[Preprint] Falk Eisermann, Jürgen Geiß-Wunderlich, Burkhard Kunkel, Christoph Mackert, Ha...
Modell der Kasematte in Lünette II (Kleiner Dänholm)
Ich habe mich mal wieder an ein Modell gewagt. Im Zuge des aktuellen Beitrages für den nächsten DGF Band, der sich mit der Stralsunder Festungsgeschichte des 19. Jahrhunderts beschäftigt, bot sich das Modell an, da die Lünette II mit ihrer … Weiterlesen →
Die Schanzen von Altefähr
Bei meinen Forschungen zur Neuen Fährschanze stieß ich immer mal wieder auch auf Altefähr. Dass der Ort verschanzt war, geht aus einigen Plänen hervor, um die ich mich bisher weniger kümmerte. Nun wurde ich vor einiger Zeit vom Ortschronisten gefragt, … Weiterlesen →
585 Bücher der Stralsunder Archivbibliothek fehlen – der Kepler-Band wird jetzt in New York für eine Viertelmillion Dollar angeboten
Anlass der Gründung dieses Weblogs im Dezember 2012 waren die skandalösen Vorkommnisse im Stadtarchiv Stralsund, die ich in Archivalia umfassend dokumentiert habe (über 270 Beiträge zu Stralsund; Best of). Nach einem Hinweis von Falk Eisermann am 22. Oktober 2012 auf eine von mir überlesene Passage einer Stralsunder Pressemitteilung konnte ich die Fachwelt im Herbst 2012 soweit mobilisieren, dass sich ein Sturm der Entrüstung erhob und nach einem Gutachten von Nigel Palmer und Jürgen Wolf die Hansestadt Stralsund sich veranlasst sah, die für 95.000 Euro an einen bayerischen Antiquar verscherbelte kostbare Gymnasialbibliothek mit über 6000 alten Drucken ab dem 16. Jahrhundert zurückzukaufen.
Im LISA-Portal hatte ich am 13. November 2012 zusammenfassend das Vorgehen der Stadt gegeißelt. Philipp Maaß, der Initiator der Stralsund-Petition, unterrichtete in einem Beitrag für die bibliothekarische Fachzeitschrift BuB, der hier nachgelesen werden kann über den Skandal, während der im Februar 2013 im Bibliotheksdienst erschienene Aufsatz des Speyerer Altbestands-Spezialisten Armin Schlechter erst jetzt kostenlos einsehbar ist. In LIBREAS stellte ich “Lehren aus der Causa Stralsund” vor.
Nun hat der NDR herausgefunden, dass der renommierte New Yorker Händler Jonathan Hill den Kepler-Druck aus der Gymnasialbibliothek für eine Viertelmillion Dollar anbietet. Wieso Margret Ott für diese bescheidene Recherche-Leistung (das Angebot ist online verfügbar) ein dickes Lob spendet, erschließt sich mir nicht. Im Nordmagazin des NDR-Fernsehens wird behauptet, es sei unklar, wie der Händler zu dem Druck gekommen sei. Wenig genauer auf der NDR-Website: “Bei einer ersten Auktion vor ein paar Monaten hatte das Werk 45.000 Euro erzielt.” Diese journalistische Fehlleistung fügt sich ins Bild: Die Journaille hatte sich in der Causa Stralsund nach meiner Einschätzung als unfähig und tölpelhaft erwiesen; meine Rechercheergebnisse als Blogger wurden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder meist stillschweigend vereinnahmt.
Tatsache ist: In der Nacht vor der Bekanntgabe des Rückkaufs am Dienstag, dem 20. November 2012 hatte ich fieberhaft daran gearbeitet, einen umfangreichen Archivalia-Beitrag fertigzubekommen, nachdem ich am Sonntag zuvor einen anonymen Tipp von einem Käufer bekommen hatte, bei den Reiss-Herbstauktionen seien Bücher aus der Gymnasialbibliothek Stralsund versteigert worden. Ich ging den Reiss-Online-Katalog durch und kam zu dem Schluss: Die Einlieferungen der Reiss-Auktionen mit den Nummern 41, 95, 152, 177 und 169 setzen sich ausschließlich aus Stücken zusammen, die aus dem Stadtarchiv Stralsund stammen. Eine außerordentlich grobe Schätzung für den Gesamterlös ergab gut 140.000 Euro für etwa 190 Titel. Am 30. Oktober 2012 erbrachte der jetzt in New York angebotene Kepler-Druck von 1621 (mit Beibänden) als Nr. 4841 bei Reiss in Königstein 44.000 Euro.
Angesichts der Rückkauf-Meldung vom gleichen Tag verpuffte mein Scoop und wurde auch in der Folgezeit von der etablierten Presse nicht registriert. Vermutlich hat der New Yorker Händler den Kepler-Band und zwei weitere kostbare Werke aus Stralsund, die er für sehr viel weniger Geld anbietet, bei Reiss ersteigert oder über einen Zwischenhändler bezogen.
Die Stadt Stralsund mit ihrem Beauftragten Dr. Burkhard Kunkel hat nach der Rückkaufentscheidung vom November 2012 so gut wie nichts richtig gemacht, was die Rückführung weiterer Bestände angeht.
Im Fernsehen sagt Kunkel, es fehlten 585 Bücher. Diese Zahl dürfte sich lediglich auf die Gymnasialbibliothek beziehen. Unklar ist, was der Antiquar Hassold vor dem Rückkauf bereits vertickt hatte. Eine nicht näher bezifferbare Anzahl von Büchern aus der Gymnasialbibliothek sind für immer verloren, da Hassold sie als unverkäuflich vernichtet hatte. Außer den Reiss-Auktionen kamen einige Stralsunder Werke auch bei dem Münchner Auktionshaus Zisska und Schauer, dessen ehemaliger Geschäftsführer Schauer wegen seiner Verwicklung in die Causa Girolamini in Italien in Untersuchungshaft sitzt, unter den Hammer. Den dort erworbenen unikalen Türkendruck hat die Bayerische Staatsbibliothek immerhin zurückgegeben.
Absolut lächerlich ist, dass im Mai 2013 laut Meldung der Stadt Stralsund gerade einmal sieben (in Zahlen: 7) Titel zurückgegeben worden waren.
Dank einer Fehlentscheidung des BGH zum Hamburger Stadtsiegel-Fall sind auf öffentlicher Auktion verkaufte Bände rechtsgültig in das Eigentum des jeweiligen Erwerbers übergegangen. Für die anderen Bände kann man zumindest die Auffassung vertreten, dass sie nach wie vor Eigentum der Stadt Stralsund sind. Es ist ein Unding, dass die Stadt Stralsund weder einen öffentlichen Rückgabe-Aufruf (z.B. durch Anzeigen in Sammler-Organen wie “Aus dem Antiquariat”) gestartet hat noch eine mit der Kommunalaufsicht abgestimmte Stellungnahme zum Eigentums-Status des entfremdeten Bestands abgegeben hat. Nicht jeder Sammler verhält sich so abscheulich wie der Eigentümer des durch seine Einträge unersetzlichen Hevelius-Drucks, der ihn nicht zurückgeben will.
Wie in meinem Archivalia-Beitrag vom 20. November ausdrücklich angeregt, hätten durch rasches Handeln beim Auktionshaus Reiss wenigstens die unverkauften (also auch nicht rechtsgültig in anderes Eigentum übergegangenen) Stücke aus Stralsund gerettet werden können. Geschehen ist aber: nichts.
Noch skandalöser als das denkbar unprofessionelle Vorgehen bei der Rückholung der Bestände der Gymnasialbibliothek ist die Untätigkeit, was die vor dem Sommer-Verkauf 2012 als angebliche Dubletten durch die damalige Archivleiterin Nehmzow und ihren nicht weniger abscheulichen Vorgänger rechtswidrig veräußerten Altbestände angeht. Nach wie vor können Hassold und seine Kumpane ungehindert seltene Pomeranica aus Stralsund verkaufen, von denen womöglich nicht wenige durch Besitzeinträge unikalen Charakter haben. In diesem Bereich hat die Stadt Stralsund offenkundig nichts unternommen, obwohl durch meine eingehenden Recherchen bewiesen wurde, dass auch unantastbare Bestände der Ratsbibliothek in die unfassbaren Verkäufe einbezogen waren. Mindestens zwei Bücher wurden aus dem Barock-Ensemble der Löwen’schen Bibliothek von Hassold im Handel angeboten, eines davon noch am 30. November 2012! Ein weiteres Stück stammte aus der Kirchenbibliothek St. Nikolai.
Die perfide Strategie der Stadt Stralsund und ihres Dr. Kunkel besteht also darin, lauthals zu erklären, dass man die entfremdeten Teile der Gymnasialbibliothek zurückholen wolle. In Wirklichkeit agiert man aber völlig ineffizient und verschließt die Augen vor den nachgewiesenen Verkäufen wertvollen Buchguts vor dem Verkauf der Gymnasialbibliothek im Sommer 2012. Diese rechtswidrig veräußerten Bücher (durch Nehmzow, die Staatsanwaltschaft will sich im März 2014 zum Verfahrensstand äußern, und auch schon ihren Vorgänger Hacker) gehören nach meiner Rechtsauffassung ebenfalls nach wie vor der Stadt Stralsund und müssten mit aller Energie, zu der die Stadt und ihr Dr. Kunkel offenkundig nicht fähig sind, zurückgeführt werden!
Soziale Netzwerke: Faszinierendes Potential für die Rettung von Kulturgut | #KulturEr
Ein Beitrag zur Blogparade “Mein faszinierendes Kulturerlebnis“
In den vergangenen Tagen war ich immer mal wieder auf Archivalia – nicht nur wegen der aktuellen Beiträge dort, sondern vor allem, um mir Beiträge, die jetzt gerade ein Jahr alt werden, durchzulesen.
Viel ist damals passiert in diesen Tagen im November 2012:
Vor einem Jahr nämlich war bekannt geworden, dass die Stadt Stralsund ihre historische Gymnasialbibliothek an einen Antiquar verkauft hatte.
Klaus Graf hatte das mit unglaublichem Engagement auf Archivalia, immer wieder über verschiedene Social-Media-Kanäle, aber auch auf unserem damals noch ganz jungen Gemeinschaftsblog Ordensgeschichte und bei L.I.S.A. öffentlich gemacht.
Eine Online-Petition wurde am 7. November gestartet, die innerhalb weniger Tage eine große Anzahl an Unterzeichnern fand, eine Facebookseite dazu eingerichtet.
Würde sich mein Dissertationsprojekt nicht mit Schulen in Altbayern und Böhmen, sondern in Stralsund befassen, so hätte ich dafür meine Quellen bei ebay ersteigern müssen: Dort nämlich wurden Schulschriften aus Stralsund angeboten, die in keinem Online-Katalog mehr verzeichnet waren.
Irgendwann wurde ich Mit-Administratorin der Facebookseite und wurde in den Verteiler des Organisationsteams aufgenommen.
Was folgte, waren arbeitsreiche Wochen, die allerdings viel Faszinierendes boten:
Unser kleines Team, das aus sieben Leuten bestand – oder besser: besteht –, hatte sich auch erst über Blogs und Social-Media-Kanäle zusammengefunden; sieben Leute mit ganz unterschiedlichem Hintergrund (darunter niemand aus Stralsund), die sich größtenteils noch nie vorher gesehen hatten, saßen nun in verschiedenen Ländern am Rechner, recherchierten, teilten die Informationen, bloggten darüber – und arbeiteten hervorragend zusammen.
Die Seite musste vernetzt werden, um auf die Petition aufmerksam zu machen; innerhalb weniger Tage erreichte sie eine beachtliche Anzahl an Personen:
Es war faszinierend, das große Potential von Werkzeugen des Web 2.0 zu erleben, die ich bereits kannte, und neue Werkzeuge kennen zu lernen.
Wichtig waren sie vor allem für die Vernetzung, Mobilisierung und Zusammenarbeit: „Fans“ und Seiten von Institutionen – insbesondere Archive und Bibliotheken – wurden auf die Petition aufmerksam, teilten den Aufruf zur Unterzeichnung und weiterführende Informationen, die wir dort angeboten hatten. Bei vielen, die unser Anliegen aufgegriffen und geteilt haben, durften wir uns bedanken: Es war faszinierend, die großartige Unterstützung, die Solidarität – auch aus dem Ausland, beispielsweise aus Georgia – zu erleben.
Eine breitere Öffentlichkeit wurde auf diese Weise über den aktuellen Stand auf dem Laufenden gehalten: neue Recherche-Ergebnisse konnten so schnell verbreitet werden. Auch Leser/innen und „Fans“ konnten Informationen beitragen und kommentieren.
Die ganze Aktion lief online – über Blogs und Social-Media-Kanäle.
Um für die Tagung „Offene Archive?“ (Speyer, 22./23. November 2012) mit Plakaten ausgerüstet zu sein, stand ich gerade in einem Copy Shop in Prag, als eine E-Mail mit erfreulichen Informationen eintraf: In Stralsund war gerade eine Pressekonferenz zu Ende gegangen. Wie dort bekannt gegeben wurde, waren mit Nigel Palmer (Oxford) und Jürgen Wolf (Marburg) zwei Gutachter bestellt worden, die die Lage eindeutig eingeschätzt hatten:
„Der Wert der Gymnasialbibliothek bemisst sich dabei keinesfalls nur am materiellen Wert der zum Teil kostbaren Einzelstücke, sondern weit mehr noch am Zusammenhang im Ganzen. Über mehr als drei Jahrhunderte werden in den Sammlungs- und Erwerbungsprofilen kulturelle, geistesgeschichtliche, theologische, naturwissenschaftliche, medizinische und bildungsgeschichtliche Entwicklungen transparent, die sich in einen überaus vielfältigen kulturellen Gesamtzusammenhang fügen“, so die Experten in ihrem Gutachten zum kulturhistorischen Wert der Stralsunder Gymnasialbibliothek (Vorläufiger Bericht, 19.11.2012; die Stellungnahme der Stadt Stralsund dazu: http://archiv.twoday.net/stories/219022682/)
Wie es in der Causa Stralsund weiterging – bzw. wie immer noch weitergeht –, kann man auf Archivalia nachlesen.
Auch unser Teammitglied Margret Ott hat dazu einen Beitrag für die aktuelle Blogparade eingereicht: http://www.blog.pommerscher-greif.de/stralsund-resumee/
„Für mich war alles, was ich rund um den Verkauf der “Stralsunder Gymnasialbibliothek” gelernt und erlebt habe, ein faszinierendes Kulturerlebnis. Was ist überhaupt eine Inkunabel, was zeichnet den Wert einer historischen Gymnasialbibliothek aus und was bewirkt die Zusammenarbeit vieler an einem gemeinsamen Projekt? Die Causa Stralsund war der Grund, dass ich viele begeisternde Menschen kennenlernen durfte und schlussendlich auch der Grund, uns als genealogischen Verein auch in die sozialen Medien zu bringen. Und die Causa Stralsund hat ja immer noch kein Ende: die Einstellung des designierten Nachfolgers zum 1. November liegt immer noch auf Eis.“
Auf der Speyerer Tagung “Offene Archive? Archive 2.0 im deutschsprachigen Raum (und im europäischen Kontext)” wurde die Causa Stralsund ebenfalls thematisiert: Bastian Gillner führte dort aus:
„Was nicht nur denk-, sondern tatsächlich machbar ist, zeigte sich hingegen zeitgleich in den USA: Im September verkündete der Gouverneur des Bundesstaates Georgia, dass ein rigider Sparkurs es nötig mache, die Georgia State Archives zum 1. November für die Öffentlichkeit zu schließen und von 10 Mitarbeitern 7 zu entlassen. Im unmittelbaren Anschluss an diese Ankündigung starteten die dortigen Archivare eine intensive Kampagne, in deren Mittelpunkt eine eigene Facebook-Seite als zentrale Plattform für alle entsprechenden Nachrichten, Proteste, Solidaritäts- und Unmutsbekundungen stand. Über diesen Weg gelang es nicht nur, in lediglich vier Wochen knapp 4.000 Unterstützer in dem sozialen Netzwerk zu generieren und diese Unterstützung in mehr als 17.000 Unterzeichner einer Online-Petition umzumünzen, sondern schließlich auch, die geplante Schließung vorerst abzuwenden (auch wenn der Kampf um die Arbeitsplätze momentan noch nicht beendet ist).
Was den deutschen Archivaren in einer problematischen archivpolitischen Situation nicht gelang, das gelang ihren amerikanischen Kollegen in einer ungleich dramatischeren Situation: Die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für die eigenen Anliegen, was hierbei tatsächlich zu einem Erfolg der archivischen Seite führte. Bis vor einer Woche hätte ich noch behauptet, dass ein solches archivisches Social-Media-Campaigning unter Einbeziehung einer interessierten Netz-Öffentlichkeit in Deutschland nicht zustande käme. Doch die Causa Stralsund hat mich da eines Besseren belehrt und – passend zu dieser Tagung – hat wohl auch das deutsche Archivwesen seine erste erfolgreiche Kampagne, die maßgeblich in den sozialen Medien wurzelt.“
(Bastian Gillner, Aufgewacht, aufgebrochen, aber noch nicht angekommen. Das deutsche Archivwesen und das Web 2.0, in: Weblog Archive 2.0, 30.11.2012, http://archive20.hypotheses.org/454.)
Unsere Facebookseite „Rettet die Archivbibliothek Stralsund“, die inzwischen gut vernetzt ist, führen wir fort:
Dort teilen wir weiterhin Informationen zur Causa Stralsund, aber auch zu anderen Fällen, in denen es um den Schutz von Kulturgut geht.
Auch dieses Weblog Kulturgut wurde in der Folge der Causa Stralsund gegründet:
Das “Weblog Kulturgut” begleitet wissenschaftlich die Debatte zum Erhalt historischer Kulturgüter als wertvolle und schützenswerte Geschichtsquellen. Im Vordergrund stehen gefährdete Kulturgüter in Archiven, Bibliotheken und Museen sowie öffentliche und private Sammlungen, zum Beispiel Adelsbibliotheken, Schloss- und Klosterausstattungen, Kirchen- und Klosterbibliotheken, historische Stadt- und Schulbibliotheken, universitäre Sammlungen. Dabei handelt es sich um bewegliche Kulturdenkmale im Sinne der Denkmalschutzgesetze, für deren Schutz es bislang keine organisierte Lobby gibt. […] Die Kulturgüter sollen gegen Vernichtung als historische Dokumente (insbesondere durch Zerschlagung gewachsener Sammlungen oder durch Zerlegen wertvoller Handschriften) geschützt werden, zugleich aber auch für Wissenschaft und Öffentlichkeit als kulturelle Allgemeingüter nutzbar sein.“
Mit dem Blog wurde auch ein Account bei Twitter eingerichtet: @agkulturgut.
Herzliche Einladung!
Wo ist der Hevelius-Druck aus dem Besitz von Andreas Marquard?
Dr. Jürgel Hamel aus Berlin mailte mir: als alter Stralsunder hatte ich bereits damals die ganze Geschichte mit Entsetzen verfolgt. Nun muß ich feststellen, daß ich mit einem Verkauf “direkt geschädigt” wurde. Es handelt sich um den Hevelius-Band aus dem Besitz von Andreas Marquard. Ich habe eine kleine Arbeit über Marquard (fast) fertig und kann danach festellen, daß er er in der Tat auch ein kenntnisreicher Astronom und Kalenderautor war. Zudem sind seine astronomischen Beobachtungen in Stralsund dokumentiert – und das sind die frühesten in Stralsund. Leider fällt mit dem Verkauf des Hevelius-Bandes aus seinem Besitz eine wichtige Quelle für mich fort. Da Sie jedoch sicherlich über die besten und sichersten Informationen verfügen, möchte ich bei Ihnen anfragen, ob Ihnen zum Verbleib des Bandes näheres bekannt ist. Hat sich vielleicht der neue Besitzer bei Ihnen gemeldet oder ist er Ihnen bekannt und es wäre möglich, ihn zu kontaktieren?
Den Hevelius-Druck hatte ich in meinem – von der Presse kaum beachteten – Beitrag über die Reiss-Auktionen vom 30. Oktober bis 2. November 2012, bei der besonders wertvolle Stücke aus der Strasunder Gymnasialbibliothek unter den Hammer kamen, erwähnt:
“Nr. 4840 (Einlieferung 177) ging für 20.000 Euro weg. Um welche kulturhistorische Kostbarkeit es sich handelte, zeigt die Beschreibung bei Reiss:
Hevelius, J. Selenographia: sive lunae descriptio. Addita est, lentes expoliendi nova ratio; ut et telescopia diversa construendi, et experiendi modus. Danzig, A. Hünefeld für den Autor, 1647. Fol. (35:24 cm). Mit gest. Titel, gest. Porträt, 111 Kupfern auf 91 Taf. (inkl. 3 gefalt. u. 1 mit bewegl. Scheibe) u. 26 Textkupfern. 13 (statt 14) Bll., 563 S. – Angebunden: Ders. Epistola de motu lunae libratorio, in certas tabulas redacto. – Epistola de utriusq(ue) luminaris defectu anni 1654. 2 Tle. Danzig, A. J. Müller für den Autor, 1654. Mit 2 gest. Titelvign., 7 (1 doppelblattgr.) Kupfertaf. u. 2 (1 blattgr.) Textkupfern. 1 Bl., 48 S.; 1 Bl., S. 49-72, 1 Doppelbl., 4 Bll. – Zwischengebunden: Ders. Dissertatio de nativa saturni facie, eiusq(ue) variis phasibus, certa periodo redeuntibus. Cui addita est, tam eclipseos solaris anni 1656 observatio, quam diametri solis apparentis accurata dimensio. Danzig, S. Reiniger für den Autor, 1656. Mit 1 gest. Titelvign. u. 4 Kupfertaf. 3 Bll., 40 S. Etwas spät. Prgt., Vorderdeckel mit goldgeprägtem umkränztem Monogramm “M(agister) A(ndreas) M(arquard)” darunter “1675″, Rückdeckel mit Monogramm “M. H. / 1701″; Rückdeckel fleckig u. restauriert, Vorsätze erneuert.
(177)
I. VD 17 39:125064G; Dt. Mus., Libri rari 135; Honeyman Coll. 1672; Roller-G. I, 53; Volkoff, Hevelius 1; zu allen Werken: Zinner, Instrumente 381 u. DSB VI, 360 ff. – Erste Ausgabe der für lange Zeit grundlegend gebliebenen Beschreibung des Mondes, die zugleich einen ausführlichen Atlas darstellt. “Eine in siebenjähriger Arbeit gewonnene, bis dahin unerreichte, mit selbstgestochenen Kupfern ausgestattete Beschreibung der Mondoberfläche, der Mondphasen und -libratrionen” (NDB IX, 60). Unter den schönen, akkurat gestochenen Kupfern neben den Mondkarten auch Darstellungen von Fernrohren sowie eines Linsenschleifapparates. Taf. 21 mit der zugehörigen beweglichen Scheibe u. dem Fadenzeiger. – Ohne den Vortitel, Drucktitel mit Bibl.- u. Ausgeschieden-Stempel sowie Bibl.-Sigle.
II. VD 17 12:644420L; Volkoff 4 & 5. – Erste Ausgabe der beiden Schriften, auch separat bzw. mit zwei weiteren Schriften (als “Epistolae IV.”) ausgegeben. “A letter in answer to J. P. Riccioli’s doubts set forth in his ‘Almagestum’ concerning Hevelius’s theory on the libration of the moon as described in the Selenographia… (The second letter) contains observation methods employed and a description of the solar eclipse of August 12 and of the lunar eclipse of August 27, 1654″ (Volkoff). – Tl. 2 mit stärkerem Moderschaden an der unteren Außenecke, Papier dadurch gebräunt u. brüchig.
III. VD 17 39:125093U; Volkoff 6. – Erste Ausgabe. Enthält Hevelius Theorien zu Gestalt des Saturn, den er als Körper mit zwei Henkeln ansah, und zum Durchmesser der Sonne. – Untere Außenecken etwas gebräunt, gegen Ende mit Moderschaden. Ohne das Blatt “Ordo Figurarum”, das fast immer fehlt (vgl. VD 17) u. auch von Zinner nicht genannt wird.
Provenienz: Geschenkexemplar für den Stralsunder Theologen, Mathematiker und Astronom Andreas Marquard, mit dessen eigenhändigen Vermerk “M. Andreas Marquardi Stralsund(ensis) Pomeran(us)/ Ex donatione autoris”. Marquard ist als Autor mehrerer astronomischer Disputationen nachweisbar, die sich mit auch von Hevelius besonders behandelten Themen beschäftigen (“De stellis fixis”, 1659; “De variis lunae phasibus”, 1660; “De diametro solis”, 1662; “De cometarum sede”, 1663). Von 1668 bis 1670 unterrichtete er den Greifswalder Theologen u. Physiker Theodor Pyl in Musik, Mathematik u. Astronomie. Von Marquards Hand stammen auch einige saubere Marginalien u. Anstreichungen in der Selenographia.
Die Zuweisung zur Provenienz erfolgt nicht nur über den Stralsunder inhaltlichen Bezug und die Erwähnung des Ausgeschieden-Stempels. In Biederstedts Beschreibung der Gymnasialbibliothek wird unter den Förderern der Bibliothek “M. Archidiakonus Andreas Marquards (1670 bis 75) Witwe” ausdrücklich erwähnt!”
Zu den Rückkäufen der Stadt Stralsund ist ein Artikel der Ostsee-Zeitung einschlägig:
Inzwischen hat Stralsund über 90 Prozent der Bücher wieder. Die Käufer hätten den Rückerwerb zu dem Preis ermöglicht, den sie bezahlten. „Keiner wollte mehr haben“, lobt Kultursenator Holger Albrecht das Entgegenkommen. „Zurückgewonnen haben wir auch 18 sehr wertvolle Einzelexemplare, mit denen es uns gelingt, die Identität, den Charakter der Bibliothek zu rekonstruieren“, erklärt Kunkel. Dazu gehört „Gographia“ von Ptolemäus aus dem Jahr 1542 mit einem Marktwert von 17 000 Euro, Tendenz steigend. „Das ist schon so, als ob man Feinunzen Gold in der Hand hält.“ Dieses Buch hatte die Unibibliothek Basel ersteigert, ebenso wie den Band „Biblia Graeca“ von Zacharias Orth von 1553. Nicht minder wertvoll ist die „Biblia Tamulica“ aus dem 17. Jahrhundert – einer der ersten Drucke, die in Indien hergestellt wurden. Die Herzog- August-Bibliothek Wolfenbüttel rückte diesen Schatz nun wieder heraus. Ebenso wie die Bayrische Staatsbibliothek dafür sorgte, dass ein ganz besonderes Unikat wieder in die alte Heimat durfte: der so genannte Türkendruck. „Davon gibt es tatsächlich nur dieses eine Exemplar auf der Welt“, betont Kunkel. In dem Sendschreiben von Ferdinand I. an die Fürsten des Sächsischen Kreises aus dem 16. Jahrhundert geht es um die Abhaltung eines Reichstages zur Türkenfrage.
Nur bei einem Werk macht sich Kunkel keine Hoffnung, dass es jemals wieder nach Stralsund gelangt: Die gedruckte Doktorarbeit von Johannes Kepler „Cosmographia“ ging für 44 000 Euro in die USA und wird wohl unwiederbringlich verloren sein.
Die Stadt Stralsund behauptet zwar, dass sie am Rückerwerb der Bände aus dem Stadtarchiv interessiert ist, zugleich verscherbeln Hassold & Co. weiterhin Drucke mit offenkundiger Stralsunder Provenienz. Und nach meiner Schätzung wurden auf den genannten Reiss-Auktionen knapp 190 Bände aus Stralsund versteigert. Davon sind wohl nur die genannten 18 Stücke wieder in Stralsund gelandet. Halten wir also fest: Trotz des medialen Wirbels haben es die Erwerber von 90 % des Reiss-Bestands vorgezogen, ihre Bücher NICHT an Stralsund gegen Kostenersatz zurückzugeben!
Über 170 Jahre alte Festschrift kehrt zurück ins Stralsunder Stadtarchiv
Einmal in die USA und zurück – nach Stralsund
Über 170 Jahre alte Festschrift kehrt zurück ins Stralsunder Stadtarchiv
(Presemitteilung der Hansestadt Stralsund)
Holger Roggelin bei der Übergabe des Stralsunder Konvoluts an Dr. Burkhard Kunkel (rechts)
„Das ist mein Beitrag zur Erhaltung des Stralsunder Archiv-Bestandes der Gymnasialbibliothek!“ Mit diesen Worten übergibt der eigens aus dem US-amerikanischen Baltimore angereiste Pastor und Historiker, Dr. Holger Roggelin, den Sonderdruck mit handschriftlichen Vermerken von 1839 an den Beauftragten für Archiv, Historische Handschriftensammlungen und Bibliotheken der Hansestadt Stralsund, Dr. Burkhard Kunkel.
Das Buch ist weit gereist. Aus dem Stralsunder Stadtarchiv in die USA und jetzt an seinen ursprünglichen Standort zurück, hat es mehr als 13.000 km zurückgelegt. Nun befindet es sich wieder im Stralsunder Stadtarchiv, „wo es auch hingehört“, wie Kunsthistoriker und Restaurator Burkhard Kunkel betont.
Über das Internet hatte Holger Roggelin, der sich besonders für die Hanse- und Schulgeschichte Vorpommerns interessiert, vergangenes Jahr von der Veräußerung von Teilen des Bestands des Stadtarchivs erfahren.
Daraufhin begann der ehemalige Lübecker systematisch nach Büchern aus der Stralsunder Gymnasialbibliothek im Netz zu suchen. Bei seinen Recherchen stieß er auf die „Festgabe“, die anlässlich des 50-jährigen Dienstjubiläums des damaligen Schulrats des Stralsunder Gymnasiums, Dr. Friedrich Koch, gedruckt worden ist. Diese enthält neben den Festschriften von Lehrerkollegen und der in Greifswald ausgestellten Ehrendoktorurkunde außerdem historische Grundrisse des Putbuser Pädagogiums und des Stralsunder Gymnasiums.
Der seit 2000 in den USA lebende Pastor hofft, durch sein gemeinnütziges Engagement für den Erhalt der Stralsunder Gymnasialbibliothek noch mehr Menschen zu ebensolchen Taten anzuregen. Er meint, dass Bücher, die aus dem Bestand des Stralsunder Stadtarchivs verkauft worden sind, wieder an ihren eigentlichen Bestimmungsort zurückgegeben werden sollten. Denn, da sind sich beide Wissenschaftler einig, der historische Wert der Gymnasialbibliothek liegt in der Vollständigkeit des Bestandes.
Autorin: Katja Schirrow
Foto: Hansestadt Stralsund l Pressestelle – Bildtext: Zwar hatte Dr. Holger Roggelin (l.) die Festgabe käuflich erworben, übergab sie dem Stadtarchiv aber unentgeltlich. Rechts im Bild Dr. Burkhard Kunkel.
INFOBOX:
Wie geht es weiter mit der Gymnasialbibliothek?
Die Vorbereitungen einer Ausschreibung zur Reinigung der Stralsunder Gymnasialbibliothek sind abgeschlossen. Die Bestände stehen zum Transport in das Restaurierungsunternehmen bereit, das den entsprechenden Auftrag dazu erhalten wird.Nach ihrer Rückkehr werden die Bücher katalogisiert. Das Katalogisierungsprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Land und der Universitätsbibliothek Greifswald realisiert. In diesen Katalog – im Sinne einer genauen Inventur – werden die zurückgekehrten Exemplare (bisher sieben wertvolle und zum Teil einzigartige Exemplare) eingearbeitet. Seit Dezember des vergangenen Jahres werden bis heute Bücher der Stralsunder Gymnasialbibliothek durch Privatpersonen, Bibliotheken und Sammlungen zur Verfügung gestellt, die diese zuvor auf dem antiquarischen Buchmarkt erworben hatten. Zeitgleich laufen in Kooperation mit der Universität Marburg, dem Christianeum Hamburg sowie der Universitätsbibliothek Rostock Planungen zu einem wissenschaftlichen Erschließungsprojekt, in dessen Ergebnis erstmals eine umfassende Darstellung dieses bedeutenden Schatzes auch in Buchform erscheinen soll.
Bisher zurückgegeben wurden:
- Maximus von Tyrus, Sermones sive disputationes, 1557, Sign. B 53
- Ernst Zober, Urkundliche Geschichte des Stralsunder Gymnasiums 1860, Sign. H8° 20d
- Diogenes, De Vita et moribus… 1566, Sign. B 62
- Apollinarius, Versibus heroicis graec. Et. Lat., 1596, Sign. A 30
- Franz Schlosser (Drucker), Türkenkriege, Vnsers aller gnedigsten Herren Ferdinandi Römischen Königs etc. Mandat an die Fürsten zu Stettin Pommeren etc.1531, Sign. B8° 1327
- Konvolut von 12 Titeln aus der Gymnasialbibliothek, o. Sign.
- Biblia Damulica, Trankebar 1739, Sign. L 24, (Rückgabe zugesagt)
PS: Siehe auch die aktualisierte Chronologie der Stadt: http://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_B8D598E4238E4E09C1257ABF00448714?OpenDocument
Lehren aus der Causa Stralsund: Mehr Schutz für historische Bestände
Der folgende Text erschien zuerst in LIBREAS: Klaus Graf: Lehren aus der Causa Stralsund: Mehr Schutz für historische Bestände. In: LIBREAS.Library Ideas, Jg. 9, Heft 1 /Heft 22 (2013)
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:11-100208891 (PDF).
In der Stralsunder Archivsatzung aus dem Jahr 2002 heißt es: “Das Archiv- und Bibliotheksgut ist Kulturgut und unveräußerlich.” Auch das Archivgesetz von Mecklenburg-Vorpommern schreibt die Unveräußerlichkeit des öffentlichen Archivguts fest. Beide Normen haben den Hauptausschuss der Stralsunder Bürgerschaft nicht abgehalten, im Juni 2012 in nicht-öffentlicher Sitzung den um etliche regionale Titel verminderten Bestand der historischen Gymnasialbibliothek im Stadtarchiv Stralsund einem bayerischen Antiquar zu verkaufen. Falk Eisermann wurde auf eine entsprechende Pressemeldung zur Schließung des Stadtarchivs wegen Schimmelbefalls aufmerksam, ich hakte nach, erhielt die Bestätigung der Stadt und mobilisierte die Öffentlichkeit, nicht zuletzt in dem von mir betreuten Gemeinschaftsweblog “Archivalia”. [Fn 01] Nachdem zwei germanistische Fachgutachter, Nigel Palmer und Jürgen Wolf, die im “Handbuch der historischen Buchbestände” gewürdigte Büchersammlung des traditionsreichen Stralsunder Gymnasiums als erhaltenswerte wertvolle Gesamtheit einschätzten und auch das Innenministerium (als Kommunalaufsicht) und das Kultusministerium in dem Verkauf einen Verstoß gegen die Archivsatzung und das Archivgesetz sahen, revidierte die Stadtverwaltung ihre Position und holte die Bücher, soweit diese noch bei dem Antiquar greifbar waren, zurück. Die Leiterin des Stadtarchivs – sie soll die Gymnasialbibliothek als “totes Kapital” bezeichnet haben [Fn 02] – wurde fristlos entlassen. Vor allem durch eine Auktion bei dem Königsteiner Auktionshaus Reiss wurden wertvolle frühneuzeitliche Drucke unwiederbringlich in alle Welt zerstreut, darunter auch Bücher aus der Bibliothek des Stralsunder Poeten Zacharias Orth († 1579). [Fn 03] Nicht verwertbare Bücher, die zu stark beschädigt waren, hatte der Antiquar vernichtet.
“Lehren aus dem Karlsruher Kulturgutdebakel” habe ich 2007 in der “Kunstchronik” publiziert, [Fn 04] und was ich damals schrieb, ist unvermindert aktuell. Mein damaliger erster Punkt “Öffentlicher Druck ist wirkungsvoll!” wurde eindrucksvoll bestätigt. Hervorzuheben ist dabei die große Rolle der Social Media. [Fn 05] Eine Petition bei openpetition.de fand gut 3600 Unterstützer.
Man kann den Ausgang der Affäre, die viele Bibliothekare und Archivare schockiert hat, glimpflich nennen: Die Stadt Stralsund hat eingesehen, dass sie einen gravierenden Fehler begangen hat. Sie hat den Kauf rückabgewickelt und bemüht sich derzeit um die Wiederbeschaffung der bereits verkauften Titel. Doch sollte das nicht zu der Annahme verführen, mit dem Kulturgutschutz stehe es in deutschen Landen zum Besten. Nur Propheten können wissen, ob das Stralsunder Desaster als Abschreckung taugen wird oder ob angesichts klammer Stadt- oder Landeskassen vermehrt Kulturgutverkäufe zu erwarten sind. Ich möchte daher mit Nachdruck darauf hinweisen, dass es keine wirksame Lobby für historische Sammlungen gibt und die rechtlichen Rahmenbedingungen völlig unzureichend sind. Seit 1994 dokumentiere ich Kulturgutverluste, die das Versagen des Kulturgut- und Denkmalschutzes belegen. [Fn 06]
Es ist ein Unding, dass es so gut wie keine gesetzliche Sicherung gegen den Ausverkauf kommunalen Kulturguts gibt. Noch am ehesten kann bei Archivgut der Veräußerung Einhalt geboten werden, schutzlos sind Sammlungen in Bibliotheken und Museen. Die früheren kommunalrechtlichen Genehmigungsvorbehalte, die die Veräußerung von Kulturgütern der staatlichen Kontrolle unterstellte, wurden weitgehend beseitigt. In § 90 der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung erhielt sich eine solche Vorschrift. Absatz 3 lautet: “Die Gemeinde bedarf der Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde, wenn sie über bewegliche Sachen, die einen besonderen wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert haben, verfügen oder solche Sachen wesentlich verändern will. Die Gemeinde bedarf abweichend von Satz 1 keiner Genehmigung, wenn diese Sachen an andere schleswig-holsteinische kommunale Körperschaften oder das Land Schleswig-Holstein veräußert werden.” Die wertvollen Altbestände der historischen Stadtbibliotheken oder kommunales Museumsgut dürfen ohne Weiteres in den Handel gegeben werden, da sie weder unter Denkmalschutz stehen, noch als nationales Kulturgut eingetragen sind.
2006 wurde durch das Städtische Museum Schwäbisch Gmünd der Verkauf einer als Schenkung in die Institution gelangten Zinnfigurensammlung angekündigt. Obwohl erhebliche Zweifel am Vorgehen des Museums bestanden, [Fn 07] wollte die Kommunalaufsicht das Vorgehen des Museums nicht beanstanden: “Für uns ergeben sich keine Hinweise auf eine besondere wissenschaftliche, künstlerische oder heimatgeschichtliche Bedeutung und auf eine besondere Beziehung zum Kulturbereich des Landes. Eine Eintragung in das Denkmalbuch als Kulturdenkmal kam also nicht in Frage. Nur in diesem Falle bedarf eine Entfernung von Einzelsachen aus der Sammlung einer Genehmigung. Beim ‚Code of Ethics for Museums’ des Internationalen Museumsrates (IOCM) handelt es sich um eine Selbstbindungsrichtlinie. Ein evtl. Verstoß gegen diese Empfehlungen zieht keine Konsequenzen nach sich.” [Fn 08] Aus meiner Sicht ist der Schutz beweglicher Kulturdenkmale in allen Bundesländern aufgrund viel zu hoher Hürden nur als ganz und gar inakzeptabel zu bezeichnen. Es stünde einem Kulturstaat gut an, anstelle des überflüssigen Schutzes der “kleinen Münze” im Urheberrecht endlich die kleine Münze bei beweglichen Denkmälern anzuerkennen. Während man an der untersten Grenze des Urheberrechtsschutzes (sogenannte “kleine Münze”) großzügig ist und selbst das bescheidene Wegekreuz als Kleindenkmal oder den Hufnagel im Waldboden als Zeugnis für eine einstige Römerstraße und archäologische Quelle schützt, bleiben hochrangige Bibliothek-Ensembles vom Denkmalschutz “verschont”. Der Schutz der kleinen Münze könnte bei Kulturgut beispielsweise bedeuten, dass man Eigentümern verbietet, mittelalterliche oder frühneuzeitliche illuminierte Handschriften aufzubrechen, damit die einzelnen Blätter gewinnbringend verkauft werden können.
In Nordrhein-Westfalen wären die Stralsunder Verkäufe ganz legal gewesen, da man hier bei der Novellierung des Archivgesetzes unsinnigerweise die Ausnahmeregelung für die Kommunen (und Universitäten) bei Sammlungsgut beibehalten hat. Unveräußerlich ist nur das umgewidmete amtliche Registraturgut. Sammlungen oder Nachlässe dürfen also in Nordrhein-Westfalen von den Archiven verkauft werden. [Fn 09] Auf Anfrage im Jahr 2009 wurde mir dazu mitgeteilt: “Aus Sicht der Landesregierung soll es der Wertung der kommunalen Selbstverwaltung uneingeschränkt obliegen, ausnahmsweise bestimmtes Archivgut, das nicht aus Verwaltungshandeln öffentlicher Stellen stammt, veräußern zu können.” [Fn 10]
Die Stralsunder Archivbibliothek zählt zu den vier ganz großen Altbestandsbibliotheken in Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch viele andere Archivbibliotheken bergen erhaltenswerte Sammlungen, die nicht selten vernachlässigt werden. Selbst wenn es im jeweiligen Archivgesetz eine Unveräußerlichkeits-Klausel für Archivgut gibt, können verkaufswillige Archivare und Archivträger zwei Ausflüchte anführen:
- Bibliotheksgut ist als Sammlungsgut kein “eigentliches” Archivgut und fällt daher nicht unter die gesetzliche Regelung für Archivgut.
- Selbstverständlich darf man “Dubletten” und für den Sammlungsauftrag des Archivs wertlose Bücher verkaufen, ohne gegen die Unveräußerlichkeit zu verstoßen.
Ich möchte die Hand nicht ins Feuer legen, dass es nicht nur vereinzelte Archivare gibt, die mit dem Argument “Sind doch nur gedruckte Bücher und keine Handschriften” Teile ihrer Dienstbibliotheken zu Antiquaren bringen und so den historischen Provenienzen in ihrer Sammlung Schaden zufügen. Schon der Vorgänger der geschassten Stralsunder Archivleiterin hatte ja mit dem Verscherbeln von Büchern begonnen. Er hat seine Nachfolgerin auch öffentlich in Schutz genommen.
Während Verkäufe im Museumsbereich in Deutschland noch weitgehend ein Tabu sind, herrscht in den USA eine Kultur der “deaccession”, die unbekümmert in den Markt gibt, was über Generationen bewahrt wurde. Kritiker meinen zwar, dass solche Bestände als Teil eines “Public Trust” zu verstehen seien, der treuhänderisch für die Öffentlichkeit erhalten werden müsse, [Fn 11] aber sie sind in der Minderheit. Es steht zu befürchten, dass eine solche Mentalität auch in Deutschland Boden gewinnen wird.
Warum sind Verkäufe von Beständen aus kulturgutverwahrenden Institutionen von Übel?
Erstens: Archive, Bibliotheken, Museen und andere Sammlungen (wie zum Beispiel die der Denkmalämter) haben eine Archivfunktion. Sie sind als Gedächtnisinstitutionen Teil des kulturellen Gedächtnisses und sollen ihre Kulturgüter dauerhaft bewahren. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber leider nur für die Archive.
Zweitens: Die Gedächtnisinstitutionen sichern Geschichtsquellen und machen sie für Wissenschaft und Öffentlichkeit nutzbar. Um einen möglichst hohen Erlös zu erzielen, müssen sich verkaufswillige Institutionen an die Auktionshäuser wenden, die nicht derjenigen Institution den Zuschlag erteilen, in der das veräußerte Kulturgut am besten untergebracht ist, sondern demjenigen Bieter, der die höchste Summe zahlt. Unzählige für die Öffentlichkeit bedeutsame Kulturgüter verschwinden jährlich unzugänglich in Privatsammlungen. Wenn es bei solchen privaten Sammlungen die gleichen Möglichkeiten gäbe, die Stücke einzusehen, wie in öffentlichen Sammlungen, müsste man sich wenig Gedanken machen, aber das ist nun einmal nicht der Fall. Werden historische Sammlungen zerrissen, werden schützenswerte Geschichtsquellen zerstört, die nicht weniger Erkenntnisse über die Geschichte unserer Kultur vermitteln als archäologische Grabungen. Eine Dokumentation vor der Zerstörung, wie sie in der Boden- und Baudenkmalpflege üblich ist (mitunter auf Kosten des Bauherrn), kennt der Kulturgutschutz nicht. Man kann es Juristen überlassen zu überlegen, ob man die Pflicht des Staates, solche Geschichtsquellen für Wissenschaft und Öffentlichkeit zu bewahren, aus dem Kulturstaatsprinzip oder dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ableitet. Entscheidend ist, dass sich an der Praxis des Wegschauens, wenn hochrangige Sammlungen zerstückelt werden, etwas ändert, und dass man den Denkmalschutz bei beweglichen Kulturdenkmalen radikal ausweitet.
Drittens: Großzügige Stifter haben die Gedächtnisinstitutionen in der Regel deshalb mit Schenkungen bedacht, damit ihre Stücke dauerhaft als eine Art Denkmal der Stifter erhalten bleiben. Es verstößt eklatant gegen den Vertrauensschutz, wenn man sich nun von den einstigen Schenkungen trennt und sie zu Geld macht. Potentielle Mäzene, die mit der erwähnten Mentalität in den USA Probleme haben, werden abgeschreckt. Sammler, Familien und private Vereine sollten es sich gut überlegen, ob sie ihre Kulturgüter ohne Auflagen öffentlichen Sammlungen als Schenkung überlassen. Möglicherweise ist es sinnvoller, sie in eine Stiftung einzubringen, die sie als Dauerleihgabe an ein Archiv, eine Bibliothek oder ein Museum gibt. Voraussetzung ist freilich, dass die staatliche Stiftungsaufsicht funktioniert. Bei dem Karlsruher Kulturgüterskandal konnte davon keine Rede sein. Bürgerinnen und Bürger müssen sowohl im Stiftungsrecht als auch im Denkmal- und Kulturschutzrecht die Möglichkeit haben, alle Entscheidungen der Behörden zu kontrollieren. Derzeit ist vor allem an eine gerichtliche Kontrolle zu denken. Es muss also analog zum Naturschutzrecht die Möglichkeit einer Verbandsklage gegeben sein.
Zur bürgerschaftlichen Kontrolle gehört auch eine stärkere Verwaltungstransparenz. Die Stadt Stralsund hat entscheidende Sachverhalte der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten, insbesondere den Kaufpreis des im Sommer 2012 verkauften Buchbestandes (angeblich 95.000 Euro). Meine Versuche, dies durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit korrigieren zu lassen, wurden im Eilverfahren abgeschmettert. Das Oberverwaltungsgericht in Greifswald befand letztinstanzlich, dass mein Weblog “Archivalia” kein redaktionell-journalistisches Angebot sei, da eine redaktionelle Prüfung der Beiträge nicht stattfinde. Dass dabei mein Grundrecht der Pressefreiheit als Rechercheur mit Füßen getreten wird, nimmt das Gericht in Kauf. Bleibt es bei dem jetzigen hohen Ansatz des Streitwerts, haben mich die beiden Verfahren zusammen etwa 800 Euro gekostet.
Wäre es sinnvoll, eine Unveräußerlichkeitsklausel in Bibliotheksgesetze einzubauen? Oder sollte man öffentliche Sammlungen verstärkt in das Verzeichnis nationaler Kulturgüter aufnehmen? Beides kann nicht schaden, bringt aber keine entscheidenden Verbesserungen.
Sinnvoll ist nur ein gesetzlicher Schutz, der alle erhaltenswerten Sammlungstypen umfasst. Ein Bibliotheksgesetz hat keine Auswirkungen auf den Museumsbereich. Dass die Liste des national wertvollen Kulturguts im Land Mecklenburg-Vorpommern leer ist, hat man zu Recht anlässlich der Causa Stralsund angemerkt. Diese Kulturgutliste ist nach wie vor eine virtuelle Kunst- und Wunderkammer der Bundesrepublik, über die man sich nur wundern kann. Entscheidend ist, dass dieser Kulturgutschutz keinerlei Sammlungsschutz bewirkt. Ein Einzelverkauf der Sammlungsgegenstände im Inland könnte nicht verhindert werden.
Es spricht also alles dafür, an der Systemstelle anzusetzen, bei der es um den Erhalt von Sachen und Sachgesamtheiten geht, an deren Bewahrung aus wissenschaftlichen, heimatgeschichtlichen oder künstlerischen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Also bei dem in den Denkmalgesetzen geregelten Denkmalschutz, der im Prinzip ja auch bewegliche Kulturdenkmale für die Nachwelt sichern soll. Die Entscheidung über den Ausfuhrschutz national wertvollen Kulturguts sollte der Ministerialbürokratie weggenommen und den Denkmalämtern übertragen werden. Jedes national wertvolle Kulturgut muss zugleich auf der Denkmalliste des jeweiligen Landes stehen. Der auf Archäologie und Baudenkmalpflege beschränkte Denkmalschutz muss erweitert werden, wobei eine solche Aufgabenausweitung angesichts des rauen Winds, der der Denkmalpflege zunehmend ins Gesicht weht, derzeit eine reine Illusion darstellt. Die Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen kämpft 2013 mit massiven Mittelkürzungen.
Soweit Denkmalgesetze wie in Nordrhein-Westfalen oder Mecklenburg-Vorpommern Archivgut aus ihrem Geltungsbereich ausnehmen, sollte das rasch geändert werden. Auch bei Archivgut muss es die Möglichkeiten der denkmalschutzrechtlichen Eingriffsverwaltung, zum Beispiel eine vorläufige Unterschutzstellung bei Gefahr im Verzug geben. Es ist nicht hinnehmbar, dass private Archiveigentümer mit ihrem Archivgut Handlungsfreiheit haben, wenn es sich um Kulturgut, also kulturelles Allgemeingut handelt. Wenn sich ein westfälischer Landjunker entschließt, mit seinem Archiv ein Feuerchen auf dem Schlosshof zu machen, wird man ihn womöglich immissionsrechtlich belangen können, aber Denkmalschutz und Kulturgutschutz sind machtlos.
Es sei noch angefügt, dass die reine Existenz wertvoller Sammlungen für das öffentliche Interesse an ihrem Erhalt nicht ausreicht. Sie müssen auch gepflegt und angemessen nutzbar sein. Durch Kooperationen und Beratungsleistungen muss verhindert werden, dass wertvolle Bibliotheken – seien es öffentliche wie die Stralsunder Stadtarchivbibliothek, seien es private Adelsbibliotheken – verschimmeln und zugrunde gehen. Und die Kulturgüter müssen auch der Allgemeinheit (ebenso wie der Wissenschaft) zur Nutzung angeboten werden, wobei im digitalen Zeitalter vor allem an Digitalisierung und freie Nachnutzbarkeit als Open Data zu denken ist. “Kulturgut muss frei sein”. [Fn 12]
Als Fazit muss man leider konstatieren, dass die Rahmenbedingungen für den Kulturgutschutz eher schlecht sind, obwohl wir dringend mehr Schutz bräuchten. Der Staat zieht sich aus der Kultur zurück, man kann auch sagen: Er spart sie kaputt. Auf die Politik ist wenig Hoffnung zu setzen, denn Banausen wie in der Stralsunder Bürgerschaft kann es auch in einer Landesregierung geben. Unvergessen ist das Diktum des baden-württembergischen Justizministers, der 2006 im Karlsruher Kulturgutstreit angesichts der unersetzlichen Handschriften der Badischen Landesbibliothek von “altem Papier, das im Keller liegt”, sprach. [Fn 13] Also Resignation? Nicht unbedingt. Wenn der Kulturgutschutz nicht ganz ausgehöhlt werden soll, ist es erforderlich, dass in diesem Bereich die Bürgergesellschaft mehr Verantwortung übernimmt. Sie muss sich weit mehr als bisher einmischen und über Stiftungsgelder oder Crowdfunding alternative Finanzierungsmöglichkeiten anbieten. Den Social Media kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Sie können die Öffentlichkeit bei Missständen mobilisieren, zugleich aber auch für den kulturellen Wert der in den Gedächtnisinstitutionen verwahrten Zeugnisse der Geschichte und Kunst werben. Die Bürgergesellschaft muss also weit mehr als bisher aktiv in die “Überlieferungsbildung”, also die Arbeit am kulturellen Gedächtnis und die damit zusammenhängenden Bewertungsprozesse, einbezogen werden.
Fußnoten
[01] Vgl. für einen Überblick zum Sachverhalt neben den vielen Beitragen auf „Archivalia“ (auffindbar via Stichwortsuche nach “Stralsund”: http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund) die zusammenfassenden Beiträge im “Weblog Kulturgut” (http://kulturgut.hypotheses.org/category/bibliotheken/stralsund) sowie explizit Graf, Klaus: Causa Stralsund, in: L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, 13.11.2012, abgerufen am 24.04.2013, http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4101. [zurück]
[02] Vgl. Müller-Ulrich, Burkhard; Marx, Peter: Stralsund will historischen Bibliotheksbestand zurückkaufen – 6210 Bücher waren abgegeben worden, in: Deutschlandfunk – Kultur heute, 21.11.2012, abgerufen am 24.04.2013, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1928683/. [zurück]
[03] Vgl. Graf, Klaus: Causa Stralsund: Kepler-Druck aus der Gymnasialbibliothek Stralsund am 30. Oktober für 44.000 Euro bei Reiss verauktioniert, in: “Archivalia”, 20.11.2012, abgerufen am 24.04.2013,http://archiv.twoday.net/stories/219022356/. [zurück]
[04] Vgl. Graf, Klaus: Lehren aus dem Karlsruher Kulturgutdebakel 2006, in: “Archivalia”, 06.02.2007, abgerufen am 24.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/3287721/. [zurück]
[05] Siehe auch den Kommentar von: Schmalenstroer, Michael: Die Stralsunder Gymnasialbibliothek ist gerettet, in: Schmalenstroer.net, 21.11.2012, abgerufen am 24.04.2013, http://schmalenstroer.net/blog/2012/11/die-stralsunder-gymnasialbibliothek-ist-gerettet/. [zurück]
[06] Vgl. die Links via https://docs.google.com/document/d/1j2fQxZxJir1mTytZ0EMpTFZGVW6aDbi96Db3cdC2a-U/, abgerufen am 24.04.2013. [zurück]
[07] Vgl.: Graf, Klaus: Museum Schwäbisch Gmünd verscherbelt Museumsgut, in: “Archivalia”, 09.12.2006, abgerufen am 24.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/3043380/. [zurück]
[08] Vgl.: Nachtrag zu: Graf, Klaus: Museum Schwäbisch Gmünd verscherbelt Museumsgut, in: “Archivalia”, 09.12.2006, abgerufen am 27.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/3043380/. Nachträglich wurde mir der Bericht über die Tagung des Museumsverbands Mecklenburg-Vorpommern am 28./29.4.2013 in Wismar bekannt, auf der darauf hingewiesen wurde, “dass Kulturgüter in öffentlichen Sammlungen in Mecklenburg-Vorpommern gesetzlich nicht ausreichend geschützt seien. So sei nicht geregelt, unter welchen Umständen Museen Kulturgüter überhaupt abgeben dürfen.” Besserer Schutz für Kulturgüter gefordert, in: ndr.de, 28.4.2013, abgerufen am 30.04.2013 http://www.ndr.de/regional/mecklenburg-vorpommern/kulturgueter101.html. [zurück]
[09] Siehe zur Diskussion die einschlägigen “Archivalia”-Beiträge durch eine Stichwortsuche nach “Sammlungsgut” und “NRW” http://archiv.twoday.net/search?q=sammlungsgut+nrw. [zurück]
[10] Vgl. Graf, Klaus: Archivgesetz NRW: Stadtarchive und Uniarchive sollen Archivgut verscherbeln dürfen, in: “Archivalia”, 30.11.2009, abgerufen am 24.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/6070626/. [zurück]
[11] The Art Law Blog, abgerufen am 24.04.2013, http://theartlawblog.blogspot.de/ passim. [zurück]
[12] Vgl. Graf, Klaus: Kulturgut muss frei sein!, in: “Archivalia”, 24.11.2007, abgerufen am 24.04.2013,http://archiv.twoday.net/stories/4477824/. [zurück]
[13] Vgl. Raffelt, Albert: Der “badische Kulturgüterstreit” – eine erste Zwischenbilanz. In: Sühl-Strohmenger, Wilfried [u.a.]: EUCOR-Bibliotheksinformationen – Informations des bibliothèques, 29(2007), pp. 26-29, abgerufen am 24.04.2013, http://www.ub.uni-freiburg.de/fileadmin/ub/eucor_infos/pdf/eucor-29.pdf. [zurück]
Dr. Klaus Graf ist Historiker und Archivar, als solcher unter anderem als Geschäftsführer am Hochschularchiv der RWTH Aachen sowie als Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Freiburg im Breisgau und am Lehr- und Forschungsgebiet Frühe Neuzeit der RWTH Aachen, tätig. Über die historiographische und archivalische Arbeit hinaus beschäftigt sich Klaus Graf intensiv publizistisch mit Themen wie Urheberrecht und Open Access, insbesondere in Zusammenhang mit Kulturgütern. Das von ihm maßgeblich inhaltlich geprägte Weblog Archivalia ist weit über Fachgrenzen hinaus bekannt.
Der Beitrag als PDF: http://edoc.hu-berlin.de/libreas/22/graf-klaus-4/PDF/graf.pdf . Er steht unter CC-BY.
Folgen der Causa Stralsund: Museumsverband Mecklenburg-Vorpommern fordert besseren Schutz für Kulturgüter
Als Reaktion auf die Verkäufe aus dem Stadtarchiv Stralsund (siehe unsere Beiträge) hat sich der Museumsverband Mecklenburg-Vorpommern für einen besseren gesetzlichen Schutz der Kulturgüter der öffentlichen Hand ausgesprochen, meldet der NDR: “Auf einer Tagung in Wismar nahm der Landesmuseumsverband den Verkauf zum Anlass, um seine 190 Mitglieder zu einem besseren Schutz ihrer Objekte aufzufordern. Der Verbandsvorsitzende Steffen Stuth wies darauf hin, dass Kulturgüter in öffentlichen Sammlungen in Mecklenburg-Vorpommern gesetzlich nicht ausreichend geschützt seien. So sei nicht geregelt, unter welchen Umständen Museen Kulturgüter überhaupt abgeben dürfen.”
Der jetzt in Speyer tätige Bibliothekar Armin Schlechter, der sich dort rührig um die dortige Gymnasialbibliothek bemüht und schon 2002 Bemerkenswertes über den Ensemblewert von Büchersammlungen schrieb, hat im “Bibliotheksdienst” (2013, S. 97-101, erst in einem Jahr frei zugänglich) einen Beitrag “Zum Verkauf der Stralsunder Gymnasialbibliothek” vorgelegt. Er schreibt: “Auf der Ebene der Bestandserhaltung ist deutlich zu erkennen, dass die Bestände des Stralsunder Stadtarchivs, im konkreten Fall der Gymnasialbibliothek seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in keiner Weise adäquat aufbewahrt worden sind. Entlarvend ist auch folgender in der Beschreibung der nun verkauften Sammlung im ‚Handbuch‘ verborgener Satz aus dem Jahr 1995: ‚Eine Aufnahme in den alphabetischen Katalog der Archivbibliothek steht noch aus‘. Offensichtlich gab es nach der Übernahme der Sammlung keinerlei Initiativen, diese auch zu erschließen. Aufgrund dieses Versäumnisses ist sie zu einer nicht benutzbaren und damit toten Bibliothek herabgesunken, ein weiterer Schritt hin zu ihrem Untergang. Anstatt diese Missstände zu beheben, was natürlich erhebliche Mittel gebunden hätte, wurde das Problem im wahrsten Sinne des Wortes zu entsorgen gesucht, ein in Zeiten moderner Kommunikation allerdings reichlich naives Unterfangen. Bei diesem Schritt spielte weiter das Unvermögen eine Rolle, in der Gymnasialbibliothek mehr zu sehen als ein Konglomerat von alten Büchern, nämlich ein gewachsenes Ensemble mit einem intrinsischen Wert, das in genau diesem Aggregatzustand eine unwiederbringliche Quelle für die Stralsunder Regionalgeschichte ist, wie dies ansatzweise schon 1995 im ‚Handbuch der Historischen Buchbestände in Deutschland‘ niedergelegt worden war. Der Stadt Stralsund muss zugestanden werden, dass sie auf die eindeutigen Äußerungen der Fachwelt reagiert, unabhängige Gutachter eingeschaltet und den Verkauf rückabgewickelt hat, so dass ‚nur‘ eine Verlustquote von 10 % zu beklagen ist. Schlagartig bekannt wurden durch diese Angelegenheit die unhaltbaren Aufbewahrungsbedingungen im Stadtarchiv Stralsund und die bereits eingetretenen massiven Schäden an den Beständen, was zu ganz erheblichen Folgekosten führen wird. An der Stadt Stralsund bleibt allerdings der Vorwurf hängen, dass mit der Gymnasialbibliothek nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch durch die Entscheidung vom Juni 2012, die eine Kumulation auch älterer Versäumnisse darstellt, völlig unprofessionell umgegangen worden ist. Auch wurde nicht versucht, vor einem Verkauf Kontakt zu einschlägigen, mit Altbeständen befassten bibliothekarischen Gremien aufzunehmen. Aus bibliothekarischer Sicht muss immer wieder die Forderung nach der Erhaltung aller Buchensembles, die in dieser Form einen spezifischen Quellenwert haben, erhoben werden”. Dem kann man nur zustimmen.
Nur die Antiquare haben anscheinend nichts aus dem Schlamassel gelernt. Die Erwiderung von Christian Hesse, Vorsitzender des Verbands Deutscher Antiquare e.V., auf einen FAZ-Artikel von Regina Mönch, nimmt den Antiquar Peter Hassold, der die Stralsunder Bücher angekauft hatte, in Schutz: “Die in unserem Verband organisierten Antiquare, allesamt renommierte Fachleute, zu denen auch Peter Hassold und die von Frau Mönch ungenannt desavouierten Auktionatoren zählen, handeln nach den weitreichenden Regeln des »Code of Ethics« der ILAB (International League of Antiquarian Booksellers).” Offenkundig sind diese Regeln alles andere als weitreichend, sondern völlig unzulänglich, da sie es ermöglichen, eine herausragende Geschichtsquelle zu zerstören.
Was hatte Frau Mönch in ihrem leider nicht online verfügbaren Artikel (FAZ vom 03.04.2013, S. N5) geschrieben? Es wird deutlich, wie sehr “dieser leichtfertige Kulturfrevel” die FAZ-Redakteurin abgestoßen hat (zu einem früheren Artikel von Frau Mönch siehe Archivalia). Zutreffend ist ihre Kritik am ehemaligen Archivleiter: “Der Vorgänger jener handelsfreudigen Archivchefin in Stralsund – beide begannen ihre Archivkarriere als Leiter der Abteilung Sozialismus – verteidigte den Verkauf in Interviews noch lange, er sei für die Stadt wirklich kein „kultureller Verlust“, auch habe sich ja niemand dafür interessiert. Er faselte etwas von „Dubletten“, für Fachleute eine Lüge oder Ausdruck eklatanter Unwissenheit.”
Über das dubiose Vorgehen des Antiquars liest man bei Mönch: “ Inzwischen haben auch einige Stralsunder Bürger Bücher zurück ersteigert und der Historischen Bibliothek übergeben – ein mäzenatischer Brauch, der das Wachsen der Sammlungen über Jahrhunderte möglich machte und fast der vollständigen Vergessenheit anheimgefallen war. Leider hatte der seltsame Antiquar, der diesen Schatz zu Dumpingpreisen erwarb, die kostbarsten Bücher längst weiterverkauft, an große Auktionshäuser, die sie ohne eindeutige Angaben zur zweifelhaften Provenienz gewinnbringend versteigerten. Einige Käufer bestanden auf einer Rücknahme, als sie die Herkunft erkannten, bei anderen, vor allem Auktionshäusern, obsiegte der Geschäftssinn und eine laxe Moral über eigentlich klare Spielregeln. Einige Bücher, wie viele und welche, ist immer noch unklar, hatte der Antiquar jedoch „aufgrund des sehr schlechten Zustandes“ selbst vernichtet. War die Fachwelt an sich schon geschockt, machte diese Mitteilung nur noch sprachlos.” Was ist daran falsch? 95.000 Euro für einen hochwertigen Buchbestand scheint mir sehr wohl ein Dumpingpreis zu sein, wenn man bedenkt, was ich zu den Ergebnissen der Reiss-Auktion in Archivalia vom 20. November 2012 schrieb. Die Presse hat von meinen Ergebnissen keine Notiz genommen, da etwa gleichzeitig die Stadt Stralsund öffentlich den Rückwärtsgang einlegte. Allein der Kepler-Druck aus der Gymnasialbibliothek erbrachte 44.000 Euro. Eine sehr rohe Schätzung ergab als hypothetischen Erlös bei der Reiss-Auktion gut 140.000 Euro. Und es ist eine Tatsache, dass die Auktionshäuser Reiss sowie Zisska und Schauer, die skrupellos kostbare Drucke aus dem Stadtarchiv Stralsund in alle Welt verstreuten, die Provenienz Stadtarchiv Stralsund fast immer verschwiegen haben. Ein ehrenwertes Gewerbe?
Fachzeitschriftenartikel zum Fall “Stadtarchiv Stralsund”
Sehr geehrte Leser_Innen,
ein Fachzeitschriftenartikel zum Fall “Stadtarchiv Stralsund”.
Der Ausverkauf der Gymnasialbibliothek im Stadtarchiv Stralsund
Von Philipp Maaß unter Mitarbeit von Klaus Graf
Erschienen in: BuB : Forum Bibliothek und Information ; Fachzeitschrift des BIB, Berufsverband Information Bibliothek e.V Vol. 65, No. 2 (2013), p. 84-86
Am 5. Juni 2012 hat die Hansestadt Stralsund per Beschluss im nichtöffentlichen Teil des Hauptausschusses 5926 Bände der historischen Bibliothek des Stadtarchivs, nämlich den Teilbestand Gymnasialbibliothek, an den Antiquar Peter Hassold aus Dinkelscherben verkauft. Wir wollen in diesem Artikel eine kurze Chronologie der Ereignisse (Stand: 20. Dezember 2012) zeichnen und auch aufzeigen, wie derlei Kulturgutverlusten in Zukunft begegnet werden kann. Noch kann von einer umfassenden Aufklärung des Geschehens keine Rede sein. Das folgende ist also eher eine Zwischenbilanz als eine abschließende Bewertung der Affäre.
“Kulturgut ist unveräußerlich” (Satzung des Stadtarchivs Stralsund 2002)
“1984 – 2009 [...] war ich hier beschäftigt und kann mit ganz großer Ruhe sagen, in dieser Zeit ist kein Buch ein einziges Mal einem Benutzer vorgelegt worden, weil kein Benutzer danach verlangt hat. Hans-Joachim Hacker” (Ehemaliger Leiter des Stadtarchivs)
Eigentlich weiß man gar nicht so genau ,wo man anfangen soll: Bei den befremdlichen Äußerungen eines langjährigen Archivchefs einer Weltkulturerbe-Stadt zur mangelnden Nachfrage nach Büchern der Gymnasialbibliothek Stralsund? Beim Oberbürgermeister der Stadt Stralsund, der sich 2004 von seinem Stadtarchivar Hacker für sein Empfangszimmer 1090 historische Bände, unter anderem eine in plattdeutsch gedruckte Bibel von 1588, als dekorativen Raumschmuck bereitstellen ließ? Oder vielleicht beim Antiquar Peter Hassold, der einerseits ständig in den Medien die Rechtmäßigkeit seiner Geschäfte betont, andererseits bereit war, dem Stadtarchiv eine Honorarkraft zu finanzieren, um sich dann aus den Sammlungen bedienen zu dürfen?
Für die Fachwelt begann alles mit einem Kommentar von Falk Eisermann, Leiter des “Gesamtkatalogs der Wiegendrucke” an der Staatsbibliothek Berlin, in dem Blog “Archivalia” am 22. Oktober 2012. Er war in einer Pressemeldung der Stadt Stralsund auf die Erwähnung der “Veräußerung eines Teilbestandes der ehemaligen Gymnasialbibliothek” aufmerksam geworden. Eigentlich ging es im Beitrag nur um die Schließung des Archivs wegen Schimmelbefalls. Klaus Graf, der das Blog Archivalia betreibt und sich seit vielen Jahren mit Kulturgutverlusten beschäftigt, ging daraufhin der Sache auf den Grund und hakte bei der Stadt Stralsund nach. Der Pressesprecher der Stadt bestätigte am 30. Oktober den Verkauf der gesamten Gymnasialbibliothek an “einen Antiquar”. Mehr dürfe er nicht preisgeben, da es sich um “schutzwürdige Interessen” handele.
Mittlerweile tauchten auch in den einschlägigen Portalen (Abebooks, ZVAB, Ebay usw.) erstaunlich viele Bände mit dem Besitzstempel des Stralsunder Stadtarchivs auf. Dabei handelte es sich teilweise um Pomeranica mit keinerlei (zumindest elektronischem) Nachweis in Deutschland und sogar um Bücher aus der bedeutenden Löwen’schen Sammlung. In der bibliothekarischen Mailingliste “Inetbib” machte Graf auf die unglaublichen Vorgänge aufmerksam. Ich kontaktierte ihn daraufhin, um eine Petition zu verfassen, die den Protest bündeln sollte. Es folgten eine Reihe von Protestnoten anerkannter Wissenschaftler und Pressemitteilungen von Berufsverbänden (u.a. VdA , VDB – BIB äußerte sich leider nicht) sowie nicht zuletzt zahlreiche Unterschriften unter die Petition. In den nächsten Tagen war in überregionalen Tageszeitungen (u.a. FAZ, Süddeutsche Zeitung: “Vergessen, Verschimmelt, Verscherbelt”) vom “Stralsunder Bücherausverkauf” zu lesen. Die Stadt versprach daraufhin Aufklärung und setzte zwei renommierte Germanisten, Nigel Palmer und Jürgen Wolf, als externe Gutachterkommission ein, die zu dem Ergebnis kam, dass es sich bei dem Buchverkauf wohl doch nicht um einen “wertlosen Bestand” (Hacker) handele. Gerade als Ensemble, als geschlossenes Ganzes sei sie von großer Bedeutung für die Stadt- und Regionalgeschichte und eine wichtige Quelle der Bildungsgeschichte.
Die Stadt legte den Rückwärtsgang ein und versprach, den Verkauf umgehend rückgängig zu machen. Hassold zeigte sich generös und gab die noch nicht verkauften 5.278 Bände an die Stadt Stralsund zurück, wo sie momentan in “Thermo-Containern” aufbewahrt werden. Einen Teil hat der Antiquar als unverkäuflich vernichtet.
Ein von uns vermitteltes Angebot der Universitätsbibliothek Greifswald, den Rückkauf treuhänderisch zu verwalten und die Bände elektronisch zu erfassen sowie eine Erstrestaurierung durchzuführen, wurde aus uns nicht bekannten Gründen von der Stadt abgelehnt.
Die Archivleiterin Frau Nehmzow, die den Verkauf fachlich verantwortet hatte, wurde fristlos entlassen. Man erfuhr, der Verkauf von angeblichen “Dubletten” sei seit den 1990er Jahren gängige Praxis gewesen, um damit die “historischen Buchsammlungen erhalten zu können” da von der Stadt keine finanziellen Mittel zu bekommen waren. Auch Förderanträge an das Land seien mit der Begründung, es seien keine Bestände mit landesweiter Bedeutung, abgelehnt worden.
Mittlerweile hat die Stadt Strafannzeige gegen Frau Nehmzow gestellt: Im März diesen Jahres verkaufte sie für 20.000 € rund 1000 Bücher aus dem Stadtarchiv ohne Genehmigung. Der Vize-Oberbürgermeister der Stadt, Holger Albrecht, wurde von Frau Nehmzow beschuldigt, von den Verkäufen gewusst zu haben. Er wies die Vorwurfe zurück, was von Teilen der Stralsunder Bürgerschaft bezweifelt wird. Am 13. Dezember 2012 wurde laut Ostsee-Zeitung bekannt, dass der Antiquar Hassold eine Honorarkraft im Archiv bezahlte, ohne dass die Stelle von der Stadt genehmigt worden sei. Hassold habe sich dafür im März diesen Jahres 151 Bände aus dem wertvollen Pomeranica-Bestand des Stadtarchivs aussuchen dürfen.
Die maßgebliche Initiative der “Kampagne” zum Erhalt der Gymnasialbibliothek kam von Klaus Graf. Eine sehr heterogene kleine Gruppe Interessierter fand sich zuerst in einem Mail-Verteiler zusammen. Es entstand eine Facebookseite, die zusammen mit anderen Social Media den Druck auf die Stadt erhöhten und als Austausch- und Kommunikationsplattform diente. Die Presseartikel zur Thematik wurden von uns gesammelt, und die Angebote der Antiquare zur späteren Identifizierung der Bände systematisch abgespeichert. Zwei Wikipedianer legten Artikel in der Wikipedia an, z.B. zum Stralsunder Gymnasium. Es war eine Kulturgutschutz-Kampagne, die nicht zuletzt mit Hilfe der Social Media erfolgreich war.
Damit die so geschaffene Infrastruktur auch bei künftigen Aktionen, mit denen man im Kulturgutbereich ja rechnen muss, zur Verfügung steht, haben wir beschlossen, uns als “Arbeitsgemeinschaft Kulturgut bewahren” zu organisieren.
Auch wenn der Ausgang der “Causa Stralsund” ein deutliches Warnsignal an alle Stadtkämmerer aussendet, die mit dem Gedanken spielen, kommunale Kulturgüter zu verkaufen, bleibt noch viel zu tun.
Bei allen, auch den kleinen Altbestands-Sammlungen muss sich die Überzeugung durchsetzen, dass es vor 1850 eigentlich keine “Dubletten” gibt, weil durch individuelle Provenienzmerkmale oder Druckvarianten keine Doppelstücke vorliegen. Hier muss die Position der “Schriftliches Kulturgut erhalten” in ihrer Denkschrift von 2009 immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Wie wenig man auf die Durchsetzung buchhistorischer Binsenweisenheiten in der bibliothekarischen Praxis vertrauen darf, zeigt die Rechtfertigung der skandalösen Eichstätter Verkäufe frühneuzeitlicher Drucke aus Kapuzinerbibliotheken durch die Bayerische Staatsbibliothek in einem Untersuchungsbericht. Im November 2006 fand das Salzburger Benediktinerstift St. Peter nichts dabei, sogenannte Dubletten von Drucken seit dem 16. Jahrhundert zu versteigern.
In die Stralsunder Petition haben wir bewusst auch allgemeine Forderungen aufgenommen:
“Wir rufen die politischen Entscheidungsträger in Mecklenburg-Vorpommern, Landtag und Verwaltung, dazu auf, dringend rechtliche Regelungen in Kraft zu setzen, die solche Veräußerungen beweglicher Kulturgüter in Archiven, Bibliotheken und Museen wirksam verhindern können.
Alle schützenswerten Sammlungen im Land sind in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts (bzw. national wertvoller Archive), das derzeit noch leer ist, aufzunehmen und in die Denkmalliste als bewegliche Denkmäler einzutragen.
Das Denkmalschutzgesetz, das Archive vom Denkmalschutz ausschließt, ist zu ändern, damit denkmalschutzrechtliche Rettungsmaßnahmen (§ 20 Abs. 2 DSchG M-V) auch bei Archiven greifen können.
Die im Land Mecklenburg-Vorpommern bestehenden Archivbibliotheken sind als wichtige wissenschaftliche Spezialbibliotheken stärker zu fördern und besser für die Nutzung zu erschließen (insbesondere durch elektronische Bibliothekskataloge).”
Die Ziele unserer Arbeitsgemeinschaft haben wir so formuliert: “Was in den amtlichen Denkmal- und Kulturgutverzeichnissen steht, ist leider nur ein Teil des schützenswerten Bestandes an Geschichtsquellen und kulturellen Zeugnissen, an deren Erhalt ein öffentliches Interesse besteht. Adelsbibliotheken wie die Donaueschinger Hofbibliothek, Kirchenbibliotheken wie die in Eichstätt zusammengetragenen Kapuzinerbibliotheken oder 2012 die im Stadtarchiv Stralsund verwahrte (und nur mit schmerzlichen Verlusten dank unseres Einsatzes zurückgeholte) Gymnasialbibliothek samt weiteren wertvollen Büchern wurden in den letzten Jahren in den Handel gegeben und zerstreut. Immer wieder werden bemerkenswerte Schlossausstattungen auf Auktionen angeboten. Solche historischen Provenienzen (Herkunftsgemeinschaften) verdienen Schutz und Respekt, haben aber bisher – anders als archäologische und Baudenkmale – keine organisierte Lobby.”
Auch künftig wollen wir uns stark auf Social Media stützen und in einem Weblog kulturgut.hypotheses.org unsere Positionen zum Kulturgutschutz vertreten.
Internetquellen:
http://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_B8D598E4238E4E09C1257ABF00448714?OpenDocument Chronologie der Ereignisse (Stadt Stralsund)
https://abuveliki.wordpress.com/2012/12/08/causa-stralsund-sellout-of-an-archive/ (Chronologie, englisch)
http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund (Berichterstattung im Weblog Archivalia)
Klaus Graf: Causa Stralsund. Darf eine Stadt ihr Kulturerbe in den Handel geben?
http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4101