28. Anti-Aging oder Vorwärts in die Vergangenheit

Sprachliche VerkleisterungAnti-Aging

And now for something completely different. Einen Beitrag über Anti-Aging mit dem Ausspruch einer leidlich bekannten Truppe britischer Komödianten beginnen zu lassen, ist nicht nur deswegen gerechtfertigt, weil ich von dem hier zu behandelnden Gegenstand eigentlich keine Ahnung habe, sondern auch weil man in diesem Terrain ohne die englische Sprache nicht auskommt. Das Englische dient hier, wie nicht selten, zumindest für deutsche Konsumierende zur (letztlich recht durchsichtigen) Verschleierung vager, stupider, wenn nicht gar unsinniger Inhalte. Produkte, die in irgendeiner Form mit dem Lifestyle in Zusammenhang stehen, müssen mit genau dieser sprachlichen Verkleisterung operieren, um ihre Inhaltsarmut zu übertünchen.

Man muss sich die sprachlichen Entgleisungen nur einmal zu Gemüte führen. Bei Kosmetikprodukten finden sich beispielsweise ein „Concern Kit De-Aging“ zur Gesichtspflege oder das „Anti-Aging Facial Serum“ mit dem schönen Titel „Make yourself youthful“. Die Feuchtigkeitscreme „Superdefense“ ist wohl nicht für militärische Einsätze gedacht (nehme ich einmal an), klingt aber ganz danach. Ein „Daily Youth Restoring Serum“ klingt schon ein wenig nach Hexenküche, aber spätestens wenn das Label „Wonderskin“ eine „reparierende Anti-Age Maske“ anbietet, ist klar, wie eng die diskursiven Beziehungen zwischen der Anti-Aging-Industrie für Frauen und dem Baumarkt-Wesen für Männer sind. Aber es gibt für alles noch Steigerungsmöglichkeiten. Bei der „Total Age Correction“ habe ich eher Assoziationen mit Zombie-Filmen, während der „Hyper-Hydrating Rejuvenating Eye Contour“ nach dem Ergreifen letzter möglicher Mittel in Folge völliger Verzweiflung anmutet.

Selbstredend müssen solche Versprechen auf Englisch gegeben werden. Auf Deutsch klingt das denn doch irgendwie sklerotisch: Anti-Alterung, Reperaturserum, Gesichtskorrektur – das wären Ausdrücke, die man irgendwo zwischen Krankenhaus und Autowerkstatt einordnen würde.

Uralte Jungbrunnen

Nun mag man behaupten, Anti-Aging sei es gar nicht wert, einer halbwegs seriösen Betrachtung unterworfen zu werden. Aber müssen denn nicht die Historizitätssynapsen zu klappern beginnen, sobald bei der Werbung für Anti-Aging-Produkte permanent Verjüngungsversprechen gegeben werden? Lauert dahinter nicht die uralte Vision vom Jungbrunnen, der Wunsch, den unvermeidlichen Verfall aufhalten zu können und endlich den lebenden Beweis dafür abzuliefern, dass Unsterblichkeit doch möglich ist? Mit welchen Formen von Verzeitlichung haben wir es zu tun, wenn ein ganzer Industriezweig von dem Versprechen leben kann, gegen das Altern vorzugehen?

Sicherlich ist es etwas billig (wenn auch nicht gänzlich unamüsant), die eigentümliche Sprache dieser Industrie aufs Korn zu nehmen, indem man sie einfach nur mal wörtlich nimmt. Kein Verkäufer und keine Käuferin solcher Produkte nimmt ernsthaft an (so hoffe ich zumindest), dass die dargebotenen wortreichen Verjüngungsformeln sich auch dauerhaft in physischen Ergebnissen niederschlagen werden. Auch wenn es nicht dauernd thematisiert wird, aber als Objekte von Dauerwerbeberieselung wissen wir zumindest implizit, dass einen Autos nicht zufriedener, Halsbonbons nicht gesünder, Winterbekleidung nicht schöner und Biersorten nicht männlicher machen. Von den Emotionen, die mit dieser Werbung transportiert werden, lassen wir uns aber durchaus ansprechen. Und in diesem Sinn lohnt sich schon die Frage, was für eine Zeitlichkeit eine Kultur sich leistet, wenn sie mittels chemisch-kosmetischer Produkte, medizinischer Eingriffe, Wellness-Urlaube und spezieller Nahrungsmittel zumindest manchen erfolgreich die Hoffnung verkaufen kann, das Altern nicht nur hinauszuzögern, sondern dem Wortsinn nach (Anti!) auch aufzuhalten und vielleicht sogar umkehren zu können.

Danach kommt noch alles

Nun ist es recht offensichtlich, dass auch bei Konsumentinnen von Anti-Aging-Produkten die Hautalterung früher oder später sichtbar wird und der Tod irgendwann zuschlägt. Im noch schlimmeren Fall kann man in einem solchen Gesicht vielleicht nicht mehr ablesen, wie die Haut altert, man kann aber sehr deutlich die Maßnahmen erkennen, die zur Sistierung dieses Prozesses eingesetzt wurden – wandelnde Mumien in den Einkaufsstraßen. Und ebenso offensichtlich ist es, welche Form der Verzeitung hinter diesem Wunsch nach Gegenalterung steckt. Das Ideal von Jugendlichkeit und Lebendigkeit, das so gern als „Vitalität“ verkauft wird, ist nicht erst im Zuge kapitalistischer Gesellschaften zum Wunschbild geworden. Von der Vorstellung des Jungbrunnens zum Anti-Aging einen ungebrochene Kontinuitätslinie zu ziehen und eine anthropologische Konstante feststellen zu wollen, wirkt aber wenig überzeugend. Anti-Aging scheint mir insofern ein Gegenstand zu sein, den es ernsthaft zu befragen lohnt, als sich damit nicht nur Jugendlichkeitswünsche, sondern ebenso Sinnfragen verbinden. Auch in einer Gesellschaft, die sich weitgehend als säkularisiert begreift, kann die Frage danach, was nach dem Leben kommt, nicht einfach suspendiert werden. Wenn religiöse Antworten nicht mehr überzeugen, dann muss man sich entweder mit dem Nichts anfreunden – oder versuchen, die Gegenwart zu einem Dauerzustand zu machen. Anti-Aging erscheint dann als eine Fluchtvariante vor der Einsicht, dass nach dem eigenen Leben noch so viel mehr Leben auf die Überlebenden wartet. Man kann Angst haben, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Man kann aber auch Angst davor haben, dass danach noch alles kommt. [1] Anti-Aging-Maßnahmen lassen sich daher auch begreifen als Anti-Fear-Maßnahmen.

Gerade hier kann man das Abschreckend-Faszinierende und das zugleich Paradoxe an der Anti-Aging-Industrie und dem Wunsch nach Entalterung ausmachen. Denn Anti-Aging-Versprechen machen sich die neuesten, in die Zukunft weisenden Fortschritte der chemischen Industrie und der medizinischen Wissenschaft zunutze – um mit ihrer Hilfe einen Weg in die Vergangenheit, nämlich in die eigene körperliche Jugendlichkeit einzuschlagen. Weiterhin gehen diese hochindustrialisierten Wissenschaftskomplexe unheilige Allianzen mit letztlich magischen Überzeugungen ein, die den uralten Wunschtraum der Menschheit beinhalten, die individuelle Lebensuhr zurückdrehen zu können. Wenn es noch eines Beweises bedürfen würde, wie widersprüchlich dieses seltsame Ding namens ‚Fortschritt‘ ist, dann könnte man ihn hier finden: technisch-wissenschaftlich zwar auf höchstem Niveau, aber in puncto Todesflucht noch keinen Schritt weiter gekommen.

Problem Astronautennahrung

Dabei könnte doch alles so einfach sein – und wird es möglicherweise in Zukunft auch. Einstein (wer sonst) hat auch schon für Anti-Aging die Lösung gefunden: Mit der ausreichenden Menge landesüblicher Valuta ließe sich ein Flug durchs Weltall bestellen, bei der die Astronautin sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegt. Zurück auf der Erde wäre sie ohne den Einsatz irgendwelcher Cremes kaum gealtert, während ihre daheim gebliebenen Freundinnen in der Zwischenzeit ihren Tribut an den unaufhaltsamen Verfall zahlen mussten. Nun gut, es gibt Stimmen, die behaupten, der Nichtalterungsprozess bei der Lichtgeschwindigkeitsreise durch die Raumzeit würde dadurch zunichte gemacht, das man im Raumschiff Astronautennahrung zu sich nehmen müsste. Aber auch an diesem Problem wird sicherlich gearbeitet.

 

[1] Vgl. Rattelschneck: Harry & Hilmar, in: Süddeutsche Zeitung, 27./28. September 2014.


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Quelle: http://achimlandwehr.wordpress.com/2014/10/28/28-anti-aging-oder-vorwarts-in-die-vergangenheit/

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CfP: Pop im Alter, transatlantisch und transrheinisch

Gleich drei aktuelle Calls fragen nach Beiträgen zu Pop:

1. Pop im Alter

Die Gleichsetzung von Pop mit Jugendkultur will eine Gesprächsrunde in Frage stellen: Der GAM e.V. (Gesellschaft – Altern – Medien) stellt seine 5. Jahrestagung unter das Thema „Pop im Alter“. Wie der Verein mitteilt, bilde den Mittelpunkt der für den 27.-29. Juni 2014 anberaumten Tunzenberger Kamingespäche “die Entwicklung und die Aneignung der Popkultur im höheren Lebensalter bis hin zu ihren Wurzeln in der Jugend sowie das Wechselverhältnis von Medienaneignung und Identität bezogen auf Popkultur”.

Verfolgt werden laut Call zwei Ziele: Perspektiven, Ansätze und Methoden der Forschung zur Ästhetik und deren Aneignung von Popkultur im Alter sollen nachgezeichnet und aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Außerdem würden Handlungsfelder für eine künftige Alter(n)smedienforschung aufgezeigt. Pop werde dabei nicht auf Musik beschränkt, sondern sei ein Sammelbegriff für Kultur als Alltagspraxis in der Aneignung mit dem Ziel der Identitätsbildung. Identität verstehe man sowohl als “Ausdruck der individuellen Einzigartigkeit als auch als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft”. Schwerpunkt der Tagung sei die Bedeutung von Pop in Bezug zur Lebenswelt der Subjekte. Damit nehme sie keine medien-, sondern eine subjektzentrierte Perspektive ein. Die Bedeutung von Pop werde vielmehr im Rahmen der Identitätsfindung und -bildung als lebenslanger Prozess verstanden.

Die Gespräche auf Schloss Tunzenberg (Niederbayern) sollen “einer ausgewählten Gruppe von Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen, Kulturschaffenden und pädagogisch Handelnden” die Möglichkeit geben, sich “in einer anregenden Umgebung anhand eigener Forschung und Praxis vertieft mit dem Thema Alter(n) und Medien im sozialen Kontext auseinanderzusetzen”.

Der vollständige Call findet sich hier. Die Deadline wurde soeben verlängert bis zum 24. März 2014.

2. Amerika-Euphorie – Amerika-Hysterie. Populäre Musik made in USA in der Wahrnehmung der Deutschen 1914–2014

Das Deutsche Volksliedarchiv Freiburg veranstaltet aus Anlass seines 100. Bestehens eine Geburtstagstagung zur affirmativen und kritischen Rezeption US-amerikanischer Musikkultur in Deutschland von 1914 bis heute. Mit dem Ziel, einen interdisziplinären, multiperspektivischen Zugang zum in Rede stehenden Phänomen zu eröffnen, sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen eingeladen, Themenvorschläge einzureichen. Leitfragen könnten sich auf die teilkulturelle Aneignung der Musik (z.B. in Jugendkulturen), die Thematisierung der USA in deutschsprachiger Musik oder öffentliche/mediale Diskurse (in Ost und West) beziehen. Vier Sektionen widmen sich den Themenfeldern:

- Jazz-Rezeption in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
- Rock’n’Roll und Jugendkultur im Nachkriegsdeutschland
- Vietnam, Flower Power und die „68er“
- Pop-Giganten in Film, Funk und Fernsehen – und Internet

Der vollständige Call findet sich hier. Die Deadline ist der 31.03.2014.

3. Deutsch-französische Schnittstellen in Populärkultur und Medien. Interkulturelle Vermittlungsprozesse und Fremdwahrnehmung

Welche Bilder von Frankreich werden in Deutschland in Medien der Populärkultur vermittelt und umgekehrt? Welche diesbezüglichen Entwicklungen lassen sich diesbezüglich seit den 1950er Jahren feststellen? Diese Fragen will eine Sektion auf dem 9. Kongress des Frankoromanistenverbandes vom 24.bis 27 September 2014 in Münster beantworten.

Leitfragen sind: Inwiefern sind Bilder des Anderen von stereotypen Darstellungsweisen geprägt? Stellen sie auch einen Raum für die interkulturelle Vermittlung von differenzierteren Wissensbeständen dar? Wie verhalten sich die zumeist populären Diskurse der „nicht intentionalen“ Mittlerinstanzen zu traditionellen Mittlerfiguren und –institutionen, die implizit oder explizit eine Diskurshoheit beanspruchen? Welche Wechselbeziehungen gibt es zwischen Selbstbild und Fremdbild bei Figuren oder Medien, die in beiden Ländern präsent sind?

Konkret benannt werden folgende Felder:

- Populäre Musik wie Chanson oder Schlager: Hier werden in zumeist suggestiver Form Sehnsuchtsorte beschworen, aber vielleicht auch Wissensbestände über die andere Kultur geschaffen. Beispielsweise könnten Sängerinnen und Sänger in den Blick genommen werden, die wie France Gall, Frédéric Mey / Reinhard Mey oder auch Georges Moustaki beidseits des Rheins tätig waren und durch ihr – bisweilen sehr genau an das jeweilige Publikum angepasstes – Œuvre kulturvermittelnd tätig waren.
- Fernsehen: Bilder des Anderen entstehen auch fernab der Nachrichten und dokumentarischer Genres, etwa durch die Darstellung Angela Merkels in den „Guignols de l’info“ und allgemein in Variété-Sendungen oder Unterhaltungsshows.
- Populärer Spielfilm: Wie im Bereich des Chansons / Schlagers können auch hier Figuren in den Mittelpunkt rücken (Romy Schneider, Pierre Brice) oder aber einzelne Spielfilme näher betrachtet werden.
- Populärkulturelle Manifestationen des Anderen in Sachbüchern (Reiseführer, Kochbücher, Ratgeberliteratur etc.). Neben der eigentlichen journalistischen Tätigkeit entfalten z.B. viele Auslandskorrespondenten eine rege publizistische Aktivität, die – unabhängig von Einzelereignissen – Bilder des Anderen generiert, festigt und tradiert (U. Wickert, C. Calla, P. Hugues u.v.a.).
- Weitere potenzielle Gegenstände von Beiträgen könnten Werbung, Jugendmagazine, „bandes dessinées“ oder Musicals sein; ebenso willkommen sind Vorschläge aus dem Bereich der Populärliteratur.

Der vollständige Call findet sich hier. Deadline war der 31.1.2014.

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1187

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