Die neun Dreifüße

Unter den frühesten Gefäßtypen der chinesischen Kunstgeschichte kam dem Dreifuß (ding 鼎) besondere Bedeutung für die politische Symbolik zu. Die Entwicklung der Dreifüße dürfte ihren Anfang mit urtümlichen Kochtöpfen genommen haben. Als politisches Symbole wurden Dreifüße in ein mythisches Altertum zurückdatiert. Die Legende will es, dass der mythische Urkaiser Huangdi 黃帝 (der “Gelbkaiser”) den Besitz von neun Dreifüßen mit der Herrschaft über China gleichsetzte. Während der Zhou-Zeit (11.-3. Jh. v. Chr.) symbolisierten die neun Dreifüße die neun Provinzen des Landes. Sollte einer dieser neun Dreifüße in Verlust geraten, ging man vom baldigen Ende der Dynastie aus.[1]

In seinem Buch Das chinesische Denken schrieb Marcel Granet über die neun Dreifüße:

Das Metall hierfür hatten die Neun Hirten als Tribut geliefert, und Yü konnte auf diesen seinen Kesseln die ‘Embleme’ der Wesen aller Länder darstellen, den diese ‘Embleme’ hatte er als Huldigungsgeschenke aus den 9 Gebieten empfangen. Die in diesen Symbolen beschlossene Macht war derartig, daß die Neun Kessel als Entsprechung der Welt gelten konnten; sie bewirkten, daß im ganzen Kosmos Ordnung und Frieden herrschte.[2]

Die neun Dreifüße waren schließlich während der Zhou-Zeit verloren gegangen. Der Erste Kaiser, der 221 v. Chr. den Einheitsstaat gründete, wollte diese neun Dreifüße wiederfinden: “Dies gelang auch, aber als ein Dreifuß gerade bis zur Wasseroberfläche hochgezogen war, tauchte ein Drache aus dem Bronzegefäß empor und zerbiß das Seil, an dem es hing.”[3]

  1. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Chinesen und ihre Schrift (München: 5. Aufl., 1996) 66 (‘Dreifuß’) sowie Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 262 (‘Tripod’).
  2. Marcel Granet: Das chinesische Denken. Inhalt – Form – Charakter. Übers. und eingel. von Manfred Porkert; mit einem Vorw. von Herbert Franke (Frankfurt a.M., 5. Aufl. 1997 [frz. 1934; dt. Übers. 1963]) , 128.
  3. Lothar Ledderose: “Die Kunstsammlungen der Kaiser von China.” In: Ders. (Hg.): Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt (Frankfurt a. M. 1985) 42; vgl. dazu Jeannette Shambaugh Elliott: The Odyssey of China’s Imperial Art Treasures (Seattle 2005), 6. Belege für die historiographische Überlieferung der Legende bei Dorothee Schaab-Hanke: “Wenn die Dreifüße zu versinken drohen …. Zu Grant Hardys Worlds of Bronze and Bamboo.” In: Oriens Extremus 42 (2000/01) 213 f.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/824

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Guan Yu 關羽: Vom Bohnenkäse-Verkäufer zum Kriegsgott

Guan Yu 關羽, ein General der Späteren Han-Zeit (25-220 n. Chr.) machte eine erstaunliche ‘posthume Karriere’.[1]

Um das Jahr 161 n. Chr. im Süden der heutigen Provinz Shanxi in eine Familie Yu 羽 geboren, nahm er den Namen Guan 關 (d. i. Wegpaß) Yu erst nach einem dramatischen Ereignis an:

“Er nahm ihn erst auf der Flucht an, als er den Grenzpaß zur Nachbarprovinz Shaanxi passierte. Guan Yu hatte nämlich einen Beamten ermordet, der ein junges Mädchen mit Gewalt zu seiner Konkubine machen wollte.”[2]

Mit Zhang Fei 張飛, Zhao Yun 趙云, Ma Chao 馬超 und Huang Zhong 黃忠 bildet er die Gruppe der fünf “Tiger-Generäle”.[3]

Von besonderer Bedeutung war der “Schwur im Pfirsichgarten” (taoyuan jieyi 桃園結義), der Treueschwur der Generäle Guan Yu, Zhang Fei und Liu Bei 劉備.[4]. Gemäß der Überlieferung soll Guan Yu selbst in seiner Jugend seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Bohnenkäse (doufu 豆腐) verdient haben. Zhang Fei war ursprünglich Fleischer und Liu Bei hatte Strohsandalen verkauft. Die nachhaltigste Schilderung des Treueschwurs lieferte der Roman Sanguozhi yanyi 三國志演義 (“Geschichte der Drei Reiche”). Mit Liu und Zhang kämpfte Guan Yu unter anderem auch gegen Cao Cao 曹操, den einflussreichsten General der ausgehenden Han-Zeit. Nachdem er sich nach seiner Gefangennahme durch die Truppen Cao Caos geweigert hatte, die Seiten zu wechseln, wurde er hingerichtet.[5]

Die posthume Verehrung ging zunächst eher verhalten vonstatten. Bereits im 3. Jahrhundert wurde ihm vom Sohn seines Mitstreiters Liu Bei der Ehrenname “Tapferer und treuer Marquis” beigelegt, im 7. Jahrhundert wurde er von den Buddhisten als “Wächtergottheit am Jadestrom” verehrt. In der Nördlichen Song-Zeit (960-1126) folgten weitere Beinamen und in der Spätphase der Ming-Dynastie (1368-1644) wurde er schließlich 1594 als Guandi 關帝 in göttlichen Rang erhoben.[6]

Die Verehrung des Guandi 關帝 erfuhr noch Mitte des 19. Jahrhunderts einen zusätzlichen Impuls. Bei den Kämpfen gegen die Taiping-Rebellen soll er im Jahr 1856 am Himmel erschienen sein, wodurch sich eine Wende zugunsten der kaiserlichen Truppen abzeichnete.[7] Noch gegen Ende des Kaiserreiches wurde im Tempel des Guandi (Guandimiao 關帝廟) dreimal geopfert: im zweiten, im fünften und im achten Mondmonat.[8]

  1. Vgl. dazu Gunter Diesinger: Vom General zum Gott. Kuan Yü (gest. 220 n. Chr.) und seine ‘posthume Karriere’ (Heidelberger Schriften zur Ostasienkunde 4, 1984), Prasenjit Duara: „Superscribing Symbols. The Myth of Guandi, Chinese God of War“, Journal of Asian Studies 47,4 (1988) 778-795.
  2. Claudius C. Müller (Hg.): Wege der Götter und Menschen. Religionen im traditionellen China (Berlin 1989) 40.
  3. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 161 (“God of War”).
  4. Vgl. Müller (Hg.): Wege der Götter und Menschen, 71 (Nr. 19) und 74 (Nr. 23).
  5. Müller: Wege der Götter und Menschen, 40.
  6. Ebd.
  7. Pu Yi. Ich war Kaiser von China. Vom Himmelssohn zum Neuen Menschen. Die Autobiographie des letzten chinesischen Kaisers (München 1987) 447 f. („Guän-di“).
  8. H.S. Brunnert, V. V. Hagelström: Present Day Political Organization of China (Shanghai 1912) 205.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/792

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Nordische Mythologie goes digital: Thor und Odin auf dem Tablet-PC

Ein Gastbeitrag von Thomas Mohnike. Was passiert, wenn man Thor, Odin und Freyja aus den isländischen Manuskripten, den Einführungswerken und Edda-Editionen auf das iPad umsetzt, um sie der „taktilen Leserschaft“ näher zu bringen? Ist dies nicht eine Leserschaft, die oft in Computerspielen wie Age of Conan, World of Warcraft, in Filmen wie Lord of the Rings und Thor, in japanischen Mangas und norwegischem Black Metal die erste Bekanntschaft mit Odin und Loki gemacht haben? Wie muss man sich den Mythen des alten Nordens nähern, damit neuen Nutzer zugleich Spaß und Interesse entwickeln, um in die bekanntermaßen schwierige und oft unbefriedigende Welt der Quellen einzutauchen? Laut MacLuhan und anderen Medientheoretikern verändert sich das, was man erzählt, wenn man das Medium wechselt. Inwiefern hat also die gegenwärtige Medien(r)evolution einen Einfluss auf das, was wir im Bereich der Skandinavistik und der Nordeuropäischen Geschichte zu erzählen haben?

Die beste Art, solche Fragen zu beantworten, ist vielleicht das Live-Experiment. Nach einer Begegnung mit Wouter van der Veen, Dozent an der Université de Strasbourg und Autor einer Applikation zu van Gogh, war schnell der Wunsch geboren: Ja – lasst uns sehen, wie ein derart spannendes wie auch komplexes Thema in diesem neuen Medium aussieht, wie es sich verändert und was es auf andere Art und Weise erklärt. In Zusammenarbeit mit einem schnell gewachsenen und interdisziplinären Team – neben dem Verfasser dieser Zeilen sind hier Pierre-Brice Stahl, Gabriela Antunes und Giacoma Bottà zu nennen, Loïc Sander stand für die graphisch-technische Umsetzung – entstand so Dreams of Valhalla, eine iPad-Applikation, die die Vorteile eines klassischen, typographisch anspruchsvoll gestalteten Buches mit jenen des neuen Mediums kombiniert – Video-Interviews mit Experten und Praktikern der Nordischen Mythologie, interaktive, taktile, didaktische Elemente, hochauflösende Bilder von Manuskripten, die man anfassen und auch – vorsichtig – wieder säubern kann, wenn allzu viele Fingerabdrücke hinterlassen hat.

dreamsofvalhalla

Die Applikation ist in drei große Abschnitte geteilt – Quellen, Mythen und Rezeptionen. Sie sensibilisiert also zunächst dafür, auf welche Quellen wir uns stützen können – und vor welche Probleme diese Quellen uns stellen. Es folgt eine umfassende Einführung in das Erzähluniversum der nordischen Götter, um schließlich am Ende in einem historisch-geographischen Kapitel die Rezeptionsgeschichte zu erläutern und anzudeuten, wo wir heute jene Mythen finden können, und warum sie so aussehen, wie sie heute aussehen. 250 Seiten Texte, Bilder, Manuskripte, 55 Minuten Video und zahlreiche interaktive Elemente – das alles findet sich in dieser iPad-App.

Die interessantesten interaktiven Elemente finden sich vielleicht im Quellenteil. Hier kann der Leser das komplexe Verhältnis von Edda-Liedern und Manuskripten durch Berührung mit dem Finger erfahren und dabei verstehen, wie dynamisch und heterogen das Korpus der Edda-Lieder ist. Ein anderes Element lässt den Benutzer einen Runenstein transkribieren und dabei entdecken, wie faszinierend und doch zugleich enttäuschend Runensteine bezüglich der nordischen Mythen sind.

Dreams of Valhalla – Trailer from arthénon on Vimeo.

Vielleicht die größte Verwandlung im Vergleich zu klassischen Einführungen hat die Präsentation der Mythen erfahren. Inspiriert von neueren Überlegungen zur erzählerischen Instabilität der nordischen Mythen, insbesondere durch die einschlägige Studie von Anette Lassen, haben wir das Erzählen in den Mittelpunkt gestellt: Was erzählen die Mythen über Liebe und Leidenschaft, Krieg und Hass, die Erschaffung der Welt und ihr Ende? Wir versuchen also nicht, einen Pantheon zu erklären, sondern das Erzähluniversum der Mythen zu erkunden, ohne die stellenweise beeindruckende Widersprüchlichkeit glätten zu wollen.

Dreams of Valhalla existiert im Augenblick nur für das iPad. Die Software, die unsere Götter im Hintergrund antreibt, ist noch nicht mit den anderen gebräuchlichen Betriebssystemen kompatibel. Wir hoffen, dass die zuständigen Informatiker bald Rat bei Mimirs Quelle suchen.

Das Wichtigste in Kürze:

Dreams of Valhalla. Erhältlich auf iTunes zum Preis von € 4,49.

Autoren: Thomas Mohnike mit Gabriela Antunes, Giacomo Bottà und Pierre-Brice Stahl.

Verleger, Herausgeber und technische Umsetzung: Wouter van der Veen und Loïc Sander.

Link zur Facebook-Präsenz des Projekts.

Dr. Thomas Mohnike ist Maître de conférences am Département d’études scandinaves an der Université de Strasbourg. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler hat zu den skandinavischen Literaturen, der Darstellung des Eigenen und des Fremden in diesen und mit der modernen Rezeption nordischer Mythologie geforscht. Er beschäftigt sich auch mit der Geschichte der Germanenkunde und Skandinavistik an der einstigen “Reichs-Universität” Straßburg.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1616

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