Einfügen von Bildern sowie der Recherche und Angabe der korrekten Urheberrechte, konnten die Blogneulinge das Erlernte Schritt für Schritt in einem eigenen (natürlich vor öffentlichen Blicken geschützten) Testblog erproben und umsetzten. Front end und back end, widget, dashboard und tagging waren für die Teilnehmer am Ende des Tages keine Fremdworte mehr.
Der Vortrag von Mareike König lässt sich auf Slideshare abrufen.
(Text und Fotos: CC BY-3.0 DE.)