Im späten Mittelalter bereisten Europäer aus den unterschiedlichsten Gründen die Regionen Süd- und Südostasiens und berichteten nach ihrer Rückkehr von ihren Erlebnissen.
Unter ihnen war der venezianische Kaufmann Niccoló de Conti, der zahlreiche Orte der indischen und südostasiatischen Welt zu Beginn des 15. Jahrhunderts besuchte. Seinen Reisebericht zeichnete der päpstliche Privatsekretär und Humanist Poggio Braccolini auf. Der Tiroler Kaufmann Balthasar Springer unternahm Anfang des 16. Jahrhunderts im Auftrag der Welser eine Indienfahrt. Nach seiner Heimkehr fertigte er selbst einen Bericht seiner Reise an. Duarte Barbosa war ein portugiesischer Seefahrer der im Auftrag Spaniens Anfang des 16. Jahrhunderts zu Entdeckungsreisen in den indischen und südostasiatischen Raum aufbrach. Von seinen Länderbeschreibungen existieren einige Übersetzungen und spätere Ausgaben. Der portugiesische Originalbericht scheint Barbosa zeitnah zu seiner Reise selbst verfasst zu haben.
Ihre Reiseberichte stellen nicht nur wichtige Quellen zur mittelalterlichen Welt dieser Regionen dar, sondern lassen auch gute Rückschlüsse auf ihre eigenen Vorstellungswelten und auf ihr Bild von den „Anderen“ zu. Die fremden Völker und Gesellschaftsschichten erzeugten bei den Reisenden Zuneigungen aber ebenso auch Aversionen gegenüber jenen. Die mittelalterliche Quellengattung der Reiseberichte ist geprägt durch ein hohes Maß an Subjektivität und persönlicher Empfindung.
In der Artikelreihe: „Die Wahrnehmung der „Anderen“ in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters“ werden diese Quellen nach wertenden und subjektiven Aussagen ihrer Autoren gegenüber den indigenen Bevölkerungen untersucht. Um Mutmaßungen soweit wie möglich ausschließen zu können, werden nur Textstellen in Betracht gezogen, die relativ eindeutige Rückschlüsse auf die Meinungen der Reisenden über die dort lebenden Menschen zulassen. Die Einstellung gegenüber den verschiedenen Völkern und Gesellschaftsschichten lässt sich besonders gut an den ihnen zugeschriebenen Charaktereigenschaften und dem äußeren Erscheinungsbild feststellen. Das äußere Erscheinungsbild des Menschen verweist im Spätmittelalter auf seine soziale, geistig- seelische und sittliche Zugehörigkeit. Diese Auffassung war damals allgemein verbreitet. Physische Hässlichkeit, wie zum Beispiel ein deformierter Körper, steht im Europa des Spätmittelalters sinnbildlich für moralische Verwerflichkeit und seelische Verderbtheit oder kann als gefährlich gelten. Das Schönheitsideal des Spätmittelalters weicht zudem von modernen Vorstellungen durchaus ab.
Eine historische Quellenkritik steht in den Untersuchungen nicht im Vordergrund. Es soll eben nicht untersucht werden, ob die Autoren Wirklichkeiten wiedergaben oder ob ihre soziale Herkunft und ihr christlich- kultureller Hintergrund ihren Blick auf die Einheimischen verstellten. Es wird daher nicht gefragt, ob die Reisenden diese Erfahrungen selbst gemacht haben oder sich nur von antiken Schriften leiten ließen. Auch soll nicht analysiert werden, ob die Informationen in den Reiseberichten tatsächlich von den Autoren selbst stammen.
Diese Untersuchung stellt überwiegend eine reine Quellenanalyse der Reiseberichte dar. Sie soll aufzeigen, welche subjektiven Vorstellungen diese Überlieferungen von den vielfältigen Einwohnerschaften Asiens tradieren. Das von den Reiseberichten an seine Leser übermittelte Bild oder Zerrbild von den unterschiedlichen Völker und Gesellschaftsschichten in diesem Raum steht also im Fokus dieser Untersuchungen. Außerdem wird die zentrale Frage behandelt: Welche Muster und Tendenzen machen sich in den wertenden Äußerungen bemerkbar? Die Ergebnisse dieser Untersuchungen stellen damit einen kleinen Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Reisens sowie zu mittelalterlichen-europäischen Vorstellungswelten von den „Anderen“ dar. Die Artikelreihe: „Die subjektive Wahrnehmung der „Anderen“ in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters“ ist gegliedert in die verschiedenen „besuchten“ Regionen des asiatischen Raumes, um Muster und Tendenzen der Meinungsbilder deutlich herauszuarbeiten.
I. Die Menschen des indischen Subkontinent in den Reiseberichten
I.I Im Bericht Contis
Gianfrancesco Poggio Bracciolini
In Bracciolinis Aufzeichnung von Contis Reiseeindrücken finden sich nur wenige Passagen, in denen sich wertende Äußerungen über die Menschen auf dem indischen Subkontinent feststellen lassen. Ulrich Knefelkamp beschreibt Contis Reisebericht daher als einen sachlichen Bericht, der „mehr aus der Position des Beobachters als des wertenden christlichen Europäers“ erzählt. Dennoch macht sich auch in Contis Schilderungen das nicht ganz urteilsfreie Weltbild des „Europäers“ durchaus bemerkbar.
Conti vergleicht wohlwollend die indigene Bevölkerung zwischen Indus und Ganges mit der europäischen Population. „Sie haben [Conti zufolge] Barbiere wie unsereins. Die Männer gleichen Europäern in ihrer Statur und Lebensdauer.“ Conti vermerkt zudem, dass Teile ihrer Kleidung dem Bekleidungsstil griechischer Statuen ähneln. Der schlichte Vergleich des Fremden mit Vertrautem ist ein sehr häufiges Mittel in den Reiseberichten des späten Mittelalters. Das Vertraute wird dabei als Bezugspunkt herangezogen um die fremde Wirklichkeit besser einordnen zu können. Es bleibt dem Reisenden dabei überlassen, die Fremden mit den ihm vertrauten Begriffen zu fassen. Was dem Reisenden vertraut erscheint, erweckt in ihm jedoch meistens ein Gefühl der Nähe und Verbundenheit.
Der italienische Kaufmann scheint auch beeindruckt von den reich verzierten Sandalen und dem prachtvollen Schmuck der dortigen Frauen zu sein. Die Menschen „Zentralindiens“ sind allerdings nicht nur der Jagd und dem Vogelstellen, sondern zusätzlich auch der sexuellen Zügellosigkeit verfallen. Diese Bemerkung Contis rührt vermutlich aus seinen Beobachtungen, dass die Männer dieses Indiens allzu oft den Schmeicheleien und der Schönheit der Prostituierten in den vielen städtischen Bordellen erliegen. Diese „locken die Männer mit süßen Düften und Salben, durch ihre Schmeicheleien, und mit ihrer Schönheit und Jugend.“ Die Liebesdamen, die in „allen Städten und Stadtvierteln“ Indiens zu finden sind, erinnern ihn vielleicht an die Prostituierten in den unzähligen europäischen Badehäusern, von denen viele zugleich Bordelle sind, und in denen die Damen, die in Europa als unehrbare Frauen gelten, ihre Dienste verrichten. Conti verurteilt, der Niederschrift Bracciolinis folgend, die indischen Prostituierten keineswegs, sondern erwähnt lediglich den allgemeinen Hang zur sexuellen Zügellosigkeit der Inder dieses Raumes. Er schwächt diese leichten Verfehlungen allerdings dadurch ab, indem er zusätzlich erwähnt, dass die Menschen in diesem Gebiet dafür „aber keine unnatürliche Kriminalität kennen“. Des Weiteren führen die dort lebenden Menschen nur monogame Ehen, während in den anderen Teilen Asiens die Vielweiberei überwiegt.
Conti spricht zudem hochachtungsvoll von der indigenen Gesellschaftsschicht der Brahmanen, „der Klasse von Philosophen, die überall in Indien aufzufinden sind“. „Sie sind Männer von überlegener Aufzucht und zeichnen sich durch eine größere Lebensheiligkeit und heilige Verhaltensweisen aus.“ Conti versichert in Bracciolinis Niederschrift auch, dass sie zukünftige Ereignisse vorhersagen, Stürme beeinflussen und ein methusalisches Alter erreichen können. In seinem Reisebericht adelt Conti die „Rasse der Brahmanen“ auf der Insel Ceylon, als „große Philosophen“. Sie „widmen ihr ganzes Leben astrologischen Studien und entwickeln Tugenden und Verfeinerungen des Lebens“. Conti merkt an dieser Stelle an, dass die Brahmanen bekannt dafür sind, „weiser zu sein als andere Menschen“.
I.II Im Bericht Barbosas
Duarte Barbosa beschäftigt sich in seinem Reisebericht sehr ausführlich mit den Menschen auf dem indischen Subkontinent. Er unterscheidet jedoch, anders als Conti, zwischen den so genannten „maurischen“, also muslimischen, und „heidnischen“, also hinduistischen, Volksgruppen auf dem indischen Subkontinent. Er vertritt allerdings gegenüber den so genannten „Mauren“ im indischen Raum eine durchaus differenzierte Meinung.
Die maurische Herrscher- und Oberschicht im nordwestindischen Königreich Guzarat verurteilt er weitestgehend. Er führt unterem an, dass jene die indigene heidnische Bevölkerung schindet und belästigt. Die dortigen Mauren nutzen auch die weit verbreitete Verehrung alles Lebenden unter den Heiden aus, um diese zu erpressen oder Almosen zu ergaunern. Die Herkunftsländer dieser Mauren wirken sich sicherlich auch auf die Beurteilung dieser Menschen aus. Conti berichtet, dass es vor allem Türken, Mamelucken, Araber, Perser sind, die das reiche Land anlockt. Conti bezeichnet sie als „verschwenderische Leute“, die viel Geld für ihren aufwendigen Lebensstil und vor allem für schöne und wertvolle Kleidung ausgeben. Die männlichen Mauren charakterisiert er gar als „sehr eifersüchtige Männer“, welche die ehelichen Bindungen, wie ihre Frauen auch, jederzeit lösen können. Sie dürfen Conti zufolge auch so viele Frauen heiraten wie sie wünschen und sie sich leisten können. Die maurischen Frauen scheinen ihm allerdings zu gefallen. Er beschreibt sie als „sehr weiß und hübsch, und auch sehr reich herausgeschmückt.“ In der Königsstadt Cambay in Guzerat begegnet er den „Leuten von außerhalb“ nochmals. Er beschreibt sie hier als „sehr weiß und gut angezogen“, welche eine „luxuriöse Lebensweise, sich sehr den Freuden und dem Vergnügen hingebend, pflegen.“ Er lobt jedoch auch ausführlich ihre handwerklichen Kunstfertigkeiten.
Die Mauren der maurischen Stadt Bengala in Nordostindien bezeichnet Barbosa als „weiße, und gut gebaute Männer“. Die Angehörigen der maurischen Oberschichten führen nach Meinung Barbosas jedoch ebenfalls ein verschwenderisches Leben, sie trinken und essen in großen Mengen, „und haben andere schlechte Angewohnheiten.“ Ihre Frauen sind versessen nach Wein und sehr daran gewöhnt. Der Vorwurf der Verschwendungs- und Vergnügungssucht gegenüber der maurischen Bevölkerung zieht sich also wie ein roter Faden durch Barbosas Reisebericht. In diesem Fall wirft er den maurischen Kaufleuten der Stadt aber noch vor, dass sie Heidenkinder kaufen, sie kastrieren und an die Perser verkaufen.
Die Mauren der Stadt Ravel in Nordwestindien beschreibt er als weiße, sehr reiche und gut angezogene Menschen. Zudem schwärmt er abermals von der großen Schönheit und erstmals von der emanzipierten, und aus Europa vertrauten, Lebensweise der maurischen Ehefrauen. Er schätzt an ihnen, dass „diese Frauen [..] nicht so zurückgezogen wie die der anderen Mauren und an anderen Orten [leben], sondern [..] auch tagsüber, mit unverhülltem Gesicht wie es in unseren Ländern üblich ist, in die Stadt [gehen] um ihre Geschäfte zu erledigen.“
Die maurischen Soldaten im Königreich von Decani an der mittleren Westküste Indiens, beschreibt Barbosa recht positiv als „Leute, mit guten Figuren“. In der Stadt Dabul in Decani leben ihm zufolge „sehr angesehene Mauren und Heiden“. Barbosa erwähnt auch anerkennend ihren mutigen- allerdings vergeblichen- Widerstandskampf gegen die portugiesische Eroberung ihrer Stadt. Die Mauren, welche in der Stadt Goa an der südlichen Westküste Indiens bis zur Eroberung durch die Portugiesen lebten, nennt Barbosa ebenfalls „ angesehene Männer […] von denen einige sehr gute Ehrenmänner sind.“ Arabische und persische Mauren im Königreich Calicut beschreibt er als weiße Männer, die „sehr vornehm“ und von „guter äußerer Erscheinung“ sind. Allerdings hält er ihnen auch vor, dass sie sehr verschwenderisch leben.
Das Urteil Barbosas über die heidnische Bevölkerung Indiens scheint noch differenzierter zu sein. Die Heiden des Königreichs Decani beschreibt er als „schwarz, gut gebaut und sehr mutig“. Barbosas gutes Bild von ihnen scheint nicht zu trüben, dass sie Götzenverehrung betreiben. Die Einwohner der überwiegend heidnischen Stadt Baticala an der südlichen Westküste Indiens, die Malabarküste, bezeichnet er als „sehr Gewinn orientierte Menschen“.
In manchen Königreichen klassifiziert Barbosa die hinduistisch- indigene Bevölkerung sogar in Wertigkeiten, und pflegt somit eine überaus differenzierte Meinung von den „Heiden“. Die Heiden im Königreich Guzerat, in Nordostindien, unterteilt er in drei „Güteklassen“. Eine Klasse stellen die Razbuten, ehemalige Ritter und Statthalter, die auch ohne die Führung eines Königs tapfer gegen die Mauren kämpfen. Neben diesen gibt es noch die Banianen, Händler und Kaufleute, die sehr friedfertig leben, aber von den Mauren sehr schlecht behandelt werden. Barbosa zufolge sind die Banianen jedoch auch „große Wucherer, und Maß und- Gewichts- Handel, und Münzenfälscher, sowie Lügner und Betrüger“. Diese heidnischen Männer sind aber auch „braune Leute, gut gebaut und mit guten Körperproportionen, klug in der Wahl ihrer Kleider, die erlesen und dennoch maßvoll Essen“. Barbosa erwähnt zusätzlich die intensive Körperpflege mit Duftstoffen und die aufwendige Haarpracht der heidnischen Männer, deren Frisuren ihn an spanische Frauen erinnern. Zudem nennt er die ständige Verliebtheit der männlichen Heiden. Alles in allem, scheint Barbosa diese Männer als etwas unmännlich zu begreifen.
Er schwärmt jedoch regelrecht von den makellosen und sittlichen Banian- Frauen. Sie haben „sehr hübsche, feine Gesichter, und schön geformte Körper, [und sind] ein bisschen dunkel“. „Sie sind anständige Frauen, und wenn sie außer Haus gehen, bedecken sie ihren Kopf mit ihren Umhängetüchern.“
Eine dritte Klasse innerhalb der heidnischen Bevölkerung stellen die Bramahnen, die Priester, Verwalter und Leiter des „Götzendienstes“ zugleich sind. Barbosa hegt eine ähnlich positive Sichtweise wie Conti von diesen Menschen. Er scheint entzückt, dass sie einen heiligen dreifaltigen Gott, „von welchem sie glauben, dass er der wahre Gott, der Urheber und Schöpfer aller Dinge ist“, anbeten. Zudem schätzt er an den Brahmanen, dass sie willig in die christlichen Kirchen eintreten, „unsere Abbilder“ verehren, und ein großes und scheinbar fundiertes Wissen von der „Heiligen Maria, unserer [Jung]frau“ haben. Barbosa schreibt auch sicherlich erfreut, dass die Brahmanen „[…]keine großen Unterschiede zwischen denen [Brahmanen] und uns [christlichen Europäern][..]“ sehen. Die angeblich geistige Seelenverwandtschaft der Brahmanen scheint den europäischen Christen schwer beeindruckt zu haben. Barbosas positive Sicht auf die Brahmanen wird vermutlich dadurch verstärkt, dass sie das Töten ablehnen, und sich an einen einzigen Lebenspartner bis zum gemeinsamen Tode binden. Die große Verehrung der Bramahnen durch ihre heidnischen Landsleute intensiviert sicherlich Barbosas hohe Meinung von diesen Leuten.
Das Königreich Kalikut um 1572
Duarte Barbosa bewertet auch die vielen Gesellschaftsschichten innerhalb des heidnischen Volkes im Königreich Calicut, an der Malabarküste, sehr unterschiedlich. Seine Einteilung erfolgt nach Abstammung- und Berufskriterien. Barbosa urteilt allerdings nur über einige dieser Schichten in deutlichen Worten. Ein Teil der Oberschicht bilden die Nair, eine Art Kriegerkaste, deren männliche Angehörige Barbosa als „sehr klug“ und „geschickt“ und deren Frauen als „sehr sauber“ und gut angezogen, beschreibt. Die Nair-Männer zeichnen sich zudem durch an hohes Maß an Ehrerbietung gegenüber ihren Müttern und Schwestern aus. Die Nair-Frauen treten vor allem dadurch in Erscheinung, dass sie ihre Männer gerne sexuell beglücken. Die niedere Kaste der Fischer und Seeleute beschimpft Barbosa hingegen als „große Diebe, und schamlos[e] [Menschen]“. Die weiblichen Angehörigen dieser Schicht schlafen Barbosa zufolge ohne jegliche Gewissenbisse mit jedem der ihnen beliebt.
Die Angehörigen einer unteren sozialen Schicht, die wie Ausgestoßene leben, bezeichnet er sogar als „große Charmeure, Diebe und sehr abscheuliche Leute“.
Ausländer von der Koromandelküste, der Südostküste Indiens, welche in Calicut zumeist als Händler und Geldwechsler arbeiten, schildert er als braune Männer, und als groß und kräftig gebaut. „Sie sind [Barbosa zufolge] reich und respektiert, und leben sehr anständig […]“. Er bezeichnet sie aber auch als „[…] große Wucherer“, welche selbst ihren Brüdern keinen Real [Geldstück] ohne Zinsertrag leihen.“ Er würdigt dennoch auch, dass sie ordentlich Buch- und Haushalten und schlau ihre Geschäfte führen.
Andere Schichten bewertet Barbosa nur nach ästhetischen Merkmalen. Die Schicht der Weber zeichnet sich zum Beispiel durch schöne Körper aus. Trotz ihres niederen Ranges innerhalb der Gesellschaft, bezeichnet Barbosa die Frauen der Moguer, der Lastenschlepper, als „sehr hübsche Frauen“, die sehr weiß sind, da sie Töchter von weißen Ausländern sind.
Duarte Barbosa berichtet des Weiteren eingehend von einer Schicht heidnischer „Aussteiger“, die ihre Heimat, das Königreich Delhi, verlassen haben. Auch Heiden aus anderen Landesteilen Indiens verlassen ihre Heimat in großen Zahlen und treten eine lebenslange Wanderschaft an. Diese „Wandersleute“ ziehen bettelnd durch das ganze Land Indien und bezeichnen sich, den Worten Barbosas folgend, selbst als „Gottesdiener“. Barbosa vergleicht diese Gruppenwanderung mit dem Wanderungsverhalten europäischer „Zigeuner“. Er verweist auch darauf, dass diese Menschen vormals „Adlige und angesehene Leute“ waren. Barbosa beschreibt sie in warmen Worten als „braun, sehr gut gebaut und wohl proportioniert, mit schönen Gesichtern“. Barbosa scheint auch ihre gottergebene Lebensweise und ihre demütige Haltung zu bewundern. Die „Wandersleute“ verzichten, nach eigenen Aussagen, aus Scham auf jeglichen Besitz, da sie ihre Ländereien und ihre Häuser, „in denen Gott sie großzog“, an „solch böse Menschen wie die Mauren“ verloren haben. Sie leben Barbosa Urteil nach auch bußfertig, da sie schwere Ketten zur Selbstkasteiung um ihre Körper tragen, damit sie permanent an diese Sünde und Schande erinnert werden. Ihre Körper sind mit Asche eingerieben, um sie an ihre Sterblichkeit zu erinnern. Zudem scheint Barbosa erfreut hervorzuheben, dass sie keine Götzenverehrung betreiben, sich unter alle Menschenarten mischen und von den Menschen Indiens in hohem Maße verehrt werden.
Barbosa lobt darüber hinaus ausdrücklich die tolerante Haltung der sehr reichen Einwohnerschaft der heidnischen Königsstadt Bijanaguer im Königreich Narsinga, im südlichen Binnenland Indiens. In dieser Stadt dürfen Menschen aller Nationen und Glaubensbekenntnisse sich niederlassen, Handel treiben, und sehr frei und in Sicherheit leben. Die Heiden belästigen niemanden, und sie fragen nicht nach dem Herkunftsland und dem Glauben. Die Gouverneure des Landes sorgen für die Einhaltung der Glaubensfreiheit und für eiserne Gerechtigkeit. Die Bewohner dieser Stadt sind „Heiden, farbige Männer und beinahe weiß, mit langen und sehr geschmeidigem schwarzem Haarwuchs; sie sind in ihren Körpermerkmalen… [und Gesichtszügen ] wohl-proportionierte Männer, ähnlich unserer eigenen [äußeren Erscheinung], und ebenso sind es die Frauen.“
Barbosa gefällt also nicht nur der tolerante und ehrliche Charakter, sondern auch das äußere Erscheinungsbild dieser Menschen. Diese Beurteilungen stehen vermutlich in einer positiven Wechselwirkung miteinander.
Im heidnischen Königreich Narsinga begegnet Barbosa auch zahlreichen „bezaubernden Single-Frauen“, die im Kriegslager des Königs leben. Er scheint beeindruckt davon zu, dass die Liebesdienste dieser Damen nicht nur viele Krieger an den Hof des Königs binden, sondern auch ebenso viele Kämpfer aus dem Ausland anziehen. Er verweist darauf, dass „[…] unter ihnen [..] viele sehr ehrbare Frauen“ [sind] […], die aus guten Häusern kommen und sehr reich sind.“
I.III Im Bericht Springers
In Balthasar Springers Reisebericht findet sich nur eine wertende Äußerung über die indigenen Völker. Wie Barbosa Jahre nach ihm, scheint er eine gute Meinung von den Menschen in Narsinga zu vertreten. Springer beschreibt die Einwohner in diesem „großmächtigen“ Königreich als ein „höfliches Volk“. Sein Urteil ist wahrscheinlich positiver Natur, unter anderem, weil es „Christus, unseren Erlöser“, anbetet. „Der Text [Springers] […] gibt der Beschreibung Indiens [und seiner Menschen ansonsten aber] wenig Raum.“ Er hatte wohl seltener die Gelegenheit mit den Einheimischen in Kontakt zu treten. Urteile über andere Völker oder Gesellschaftsschichten lassen sich im Text Springers nicht finden.
Der nächste Artikel wird die Reiseberichte Contis und Barbosas über Ostasien und Südostasien behandeln. Ihre Wahrnehmungen über die indigenen Einwohner sollen in diesen Berichten näher untersucht werden.
Empfohlene Zitierweise:
Dembek, Christoph (2011): Die Wahrnehmung der “Anderen” in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Die Artikel werden mit ausdrücklicher Genehmigung des Verfassers veröffentlicht. Es handelt sich daher um keine Spiegelung der Inhalte von folgender Website www1.uni-hamburg.de/spaetmittelalter/Europaeische Reiseberichte um 1500/index.html .
Bild: Gianfrancesco Poggio Bracciolini auf Wikipedia [Zugriff: 13.12.2011]
Bild: Das Königreich Kalikut um 1572 auf Wikipedia [Zugriff: 13.12.2011]
Bibliographie:
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/12/828/