Ein Recht auf Fürsorge? Konflikte zwischen Bürgern und Staat in den 1950er Jahren

 

von Helge Jonas Pösche

Im Jahr 1957 klagte eine Frau vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die Streichung ihrer Fürsorgeunterstützung durch das Sozialamt. Die Verwaltung begründete die Maßnahme mit der Weigerung der Frau, die 1954 als DDR-Flüchtling nach West-Berlin gekommen war, zur Arbeitssuche ins wirtschaftlich prosperierende Westdeutschland überzusiedeln. Dieses „unwirtschaftliche“ Verhalten zeuge von „Arbeitsscheu“. Überdies bestreite die Klägerin auch nach der Streichung der Fürsorgeunterstützung noch ihren Lebensunterhalt – dem Anschein nach mit Hilfe ihres Vermieters, worin ein „eheähnliches Verhältnis“ vermutet wurde. Der Rechtsanwalt der Klägerin verwies dagegen auf einen

„Anspruch auf Mindestunterstützung, der jedem zustehe […]. Dieser Rechtsanspruch könne auch nicht dadurch hinfällig werden, daß durch mitleidige Dritte oder durch öffentliche Hilfsquellen Unterstützung in der Zwischenzeit gewährt worden sei. Es widerspreche dem Rechtsempfinden eines Rechtsstaates, Hilfsbedürftigkeit in einem solchen Fall zu verneinen.

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Quelle: https://gafprojekt.hypotheses.org/1007

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Die Bundessozialhilfe von 1962 bis 1989 – Ermöglichung eines würdevollen Lebens?

Auf den ersten Blick scheint das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 1962 eine neue Ära der Fürsorge eingeläutet zu haben, stellte es doch vor allem die Prämisse auf, SozialhilfeempfängerInnen gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes ein menschenwürdiges Leben ermöglichen zu wollen. Doch bewirkten das BSHG und seine Novellierungen in den Folgejahren tatsächlich eine Abkehr von der bis dato stärker vorherrschenden Disziplinierung oder gar Diskriminierung und im Umkehrschluss eine Hinwendung zu mehr Dienstleistung?

Nach der Verabschiedung der Rentenreform von 1957 widmete sich der Deutsche Bundestag einer in Fachkreisen längst als überfällig betrachteten Reform des Fürsorgebereichs. Dessen Regelungen, die noch auf die (mehrfach novellierte) Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 zurückgingen, sollten modernisiert und mit dem Grundgesetz in Einklang gebracht werden. Die Leistungen schienen in Zeiten wirtschaftlichen Wohlstands anpassungswürdig. Außerdem befürworteten mehrere Gerichte schon seit längerer Zeit eine umfassende Reform zur Vereinfachung des Rechtsbereichs. Politische Brisanz und Öffentlichkeitswirksamkeit entwickelten die Reform und auch ihre ersten Novellen bis Mitte der 1970er Jahre allerdings nicht. In den Jahren des Wirtschaftswunders schien für viele Akteure Armut als strukturelles, große Teile der Bevölkerung betreffendes Problem überwunden zu sein. Die Arbeitslosigkeit in der BRD verschwand zeitweise nahezu (zwischen 1950 und 1970 lag die durchschnittliche Anzahl von Arbeitslosen bei 150 000).

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Quelle: http://gafprojekt.hypotheses.org/672

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