Wer braucht schon ein elektronisches Langzeitarchiv?

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In den Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen, die sich um das Thema “Elektronische Langzeitarchivierung” drehen, taucht oft die Frage auf, ob und wann eine Kommune oder ein Kreis ein Langzeitarchiv benötigt. Vielfach sehen sich die Archive außer Stande, in Zeiten knapper Kassen den Bedarf erfolgversprechend zu begründen. Dabei ist die Ausgangslage günstig wie nie:

1. Es gibt klare gesetzliche Vorgaben zur Pflicht elektronisch zu archivieren, die sich aus dem NRW Archivgesetz ergeben!

  • In §2 (1) steht der Hinweis, dass elektronische Aufzeichnungen unter den Unterlagenbegriff und damit unter die Anbietungspflicht fallen.
  • Die Auswahl der archivwürdigen Unterlagen erfolgt ausschließlich nach fachlichen Kriterien durch das zuständige Archiv vgl. § 2 (6).
  • Elektronisches Archivgut ist “in seiner Entstehungsform” – also elektronisch aufzubewahren § 5 (2).
  • § 4 (1) bestimmt, dass auch “Elektronische Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen” anzubieten sind (d.h. fortlaufend aktualisierte Datenbanken, Webseiten etc.).
  • Im selben Paragrafen werden Archiven ermächtigt, “auf Verlangen zur Feststellung der Archivwürdigkeit Einsicht in die Unterlagen und die dazu gehörigen Hilfsmittel und ergänzenden Daten” zu nehmen.
  • Schließlich sind alle (auch personenbezogene Daten und die, die einem “Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis oder sonstigen Rechtsvorschriften über die Geheimhaltung unterliegen”) anbietungspflichtig, vgl. § 4 (2).
  • § 3 (6) legt fest, dass über die Austauschformate, in denen archivwürdige Unterlagen an die Archive übergeben werden – so nicht übergreifend standardisiert – Einvernehmen mit dem Archiv bestehen muss.
  • Der selbe Paragraf sichert den Archiven eine Beteiligung bei der Einführung neuer Software, aus der archivrelevante Unterlagen entstehen können.
  • Alle diese Paragrafen sind seit 30. September 2014 durch § 10 (5) aufs kommunale Archivwesen übertragen worden. Auch in unserer neuen Mustersatzung für Kommunalarchive sind entsprechende Passus aufgenommen worden.

2. Elektronisches Archivgut gibt es in jeder Verwaltung!

  • Es gibt keine Verwaltung mehr, die rein papiergestützt arbeitet. Dass dabei notwendiger Weise auch archivwürdige Unterlagen in elektronischer Form entstehen, liegt auf der Hand:
  • Spätestens seit 1.1.2014 sind durch eine Gesetzesreform die Standesämter verpflichtet worden,  elektronische Personenstandsregister zu führen. Nach Ende der Fortführungsfrist sind die Datensätze ins Archiv zu übernehmen; für nacherfasste Einträge gilt die Frist der zugrunde liegenden Papierurkunde, d.h. dass schon sehr bald elektronische Einträge anbietungsreif werden. Ab 1.1.2017 steht aller Voraussicht nach eine bundesweit normierte Schnittstelle aus den Elektronischen Registern bereit.
  • Gewerbean-, -um- und -abmeldungen werden schon seit den 1980ern nur noch elektronisch vorgenommen und stellen eine wichtige Quelle für die Wirtschaftsgeschichte eines Orts und einer Region dar. Die Aufbewahrungsfrist liegt aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Regel bei fünf (Hessen, Baden-Württemberg) oder zehn Jahren (Bayern) nach Abmeldung des Gewerbes.
  • Elektronische Aktenführung ist bei Baugenehmigungs-Verfahren, in der Liegenschaftsverwaltung, im Sozialhilfewesen und in Jugendämtern weit verbreitet. Durch die eGovernment-Gesetzgebung des Bundes und des Landes NRW (in Vorbereitung) wird sich der Trend zur eAkte in den nächsten Jahren noch verstärken.
  • Ratsinformationssysteme ersetzen zum Teil schon jetzt die Dokumentation des Entstehungsprozesses und die ausgedruckten und unterschriebenen Fassungen der kommunalen politischen Organe und Gremien (Kreistag und -ausschüsse, Stadt- und Gemeinderäte und -ausschüsse). Diese Unterlagen sind langfristig zu erhalten!
  • Auf Gruppenlaufwerken und Intranet-Seiten, in E-Mail-Postfächern und persönlichen Ordnern schlummern zahllose Dateien, die – trotz z.T. hohem Informationsgehalt –  nie mehr Teil einer Akte werden. Arbeitsweisen ändern sich durch die elektronischen Möglichkeiten – Archiven bleibt nur, sich um diese Überlieferungen ebenso zu bemühen wie um ihre papierenen Vorläufer!

3. Verbundarchive machen Langzeitarchivierung bezahlbar!

  • Die Erstellung von eigenen Fachkonzepten zum Aufbau von Langzeitarchiven, die Begleitung von Programmierung, Tests und Abnahmen – das überfordert kleine, mittelgroße und auch viele größere Kommunalarchive. In NRW gibt es unter dem Dach des vom Land initiierten DA NRW Angebote für die Nutzung von Verbundlösungen. Derzeit werden zwei Softwaren angeboten: Die am Institut für Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln mit kulturspartenübergreifendem Ansatz entwickelte „Digitales Archiv-NRW-Software-Suite“ kurz DNS, die derzeit getestet und unter der Federführung der LVR Infokom bis Mitte des Jahres zur Produktionsreife geführt wird.
  • Die in den staatlichen Archivverwaltungen des Bundes, von NRW und  Rheinland-Pfalz und den Kommunalarchiven Stuttgarts, Kölns und unseres Hauses produktiv eingesetzte „Digital Preservation Solution“ kurz DiPS, die von den Firmen Hewlett-Packard und SER programmiert und weiter entwickelt wird.
  • Es ist geplant, beide Systeme über den Dachverband kommunaler IT-Dienstleister in NRW (KDN) den unmittelbaren und mittelbaren Mitgliedern zugänglich zu machen. Für die wenigen Kommunen in NRW, die nicht davon profitieren würden, ist es möglich, sich auf dem Wege der Verwaltungsvereinbarung an den entstehenden Verbundsystemen zu beteiligen.
  • Gegenüber selbst programmierten oder betriebenen Langzeitarchiven ist ein solches Verbundarchiv mindestens um den Faktor 10 billiger!
  • Die Kosten für die Teilnahme an einer Verbundlösung liegen im Rahmen anderer “kleiner” Fachverfahren der Verwaltung. Die Betreiber-Rechenzentren wollen keinen Gewinn auf Kosten der teilnehmenden Archive oder ihrer Trägerverwaltungen machen, sondern streben nach einer Startphase eine schwarze Null im Betrieb an. Damit aber Synergien entstehen können und sich der Betrieb überhaupt lohnt, bedarf es einer möglichst breiten Beteiligung der Archive in Westfalen-Lippe! Es gilt: Je mehr Archive sich beteiligen, umso günstiger wird das Angebot.

4. Anfänge sind gemacht! Mitmachen statt abwarten!

  • Die kommunalen Spitzenverbände begrüßen und begleiten die Arbeit im DA NRW. Die Forderung nach leistungsfähigen Langzeitarchiven wurde bereits in einem 2012 erschienenen “Positionspapier zur digitalen Archivierung, insbesondere zur Einrichtung elektronischer Langzeitarchive” erhoben.
  • Archivische Arbeitskreise in Ostwestfalen-Lippe und Südwestfalen, aber auch beim KDN haben sich schon auf den Weg gemacht, Fachverfahren auf ihre Archivwürdigkeit hin zu prüfen und ggf. Aussonderungsschnittstellen zu beschreiben. Zuletzt haben Herr Dr. Pätzold und Frau Fercho aus Bochum ihre Ergebnisse online gestellt und in der Archivpflege beschrieben.
  • Elektronische Zwischenarchiv-Lösungen wie “Archivo” für den Bereich des Meldewesens werden durch ein Elektronisches Langzeitarchiv nicht obsolet. Das neue Bundesmeldegesetz stellt in § 16 “Anbieten von Daten an Archive” klar: „Die Pflicht zum Anbieten von Meldedaten und den dazugehörigen Hinweisen an durch Landesrecht bestimmte Archive ist gegenüber dem Löschungsgebot des § 14 Absatz 1 Satz 1 BMG vorrangig.“ Unter die Anbietungspflicht fallen auch weiterhin die anlassbezogenen Teildaten wie die Familienverkettungen beim Erreichen der Volljährigkeit eines Gemeldeten.
  • Mit unseren seit 2012 regelmäßig stattfindenden Fortbildungen haben wir bisher ca. 50 Kolleginnen und Kollegen erreicht, die teils allein, teils mit ihren EDV-Zuständigen teilgenommen haben. Noch besser als erzählt zu bekommen, wie es geht, ist, selbst Erfahrungen zu sammeln. Warten Sie nicht länger ab, sondern gehen Sie das Thema jetzt an! Wie bei allen Fragen unterstützt Sie das LWL-Archivamt auch bei dieser Fachaufgabe durch Fortbildungen und Beratung, es kann aber die Arbeit der Archive vor Ort nicht übernehmen oder ersetzen.

Peter Worm, 2015-04-28

 

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/2152

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