Nachdem der Bonner Professor für Heraldik Christian Samuel Theodor Bernd1 in den 1830er Jahren damit begonnen hatte, die Wappen adliger Familien für sein „Wappenbuch der preußischen Rheinprovinz“ zu sammeln, erreichte ihn im April des Jahres 1832 ein Brief aus Jülich. In diesem Brief bekundete der Freiherr Franz Joseph Hubert von Hallberg zu Broich mit folgenden Worten sein Interesse an der Arbeit Bernds:2
„Hochverehrtester Herr Professor! Benachrichtigt durch die Zeitung, dass euer Hochwohlgeboren ein Wappenbuch der Preußischen Rheinprovinzen und derjenigen adeligen Herren geben wollen, welche in die Adels-Matrikel der Rheinprovinz aufgenommen sind, bitte ich meinen Namen auf die Liste der Unterzeichner zu setzen und zur Zeit ein Exemplar übersenden zu wollen.“3
Unterzeichnet war dieser Brief, der sich heute mit anderen heraldischen und genealogischen Unterlagen Theodor Bernds in der Autographen-Sammlung der Bonner Universitätsbibliothek befindet, mit Hallbergs Namen und Adelstitel sowie der Ergänzung „Obristleutnant in königlich Spanischen Diensten, Ritter etc.“.
Tatsächlich findet sich in Theodor Bernds Unterlagen auch die von Franz von Hallberg-Broich angebotene „Geschichte der Grafen und Freiherren von Hallberg zu Pesch und zu Broich“, deren Richtigkeit – so der Wortlaut ihrer Einleitung – „die Familienpapiere authentisch beweisen“. Am Rand dieses Schriftstücks können jedoch auch einige mit Bleistift angebrachte Bemerkungen entziffert werden, die offenbar von Theodor Bernd stammen und den Wahrheitsgehalt der durch Franz von Hallberg-Broich zur Familiengeschichte getroffenen Aussagen kritisch kommentieren.
Bevor der Inhalt dieses Manuskripts und die Bemerkungen Theodor Bernds hierzu in einem späteren Blogbeitrag Gegenstand der Untersuchungen sein werden, soll zunächst überblicksartig der bisherige Kenntnisstand über die im 18. und frühen 19. Jahrhundert auf dem bei Jülich gelegenen Schloss Broich ansässige Familie der Freiherren von Hallberg-Broich nachgezeichnet werden. Der Fokus wird hiernach insbesondere auf den bereits im 19. Jahrhundert weit über die Grenzen Jülichs hinaus bekannten „Eremiten von Gauting“, Theodor von Hallberg-Broich (1768–1862),4 aber auch auf zwei seiner Brüder, nämlich den bereits oben erwähnten Franz Joseph Hubert (1784–1850)5 und Carl Ernst von Hallberg-Broich (1774–1836)6 gelegt werden.
Zeitlich wird das Hauptaugenmerk sich dabei auf die Kernphase der revolutionären Umbrüche, also die Periode zwischen 1789 und 1815, richten. Die Beiträge verstehen sich in direktem Anschluss an die bisherigen Artikel dieses Blogs, der Netzbiographie Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck sowie der in Kürze erscheinenenden Dissertation “An den Wurzeln der Tugend. Rheinischer Adel und Freimaurerei 1765-1815″ als weitere Mosaiksteine in der Erforschung der Selbstsicht sowie des Anpassungsvermögens rheinischer adliger Familien in der koselleckschen “Sattelzeit”.
Zur richtigen Einordnung der späteren Ausführungen scheint es – wie bereits erwähnt – sinnvoll, sich zunächst die bisher bekannte Familiengeschichte der Freiherren von Hallberg zu Broich skizzenartig vor Augen zu führen.
Skizze der Familiengeschichte
Die ältesten Zeugnisse der Familie des Freiherren Theodor von Hallberg zu Broich lassen sich in die Stadt Mühlheim am Rhein zurückführen. Hier hatte Christian Hallberg (gestorben 1661) in den Jahren 1657 und 1659 das Amt des Bürgermeisters inne.7 Mit Hilfe von Ernst von Oidtmans genealogisch-heraldischer Sammlung lässt sich die spätere Linie der Freiherren von Hallberg zu Broich von einem Enkel dieses Christian Hallberg, genannt Peter Diederich Hallberg (1691–1752), herleiten. Dieser erlangte das Amt eines jülichschen Hofkammerrates und Schultheißen zu Aldenhoven. Seit 1721 trug er den Beinamen „Edler von Hallberg“. Oidtman vermutet, dass Peter Diederich das Gut Broich bei Jülich nach 1741 erworben hat.8
Der Freiherren-Titel wird bei Oidtman erstmals für die beiden Brüder Tillmann Peter (1729–1793)9 und Bernhard Josef10 von Hallberg zu Broich angeführt. Hierbei ist es wichtig, zu erwähnen, dass der Freiherren-Titel wohl ursprünglich nach anderen Linien usurpiert worden ist.11 Eine Wiederanerkennung des Freiherrenstandes durch ein preußisches Ministerial-Reskript ist für die Frau des Tillmann Peter, Rosa von Hallberg, und deren Söhne Carl, Theodor und Franz für das Jahr 1826 nachweisbar. Tillmann Peter war zu Lebzeiten nicht nur kurpfälzischer Truchsess und Besitzer des Gutes Broich, sondern auch Herr des Gutes Obbendorf bei Hambach (im heutigen Kreis Düren gelegen), das um 1763/1764 in den Besitz der Familie kam.12
Der Freiherrentitel wird ebenfalls für den 1752 geborenen, späteren königlich bayerischen Generalmajor Karl Theodor von Hallberg zu Broich erwähnt, wobei unklar ist, ob dieser ein Sohn des Bernhard Josef war.13 Im Folgenden wird die Familien-Konstellation, insbesondere aber dieser königlich bayerische Generalmajor noch von Bedeutung sein. Im Fokus der Betrachtungen steht jedoch der Familienzweig des Tillmann Peter von Hallberg-Broich.
Heute taucht der Name dieses Zweigs der Familie gelegentlich in lokalhistorischen Beiträgen auf. Es handelt sich hierbei zumeist um Abhandlungen über den bereits erwähnten sogenannten „Eremiten von Gauting“, Theodor von Hallberg zu Broich. Dieser war eines der insgesamt elf Kinder, die aus der Ehe zwischen Tillmann Peter von Hallberg zu Broich und seiner Frau Rosa, einer geborenen Freiin Quadt von Wykrath zu Alsbach, hervorgingen.14
Über Theodor von Hallberg-Broich, der unter anderem als Verfasser des gemeinsam mit seinen Brüdern im Jahre 1819 veröffentlichten antiklerikalen und preußenkritischen „Deutschen Kochbuchs für Leckermäuler und Guippees“, diverser Reisebeschreibungen und durch ein öffentliches Heiratsgesuch in einer bayerischen Zeitung aus dem Jahr 1840 einen nachhaltigen Eindruck bei den Zeitgenossen hinterließ,15 kursierten bereits im 19. Jahrhundert zahlreiche, zum Teil kuriose Geschichten. Diese finden bis in die jüngste Zeit ihren Niederschlag in historischen Veröffentlichungen.16
Der „Eremit von Gauting“, dessen eigenartig anmutendes Pseudonym sich aus Hallbergs späterem, zwischen München und dem Starnberger See gelegenen Schloss Fußberg in Gauting herleitet und u.a. zur Unterzeichnung kritischer Beiträge in bayerischen Zeitschriften verwandt wurde,17 erscheint nicht nur ob seines bis in die heutige Zeit nachwirkenden Charismas, sondern auch wegen seiner angeblich fanatischen Gegnerschaft zu Napoleon als Schlüsselfigur, will man sich der Geschichte der Familie der Freiherren von Hallberg-Broich im frühen 19. Jahrhundert und ihrem Verhältnis zur französischen Besatzung des Rheinlands nähern.
Im nächsten Beitrag der Blogserie soll der bishergie Stand der Forschungen hierzu kurz umrissen werden.
Anmerkungen:
1 Christian Samuel Theodor Bernd (1775-1854) wurde 1822 in Bonn zum Universitätsprofessor für Diplomatik, Sphragistik und Heraldik ernannt. Zu seiner Person sowie weiteren bibliographischen Hinweisen siehe Eckart Henning, Auxilia Historica – Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 173-174.
2 Die im Folgenden wiedergegebenen Transkriptionen wurden in Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Schriftbild weitestgehend angepasst.
3 Franz von Hallberg-Broich, Briefe an Theodor Bernd, Handschriftenabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Signatur S 2548. Die im folgenden Absatz gemachten Angaben und Zitate beziehen sich auf ebenfalls auf dieses Dokument. Im 1835 erschienenen Werk Theodor Bernds ist Franz von Hallberg-Broich mit dem Titel eines spanischen Orbistleutnants unter den Subskribenten aufgeführt. Vgl. Christian Samuel Theodor Bernd, Beschreibung der im Wappenbuche der Preussischen Rheinprovinzen gelieferten Wappen, nebst einer Farbentafel, VIII. Heft, Bonn 1835, S. X.
4 Herbert M. Schleicher, Ernst von Oidtman und seine genealogisch-heraldische Sammlung in der Universitäts-Bibliothek zu Köln (= Veröffentlichungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde e.V., Bd. 7), Köln 1994, Mappe 551, S. 482.
5 Das Sterbedatum des Franz von Hallberg-Broich ist in der Oidtmanschen Genealogie nicht angegeben. Für die hier verwendete Angabe, die als Ort des Ablebens des Franz von Hallberg-Broich die Stadt Wiesbaden angibt, siehe August Kurtzel, Rudolf von Gottschall, Friedrich Bienemann (Hrsg.), Unsere Zeit: Deutsche Revue der Gegenwart. Monatsschrift zum Conversations-Lexikon, Bd. 6, Leipzig 1862, S. 700–706, hier S. 704.
6 Schleicher 1994 (wie Anm. 4) , Mappe 551, S. 483.
7 Schleicher 1994 (wie Anm. 4), Mappe 551, S. 478.
8 Schleicher 1994 (wie Anm. 4), Mappe 551, S. 482.
9 Schleicher 1994 (wie Anm. 4), Mappe 551, S. 482.
10 Geburts- und Sterbedatum des Bernhard Josef sind unbekannt. In der an Theodor Berndt gesandten Familiengeschichte wird Bernhard Josef von Hallberg-Broich nicht erwähnt. Vgl. Hallberg-Broich (wie Anm. 3), S 2548.
11 Zur Usurpation des Freiherrentitels siehe Schleicher 1994 (wie Anm. 5), Mappe 551, S. 481. Zur Re-Privilegierung des rheinischen Adels im Zeitalter der Restauration siehe Christof Dipper, Der rheinische Adel zwischen Revolution und Restauration, in: Helmuth Feigl, Willibald Rosner (Hrsg.), Adel im Wandel. Vorträge und Diskussionen des 11. Symposions des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Horn 2.-5- Juli 1990, (=Studien und Forschungen des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Bd. 15), Wien 1991, S. 91-116, hier S. 106.
12 In der von Freiherr Franz von Hallberg-Broich an den Bonner Genealogen Theodor Berndt gesandten Familiengeschichte wird zudem die Herrschaft des Peter Tillmann über die Güter Brachelen, Lohmar, Algard, Menden, Rauschendorf, Meindorf und Mundt angegeben. In der Oidtmanschen Genealogie sind die Güter Lohmar und Brachelen als Herrschaften des Bruders Bernhard Josef verzeichnet. Siehe hierzu Hallberg-Broich (wie Anm. 3), S 2548; Schleicher 1994 (wie Anm. 4), Mappe 551, S. 482.
13 Schleicher 1994 (wie Anm. 4), Mappe 551, S. 481 und 490.
14 Theodor, Franz und Carl von Hallberg-Broich besaßen vier Schwestern und drei Brüder: Maria Elisabeth (1762-?), Maria Theresia (1764 – ?), Eva Bernhardina (1767-?), August Adolf (1770–1792), Alexander August (1776–1814), Bernhard Johannes (1779–1781) sowie Caroline Josephina (1781–1859). Der noch zur Zeit der französischen Besatzung lebende Alexander August wird im vorliegenden Aufsatz nicht behandelt. Dieser war im Jahr 1793 als Capitular der Benediktinerabtei in Siegburg beigetreten und demnach für den geistlichen Stand vorgesehen. Dass dieser sich an kriegerischen Ereignissen oder der Verwaltung der Familiengüter beteiligte, konnte nicht nachgewiesen werden und ist daher unwahrscheinlich. Er verstarb, laut der Familiengeschichte, die in der Autographensammlung der Universität Bonn vorhanden ist, bereits am 6. Juli 1814. Hier heißt es über ihn: „Er lebte ganz für die Wissenschaften.“ Zu allen Angaben vgl. Schleicher 1994 (wie Anm. 4), Mappe 551, S. 482–483; Willi Dovern, Broicher Familienbuch 1668 – 1944 (=Veröffentlichungen des Jülicher Geschichtsvereins 4), Jülich 1985, S. 151; Erich Wisplinghoff, Die Benediktinerabtei Siegburg (= Germania Sacra – Neue Folge 9, Erzbistum Köln Bd. 2), Berlin 1973, S. 235; Hallberg-Broich (wie Anm. 3), S 2548.
15 Zum Heiratsinserat siehe Wolter von Egan-Krieger, Zwischen Weitsicht und Widersinn: Theodor Freiherr von Hallberg-Broich – Eine Lebensbeschreibung, Norderstedt 2007, S. 235–246. In Bezug auf die Reisebeschreibungen sind zu nennen: Theodor von Hallberg-Broich, Reise durch Skandinavien im Jahr 1817, Leipzig 1818; ders., Reise-Epistel durch den Isar-Kreis, Augsburg 1822; ders., Reise durch Italien, Augsburg 1830; ders., Ueber den Rhein-Donau-Kanal und den alten Handelsweg nach Indien, Augsburg 1831; ders., Frankreich-Algier, München 1837; ders., Reise nach dem Orient: zum Besten der Kolonie Hallberg im Freisinger Moos, Stuttgart 1839; ders., Deutschland, Russland, Caucasus, Persien: 1842-1844, Stuttgart 1844.
16 Siehe u.a. Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 15); Dominique Müller-Grote, Freiherr von Hallberg-Broich – Geckenhafter Sonderling mit wohltätiger Gesinnung, in: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 2008, (2007), S. 58 – 61; Werner Bülow, Der Eremit von Gauting – Theodor Freiherr von Hallberg-Broichs Leben, Ansichten und Reisen, Rosenheim 1991.
17 Zur Verwendung des Pseudonymns siehe Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 15), S. 198–207. Theodor und Carl von Hallberg-Broich waren ebenfalls als Autoren für die 1819 durch die preußische Zensur verbotene Zeitschrift „Hermann – Eine Zeitschrift von und für Westfalen“ tätig. Siehe hierzu Adolf Dressler, Die Entwicklung des Pressewesens in der Stadt Hagen in Westfalen von seinen Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Hagen 1932, S. 5–59; Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 15), S. 57-78.
Quelle: http://rhad.hypotheses.org/559