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Blogger, insbesondere Wissenschaftsblogger, haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Da stehe ich also vor Wissenschaftlern und erzähle etwas vom „wissenschaftlichen Bloggen“ während ich hochzuckende graue Augenbrauen vor mir sehe, vor deren innerem Auge aus Zeitungen aufgelesene Schreckensbilder von Katzen, Mittagsessensbildern und sonstigen Belanglosigkeiten des Alltagslebens von Schmalspurdenkern aufblitzen:
„Aha. ‚Wissenschaftsblogs‘!“
Der Begriff des Wissenschaftsblogs löst bei Ihnen eine Form von innerer Abscheu verbunden mit einer verdrängten Angst aus, so als würde man das Dschungelcamp als Bildungsfernsehen bezeichnen und die ehrenhafte Muse Clio und ihre schönen Schwestern mit ironiegetränkten Maden bewerfen.
Nur noch schlimmer finde ich eine andere Reaktion: die der geübten Ignoranz, die man sich anlernt, wenn man Jahrzehnte bei Kommissionen, oder neudeutsch „Meetings“ und anderen langweiligen Vorträgen gesessen hat, weil man musste; weil derjenige, der länger starr sitzen bleibt, das letzte Wort behält:
„Wissenschaftsblogs? Is that thing still around?“
Vielleicht empfindet der Zuhörer noch eine sanfte Sympathie mit dem voller Idealismus und darüber hinaus vor Dummheit strotzenden Vortragenden, der aber schon noch am Leben lernen wird, das solche Moden wie Blogs recht bald wieder vorbei sind, wenn man nur lange genug wartet und sitzt.
Liebe Leserin, lieber Leser, verzeihe man mir diese emotionalen Worte, die in einem sogenannten Wissenschaftsblog zu lesen sind, in einem aufgewühlten Artikel über das wissenschaftliche Bloggen. Es ist der Frust einiger Jahre Diskussionen zu diesem Thema, der sich in diesem Text Ausdruck verschaffen will, Ausdruck verschaffen muss. Wenn ich Nachwuchswissenschaftler/innen lese (bleiben wir nicht alle Nachwuchs?), die sich quasi dafür entschuldigen, dass sie tun, was sie tun, wenn sie „bloggen“, oder es tun, aber deswegen nicht mehr in der Wissenschaft sein können, oder Angst haben, dass sie sich wegen des Bloggens ihre Karriere verbauen, dann wünsche ich mir eines: Wissenschaftsblogs sollen sterben. Niemand braucht so etwas. Niemand hat das verdient.
Ich versetze mich in die Haut eines dem Wissenschaftsbloggen gegenüber kritisch eingestellten Zuhörers, der aus einer Welt ohne Blogs und ohne Internet stammt. Wie war das eigentlich früher?…
„Der Wissenschaftsblog ist tot.“
Gut. Jetzt wo Blogs tot sind (dieses Internet haben wir zur Sicherheit gleich miterledigt), kann ich wieder ruhig schlafen. Alles ist, wie früher, ganz friedlich: ich sitze in der Bibliothek, suche im Zettelkasten die Bibliographie, exzerpiere Stichworte auf vergilbte Notizkarten, sinniere Pfeife rauchend bei einem Spaziergang am Rhein, schreibe auf meiner Schreibmaschine oder mit dem Füllfederhalter, korrigiere in rot, zitiere in den Fußnoten, schreibe neu, bis mein Werk vollendet ist. Dann verabrede ich mich mit dem Vertreter eines namhaften Verlags auf einen Tee oder bei einer Konferenz, überzeuge ihn von meinem Werk, er verkauft es zu einem utopischen Preis an die notorisch klammen und von Schließung bedrohten Bibliotheken, wo andere es dann rezipieren und zitieren können und ich kehre glücklich über den erreichten wissenschaftlichen Fortschritt zurück in mein Heim vor den Kamin und lese meine Monographie voller Selbstzufriedenheit noch mal durch – denn wahrscheinlich bin ich der einzige Leser dieses Meisterwerks, dass auf säurefreiem Papier von nachhaltig angepflanzten Bäumen gedruckt und beim ehrenvollen Verlag „Dreimalklug“ publiziert wurde.
Aus unerfindlichen Gründen fängt meine Magensäure so langsam zu steigen an. Ich versuche mich und meinen Magen mit einem Schwarzweißfilm zu beruhigen, das klappt so gut, dass ich mitten im Film einschlafe und wild träume.
„Wat isn‘ Wissenschaftsblog? Da stellen wir uns mal janz dumm und stellen uns vor, ein Wissenschaftsblog, wäre ein langes, dünnes Kabel, dat hat zwei Enden. Dat eine Ende, da kommen de Daten rein und das andere Ende, dat erkläre ich später!“
Ich bin in meinem Alptraum vor einem flimmernden 17-Zoll-Monitor gefesselt und fange an wie ferngesteuert die Maus zu schieben und zu recherchieren:
- Das Internet: vernetzte Computer an denen (meist) Menschen sitzen. Ermöglicht rasanten Informationsaustausch fast ohne Grenzen. Dieser Informationsaustausch wird begrenzt durch Verfügbarkeit eines Endgeräts (z. B. Computer oder auch Smartphones), Anbindung an das Internet via Funk oder Kabel und die Geschwindigkeit dieser Verbindung. Dieser Informationsaustausch wird künstlich begrenzt durch „paywalls“ und das (Noch-)Nicht-Digital-Vorhanden-Sein von Informationen. Dieser Informationsaustausch wird (entgegen mancher Vorurteile) nicht begrenzt durch mangelnden Speicherplatz (zumindest niemals einen, der für Geisteswissenschaftler relevant sein könnte). Die Informationen lassen sich nicht durch stärkere Begrenzung der Zugriffe besser aufbewahren und archivieren, geschweige denn Wissen in die Gehirne bringen, sondern vor allem durch das möglichst unkontrollierte und häufige Kopieren auf möglichst viele Festplatten, möglichst viele Medien und an möglichst viele Speicherorte, beispielsweise soziale Medien, Repositorien, usw.
- WordPress: quelloffenes Content-Management-System auf der Basis von PHP (Programmiersprache) und MySQL (Datenbanksystem).[1] Über ein benutzerfreundliches Webinterface lässt sich mit Hilfe von WordPress „Content“, also Texte, Bilder, Videos, Tabellen und eine fast beliebig große Anzahl von in Nullen und Einsen vorhandenen Informationen, eingeben, verwalten, darstellen und abrufen. Durch die Anbindung an das Internet lässt sich der Content mit jedem beliebigen Browser abrufen. WordPress ist quelloffen, womit also der Quellcode kostenlos und barrierarm gelesen, bearbeiten, kopiert, angepasst und erweitert werden kann. WordPress ist das am häufigsten genutzte Content-Management-System der Welt, direkt nach Papier.
- Wissenschaft:…
Der Monitor wird grellblau, der Rechner stürzt ab und ich wache schweißgebadet und verwirrt aus dieser Gehirnwäsche auf.
„Es lebe der (oder das?) Wissenschaftsblog!“
Empört stehe ich auf. Papier, das ist doch jedem bekannt, da kann ja jeder alles drauf schreiben: Einkaufszettel, Tagebücher, Liebesbriefe, all dieser unwissenschaftliche Kram. Auf Papier, da kritzeln Kinder vielleicht darauf herum, aber doch niemals würde irgendein/e namhaft/e Wissenschaftler/in auf die jämmerliche Idee kommen, auf Papier wissenschaftliche Ergebnisse festhalten zu wollen. Papier kann daher auch nicht zitierfähig sein, oder hat ein Stück Papier schon mal mit Ihnen gesprochen und Ihnen etwas Kluges gesagt? Überhaupt, Bäume fällen, das ist doch ein Unding in unserer Zeit, da müssten doch Umweltschützer auf die Barrikade gehen, dass ganze Wälder kleingehackt werden um sie mit in Buchstabenform geschmierte Tinte in dunkle Keller abzustellen, wo kein Mensch dran kommt. Und dafür muss ich auch noch teuer verdientes Geld bezahlen, wo man mir selbst nur halbe Stellen für volle Arbeit geben möchte? Eine Frechheit! Andere können wohl auch noch mit Bleistift ihre Kommentare danebenkritzeln. Behalten Sie Ihr wissenschaftliches Papier für sich!
Und liebe NachwuchswissenschaftlerInnen! Nehmen Sie sich kein Vorbild an diesen sogenannten Wissenschaftlern! Sie werden Ihrer Karriere schaden, wenn sie nur ein Papier anfassen, ja niemals ernst genommen werden, wenn sie auf Papier wissenschaftlich publizieren wollen. Seien Sie kein Lemming! Warten Sie lieber, bis Sie jemand an die Hand nimmt, Ihnen den richtigen Weg zeigt und Ihnen einen Blog-Workshop anbietet.
Manchmal frage ich mich, ob ich wach bin oder träume.
Zitierweise: Sascha Foerster: „Der Wissenschaftsblog ist tot. Es lebe der Wissenschaftsblog. #wbhyp“, in: gab_log (11. Februar 2015) http://gab.hypotheses.org/1679.
- Ich sage hier bewusst nicht Blog!
Quelle: http://gab.hypotheses.org/1679