“Wir müssen das Gespräch mit den Zögerlichen suchen” – Interview mit Simone Lässig

slaessigFrau Lässig, am 3.9.2013 fand die Auftaktveranstaltung der AG Digitale Geschichtswissenschaft im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschland statt, zu der sich über 100 Personen in Braunschweig eingefunden haben. Erste Rückblicke dazu gibt es in verschiedenen Blogs, sowie ein Storify mit den Tweets. Wie ist Ihr persönliches Fazit der Veranstaltung?

Ich bin sehr zufrieden – und das aus mindestens vier Gründen: Auf der Tagung selbst konnten wir erstens unerwartet viele Teilnehmer_innen begrüßen und im Anschluss daran auch erfreulich viele neue Mitglieder (insgesamt sind es jetzt 78). Zufrieden war ich zweitens, weil die großen wissenschaftspolitisch interessanten Akteure wie der Wissenschaftsrat, das BMBF oder die DFG die Einladung angenommen haben, sich unseren Fragen zu stellen — und weil sie auch nicht nur vage Antworten gegeben haben. Drittens kann es für die Akzeptanz der “Digitalen Geschichtswissenschaft” nur von Vorteil sein, dass der Historikerverband mit im Boot war und sein Vorsitzender das Eingangsreferat übernommen hat. Das deute ich als Zeichen dafür, dass sich unser – häufig als konservativ eingestufter – Verband öffnet und die Herausforderungen der digitalen Welt in unserem Fach zunehmend breiteres Interesse finden. Vor diesem Hintergrund hat die Tagung schließlich viertens auch einen weiteren Impuls dafür gegeben, miteinander ins Gespräch zu kommen: wir haben im Anschluss eine ganze Reihe von Emails mit Anerkennung für die Veranstaltung und interessanten Vorschlägen für die weitere Tätigkeit der AG, aber auch – dies eher in den sozialen Medien – eine Reihe kritischer Kommentare mit nicht minder wichtigen Überlegungen und Anregungen erhalten.

Nicht nur im Spiegel unserer Braunschweiger Veranstaltung, sondern auch an anderen Aktivitäten wie etwa der an Ihrem Institut organisierten Konferenz zu „Forschungsbedingungen und Digital Humanities: Welche Perspektiven hat der Nachwuchs?“ lässt sich deutlich ablesen, dass hier etwas in Bewegung gekommen ist. Und wir als AG können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass dies nicht nur diejenigen wahrnehmen, die die Potenziale digitaler Arbeitsweisen schön längst entdeckt und für sich erschlossen haben, sondern auch zunehmend mehr Kolleginnen und Kollegen im „Mainstream“ unseres Faches.

Die Veranstaltung wurde rege auf Twitter unter dem Hashtag #digigw2013 begleitet, und das durchaus kritisch. Eine Feststellung war, dass die AG sich gegenüber dem digitalen Wandel sehr vorsichtig, ja fast skeptisch positioniere. Ist das so und auf wen nimmt man da Rücksicht?

Wie gesagt: Ich habe auch diese kritischen Kommentare mit großem Interesse verfolgt und ich kann die Kritiker auf der einen Seite auch verstehen: Ihnen geht Vieles zu langsam und in mancher Hinsicht wirkt das Bekenntnis zum digitalen Wandel auch inkonsequent – die Akzeptanz von open access-Publikationen zum Beispiel ist eben in der Geschichtswissenschaft tatsächlich noch immer nicht gegeben. Auf der anderen Seite gilt es aber gerade im Interesse der Historiker_innen, die neue Wege gehen, das Gespräch mit den Zögerlichen, den Skeptischen und den Abwägenden zu suchen. Warum? Zum einen werden wir in der Debatte um Ressourcen (ohne die Wissenschaft nicht betrieben werden kann) viel mehr Gehör finden, wenn unser wirklich großer Fachverband dahinter steht und nicht nur eine kleine Gruppe von Enthusiasten und/oder Spezialisten entsprechende Positionen vertritt. In anderen Verbänden können wir das beobachten; die Computerlinguisten zum Beispiel bilden längst eine eigene Gruppe von Spezialisten – mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit und Akzeptanz in den Sprachwissenschaften insgesamt. Zum anderen ist es vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs, der sich für eine “Digitale Geschichtswissenschaft” stark macht und es wäre um die jungen Wissenschaftler auch schlecht bestellt, wenn sie nicht nachdrücklich darauf hinarbeiten würden, neue Felder, Methoden und Arbeitsweisen für unser Fach zu erschließen und wenn sie“ die Etablierten“ nicht vor sich hertreiben wollten.

#digigw2013 geht gleich los. pic.twitter.com/ISY9RB7kIV

— Charlotte Jahnz (@CJahnz) September 3, 2013

Ob sich das für ihre künftige akademische Karriere auszahlen wird, hängt aber nicht unwesentlich davon ab, in welchem Maße sie diejenigen, die heute auf Professuren sitzen und über Stellen und Berufungen entscheiden von der Leistungsfähigkeit ihrer Ansätze zu überzeugen vermögen. Hier kann und will die AG vermitteln und wenn man so will auch „Rücksicht nehmen“. Rücksicht aber eben nicht nur auf Skeptiker (die man auch ernst nehmen muss, denn eine gesunde Skepsis und kühles Abwägen von Risiken und Chancen gehören zu den Grundbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens), sondern auch, ja gerade auf die Interessen unseres wissenschaftlichen Nachwuchses, der sich die Möglichkeiten der digitalen Welt erschließt und sie kreativ für Lehre und Forschung nutzt. Und deshalb möchte ich auch nochmal ausdrücklich betonen, was auf der Tagung selbst vielleicht etwas zu kurz gekommen ist: Wir wollen nicht nur noch überwiegend analog ausgerichtete Kolleg_innen interessieren, sondern selbstverständlich auch Ansprechpartner und Interessenvertreter für Historiker_innen sein, die sich schon seit langem sehr souverän im digitalen Wissenschaftsraum bewegen und uns von ihnen anregen lassen, neue Wege zu gehen.

Wie wird die AG, wie können die Institutionen den derzeitigen Wandel aus Ihrer Sicht positiv begleiten? Vielen geht es nämlich zu langsam. So war in einem Tweet zu lesen: „Digitale Geschichtswissenschaft muss man einfach machen, ohne auf Institutionen zu warten.“ Wie ist Ihre Meinung, rennen wir dem Trend hinterher?

In einigen Bereichen haben wir zwar Nachholebedarf und wir würden auch gut daran tun, mehr über die deutschen Grenzen hinaus etwa nach Frankreich oder in die USA zu blicken. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass wir einem Trend hinterherlaufen. Als Historiker wissen wir ja, dass es nicht nur wichtig ist, gute Idee zu entwickeln, sondern fast noch wichtiger, sie auch zum richtigen Zeitpunkt in die Öffentlichkeit zu tragen und umzusetzen; wer zu spät kommt, den bestraft das Leben (auch in der Wissenschaft) oft ebenso hart wie diejenigen, die zu früh dran waren und als Vorreiter neuer Entwicklungen gewirkt haben. Mein Eindruck ist, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um unsere Interessen wirksam zu artikulieren und unsere Konzepte umzusetzen. Es war ja sicher kein Zufall, dass alle großen deutschen Wissenschaftsorganisationen auf der Braunschweiger Tagung vertreten waren. Es kommt Bewegung ins Feld, auch Fördergelder und -strategien. Da ist es wichtig, Interessen zu bündeln, zu artikulieren und möglichst auch durchzusetzen. Je größer die Schnittmenge ist, die wir als Historiker_innen bzw. als historisch arbeitende Wissenschaftler_innen dabei haben und je mehr Akzeptanz wir auch im Fach selber finden, desto größer sind unsere Chancen, digitale Kommunikations-, Publikations- und Arbeitsformen im und aus dem Fach heraus zu etablieren, entsprechende Vorhaben und Qualifikationen gefördert zu bekommen bzw. ihnen eine adäquate Anerkennung zu verschaffen. Reputationskulturen in der Wissenschaft (und damit Karrierewege für junge Leute) ändert man freilich nicht von einem Tag zum anderen – dafür benötigt man auch heute noch einen langen Atem und – ob man es mag oder nicht – auch Institutionen, die eine Stimme haben und gefragt werden, wenn es um grundlegende Entscheidungen und vielleicht sogar Paradigmenwechsel geht.

twitterdigiw

Die AG twittert unter @digigw, ein Blog ist eingerichtet und die Beiträge der Tagung werden bei L.I.S.A. als Videos eingestellt. Wie geht es ansonsten weiter mit der AG, was sind die nächsten Pläne?

Vorausschicken muss ich: Wir arbeiten in jeder Hinsichtlich ehrenamtlich, ohne jede Infrastruktur und ohne eigenes Budget. Deshalb können wir auch nicht alle Ideen, die wir haben oder die an uns herangetragen werden, sofort bzw. im gewünschten Maße umsetzen. Konzentrieren werden wir uns erstens auf die Bereitstellung von Informationen auch zu internationalen Entwicklungen im Feld – hier vertrauen und hoffen wir auf die Mitwirkung unserer Mitglieder. Jeder Hinweis auf wegweisende Projekte, auf geeignete Förderstrukturen oder interessante Ansprechpartner ist hochwillkommen! Deshalb nutzen wir auch neue Kommunikationskanäle wie die Blogplattform de.hypotheses.org oder die Gruppe Digital History auf Mendeley. Wie effektiv dies ist und welchen wissenschaftlichen Nutzen diese Netzwerke haben – das werden wir auch beobachten und – hier vorwiegend Nachwuchswissenschaftler ansprechend – angemessen evaluieren. Die Frage, inwieweit die sozialen Medien die Arbeitsweisen und Forschungsmodi von Historiker_innen, also klassischen (und bislang so auch produktiven) Individualisten verändern werden oder schon verändert haben, halte ich für eine besonders spannende. Ebenso die Frage, wie digitale Daten und Hypertexte als Quellen für die nächste Generation von Historiker_innen zu speichern und zu erhalten sind. Da bewegen wir uns in einem spannenden und weithin unbekannten Terrain, das wir in enger Zusammenarbeit mit Bibliothekaren, Archivaren und Informatikern erschließen sollten und müssen.

Zweitens wollen wir für die einzelnen Arbeitsfelder jeweils spezifische Workshops und Veranstaltungen organisieren, und drittens – das ist uns besonders wichtig – auf dem nächsten Historikertag Flagge zeigen. Wir werden mehrere Sektionen in je spezifischen Formaten zu unterschiedlichen Dimensionen “Digitaler Geschichtswissenschaft” einreichen – vom Erfahrungsaustausch zu digitalen Editionen über digitales Publizieren bis hin zum wissenschaftlichen Nutzen sozialer Medien. „Gewinner und Verlierer“ – das Motto des nächsten Historikertages passt ja ganz ausgezeichnet zur Diskussion um Kosten und Nutzen der Digitalisierung in der Wissenschaft. Insofern hoffen wir, dass möglichst viele unserer Vorschläge im Ausschuss des VHD Akzeptanz finden und wir es dann in Göttingen schaffen können, über interessante Angebote und – gern auch kontroverse – Diskussionen ein breites Publikum zu interessieren.

Prof. Dr. Simone Lässig ist Sprecherin der AG Digitale Geschichtswissenschaft. Sie hat die Fragen von Mareike König schriftlich beantwortet.

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/73

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