Unhöflichkeit

Während meines ersten Chinaufenthaltes lernte ich nach einiger Zeit die Romane von Yú Huá 余華 kennen, der relativ offen und auf eine faszinierende Art über chinesische Verhältnisse, vor allem zur Zeit der Kulturrevolution, berichtet. Die Erzählungen schwanken ständig zwischen Komik und Depression. Einer Passage, während derer man Tränen lacht, folgt mitunter schon eine Seite später ein Abschnitt, der einem Tränen der Entrüstung über das Unrecht, das Menschen einander antun können, in die Augen treibt. Viele von Yú Huás Büchern wurden inzwischen auch ins Deutsche übersetzt, und ich kann vor allem die Romane „Brüder“ (Xiōngdì 兄弟 im Original) und „Der Mann, der sein Blut verkaufte“ (Xǔ Sānguān Màixuèjì 許三觀賣血記 im Original) allen empfehlen, die an der Vielfalt von Literatur interessiert sind.

Für mich waren Yú Huás Werke auch deshalb so interessant, weil er relativ einfach und mit viel umgangssprachlicher Färbung schreibt. Solche Texte sind natürlich besonders geeignet für diejenigen, die eine Sprache erlernen wollen, da sie einen behutsam an die Schriftsprache anführen und gleichzeitig auch für tägliche Konversationen wappnen können.
Beim Lesen des Romans „Brüder“, zum Beispiel, fiel mir während meines Aufenthaltes in Shanghai auf, dass man im Chinesischen in bestimmten Situationen auf sich selbst als lǎozǐ referieren kann, was entweder auf den Philosophen Lǎozǐ anspielt (wahlweise auch Lao Tse oder Lao Tzu geschrieben) verweist, der im sechsten Jahrhundert v. Chr. lebte, aber vielleicht auch wörtlich als „Alter Herr“ oder „Alter Meister“ interpretiert werden kann.

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Quelle: http://wub.hypotheses.org/117

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Höflichkeit

Vor einigen Wochen war ich in Moskau, wo ich an der jährlichen Konferenz zu Ehren des vor 12 Jahren verstorbenen Linguisten Sergei Starostin teilnahm. Das letzte Mal war ich 2013 in Russland gewesen, weshalb es vielleicht nicht ganz so verwunderlich klingt, dass ich mich erst einmal wieder daran gewöhnen musste, wieder in Russland zu sein. Während mir die Stadt und die Atmosphäre auf der Straße sofort wieder vertraut waren, war ich über die bis an Unfreundlichkeit grenzende Reserviertheit der Verkäufer in den Geschäften, vor allem den Supermärkten, zu Beginn überrascht, bis mir klar wurde, dass sich die Gesellschaft in diesem Punkt einfach treu geblieben ist. Ob in Sankt Petersburg, in Moskau, oder Jekaterinburg: eine königliche Behandlung als Kunde sollte man lieber nicht erwarten. Der Vorteil daran ist natürlich, dass man auch nicht auf Schritt und Tritt von freundlich lächelnden Verkäufern verfolgt wird, wie in den Vereinigten Staaten, aber auch zunehmend in Geschäften in Deutschland, insbesondere in Treckinggeschäften, wo man sich nicht mal fünf Minuten allein umsehen kann, ohne von den Verkäufern gefragt zu werden, ob sie einem helfen könnten.

Welche Rolle wir als Kunden in unterschiedlichen Ländern einnehmen, sei es die des Bettlers oder die des Kaisers, ist sicherlich grundlegend kulturell bedingt und oftmals auch aus historischen Situationen entstanden. Obwohl ich mich erst mal wieder daran gewöhnen musste, habe ich mich selbst in der Anonymität gewährenden Reserviertheit russischer Verkäufer meist wohler gefühlt als in Situationen, wo Menschen mich aus Freundlichkeit zum Smalltalk zwingen. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache, oder oftmals auch einfach eine Typenfrage.



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Quelle: https://wub.hypotheses.org/79

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