God-Porn oder: Vom Jesuskind im Trikot und übermenschlichem Muskelspiel

Die Diffusion religiöser Elemente in die Populärkultur ist in den letzten Jahren bereits thematisiert worden (vgl. Knoblauch 2009). Religiöse Events werden medial überformt, religiöse Narrative in populärkultureller Gestalt an anderer Stelle aufgegriffen – in Diskussionen über Leben und Tod, aber auch materiell manifestiert. Wir kennen Buddha-Statuen in Einrichtungshäusern, Yin-und-Yang-Symbole in Wellness-Anstalten und Engelsflügel als Kettenanhänger.

"MY GOD IS A DJ" von monsieur haze. CC BY-NC-ND.

"MY GOD IS A DJ" von monsieur haze. CC BY-NC-ND.

Ganz allgemein lassen sich diese Übernahmen vielleicht als Verweis auf das Faszinosum Religion deuten. Letztere ist noch präsent im kulturellen Gedächtnis, ihre Bilder und Begriffe rufen Assoziationen hervor – aber sie hat für viele ihre Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit verloren. Religiöse Symbole taugen deshalb als faszinierendes, geheimnisvolles, und damit oft attraktives und schmückendes Lifestyle-Accessoire für Einrichtung, Kleidung, Körperschmuck. (Damit ist übrigens, erstens, kein dystopischer Unterton verbunden. Zweitens ist damit nicht impliziert, dass es sich hier um einen Transfer von genuin religiöser Gedankenwelt in eine genuin nicht-religiöse Umwelt handele: Hier soll beides als stetig untrennbar verbunden begriffen werden und zudem das, was hier als „religiös“ benannt wird, nur als diskursiv im Feld der Religion verortbar verstanden.)

Trotzdem ist dieses Thema noch erstaunlich wenig systematisch unerforscht. Vielleicht auch, weil es umfangreiche Kautelen – wie in der vorangegangenen Klammerbemerkung nur kurz angerissen – mit sich bringt. Ich werde dennoch später darauf eingehen, warum es eine fruchtbare Perspektive kulturwissenschaftlicher Religionsforschung sein kann. Zunächst möchte ich dafür aber ein einschlägiges Beispiel vorstellen.

Über 5 Minuten ist der Werbespot „The Game before the Game“ lang, der für die Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer produziert wurde, mit einem riesigen Staraufgebot (von Neymar Jr. über Schweinsteiger zu Suarez und van Persie, aber auch VIPs anderer Provenienz wie LeBron James, Serena Williams, Lil' Wayne oder Nicky Minaj) aufwartet und, das nur am Rande, für Kopfhörer der Marke „Beats by Dr. Dre“ wirbt. Der Clip ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Und: Fußball wird in ihm ganz fest mit Religion vernäht. (Das ist auch insofern spannend, als dass er die üblichen „Fußball-als-Religion“-Debatten deutlich in den Hintergrund verweist, indem er klare visuelle und narrative Referenzen auch auf „traditionelle Religionen“ bietet.) Schaut euch den Clip hier an:

Meines Erachtens spielen religiöse Elemente hier auf drei Ebenen eine eminente Rolle: In einer christlich geprägten Rahmenerzählung, in einer ritualgeprägten Visualität, und in der Stilisierung der Fußballspieler zu einem neuen griechischen Götterpantheon.

  • Zur Rahmenerzählung: Neymar Jr., einer der Helden dieses Clips (und tragischer Held der folgenden WM) telefoniert vor dem Eröffnungsspiel mit seinem Vater. Dieser ermahnt ihn, zu rennen wie niemals zuvor, glücklich zu sein, sich nicht zurückzuhalten, keine Hemmungen zu haben. Am Ende des Clips folgt den Ratschlägen die Ermutigung, während Neymar als dunkle Gestalt auf einen hellen Durchgang zusteuert: „Put God's army in front of you. Wear Gods armour from the helmet to the sandals. Go with God. God bless you.“ - Vermutlich ein Verweis auf Epheser 6.11-18: Ziehet an die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr zu bestehen vermöget wider die Listen des Teufels. […] beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens [...] Nehmet auch den Helm des Heils“. Wie auch immer, die Einbettung in christliche Tradition ist deutlich und passt zu Neymars eigenen Überzeugungen, soweit sie der Öffentlichkeit bekannt sind.
  • Zur ritualgeprägten Visualität: „The Game before the Game“ lautet der Titel des Clips, und es geht demzufolge um die Vorbereitung aller Beteiligten – Spieler, Fans, Reporter – auf das Fußballspiel. Diese Vorbereitungen bestehen geradezu ausschließlich darin, Rituale durchzuführen und Glücksbringer zu aktivieren. Neben einigen Bezügen auf die Nation – Fahnen schwenken und schminken, die Unterwäsche oder den Nagellack in Landesfarben wählen – finden sich eine Vielzahl religiöser Referenzen: ein Hausaltar mit Jesuskind in Fußballtrikot, ein Ritual mit möglicherweise amazonas-indianischen Bezügen (Hinweise werden gern genommen, gemeint ist die Sequenz bei 3:50), das Versenken im Gebet und viele kleinere beschwörende und rituelle Handlungen wie das Anbringen von Glücksbringern bei Fans ebenso wie Fußballern. Stetiger Bezugspunkt ist auch hier, dem Titel des Clips gemäß, die optimale Vorbereitung auf das Spiel: Alle Register werden gezogen, um Gott und Glück auf die jeweils eigene Seite zu schlagen.
"Aztec Gods" von Andrew Becraft. CC-BY_NC_SA.

"Aztec Gods" von Andrew Becraft. CC-BY-NC-SA.

  • Zur Stilisierung der Fußballer: Im Gegensatz zu den anderen Ebenen ist diese deutlich weniger explizit, sie drängt sich nur bei einem Blick auf abstrakterer Inszenierungsstrategien auf. Markant ist aber gleich der Beginn – ein Schelm, wer Böses (d.h. hier: Riefenstahlsches) dabei denkt: Mit Neymar Jr. fliegen wir über Meer und Land, durch die Wolken herab in die Niederungen der jubelnden Menge, die uns frenetisch begrüßt. Und im Folgenden ist körperbetonende Heldenhaftigkeit die Leitlinie der Darstellung: Die Beherrschung des Balles, lässige Gänge durch die Flure, von hinten betrachtet, vor allem aber Körperlichkeit bis hin zu deutlicher Erotisierung durchziehen das Video. Viel Nacktheit, Muskelspiel, Tattoos, Schweiß und die rituell-feiernde Pflege des männlichen Körpers, all dies macht den Fußballer zu einem sexualisiertem Helden. Die einsame Inszenierung – nie geht es um eine Mannschaft, nie sind mehrere Fußballer gleichzeitig zu sehen – das Kämpfen, das Beherrschen besonderer Fähigkeiten, das frenetische Gefeiertwerden, die Verehrung durch die (auch weiblichen) Fans, die Bilder ihrer Helden austauschen, sich am Körperbefestigen, für sie ihren Körper verändern (bis hin zur Tätowierung), es macht sie zu angebeteten, übermenschlichen, halbgotthaften Gestalten und Heilsträgern.

Zum Clip könnte noch viel mehr gesagt werden. Etwa zur Musik, die immer wieder die Zeile „Ain't no God in these streets/in the heart of the jungle“ wiederholt. Zum Bezug zum Titel, „The Game before the Game“, oder zu den fast vergessenen Kopfhörern. Hier aber stattdessen zurück zu religiösen Elementen in populärer Kultur: Die sind im geschilderten Beispiel auf verschiedenen Ebenen zu finden, und greifen dort jeweils auf unterschiedlichste Traditionsbestände zurück. Diese Bricolage begünstigt auch die Freiheit, gleichermaßen visuelle Marker wie Rollen- und weitere Referenzen zu verbinden und macht die Vielfalt möglicher Verweise nachdrücklich deutlich.

Warum nun diese Betrachtung? Sicher lässt sich nichts über die Wirkung sagen – ob durchschnittliche Betrachter*innen angesichts des Clips religiös musikalisch werden, ist zweifelhaft. Ebenso lässt sich über produzentenseitige Intentionen nur spekulieren. Einzig möglich ist daher so etwas wie eine Diskursanalyse religiöser Narrative. Was nutzt dies, über den unterhaltsamen Einzelfall hinaus? Der Aufgriff und die Adaption religiöser Narrative jenseits dessen, was gemeinhin als das eigentliche religiöse Feld verstanden wird, lässt Rückschlüsse zu auf das, was an Religion mit Blick auf breite gesellschaftliche Schichten als attraktiv verstanden wird. Oder besser: auf die Schnittmenge von Religion und gegenwärtig Interessantem, Reizvollem, Erstrebenswertem. Das individuell ermutigende traditioneller religiöser Botschaften und die magischen Werkzeuge, mit denen sich ein Geschick steuern lässt, so lässt sich dem Clip entnehmen, sind populärkulturell anschlussfähige Faszinosi. Religion als Werkzeug und als Entlastung, das könnten demnach zwei größere Themen sein, die sich weiterverfolgen ließen, wenn es um den Aufgriff religiöser Narrative in Narrationen der Populärkultur geht. Ein weitere Thema ist die Attraktivität übermenschlicher Lichtgestalten, die das leisten, was wir nicht können – attraktiv in doppeltem Wortsinne, denn angesichts der Figuren wird deutlich, wie sehr die Halbgötter menschlichen Schönheits- und Sexualitätsvorstellungen unterworfen sind. All dies gibt zunächst Aufschluss über Gesellschaft, nicht über religiöse Traditionen im klassischen Sinne. Eine Sprachfähigkeit hierzu steht aber auch Religionswissenschaftler*innen nicht schlecht zu Gesicht. Und davon ausgehend, dass wechselseitige Beeinflussungen an der Tagesordnung sind, oder aber sich Gesellschaft und Religion überhaupt nicht voneinander scheiden lassen, ist die Untersuchung solcher Adaptionsprozesse umso wichtiger für gegenwärtige Religionsforschung.

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Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/53

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