Wie Adenauer einmal nicht gestört werden wollte

Konrad Adenauer wird von Zeitgenossen als geduldiger Zuhörer geschildert, solange es konzentriert um die Sache ging. “Eins aber haßte der Kanzler, nämlich Palaver” (Richard Stücklen in Schwarz 1991: 22).

Jede gute Vorzimmerkraft hat Mittel und Wege, den Chef aus endlosen Gesprächen zu befreien. Anneliese Poppinga, seit 1958 Adenauers Sekretärin, reichte ihm Nachrichten wie die folgende herein, die vor einigen Jahren in den Autographenhandel kam. Die Frankfurter Allgemeine berichtete seinerzeit über dieses Stück.

Anneliese Poppinga an Konrad Adenauer, um 1960

Notiz für Konrad Adenauer, um 1960

Was ist das – aktenkundlich gesehen? Innerdienstlicher Schriftverkehr des Palais Schaumburg, zweifellos. Solcher Schriftverkehr begegnet in zwei Stilformen (vgl. Meisner 1969: 194; Kloosterhuis 1999: 469):

  1. Als innerdienstliche Verkehrsschriftstücke, die sich an den Formen der an externe Empfänger gerichteten Schreiben orientieren,
  2. als Aufzeichnungen, die von der Form her eigentlich immobile Aktenvermerke sind, aber von der Funktion her als Verkehrsschriftstücke dienen; der Aktenvermerk bekommt Beine.

Die persönliche Anrede im vorliegenden Stück verweist eindeutig auf ein innerdienstliches Verkehrsschriftstück. In einer Aufzeichnung würde an ihre Stelle eine entsprechende Überschrift treten, und unter dem Text würde ein Vorlagevermerk in der damals noch üblichen Art stehen:

Hiermit
Herrn Bundeskanzler
ergebenst vorgelegt.

Und da hier von der Sekretärin an den Kanzler, also von “unten” nach “oben”, über einen Sachverhalt, nämlich die verflossene Zeit, berichtet wird, müsste es sich nach der klassischen aktenkundlichen Lehre um einen innerdienstlichen Bericht mit einer (impliziten) Bitte um Weisung handeln. Die Weisung, ihn nicht zu stören, hat Adenauer dann unmittelbar aufgesetzt.

An sich wurde und wird in der Ministerialbürokratie für diesen Kommunikationsweg die alternative Form der Aufzeichnung benutzt, die heute, in gewandelter Form, als Leitungsvorlage bezeichnet wird (vgl. meinen Artikel vom 29. August 2014). Für die Kommunikation zwischen Chef und Vorzimmer wäre dieses bürokratische Vehikel aber völlig überzogen.

Dann heißt es in der FAZ aber, der Text stünde auf einem Briefbogen des Bundeskanzlers. (Es ist nicht ersichtlich, wie der Ausschnitt der Abbildung gewählt wurde, und welcher Adressblock mit “Bonn am Rhein” sich da im rechten Viertel durchdrückt.) Ein Kopfbogen würde natürlich zu keiner Form innerdienstlichen Schriftverkehrs passen, selbst wenn man die persönliche Bezeichnung “Der Bundeskanzler” zugleich als Behördenbezeichnung nimmt, wie es bei den meisten Bundesministerien ja bis in die Neunzigerjahre offiziell der Fall war.

An diesem Punkt der Untersuchung muss sich die Aktenkunde die Sinnfrage gefallen lassen. Wir befinden uns außerhalb der Zone bürokratischer Standardisierung der Schriftlichkeit, von der die Systematische Aktenkunde, die ein Schriftstück nach Form und Funktion bestimmen soll, ausgeht (Beck 2000: 68). Die klassische Lehre scheint mir doch stark von normiert arbeitender Verwaltung im engeren Sinne geprägt zu sein. Im Umfeld der politischen Entscheidungsträger spielt die Form der produzierten Schriftstücke eine weit geringere Rolle.

Die Verfasserin hätte ihre kurze Nachricht, die sie dem Bundeskanzler verdeckt in einer Laufmape gebracht haben wird, im Grunde auch auf ein Formular für “Büronotizen” schreiben können – so würden Verwaltungspraktiker das Stück ansprechen.

Aktenkundlich reflektiert ist dieser Begriff nicht. Ein zu hohes Niveau begrifflicher Abstraktion leistet der Rezeption der Aktenkunde durch im Archiv arbeitende Historiker meiner Meinung nach aber einen Bärendienst.

Ich danke Dr. Peter Wiegand, Hauptstaatsarchiv Dresden, für den Hinweis auf dieses Stück und Frau Antje Winter, Stadtarchiv Troisdorf, für Informationen zum Gebrauch in Adenauers Büro.

Literatur

Beck, Lorenz Friedrich 2000. Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut. In: Brübach, Nils, Hg. 2000. Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung. Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 33. Marburg. S. 67–79.
Kloosterhuis, Jürgen 1999. Amtliche Aktenkunde der Neuzeit: Ein hilfswissenschaftliches Kompendium. In: Archiv für Diplomatik 45, S. 465–563 (Preprint).
Meisner, Heinrich Otto 1969. Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918. Leipzig.
Schwarz, Hans-Peter, Hg. 1991. Konrad Adenauers Regierungsstil. Rhöndorfer Gespräche 11. Bonn.

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/132

Weiterlesen

“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

Weiterlesen

“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

Weiterlesen

“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

 

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

Weiterlesen

Vorlagen als Kategorie der Systematischen Aktenkunde

Im neuesten Heft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte hat Stephan Lehnstaedt einen lesenswerten Artikel zu den 2002 beschlossenen Ghettorenten veröffentlicht. Seine Hauptquellen sind Unterlagen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem vergangenen Jahrzehnt, die er auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes einsehen konnte. Der Umgang mit diesen Quellen in den Fußnoten ist handwerklich sauber, weist aber auf eine Fehlstelle in der zeithistorischen Aktenkunde hin: Die Klassierung des behördeninternen Schriftverkehrs.

Worum geht es dabei? Adressierte Schreiben zwischen Korrespondenten, die nicht derselben Organisation angehören, werden üblicherweise in der Form “X an Y, Datum” im Anschluss an die Archivsignatur zitiert; so auch hier. Daneben greift Lehnstaedt aber häufig auf Schriftstücke zurück, die ihm formal als deutlich anderer Typ auffielen und die er (offensichtlich behelfsweise) als Interne Schreiben anspricht, z. B. “Internes Schreiben des BMAS an den Minister, 9.4.2009″ (Anm. 93, willkürlich herausgegriffen). Das lässt schon in verwaltungskundlicher Sicht stutzen: Eine Behörde schreibt an ihren Chef?

Ein Ministerialbeamter hat sofort ein klares Bild von diesem Schriftstücktyp vor Augen, den er als “Vorlage” kennt. Vorlagen sind die Hauptinstrumente der formalisierten Kommunikation zwischen der Arbeits- und der Leitungsebene eines Ministeriums. Sie dienen der Entscheidung oder der Unterrichtung, was in der Regel deutlich vermerkt wird, und sind in ersterem Fall mit einem Votum verbunden (vgl. aus Sicht des Praktikers Beuth 2005: 123).

Sie tragen eine Geschäftsgangsverfügung, die alle zu durchlaufenden Hierarchiestufen bis zum Staatssekretär oder gar Minister aufführt. Jeder dieser Beamten hat die Möglichkeiten, mit dem ihm zugewiesenen Farbstift zu kommentieren, zu streichen oder zu ergänzen – und das sowohl auf dem Weg nach “oben”, zur Beeinflussung der anstehenden Entscheidung, als auch auf dem Rückweg nach “unten”, zur Interpretation und Ausgestaltung der getroffenen Entscheidung. Der knappe Platz bedingt dabei verknappte Äußerungen, die in einem hoch formalisierten Verfahren entstehen und verarbeitet werden. Die Vorlage ist ein recht komplexes Instrument.

Heutige Vorlagen kommen den im Briefstil gehaltenen Behördenschreiben in der Tat recht nahe, seit nämlich die Geschäftsgangsverfügung vom Ende des Kontexts in den Kopf des Schriftstücks gerückt ist, also an die Stelle einer Adresse. Im Auswärtigen Amt geschah dieser Wandel um 1970. Dadurch wird der formengeschichtliche Ursprung der Vorlage verdeckt: der Aktenvermerk. In älteren Vorlagen wird dies deutlicher, schon allein durch die Selbstbezeichnung als “Aufzeichnung”. Hier ein Beispiel der 1950er-Jahre aus dem Auswärtigen Amt (PA AA, B 51-400-405, Bd. 52):

Vorlage 1955

Es handelt sich um eine Vorlage des stellvertretenden Leiters der Wirtschaftsabteilung, Junker, an Bundesaußenminister v. Brentano, auf dem Weg nach “oben” mit Rotstift abgezeichnet (und damit gebilligt) von Staatssekretär Hallstein. Das Votum (Billigung des beigefügten Antwortentwurfs) ist nicht explizit formuliert. Brentanos Billigung wird von der grünen Verfügung “Abschrift an Bu[ndes]wi[rtschafts]mi[nisterium] ebenfalls nur impliziert.

Der Aktenvermerk wird generell zu den immobilen Aufzeichnungen gezählt, die nicht zum Versand an einen Empfänger gedacht sind, sondern zum Festhalten von Wissen zum späteren Gebrauch der aktenführenden Stelle (vgl. Papritz 1959: 340). Nun war es schon in der 19. Jahrhundert üblich, solche Aufzeichnungen mit einem Votum zu versehen und höheren Orts zu vorzulegen. Sie deshalb aber mit Meisner (1969: 198) “besser zu den Berichten (Verkehrsschriftstücken)” zu rechnen, berücksichtigt zum einen nicht genügend die formalen Eigentümlichkeiten des Aktenvermerks, insbesondere die Ersetzung der Adresse durch einen Geschäftsgangsvermerk, der mitunter sogar in den Kontext integriert ist. Zum anderen verwischt die Einordnung in das bekannte Schema von Erlass und Bericht die Urschriftlichkeit als Grundcharakteristikum der Behördenarbeit mit Vorlagen: Auf eine Vorlage folgt eben kein Erlass im Sinne eines separaten oder auch nur aufgesetzten, jedenfalls eigenständigen Schreiben, sondern verschiedene Stellen arbeiten (unter Wahrung der Hierarchie: kollaborativ) an demselben Dokument.

Für die Quellenkritik hat das natürlich weit reichende Konsequenzen. Die präzise Benennung in der Zitation weist nach, dass der Autor den Typ seiner Quelle richtig erkannt hat. Nur kann man für den Bereich der Zeitgeschichte Historikern keinen Vorwurf machen, wenn die Aktenkunde selbst die Besonderheiten des Aktenwesen des 20. und 21. Jahrhunderts bislang nicht wirklich durchdrungen hat.

Literatur:
Beuth, Heinrich W. (2005), Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.
Meisner, Heinrich Otto (1969), Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig.
Papritz, Johannes (1959), Die Motive der Entstehung archivischen Schriftgutes, in: Mélanges offerts par ses confrères étrangers à Charles Braibant, Brüssel, S. 337–448.

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/89

Weiterlesen