Die massenmediale Handlungslogik überformt sämtliche gesellschaftlichen Teilsysteme: Polit...
Interview mit Prof. Thomas Kron auf dem Soziologiekongress in Trier 2014
Vom 6. bis zum 10. Oktober 2014 fand in Trier der 37. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) statt. Das Kongressthema war „Routinen der Krise – Krise der Routinen“. Auch das Soziologiemagazin versuchte, sich in der Krise zu routinisieren. … Continue reading →
Dinosaurier, Journalismus und Resilienz
In diesem Semester habe ich mit meinen Studenten einen Text von Eugenia Siapera und Andreas Veglis (2012) über die Zukunft des Online-Journalismus gelesen, der eine interessante Parallele zwischen Dinosauriern und Journalismus herstellt und uns an die Frage der Resilienz heranzuführen vermag.
In Anlehnung an die Evolutionstheorie folgt der Text folgender Argumentation: Wie die Dinosaurier mehr als 160 Millionen Jahre den Planeten bevölkerten, so dominierte der Print-Journalismus mehr als 300 Jahre unsere Welt. Beide Arten waren einer plötzlichen Bedrohung ausgesetzt. Im Falle der Dinosaurier führte ein Meteoriteneinschlag zum Aussterben der Spezies. Im Falle des Journalismus ist der Meteorit erst vor (vergleichsweise) kurzer Zeit eingeschlagen: Mit dem Aufkommen des Internets hat der Journalismus Schwierigkeiten, neue Funktionen zu entwickeln und sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Er ist anhaltenden Belastungen unterworfen, die vor allem in der Medienkrise und der zunehmenden Kommerzialisierung begründet liegen. Demnach sind drei mögliche Zukunftsszenarien zu diskutieren: erstens das Aussterben der Art und die Entstehung einer vollkommen neuen Spezies, zweitens die Mutation bzw. die Entwicklung der Spezies in eine neue Richtung und drittens die Anpassung an die veränderte Umwelt. Für den Online-Journalismus sehen diese drei Optionen dann wie folgt aus:
a) Genese: Es entsteht eine neue Form des Journalismus mit eigenen Merkmalen, die sich sehr gut in die neue Umwelt einfügen. Neue Eigenschaften sind zum Beispiel Multimedialität, Hypertextualität und Interaktivität oder das Hinzukommen von User-generated Content.
b) Mutation: Der Journalismus mutiert und die Spezies entwickelt sich in eine neue Richtung, was auch mit Veränderungen der Umwelt einhergehen kann. Mutationen des Online-Journalismus sind zum Beispiel der Social-Media-Journalismus oder der Open-Source-Journalismus.
c) Resilienz: Durch eine Neuinterpretation journalistischer Eigenschaften und Werte passt sich der Journalismus an die neue Umwelt an. Da neue Technologien und neue Medien eine Fragmentierung des Publikums befördern, kann der Journalismus seine öffentliche Aufgabe nicht mehr wahrnehmen, sind die Bedürfnisse und Interessen des EINEN Publikums nicht mehr zu bestimmen und eine neue Definition der Funktionen und Strukturen des Journalismus ist vonnöten. Auch journalistische Werte und Eigenschaften wie Objektivität und Fairness, Glaubwürdigkeit und Autonomie sind einem Wandel unterworfen. Zudem durchdringen die zunehmende Unmittelbarkeit und Beschleunigung den Journalismus.
Siapera und Veglis (2012) benutzen nicht den Begriff der Resilienz. Es geht Ihnen auch weniger darum, diese drei Evolutionsmöglichkeiten eingehend zu diskutieren. Sie gebrauchen das Beispiel der Dinosaurier lediglich, um an die Thematik und die einzelnen Kapitel ihres Sammelbandes heranzuführen. Natürlich sind die oben genannten Autoren nicht die einzigen Sozialwissenschaftler, die sich von der Biologie inspirieren ließen. Auch Luhmann hat seinen System-Begriff aus der Biologie übernommen, wo es unter anderem darum geht, wie sich Systeme selbst erhalten.
Auch bei Resilienz geht es letztlich um genau diese Frage. Und wie der System-Begriff wird auch der Begriff der Resilienz von unterschiedlichen Disziplinen verwendet. Vor allem im Bereich der sozial-ökologischen Forschung ist in den letzten Jahren eine Fülle an wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema Resilienz entstanden. Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, Irritationen zu absorbieren und sich neu zu organisieren, während es einem Wandel unterworfen ist – mit dem Ziel, seine Identität zu wahren (Folke et al. 2010).
Für die Kommunikationswissenschaft bietet dieser Ansatz einen konzeptionellen Rahmen zur Untersuchung des medialen und kommunikativen Wandels und einen interessanten neuen Fokus für empirische Forschung. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Aspekt der Stabilität, was die Betrachtung der Nachhaltigkeit eines solchen Systems ermöglicht (Alinovi et al. 2009). Im Grunde geht es in der Resilienz-Forschung um folgende Frage: Wie sehr können sich ein System, eine Organisation, ein Individuum verändern, ohne ihre Identität zu verlieren bzw. ihre Funktionen, ihre Strukturen und dazugehörige Rückkoppelungsprozesse soweit wie möglich beizubehalten (Walker et al. 2006).
Die Resilienz-Frage kann auf allen Stufen entlang des Kommunikationsprozesses Anschluss finden. So können beispielsweise das Mediensystem, Medienorganisationen, Journalisten oder Rezipienten im Zentrum der Betrachtung stehen. Zudem sind bei der Frage, was ein System (zum Beispiel Politik) resilient macht, stets auch die Medien mitzudenken. Resilienz stellt schließlich eine Eigenschaft dar, die die Anpassungsfähigkeit, Lernfähigkeit aber auch Widerstandsfähigkeit eines Systems oder besser einer Entität beschreibt. Das Resilienz-Konzept steht dabei nicht in Konkurrenz zu Konzepten wie Medialisierung oder Globalisierung, sondern kann die Forschung zum sozialen Wandel an dieser Stelle ergänzen. Darüber hinaus bietet es neue Möglichkeiten für praxisorientierte Studien. Auch ist diese Forschung nicht auf die Systemtheorie begrenzt. Disziplinübergreifend finden Konzepte wie das des Institutionalismus (Lebel et al. 2006, Dragos Aligica & Tarko 2014) vor diesem Hintergrund genauso Anwendung wie das des sozialen Kapitals (Sherrieb et al. 2010).
In der Kommunikationswissenschaft gibt es eine Reihe systemtheoretischer Entwürfe, die unterschiedliche Systemdefinitionen vorschlagen. Es herrscht nach wie vor Uneinigkeit, ob von einem System der Massenmedien (Luhmann 1996), dem Journalismus als sozialem System (Blöbaum 1994), der Öffentlichkeit als sozialem Funktionssystem (Gerhards 1994, Kohring 1997, Görke 2008) oder der politischen Kommunikation als System (Blumler & Gurevitch 1995) ausgegangen werden soll. Seit einiger Zeit versuchen Journalismusforscher vermehrt bestehende Theorien zusammenzuführen anstatt sich zunehmend voneinander abzugrenzen (vgl. Hanitzsch et al. 2007). Auf diese Weise hat neben Anthony Giddens’ Strukturationstheorie auch der Soziologe Uwe Schimank und sein Ansatz der Akteur-Struktur-Dynamiken im Fach an Bekanntheit gewonnen, der das „Schisma der Akteur-und Systemtheorien“ (Schimank 1988:619) zu lösen vermag. Schimanks Ansatz wertet den Akteur auf (Neuberger 2004) und ermöglicht eine Betrachtung auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen (Meyen et al. 2014).
Es sind vor allem die Mehrebenen-Ansätze, die die Betrachtung von Resilienz interessant machen: Dabei kann sich zum einen ein „shock“, zum anderem aber auch die Reaktion auf diesen Schock auf unterschiedlichen Ebenen abspielen. Anders formuliert: Veränderungen an einer Stelle des Kommunikationsprozesses können zu Resilienz an anderer Stelle führen. Es ist daher denkbar, Resilienz sowohl als unabhängige als auch als unabhängige Variable zu operationalisieren, und ratsam, Forschung auf unterschiedlichen Untersuchungsniveaus zu betreiben. Resilienz kann damit auch als Antwort auf „die Forderung nach einer methodischen Operationalisierung“ (Kohring 2004: 198) systemtheoretischer Journalismustheorien gelten und der Systemtheorie, aber auch anderen Theorien zu einer „unmittelbaren Praxistauglichkeit“ (Kohring 2004: 198) verhelfen.
Literatur
Alinovi, L., Mane, E. & Romano, D. (2009). Measuring Household Resilience to Food Insecurity: Application to Palestinian Households. Working Paper, January 2009, [online] URL: http://www.foodsec.org/fileadmin/user_upload/eufao-fsi4dm/docs/resilience_wp.pdf
Blöbaum, B. (1994). Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Blumler, J. G., & Gurevitch, M. (1995). The crisis of public communication. London: Routledge.
Dragos Aligica, P. & Tarko, V. (2014). Institutional Resilience and Economic Systems: Lessons from Elinor Ostrom’s Work. Comparative Economic Studies, 56, (52–76).
Folke, C., Carpenter, S. R., Walker, B., Scheffer, M., Chapin, T. & Rockström, J. (2010). Resilience thinking: integrating resilience, adaptability and transformability. Ecology and Society 15(4): 20. [online] URL: http://www.ecologyandsociety.org/vol15/iss4/art20/
Gerhards, J. (1994). Politische Öffentlichkeit. Ein system- und akteurstheoretischer Bestimmungsversuch. In Neidhardt, F. (Hrsg.). Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34). Opladen: Westdeutscher Verlag, 77-105.
Görke, A. (2008). Perspektiven einer Systemtheorie öffentlicher Kommunikation. In Winter, C., Hepp, A. & Krotz, F. (Hrsg.). Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Grundlegende Diskussionen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen. Wiesbaden: VS Verlag, 173-190.
Hanitzsch, T., Altmeppen, K.-D., Schlüter, C. (2007). Zur Einführung: Die Journalismustheorie und das Treffen der Generationen. In Altmeppen, K.-D., Hanitzsch, T. & Schlüter, C. (Hrsg.). Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden: VS Verlag, 7-23.
Kohring, M. (1997). Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus. Ein systemtheoretischer Entwurf. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Kohring, M. (2004). Journalismus als System. Grundlagen einer systemtheoretischen Journalismustheorie. In Löffelholz, M. (Hrsg.). Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 185-200.
Lebel, L., Anderies, J. M., Campbell, B., Folke, C., Hatfield-Dodds, S., Hughes, T. P. & Wilson, J. (2006). Governance and the Capacity to Manage Resilience in Regional Social-Ecological Systems. Marine Sciences Faculty Scholarship. Paper 52.
Luhmann, N. (1996). Die Realität der Massenmedien. 2., erweiterte Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Meyen, M., Thieroff, M. & Strenger, St. (2014). Mass Media Logic and The Mediatization of Politics. Journalism Studies, 15:3, 271-288.
Neuberger, C. (2004). Journalismus als systembezogene Akteurskonstellation. Grundlagen einer integrativen Journalismustheorie. In Löffelholz, M. (Hrsg.). Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 287-303.
Schimank, U. (1988). Gesellschaftliche Teilsysteme als Akteurfiktionen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 40 (3), 619-639.
Sherrieb, K., Norris, F. H. & Galea, S. (2010). Measuring Capacities for Community Resilience. Soc Indic Res, 99, 227–247.
Siapera, E., & Veglis, A. (2012). Introduction: The Evolution of Online Journalism. In E. Siapera & A. Veglis (Eds.), The Handbook of Global Online Journalism. Oxford, UK: Wiley-Blackwell, 1-17.
Walker, B. H., Gunderson, L. H., Kinzig, A. P., Folke, C., Carpenter, S. R. & Schultz, L. (2006). A handful of heuristics and some propositions for understanding resilience in social-ecological systems. Ecology and Society, 11(1): 13. [online] URL: http://www.ecologyandsociety.org/vol11/iss1/art13/
“K. Holz (2001): Nationaler Antisemitismus” – Eine Rezension von Ulrich Wyrwa
Eines der ersten groß angelegten Forschungsprojekte zum Antisemitismus, das zudem auch methodisch ungemein ambitioniert war, wurde in den 1940er-Jahren von dem nach Amerika emigrierten Frankfurter Institut für Sozialforschung durchgeführt. Auch eine der ersten geschichtswissenschaftlichen Studien zum Antisemitismus – Paul Massings … Continue reading
(2) Luhmann: Funktional-strukturelle Systemtheorie – Von Susanne Weiß
Die Systemtheorie des deutschen Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998), um die es im zweiten Teil der Blogreihe von Susanne Weiß geht, kann als eine der einflussreichsten und den soziologischen Diskurs höchst inspirierende Theorie innerhalb des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Luhmann versteht … Weiterlesen