Ein Fall für Tee: Inseln der Ordnung in einem Ozean des Chaos

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sehr ich mich quälte, als ich Russisch lernte und versuchte, mir die Endungen für die sechs Fälle des Russischen einzuprägen. Da gab es einfach zu viele Sonderregelungen, gefühlt noch viel, viel mehr, als ich vom Lateinischen her kannte. Das russische Kasussystem ist auch tatsächlich ziemlich komplex. Im Deutschen unterscheiden wir drei Geschlechter und vier Fälle, wobei die Fälle selbst in vielen Fällen die gleiche Endung haben, und meist nur noch der Artikel, Adjektive, oder Pronomen an den Wörtern ausdrücken, welchen Fall wir eigentlich meinen. Im Russischen gibt es neben dem Nominativ, dem Genitiv, dem Dativ, und dem Akkusativ, noch zwei weitere Fälle, nämlich den Instrumental, der in etwa immer dann verwendet wird, wenn wir im Deutschen die Präposition „mit“ verwenden (ich jongliere mit drei Bällen, ja žongliruju tremja mjačami., Kyrillisch: я жонглирую тремя мячами), und den Präpositiv, der immer dann verwendet wird, wenn wir bestimmte Präpositionen verwenden. Während wir also im Deutschen im Satz „Ich rede über Bildung“ die Bildung in den Akkusativ setzen, steht sie im Russischen im Präpositiv, der Akkusativ wird viel öfter seinem Namen nach entsprechend verwendet: wenn man jemanden addressiert (oder anklagt).

Damit ist es aber noch nicht getan, denn zu den sechs Fällen gesellen sich noch eine Menge weiterer Idiosynkrasien, die mich zu Beginn beim Russischlernen oft zum Verzweifeln trieben. Für Wörter, die belebte Dinge im Maskulinum ausdrücken, wie „Mensch“, „Hase“ und „Wolf“, ist der Akkusativ gleich dem Genitiv, wobei der Rest aller maskulinen Wörter im Akkusativ genau die gleiche Endung hat wie im Nominativ.

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Quelle: https://wub.hypotheses.org/147

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Höflichkeit

Vor einigen Wochen war ich in Moskau, wo ich an der jährlichen Konferenz zu Ehren des vor 12 Jahren verstorbenen Linguisten Sergei Starostin teilnahm. Das letzte Mal war ich 2013 in Russland gewesen, weshalb es vielleicht nicht ganz so verwunderlich klingt, dass ich mich erst einmal wieder daran gewöhnen musste, wieder in Russland zu sein. Während mir die Stadt und die Atmosphäre auf der Straße sofort wieder vertraut waren, war ich über die bis an Unfreundlichkeit grenzende Reserviertheit der Verkäufer in den Geschäften, vor allem den Supermärkten, zu Beginn überrascht, bis mir klar wurde, dass sich die Gesellschaft in diesem Punkt einfach treu geblieben ist. Ob in Sankt Petersburg, in Moskau, oder Jekaterinburg: eine königliche Behandlung als Kunde sollte man lieber nicht erwarten. Der Vorteil daran ist natürlich, dass man auch nicht auf Schritt und Tritt von freundlich lächelnden Verkäufern verfolgt wird, wie in den Vereinigten Staaten, aber auch zunehmend in Geschäften in Deutschland, insbesondere in Treckinggeschäften, wo man sich nicht mal fünf Minuten allein umsehen kann, ohne von den Verkäufern gefragt zu werden, ob sie einem helfen könnten.

Welche Rolle wir als Kunden in unterschiedlichen Ländern einnehmen, sei es die des Bettlers oder die des Kaisers, ist sicherlich grundlegend kulturell bedingt und oftmals auch aus historischen Situationen entstanden. Obwohl ich mich erst mal wieder daran gewöhnen musste, habe ich mich selbst in der Anonymität gewährenden Reserviertheit russischer Verkäufer meist wohler gefühlt als in Situationen, wo Menschen mich aus Freundlichkeit zum Smalltalk zwingen. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache, oder oftmals auch einfach eine Typenfrage.



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Quelle: https://wub.hypotheses.org/79

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