Popularität vs. Seriosität?
Regelmäßig bringen sie das Neueste von gestern und vorgestern in den Zeitschriftenhandel: Geschichtsmagazine. Sie erfreuen sich bei einer anhaltend großen Leserschaft einer ebenso anhaltend großen Beliebtheit. In den Bahnhofsbuchhandlungen liegen sie nicht irgendwo versteckt, hinten in der Ecke aus, sondern finden sich prominent am Eingang platziert, zu großen Stapeln aufgehäuft. Aber auch in jedem Kiosk um die Ecke kann man sie finden, diese Hefte, die eine informative und unterhaltsame Reise in die Vergangenheit versprechen. Der Markt für Geschichtsmagazine scheint so gut bestellt zu sein, dass sich schon seit einigen Jahren gleich mehrere von ihnen Konkurrenz machen können.
Neben den Zeitschriften „Damals“ (verkaufte Exemplare 22.779) und „G/Geschichte“ (27.719), die dieses Geschäft schon seit Längerem betreiben und, ebenso wie „P.M. History“ (45.893), auf eine Heftgestaltung gemischten Inhalts setzen, sind es vor allem die großen Verlage, die dieses Segment für sich in Anspruch nehmen. Am prominentesten ist wohl „Geo Epoche“ aus dem Haus Gruner + Jahr (109.320), ein Magazin, das von sich behauptet, die Nummer 1 unter den populären historischen Zeitschriften zu sein. Aber auch „Der Spiegel“ (84.019) und „Die Zeit“ warten seit einiger Zeit mit eigenen Geschichtsmagazinen auf (Alle Verkaufszahlen laut IVW 3. Quartal 2013).
Aus wissenschaftlicher Perspektive sind Geschichtsmagazine durch eine unübersehbare Ambivalenz geprägt. Einerseits kann man sich nur freuen über die Aufmerksamkeit, die historische Themen in der Öffentlichkeit genießen. Vergleichbare populäre Zeitschriften zur Linguistik, Literaturwissenschaft oder Soziologie gibt es nicht. Andererseits wird gerade diese Popularität zuweilen mit dem Verlust wissenschaftlicher Seriosität und Komplexität erkauft.
Aber mir soll es hier nicht um die schon x-fach erörterten Spannungen zwischen wissenschaftlichen Ansprüchen und ihrer Aufbereitung für ein größeres Publikum gehen. Denn gegen solche Formen der Popularisierung zu polemisieren, halte ich offen gestanden für ein Luxusproblem – besser eine komplexitätsreduzierte Übersetzung als gar keine Wahrnehmung. Nein, was ich am Phänomen ‚Geschichtsmagazin‘ viel interessanter finde, ist die aktuelle Geschichtskultur, die sich darin manifestiert. Wenn sich eine Gesellschaft derart für Vergangenes interessiert, dass sie nicht nur in Fernseh-, sondern auch in Heftformaten eifrig darauf zurückgreift – welche Form nimmt dieses Vergangene dann an? Denn Popularisierungen funktionieren üblicherweise über Kreuz: Eine bestimmte Nachfrage soll befriedigt werden, und zwar so, dass sie sich nicht zuletzt auch wirtschaftlich rechnet. Zugleich besteht (zumindest theoretisch) die Möglichkeit, neue Angebote zu machen und Bedürfnisse zu wecken, die bisher möglicherweise noch gar nicht formuliert werden konnten.
Bildlichkeit vs. Genauigkeit?
Die Inhalte der Geschichtsmagazine lassen sich – kaum überraschend – nicht über einen Kamm scheren. Bei den Artikeln ist so ziemlich alles dabei, was man in textlichen Gemischtwarenläden erwarten darf. Vom eher unbeholfenen Artikel des bemühten Volontärs über die schmissig-journalistische Reportage bis zur nüchternen Auseinandersetzung der universitär bestallten Historikerin findet man Erfreuliches und weniger Erbauliches.
Eines ist aber unbedingte Voraussetzung: Die Themen müssen bildfähig sein. Ohne Bebilderung geht gar nichts. Man müsste es noch genauer nachrechnen (was ich nicht getan habe), aber nach meiner Schätzung wird etwa die Hälfte eines Heftumfangs durch Abbildungen eingenommen. Und durch Karten. Insbesondere „Geo Epoche“ nutzt Karten (zusätzlich zu sehr vielen Bildern) ausgiebig, um deutlich zu machen, dass Geschichte nicht nur in der Zeit und im Text, sondern auch im Raum und im Bild stattfindet. Damit haben Geschichtsmagazine eine Möglichkeit, die vielen historischen Büchern aus Kostengründen fehlen, wenn sie so ausgiebig auf Abbildungen zurückzugreifen. Dafür liegen die Preise dann aber auch schon auf dem Niveau von schmalen Büchern. Zuweilen führt diese Visualisierungspraxis zu zweifelhaften Auswüchsen, so wenn Historiengemälde aus dem 19. Jahrhunderts zur Illustration mittelalterlicher Verhältnisse herangezogen werden oder wenn im Heft über den Amerikanischen Bürgerkrieg von „Geo Epoche“ Fotografien digital koloriert wurden, „um ihre Anschaulichkeit zu verstärken“ [1]. Geschichtstuning für Fortgeschrittene.
Es wäre interessant, eine Redaktionssitzung zur Erstellung eines solchen Heftes belauschen zu können, um zu erfahren, nach welchen Gesichtspunkten die einzelnen Beiträge ausgesucht werden. Man kann aber auch ohne entsprechende Abhörprotokolle von den abgedruckten Artikeln auf die übergeordneten Prinzipien schließen: Zunächst geht es um Überblickswissen, das den Rahmen bereiten soll für die Schilderung bestimmter Ereignisse, für Menschlich-Biographisches und für Aspekte des Alltagslebens, die einen wesentlichen Teil des Inhalts ausmachen. Nicht minder interessant sind aber die Themenbereiche, die nur am Rande vorkommen oder auch ganz ausgelassen werden: Es sind all diejenigen, die wenig Anschauliches zu bieten haben, die strukturelle Grundlagen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik oder Kultur betreffen. Befürchtet man hier möglicherweise Langeweile in der Geschichtsunterhaltung – obwohl es gerade hier in einem doppelten Sinn ‚grundlegend‘ werden könnte?
Nicht selten scheinen sich die Artikel aus der ‚Übersetzung‘ wissenschaftlicher Forschung (und dickleibiger Bücher) in Artikelform zu speisen. Insofern liegt hier ein prototypischer (und überhaupt nicht abwertend gemeinter) Fall von Popularisierung wissenschaftlichen Wissens vor. Zweifelsfalten kriechen allerdings auf die Denkerstirn, wenn im Kleingedruckten darauf verwiesen wird, begriffliche Unterschiede nicht ganz so genau zu nehmen. Da wird dann beispielsweise aus Gründen der sprachlichen Varianz die Sklaverei mit Leibeigenschaft, Knechtschaft und Unfreiheit in einen begrifflichen Topf geschmissen. Das ist keine Popularisierung mehr, sondern ziemlich grobe Ungenauigkeit [2].
Distanz als Differenz!
Treten wir aber einen Schritt zurück, sehen von den konkreten Heftinhalten ab und betrachten das größere Themenspektrum. Dann fällt auf, dass Bewährtes aufbereitet, etablierte Themen besetzt und das ohnehin bereits – zumindest ungefähr – Bekannte abgehandelt wird. Klassische Themen, die auch schon den schulischen Geschichtsunterricht prägten, werden vielfach wieder aufgegriffen: das antike Rom, Napoleon, der Nationalsozialismus, die Kreuzritter oder der Erste Weltkrieg – Länder, Menschen, Abenteuer. Man weiß also immer, was man bekommt, Überraschungen bleiben die Ausnahme. Damit bleibt aber leider auch die Möglichkeit ungenutzt, die ausgetretenen Pfade zumindest ein wenig zu verlassen, Vergangenes nicht immer schon von vornherein zu reduzieren auf große Persönlichkeiten, große Ereignisse oder große Reiche. Vielleicht ginge es auch einmal anders. Warum lassen sich denn nicht einmal Themenhefte entwerfen, die vermeintlich Abseitiges, Schräges, Unbeachtetes behandeln? Warum nicht etwas über die Geschichte des Schattens, des Spaziergangs oder der Börsenspekulation? Warum nicht eine genauere Betrachtung der Alpenfurcht und -begeisterung, familiärer Hierarchien oder der Sprache der Diplomatie? Etwa weil die Popularisierung immer nur so weit getrieben werden darf, wie das Zielpublikum bereits vorangeschritten ist? Sicherlich geben bei kommerziellen Unternehmen wie Geschichtsmagazinen die Auflagen den Ton an, weshalb sich immer das am besten verkauft, was ohnehin schon bekannt ist. Aber vielleicht gibt es ja thematische Nachfragen, von denen noch niemand etwas wusste, die gerade deswegen geweckt werden könnten, weil sie eben nicht das immer schon Bekannte aufwärmen?
Ich gebe zu, das ist recht idealistisch gedacht – wahrscheinlich zu idealistisch. Begnügt man sich bis zur Änderung dieses Zustands mit der regelmäßig dargebotenen Hausmannskost, so zeigen die Geschichtsmagazine eine dominierende Vorstellung von der Vergangenheit an, die zwar kein eindimensionales, aber doch recht übersichtliches Set an Funktionen aufweist: Erstens findet sich ein affirmatives Geschichtsbild, das auf Identifizierung, wenn nicht gar auf Identitätsbildung setzt. Hierzu dienen Klassikerthemen wie die Geschichte der jungen Bundesrepublik, noch eher aber biographische Zugänge – Stichwort: Vorbilder. Zweitens findet sich ein historischer Exotismus, der das Fremdartige hervorhebt. Das Mittelalter bietet sich hierfür schon seit Längerem als ideale Spielwiese an, denn hier kann man vermeintlich ohne Hemmungen allen Phantasien von sex’n’crime’n’powerplay frönen. Die dritte Variante ist gewissermaßen die negative Umkehrung der ersten, insofern sie auf Betroffenheit setzt und damit zu einer Identifizierung ex negativo anleiten möchte. Paradethema ist natürlich der Nationalsozialismus, aber alle Formen kriegerischer Auseinandersetzung, gesellschaftlicher Unterdrückung oder ethnischer Verfolgung können dazu herhalten.
Gegen solche Formen der Historisierung ist per se nichts zu sagen. Sie versäumen aber eine wichtige, wenn nicht sogar die wesentliche Qualität historischer Beschäftigung: Sie nutzen die zeitliche Distanz gerade nicht dazu, um Differenz zu thematisieren, um Selbstkritik zu üben und die Grundlagen gegenwärtiger Verhältnisse zu analysieren. Ein Geschichtsmagazin, das eben diese Möglichkeiten nutzt, würde ich gerne einmal lesen wollen – nur um es wohl nach der ersten Nummer wieder eingehen zu sehen.
[1] Geo Epoche, Nr. 60 (2013): Der Amerikanische Bürgerkrieg, S. 13.
[2] Geo Epoche, Nr. 60 (2013): Der Amerikanische Bürgerkrieg, S. 5.
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Quelle: http://achimlandwehr.wordpress.com/2013/12/30/17-magazinierte-geschichte/