1000 Worte Forschung: Dissertation Philosophiegeschichte, Universität Wien
Im Jahr 1489 erscheint eine lateinische Inkunabel mit dem Titel De vita libri tres. Der Autor ist der aus Figline stammende Arzt, Philosoph und Priester Marsilio Ficino (1433-1499). Er war kein Unbekannter im Quattrocento: Protegiert von Cosimo de’Medici, galt Marsilio Ficino als intimer Kenner der Antike. Er übersetzte nicht nur das gesamte platonische Corpus vom Griechischen in die lateinische Sprache, sondern machte auch die Übersetzungen anderer spätantiker Schriften, darunter Texte von Iamblichus, Synesius, Priscian, Proklus und Psellus der gelehrten Leserschaft zugänglich.[i] Jedoch waren es die Drei Bücher über das Leben, mit denen Marsilio Ficino ein „Bestseller“ seiner Zeit gelang, wie über 26 Auflagen bis zum Jahr 1647 belegen.[ii]
Ficinos Intention war es, mit De vita libri tres ein medizinisches Werk für den Erhalt der Gesundheit zu verfassen. Primäre Adressaten waren die Gelehrten seiner Zeit. Das erste Buch De vita sana, thematisiert die Reinigung des Körpers und Geistes mithilfe von Diäten, Kuren und Arzneimischungen. Das zweite Buch, De vita longa enthält therapeutisch-pharmazeutische Maßnahmen, die dabei helfen sollen, die Gesundheit zu bewahren und zu verlängern. De vita coelitus comparanda, der Abschluss der Trilogie, war als Kommentar zu Plotins Enneaden (Enn. IV, 3, 11 und IV, 4, 26–44) konzipiert.[iii]
Bei eingehender Lektüre von De vita coelitus comparanda wird jedoch deutlich, dass es Marsilio Ficino um mehr ging, als einen Kommentar zu den Plotinischen Enneaden zu verfassen. Vielmehr verbindet er kosmologische, naturphilosophische und medizinische Wissensbestände mit astrologischen und astral-magischen Überlegungen aus unterschiedlichen Traditionenlinien. Dabei stellt er seinen ZeitgenossInnen nicht nur eine Kollektion diverser, bis dahin wenig bekannter antiker und mittelalterlicher Magietheorien vor, sondern verknüpft auch ägyptische, arabische, lateinische und griechische Quellen zu einer neuen synkretistischen Philosophie. Aus der Verbindung von aristotelischen, platonischen, neu-platonischen und scholastischen Traditionszweigen, entsteht die charakteristische Tradition der gelehrten Renaissancemagie, die sich in Werken wie Cornelius Agrippasʾ De occulta philosophia libri tres (1531) oder Giambattista della Portasʾ Magiae Naturalis (1558) fortsetzte. Sie behauptet von sich, im Einklang mit den Lehren des Christentums zu stehen.
Ficinos „kulturelle Synthese“ erzeugt aber auch Spannungen, die vor allem auf divergierende naturphilosophische und empirische Modelle zurückgehen und die sich anhand der heterogenen Entwürfe von natürlicher und dämonischer Magie beschreiben lassen. Sie bilden zugleich den Untersuchungsgegenstand meines Promotionsprojektes, das den Titel „Saturn und Talisman. Die widersprüchlichen Begriffe der Magie am Beispiel von Marsilio Ficinos De vita libri tres“ trägt.
Den Ausgangspunkt der natürlichen Magie bilden die „wunderbaren“, aber der Wahrnehmung verborgenen Kräfte der Natur, etwa der Magnetismus oder die astralen Einwirkungen der Gestirne auf natürliche Objekte wie Steine, Pflanzen und Tiere sowie auf den untersten – den vegetativen Teil – der Seele. All diese Kräfte haben ihren Ursprung in Gott. Dieser Theorie zufolge verwendet bzw. kanalisiert der Akteur der natürlichen Magie lediglich die auf universellen Sympathien und Antipathien basierenden natürlichen Stoffe, um mit ihnen, die organische, das heißt, die sterbliche Seele in bestimmter Weise zu konditionieren. Diese Vorstellung bildet einen integralen Bestandteil von Ficinosʾ Darstellung der auf Astrologie basierenden Medizin: Gold, Honig und Safran beispielsweise, können zum richtigen Ort und Zeitpunkt den Strahlen der Sonne ausgesetzt werden. Ausgehend von der Idee einer verwandtschaftlichen Ähnlichkeit, ziehen diese Stoffe, die solaren Qualitäten verstärkt an. Durch Einnahme bzw. äußerliche Anwendung, helfen sie, die Kraft der Sonne in sich aufzunehmen und den Körper dadurch zu stärken.[iv]
Dem entgegengesetzt konzentriert sich die dämonische Magie auf das Verhältnis zwischen Menschen und Dämonen – manche von ihnen sind als Planetendämonen verkörpert. Sie sind aktiv und können willentlich auf die höheren Seelenteile und den Geist wirken. Der Magus benützt daher artifizielle Objekte wie Talismane, um die von den Dämonen emittierte kosmische Strahlung durch bestimmte Zeichen anzuziehen und sie auf den Träger des Talismans zu fokussieren. Diese Praxis der Dämonenbeschwörung widersprach jedoch christlichen Lehren, unter anderem deswegen, weil mithilfe von künstlichen Objekten versucht wird, aktiv in den göttlichen Kosmos einzugreifen sowie bestehende Wirkungen zu stören und zu verändern. Hier finden sich auch Ideen bezüglich der Mechanisierung der Welt, die noch Jahrhunderte später in den Naturwissenschaften eine große Rolle spielen sollen.
Marsilio Ficino bedient sich der Stimmen von Autoritäten wie Iamblichus, Psellus und Pietro d’Abano, um über astrologische Talismane zu „berichten“. Dies geschieht in der Absicht, die mentalen Qualitäten des Menschen positiv zu beeinflussen, also z. B. die durch den Planetendämon Saturn hervorgerufene Melancholie durch den apollinischen Sonnendämon zu vertreiben.[v] Ficino suchte daher nach Wegen, die antiken Traditionen in sein kulturelles Umfeld zu integrieren – auch und gerade weil er vom therapeutischen Potenzial und der Effektivität dieser Praxis der Dämonenbeschwörung überzeugt war.
Beide Formen der Magie finden sich in Marsilio Ficinos De vita libri tres wieder und verzahnen sich geradezu ineinander. Wir finden dabei dämonische Elemente in der Beschreibung der natürlichen Magie und vice versa. Dieses spannungsgeladene Verhältnis, das sich einerseits durch formale Trennung und andererseits als instabile Einheit zwischen den beiden Magietheorien beschreiben lässt, bildet den Schwerpunkt meines Promotionsprojektes, und wird exemplarisch an Ficinos Entwürfen von Saturn und dem Talisman veranschaulicht. Die Analyse verdeutlicht nicht nur Paradoxien in Ficinos philosophisch-magischem Denken, sondern sie thematisiert darüber hinaus auch das komplexe Verhältnis von theoretischer Untersuchung und praktischer Anwendung von Magie insgesamt.
[i] vgl. James Hankins: Plato in the Italian Renaissance, Leiden/New York/Köln 1994, S. 267–299; Paul Oskar Kristeller: Acht Philosophen der Italienischen Renaissance – Petrarca, Valla, Ficino, Pico, Pomponazzi, Telesio, Patrizi, Bruno, Weinheim 1986, S. 33–36.
[ii] vgl. Dieter Benesch: Marsilio Ficino’s ’De triplici vita’ (Florenz 1489) in deutschen Bearbeitungen und Übersetzungen – Edition des Codex palatinus germanicus 730 und 452, Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1977, S. 8.
[iii] vgl. Brian P. Copenhaver: Renaissance Magic and Neoplatonic Philosophy: «Ennead» 4, 3–5 in Ficino’s “De Vita Coelitus Comparanda”; in Gian Carlo Garfagnini (Hg.): Marsilio Ficino e il ritorno di Platone – Studi e documenti, Florenz 1986, S. 351–369.
[iv] vgl. Marsilio Ficino: Opera Omnia, 2. Bde., hg. von Paul Oskar Kristeller, Torino 1983 (Nachdruck der Gesamtausgabe Basel 1576), Ficino: Opera Omnia, De vita libri tres, Lib. III, Cap. IV, S. 535 [S. 565] – 536 [S. 566], Cap. XIII, S. 550 [S. 580].
[v] ebda. Lib. III, Cap. XIII, S. 548 [S. 578]; Cap. XVIII.