Dezemberübereinkunft in Schweden als Ende der Regierungskrise?

Die demokratische Politik im Königreich Schweden befindet sich gegenwärtig in heftigen Turbulenzen. Nachdem die rot-grüne Koalition am 3. Dezember 2014 in der parlamentarischen Entscheidung ihres Staatsbudgets an der Opposition scheiterte – und sie gegenwärtig mit einem Haushalt der Opposition regieren muss –, entschied sich Stefan Löfven als regierender sozialdemokratischer Ministerpräsident unmittelbar nach der Niederlage, Neuwahlen für den 22. März 2015 anzuberaumen. Diese parlamentarische Niederlage wurde möglich, da die schwedischen Rechtspopulisten (Schwedendemokraten) entgegen langjähriger Gepflogenheiten nicht ihr Budget unterstützten, sondern aktiv für den Budgetentwurf der bürgerlichen Allianz votierten. Damit zeigten die Schwedendemokraten, dass sie die Rolle des parlamentarischen Züngleins an der Waage aktiv ausfüllen wollten. Schweden befand sich in einer handfesten Regierungskrise.

Am 26. Dezember 2014 unterzeichneten jedoch sechs Parteien des schwedischen Parlaments die sogenannte Dezemberübereinkunft: neben den regierenden Sozialdemokraten und der Grünen Partei unterzeichneten die vier Allianzparteien: Die Konservativen, die liberale Volkspartei, die Zentrumspartei sowie die Christdemokraten. Einzig die Rechtspopulisten sowie die Linkspartei blieben außen vor. Diese Dezemberübereinkunft soll es zukünftigen Minderheitsregierungen leichter machen, ihr Budget durch das Parlament zu bringen. Das Abkommen enthält eine Selbstverpflichtung der Oppositionsparteien – welche dies auch in den konkreten Fällen sein werden –, den Haushaltsentwurf passieren zu lassen, der vor der potenziellen Regierungspartei oder der potenziellen Regierungskoalition eingebracht wurde. Gleichzeitig verpflichten sich die Parteien, nicht einzelne Aspekte des Budgets vom Gesamtpaket abzutrennen – dies geschah entgegen langjähriger Tradition erstmals 2010, als die Parteien des linken Lagers zusammen mit den Schwedendemokraten einzelne Teile des Budgets abtrennten. Und im Herbst 2013 eskalierte der Budget-Konflikt abermals, als erneut die Parteien des linken Lagers mit den Schwedendemokraten anvisierte Steuersenkungen der Allianzregierung für die oberen Einkommensschichten verhinderten.

Gleichzeitig werden in drei sensiblen Politikbereichen (Verteidigung und Sicherheit, Renten, Energie) systematische, block-übergreifende Übereinkommen angestrebt. Vor allem Regierungsvertreter sind jedoch gegenwärtig in der Öffentlichkeit bemüht, die blockübergreifende Zusammenarbeit auch auf Aspekte der Bildungs- sowie Integrationspolitik auszudehnen.

Die Dezemberübereinkunft fußt auf geheim gehaltenen Verhandlungen, die von der bürgerlichen Allianz durch einen Zeitungsbeitrag eröffnet wurden, in dem sie der Regierung eine Zusammenarbeit bei der Neuformulierung der parlamentarischen Regeln für Minderheitsregierungen anbot (DN 9.12.2014). Auf Einladung der sozialdemokratischen Finanzministerin Magdalena Andersson kam es dann ab dem 18. Dezember zu geheimen Verhandlungen zwischen der Koalitionsregierung und den Vertretern der bürgerlichen Allianz. Verbindendes Interesse war es, die anvisierte Neuwahl abzuwenden. Die Parteien des linken Lagers konnten sich ihrer parlamentarischen Stärke nicht sicher sein und befürchteten zudem eine weitere Stärkung der Schwedendemokraten. Innerhalb der bürgerlichen Allianz waren es vor allem die Christdemokraten, die befürchteten, bei einer Neuwahl an der 4-Prozent-Hürde scheitern zu können. Göran Hägglund, der Vorsitzende der Christdemokraten, war folgerichtig eine der treibenden Personen auf der bürgerlichen Seite hinter der Dezemberübereinkunft. Die Verhandlungen wurden am 26. Dezember abgeschlossen und die Übereinkunft von Vertretern aller sechs Parteien am 27. Dezember der Presse und der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Dezemberübereinkunft soll erstmals zum Frühlings-Budget 2015 wirksam werden und bis ins Wahljahr 2022 Geltung haben.

Während die einen diese Übereinkunft als eine Wiedergeburt konsensdemokratischer Praktiken in der schwedischen Demokratie interpretieren, sehen andere darin eher eine strategische Augenwischerei und eine bloße zeitliche Aufschiebung unumgänglicher politischer Konflikte und Entscheidungen im schwedischen Parteienwettbewerb.

Erstens ist zu betonen, dass sich alle sechs Parteien für 2015 wahrlich viele gute Vorsätze vorgenommen haben. Die Verhandlungen zu blockübergreifenden Vereinbarungen in den Gebieten Verteidigung/Sicherheit, Rente und Energie werden schwer zu schließen sein, sind doch just auf diesen Gebieten die programmatischen Gegensätze zwischen beiden Lagern groß.

Zweitens haben viele Akteure unterschätzt, wie festgefügt die Bindungen innerhalb beider Lager sind. Während Löfven immer hoffte, die liberale Volkspartei oder die Zentrumspartei aus der bürgerlichen Allianz herauslösen zu können, irrte die bürgerliche Allianz hinsichtlich der Entschlossenheit der Grünen Partei. In der Legislaturperiode von 2010 bis 2014 vorbereitete und entschied die Minderheitskoalition der Allianz einige wichtige Reformen in Zusammenarbeit mit den Grünen. Das rigorose Zusammenhalten zwischen Sozialdemokratien und Grüner Partei deutet eher auf eine verstärkte Kohäsion im linken Lager hin. Mit der Regierungskrise 2014 sind die Grünen vorerst von einer Mitteposition im Parteienwettbewerb nach links gewandert.

Drittens bleibt abzuwarten, wie sich die festen Lager in den Verhandlungen weiter entwickeln. Gelingt es der Allianz, die Grünen erneut zur Zusammenarbeit zu bewegen? Oder gelingt es dem linken Lager, eine bürgerliche Partei aus der Allianz herauszubrechen? Vielleicht weniger die Zentrumspartei oder die liberale Volkspartei, vielleicht eher die Christdemokraten?

Letztlich ist es zu früh, von einer Renaissance der Verhandlungsdemokratie in Schweden zu sprechen. Die neuen Regeln sind formuliert – sie erleichtern das Regieren ohne parlamentarische Mehrheit. Aber wie viele normale Menschen haben sich die sechs Parteien zur Stärkung der schwedischen Verhandlungsdemokratie sehr ambitionierte Vorsätze für das neue Jahr formuliert. Wie bei allen guten Vorsätzen zum neuen Jahr wird zu sehen sein, wie die Parteien die guten Vorsätze in neue Handlungen und Strategien werden umsetzen können.

 

Quelle: http://nofoblog.hypotheses.org/89

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