Wilde Flusslandschaft oder wertvolle Kulturlandschaft? Über die Begradigung des Oberrheins (IV)

Der Oberrhein des 20. und 21. Jahrhunderts

Das heutige Oberrheingebiet

Für die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts bedeutete die Korrektion dennoch ein Segen.1 Aus der Sicht Alexa Geisthövels löste sie aber langfristig gravierende Umweltschäden aus.2 In Beiträgen der Landesanstalt für Naturschutz Baden- Württemberg wird die drastische Umgestaltung der Landschaftsstruktur und Naturhaushalt seit Tulla ersichtlich.3 Aus der früheren Wildstromlandschaft ist durch die starke Absenkung des Grundwasserspiegels die „Steppe am Oberrhein“ geworden.4 „Großflächig und dauerhaft breiteten sich Trockenstandorte aus.“5 Stehende Gewässer trockneten aus.6 85% der feuchten Oberrheinauen verschwanden.7 Schon im 19. Jahrhundert wurden große Flächen trocken gelegt und einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt.8 Mit dem Verlust an Auenwald, Sümpfen und Feuchtwiesen reduzierte sich auch die Anzahl der Pflanzen- und Tierarten, deren Platz oftmals von „eingeschleppten Arten“ übernommen wurde.9

Eine weitere Denaturierung der Rheinufer erfolgte durch den Bau der Rheintalautobahn, von Kiesgruben und einer Kreismülldeponie.10 Große Industriekomplexe sowie ein Kernkraftwerk auf elsässischer Seite vervollständigen das Bild des modernen südlichen Oberrheins.11 Im ehemaligen Überflutungsraum liegen heute etliche Gemeinden, Industrie- und Verkehrsanlagen oder Abraumhalden.12 Bei Basel und mit seinen Chemiekonzernen beginnt die Verschmutzung des Rheins, die sich mit den elsässischen Industriekomplexen, einschließlich Chemischer Großindustrie und Müllverbrennungsanlagen bei Straßburg/Kehl, fortsetzt.13

Charakteristisch für das deutsche Ufer sind seine großen Wein-, Mais- und Weizenanbauflächen.14 Blackbourn schildert die heutige Oberrheinebene als „blühender Garten“ mit reich kultivierten Feldern. 15 Er sieht aber auch, dass Düngemittel als Abfallsprodukt des „blühenden Gartens“ den Fluss zusätzlich verunreinigten.16 Die winzigen Überreste der alten Auenwälder hingegen verzaubern ihn.17

Weitere Eingriffe im späten  20. Jahrhundert

Die kultivierte Agrarlandschaft der südlichen Oberrheinebene bewegt viele deutsche Autoren zu einem wehmütigen Rückblick in die Zeit vor den Korrektionen des 19. Jahrhunderts.18 Das Gemälde Peter Birmanns gehört hierbei zum Standard jeder Oberrheinauen Beschreibung.19

Es waren aber die Eingriffe des 20. Jahrhunderts, die dem Oberrhein erst endgültig seinen Wildstromcharakter nahmen und einen enormen Verlust an Auenfläche zur Folge hatten.20

Tullas Nachfolger erreichten, dass bis Ende des 20. Jahrhunderts die Nebenarme des alten Rheins fast vollständig gesperrt waren, so dass kein Wasser in den Rhein mehr einfließen konnte.21 Zudem bauten sie die Deiche kontinuierlich aus.22 Vor allem bei der Rheinregulierung nach den Plänen Honsells wurde der Strom noch einmal eingeengt um durch eine erhöhte Fließgeschwindigkeit und Tiefenerosion eine größere Fahrtiefe zu erhalten.23 Durch so genannte Querbauten suchte man eine bestimmte Mindestbreite und –tiefe des Fahrwassers sicherzustellen.24

Die natürlichen Kräfte des Ökosystems hätten aber trotz der Eingriffe durch Tullas Korrektion und Honsells Niederwasserregulierung ein bedingt ökologisches Gleichgewicht wiederherstellen können, „was der Landschaft aber in den letzten 60 Jahren angetan worden ist, stellt das Vorhergegangene in den Schatten und hat die natürliche Landschaft zerstört.“25

Der Bau und Ausbau des „Grand Canal d’ Alsace“ als geschlossenen Rheinseitenkanal erfolgte zwischen 1928 und 1955.26 Um Elektrizität zu gewinnen, wird das Wasser aus dem Rhein in diese „Betonrinne“ geleitet und Flusskraftwerken zugeführt.27 „Der „Canal d’Alsace“ hat dem Rhein das Wesen genommen. Aus dem reißenden Strom ist ein müder Fluss geworden.“28 „Die Schalthebel der Wehre entscheiden, ob der Rhein ein Fluss, ein Bach oder ein Rinnsal ist.“29 Das ökologische Ergebnis aller Ausbaumaßnahmen ist die heutige Trockenaue.30 Das ökonomische Ergebnis ist die sehr teure Nachschüttung von Kies, die so genannte „Geschiebezugabe“, um die schon kurz nach Tullas Tod überschrittene optimale Tiefenmarke der Sohlenerosion zu stoppen, die die Fundamente der Ufer- und Strombauwerke, die Häfen sowie Land- und Forstwirtschaft gefährden.31

Weitere Bauten von Kraftwerksstaustufen nach dem Zweiten Weltkrieg im seitlich betonierten Kanal und im alten Rheinbett beschleunigten die Austrocknung des Oberrheingebiets.32 All diese „Nach- Tulla- Arbeiten“ erhöhten aber die Gefahr eines Katastrophenhochwassers am Mittel- und Niederrheingebiet um ein Vielfaches, da der Fluss am Oberrhein bei Hochwasser nicht mehr ausufern kann und das Wasser in seiner schmalen, geraden „Rinne“ eine enorme Beschleunigung erfährt, dessen Auswirkungen die Städte flussabwärts, vor allem Mannheim und Köln, vermehrt zu spüren bekommen.33

Aussicht und Fazit

Um dem Hochwasser am Mittel- und Niederrhein beizukommen, legte das Land Baden- Württemberg im Jahr 1988 sein „Integriertes Rheinprogramm“ (IRP) vor.34 In diesem Programm wurden zwei Ziele festgelegt: 1. Die Widerherstellung des Hochwasserschutzes und 2. Die Erhaltung und Renaturierung der Auenlandschaft am Oberrhein.35 Im Jahr 1997 beschlossen die verschiedenen Landesanstalten eine Tieferlegung von Vorlandflächen auf einem ca. 90 Meter breiten Streifen um Hochwasserrückhaltebecken (so genannte Polder) zu gewinnen, und eine Auenrenaturierung voranzutreiben.36

Bei allem Enthusiasmus vieler Autoren für eine Renaturierung der feuchten Auen darf man nicht vergessen, dass nennenswerte Flächenanteile von Trockenstandorten in der Wildstromaue auch schon in der „Vor-Tulla-Zeit“ vorhanden waren und der Artenbestand in der Trockenaue trotz der Ausbaumaßnahmen weitestgehend ursprünglich geblieben ist.37 Viele Schriftsteller schwärmen in ihren Darstellungen bevorzugt von den feuchten Auenbereichen vor den großen Ausbaumaßnahmen, übersehen dabei aber häufig den überragenden Wert der Flora und Fauna der trockengefallenen Rheinauen am südlichen Oberrhein, einem der wärmsten Gebiete Deutschlands.38 Die Beiträge der Landesanstalt für Umweltschutz sprechen von einem in Deutschland einmaligen Landschaftraumsraum, „der auf großer Fläche höchst seltene und wertvolle Biotypen […] und eine Fülle bemerkenswerterte Tier- und Pflanzenarten“ aufweist.39

Wertvolle Trockenbiotope sollten aus Sicht heutiger Umweltschützer nicht einfach durch Auenbiotope ersetzt werden.40 Der Schutz und die Entwicklung nicht beanspruchter Trockenauenbereiche und die Generation von Feuchtauenbiotopen müssen gleichzeitig gefördert werden.[41.Vgl. Meineke. S. 487.]

Tullas Oberrheinkorrektion kann nicht allein mit heutigen Maßstäben bewertet werden. Sein Traum war eine verbesserte Lebensbedingung der Oberrheinanwohner. Zwar haben schon einige Zeitgenossen vor den kommenden negativen Auswirkungen gewarnt, für die Menschen des 19. Jahrhunderts aber war sein Großprojekt ein Segen in schwierigen Zeiten. Unter den damaligen Bedingungen war eine umfassende Lösung „alternativlos“, ansonsten hätte man die Rheinauen als Siedlungsgebiet aufgeben müssen.

Tullas Großprojekt half außerdem mit den neuen badischen Staat entlang seiner Hauptschlagader zu integrieren. Welch ökologische Spätfolgen seine „Rectification“ mit sich brachte, konnte er zum einen noch nicht vollständig vorhersehen, zum anderen waren es erst die Ausbaumaßnahmen seiner Nachfolger und die Bauarbeiten des 20. Jahrhunderts, die den Oberrhein in einen Kanal und somit in eine Bedrohung für die stromabwärts gelegenen Städte verwandelte. Für die „Versteppung“ des Oberrheingebiets zeichnet sich Tulla ebenso nicht allein verantwortlich.

Die Kultivierung und industrielle Erschließung des Oberrheinraumes ist zudem nicht per se ein negatives Faktum. Sie ermöglichen nicht nur eine gute Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten, sondern schufen auch eine Vielzahl an Arbeitsplätzen. Mit der „Zivilisation“ begann zwar auch die Verschmutzung des Oberrheingebiets, aber auch die Erschließung des Verkehrswegs Fluss. Am Anfang war Tullas Idee, aber erst die weitreichenden folgenden Ausbaumaßnahmen ermöglichten die Schiffbarkeit und die Industrialisierung des Rheins mit all seinen negativen und positiven Folgen. Mit dem Ende alter Lebenswelten beginnt aber auch immer etwas Neues. Tullas Traum stand also am Anfang eines langen Prozesses der Kultivierung des Gebietes und der Kanalisierung des Rheins. Mit Tulla änderten sich Denkhorizonte. Seine „Nachfolger“ im Wasserbau setzten da an, wo Tulla aufgehört hatte. Was vorher unmöglich erschien, war denkbar geworden. Dies ist sein Verdienst aber auch die Hauptkritik an seinem Schaffen.

 

Empfohlene Zitierweise:Dembek, Christoph (2012): Wilde Flusslandschaft oder wertvolle Kulturlandschaft? Über die Begradigung des Oberrheins (IV). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

 

  1. Vgl. Geisthövel, Alexa: Restauration und Vormärz 1815-1847. Seminarbuch Geschichte, Paderborn 2008. S. 102-103.
  2. Ebenda.
  3. Vgl. Baum, Frank/ Meineke, Jörg- Uwe/ Neumann Christoph/ Schmid- Egger, Christian: Das „Trockenaueprojekt“. Vorgeschichte und Zielsetzung, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000, S. 11.
  4. Siehe Baum, Frank/ Meineke, Jörg- Uwe/ Neumann Christoph/ Schmid- Egger, Christian: Das „Trockenaueprojekt“. Vorgeschichte und Zielsetzung, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000, S. 11.
  5. Siehe Vgl. Baum, Frank/ Meineke, Jörg- Uwe/ Neumann Christoph/ Schmid- Egger, Christian: Das „Trockenaueprojekt“. Vorgeschichte und Zielsetzung, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000, S. 11.
  6. Vgl. Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 143.
  7. Ebd. S. 139.
  8. Ebd. S. 139.
  9. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 139-140
  10. Vgl. Baum: Das „Trockenaueprojekt“, S. 11.
  11. Vgl. Baum: Das „Trockenaueprojekt“, S. 11.
  12. Vgl. Huppmann, Othmar/ Pfarr, Ulrike/ Staber, Herbert-Michael: Die Planung eines Hochwasserrückhalteraumes am südliche Oberrhein zwischen Basel und Breisach- Hochwasserschutz und Naturschutz Hand in Hand, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000, S. 37.
  13. Vgl. Tümmers, Horst Johannes: Der Rhein. Ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München 1994. S. 158-171.
  14. Ebd. S. 171-184.
  15. Siehe. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 129.
  16. Ebd. S. 141.
  17. Ebd. S. 139-140.
  18. Vgl. Coch, Thomas: Einführung in den Naturraum. Zur Frage primärer Trockenstandorte in der Wildstromaue des südlichen Oberrheingebietes, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000. S. 25
  19. Ebenda S. 26.
  20. Ebenda S. 25.
  21. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 144-145.
  22. Ebd. S. 145.
  23. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 149.
  24. Schwabe, Erich: Mensch und Oberrhein. Besiedlungsgeschichte, in: Die Auen am Oberrhein. Ausmaß und Perspektiven des Landschaftswandels am südlichen und mittleren Oberrhein seit 1800, hrsg. von Werner A. Galluser und Andre Schenker, Basel/ Boston/Berlin 1992. S. 53.
  25. Siehe Tümmers: Der Rhein, S. 149.
  26. Vgl. Coch: Einführung in den Naturraum, S. 24.
  27. Vgl. Coch: Einführung in den Naturraum, S. 25.
  28. Siehe  Coch: Einführung in den Naturraum, S. 25.
  29. Siehe Coch: Einführung in den Naturraum, S. 25.
  30. Vgl. Huppmann: Die Planung eines Hochwasserrückhalteraumes am südliche Oberrhein, S. 37.
  31. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 148 u. S. 154-155.
  32. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 156.
  33. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 156.
  34. Vgl. Huppmann: Die Planung eines Hochwasserrückhalteraumes, S. 35.
  35. Vgl. Huppmann: Die Planung eines Hochwasserrückhalteraumes, S. 35.
  36. Ebd, S. 40-45.
  37. Vgl. Meineke, Jörg-Uwe/ Ostermann, Alexander/ Jehle, Peter: Naturschutz in der Trockenaue. Erhalten und Gestalten, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000, S. 483. Vgl. Coch: Einführung in den Naturraum, S. 15.
  38. Vgl. Coch: Einführung in den Naturraum, S. 15-18.
  39. Siehe Baum: Das „Trockenaueprojekt“, S. 11.
  40. Vgl. Meineke. S. 487.

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Die Stunde Johann Gottfried Tullas

Viele Siedlungen zu beiden Seiten des Oberrheins waren jedoch zu Nahe am Wasser gebaut.1 Ihre große Vertrautheit mit den Gewohnheiten des Stromes und ihre Kenntnisse im Wasserbau schützten die Rheinanwohner mit Beginn der Frühen Neuzeit nicht mehr vor dessen Naturgewalten.2 Im 16., 17., und 18. Jahrhundert kam es zum Untergang von ganzen Ansiedlungen durch unverhältnismäßig heftige Überschwemmungen am Oberrhein.3 Vor allem in der Mäanderzone zwischen Karlsruhe und Speyer bedrohte das viele Wasser zunehmend das menschliche Leben am Fluss.4 Aber auch weiter stromaufwärts mussten einige Dörfer und sogar Handelsstädte, wie Neuenburg am Ende des 15. und Rheinau im 16. Jahrhundert, aufgegeben werden.5 Zudem waren große Flächen fruchtbaren Bodens versumpft, der Verkehr mit den Rheinorten war durch die ständigen Überschwemmungen erschwert und die Bewohner litten fast überall unter Fieberkrankheiten wie Malaria, Ruhr und Typhus.6 Versumpfungen und  Überflutungen hatten also neben wirtschaftlichen, hygienischen auch ernste gesundheitliche Folgen, ausgelöst vor allem durch „Insektenplagen“.7 Selbst Johann Wolfgang von Goethe soll beim Anblick dieser Schnakenschwärme in den Rheinauen an der Gütigkeit und Weisheit Gottes gezweifelt haben.8

Die Menschen am Oberrhein kannten Hochwassersicherungs- und Landgewinnungsmaßnahmen schon vor dem 19. Jahrhundert.9 Schon seit dem hohen Mittelalter befestigten sie Dämme mit Weidenfaschinen um Rheinaltarme abzuschnüren und Rheininseln zu verbinden und legten Deiche und Gräben zur Umleitung des Wassers an.10Auf großer Fläche konnte der Wildstrom jedoch nicht gezähmt werden“.11 Der Fluss stellte seit Beginn des 18. Jahrhunderts eine mit herkömmlichen Mitteln kaum mehr abzuwendende Bedrohung dar.12 Eine Hauptursache hierfür war eine „Kleine Eiszeit“ zwischen 1550 und 1850.13 Die Ursache hierfür ist strittig, jedenfalls erlebte Mitteleuropa kältere Winter mit mehr Schneefall sowie niederschlagsreichere Sommer.14 In den Jahrzehnten nach 1735 führten größere Mengen der Schneeschmelze und schwere Regenfälle zu ungewöhnlich starken Hochwassern und zu einem Anstieg des Flusswasserpegels.15 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts traten alle drei Jahre, zwischen 1799 und 1808 sogar jährlich, die Ufer über.16  Gerade während die Bevölkerungszahlen im 18. Jahrhundert rapid stiegen, mussten oftmals ganze Dörfer umgesiedelt werden.17

Die großflächige Übernutzung der Auenwälder in Form zunehmenden Kahlschlags begünstigte weitere Hochwasserkatastrophen, weil die Fluten immer mehr Angriffsflächen fanden.18 Der Auenwald lieferte den Rheinbewohnern wichtige Bau- und Brennstoffe.19 Anfälliges Weide- und Ackerland verdrängte zunehmend wasserabsorbierende Waldgebiete und resistentes Unterholz.20  Schon Forstwissenschaftler des 18. Jahrhunderts kritisierten die planlose Waldnutzung in Deutschland, die sich in Form gravierender Abholzungen und Umforstungen bemerkbar machte.21 Die Situation verschärfte sich noch als die jährlichen Hochwasser zu einer Anhebung des Flussbettes führten, da Sediment und Geschiebe vom Hochrhein flussaufwärts transportiert wurde und sich am Oberrhein ablagerten.22 Infolgedessen verbreiterten sich die überfluteten Gebiete immer mehr.23 Betrachtet man alle Faktoren ist es nicht verwunderlich, dass der Fluss in diesen Jahren 300 km² Auengebiete überschwemmte. 24

Die Bewohner des Oberrheins versuchten dem Hochwasser zu begegnen indem sie ständig versuchten die Wälle zu erhöhen und neue Uferabschnitte einzudeichen um damit den Rhein in ein schmaleres Bett zu zwingen.25 Das erhöhte aber nur das Zerstörungspotenzial des Hochwassers, da das Wasser bei einem Deichbruch nicht mehr so schnell abfließen konnte.26 Allein in den Jahren 1801 und 1802 brachen zwischen Kehl und Philippsburg sechsundzwanzig Dämme.27 Von den Rheinanwohnern durchgeführte Durchstiche einzelner Flussschlingen,  die den Zweck hatten den Druck an einer Stelle zu verhindern, erhöhten nur die Hochwassergefahr an einer anderen Stelle.28 Beispielsweise unternahm die Gemeinde Hördt Mitte des 18. Jahrhunderts einen Durchstich, der bewirkte, dass die Felder des auf der anderen Rheinseite gelegenen Dorfes Dettenheim überflutet wurden und der folglich den Niedergang Dettenheims bedeutete.29 Blackbourn schließt sich Tullas zeitgenössischem Standpunkt an, dass die lokalen Bemühungen um die Zähmung des Flusses planlos, wirkungslos und oft kontraproduktiv waren.30

Die Lage war Anfang des 19. Jahrhunderts jedenfalls unhaltbar geworden, viele Landschaften versumpften und Ortschaften mussten aufgegeben und verlegt werden.31 Besonders in den Jahrzehnten nach 1740 geriet fast jedes Dorf in der Mäanderzone mindestens einmal in große Gefahr vom Hochwasser verschluckt zu werden.32 Die großen Überschwemmungen und Zerstörungen 1816 und 1817 beschleunigten sodann die Umsetzung der Arbeiten nach Tullas Plänen, die mit dem ersten Durchstich bei Neupfotz 1817 begannen.33 Nach Meinung Tümmers war die Stunde Tullas gekommen, weil man schlicht vor der Wahl stand, ob „man entweder die Auen als Kulturlandschaft aufgab und sie wieder dem Rhein überließ, oder aber es musste eine tiefgreifende Verbesserung der Lage am Oberrhein eintreten“.34

Tullas großer Plan

Johann Gottfried Tulla

Ein 1822 formulierter Leitgedanke zeigt, wie Tulla sich den zukünftigen Wasserbau und die Gestalt der Flusslandschaften in Deutschland vorstellte: „In der Regel sollten in kultivierten Ländern die Bäche, Flüsse und Ströme Kanäle sein und die Leitung der Gewässer in der Gewalt der Bewohner sein.“35 Eine ungebändigte natürliche Flusslandschaft hatte nach den Vorstellungen Tullas im fortschrittsliebenden Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts nichts mehr verloren, und die deutschen Gewässer sollten keinen Naturgewalten mehr unterworfen sein. In einem „Zwischenspiel“ in der Schweiz 1809 verstärkte er den Wunsch in großem Maßstab zudenken, und erarbeitete erstmals einen Entwurf einer durchgehenden „Rektifikation“ des ungebärdigen Rheins.36

Das technische Wissen der deutschen Wasserbauingenieure war zu diesem Zeitpunkt bereits auf einem sehr hohen Stand.37 Schon vor Tullas großen Plänen hatte man erfolgreich Flüsse der Norddeutschen Tiefebene, die Oder und Warte sowie Teile des Niederrheins mit seinen Nebenflüssen verkürzt, umgelenkt oder durch Schleusen unterbrochen.38 Ab dem 19. Jahrhundert konnten deutsche Fachleute ohne Hilfe holländischer Spezialisten diese Arbeiten verrichten, was sich beispielhaft an der Regulierung der Elbe unter der Mitwirkung Reinhard Woltmanns, den Tulla in Hamburg kennen lernte, zeigte.39 Norddeutschland war führend auf dem Gebiet des Wasserbaus, dennoch hatte man auch schon in Baden seit Jahrhunderten Deiche gebaut, Ufer befestigt und Durchstiche an Rhein und Murg vollzogen.40 „Viele der Durchstiche in Tullas letztendlicher Rektifikation des Rheins waren (bereits) früher als Einzelmaßnahmen vorgeschlagen worden“.41 Doch mit Tulla erstarkte das Bewusstsein das weitere und weitreichende Verbesserungen nötig waren und damit eine ganzheitliche Begradigung dieses Rheinabschnitts.42 „Es war (also) ihr Umfang und nicht diese oder jene besondere Neuerung die Tullas Pläne zu etwas Außergewöhnlichem, ja Aufsehen erregendem machte.“43

Skizze vom Plan der Rheinbegradigung im 19. Jhr.

Tulla verfasste 1812 eine Denkschrift, in der er generalsplanmäßig „die Grundsätze nach welchen die Rheinbauarbeiten künftig zu führen seyn möchten“  festlegte.44 Die darin enthaltenen Ziele liefen auf eine völlige Neugestaltung des Flussverlaufes hinaus.45 Tulla plante eine Korrektion des gesamten Oberrheins, der sich von Basel bis zur hessischen Grenze bei Worms auf 354 Kilometern erstreckt.46 Der Strom sollte nun in einem ungeteilten, zwischen 200 und 250 Metern gleichmäßig breiten Bett fließen.47 Das Flussbett würde mittels Durchstiche begradigt und durch Seitendämme derart eingeengt werden, so dass ein verkürzter und schneller fließender Strom sich selbst ein tieferes Bett graben würde.48 Die Tiefenerosion sollte den Grundwasserspiegel senken und somit die Oberrheinniederungen entwässern.49 Tullas Wunsch war es auf diese Weise die Rheinufergemeinden vor Überschwemmungen zu schützen, allgemein die Bewohnbarkeit des Rheintales zu sichern und zu verbessern und aus bisherigem Sumpfland wertvolles Kulturland zu gewinnen.50

Befürchtungen und Widerstände Preußens und der Niederlande, Länder mit großen Erfahrungen im Wasserbau, verwarf Tulla ebenso wie die Bedenken badischer Abgeordneter und anderer Fachleute.51 Ein zeitgenössischer Kritiker sprach von einem „gewagten Plan“, der „Katastrophen herbeiführen“ werde, als er auf die Gefahr schwerer Überschwemmungen an Mittel- und Niederrhein als Folgeerscheinung der Oberrheinkorrektion hinwies.52

Tulla verteidigte seine Rektifikation als „das einzige Rettungsmittel für die Rheinuferbewohner“. 53 Seine Kritiker waren „nicht vom Fach“, hatten „beschränkte Ansichten“ und einer war darunter „welcher vom Strombau nichts versteht“. 54 Einige Gemeinden am Rhein widersetzten sich dem Projekt in seinen Anfangsjahren, da sie befürchteten in Zeiten häufiger Missernten wertvolle Acker- und Waldflächen zu verlieren, so dass die Baumaßnahmen durch Soldaten geschützt werden mussten.55 Tulla warf den Verweigerern Ignoranz und engstirniges Eigeninteresse vor.56

Demnächst geht es weiter im Teil III  über die Begradigung des Rheins und ihre Auswirkungen im 19. Jahrhundert

 

Empfohlene Zitierweise:

Dembek, Christoph (2012): Wilde Flusslandschaft oder wertvolle Kulturlandschaft? Über die Begradigung des Oberrheins (II). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Nachweis:

Bildquelle: Johann Gottfried Tulla, in: Der Große Herder, Band 11, 1931 und auf Wikipedia

Bildquelle: Skizze vom Plan der Rheinbegradigung im 19. Jhr., auf Wikipedia

 

Bibliographie:

 

  1. Vgl. Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 102.
  2. Vgl. Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 102-103.
  3. Vgl. Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 99-103.
  4. Vgl. Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 103.
  5. Vgl. Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 99.
  6. Tümmers, Horst Johannes: Der Rhein. Ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München 1994. S. 140.
  7. Vgl. Meurer, Rolf: Wasserbau und Wasserwirtschaft in Deutschland. Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 2000, S. 76.
  8. Vgl. Meurer, Rolf: Wasserbau und Wasserwirtschaft in Deutschland. Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 2000, S. 76.
  9. Vgl. Coch, Thomas: Einführung in den Naturraum. Zur Frage primärer Trockenstandorte in der Wildstromaue des südlichen Oberrheingebietes, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000. S. 23.
  10. Vgl. Coch, Thomas: Einführung in den Naturraum. Zur Frage primärer Trockenstandorte in der Wildstromaue des südlichen Oberrheingebietes, in: Vom Wildstrom zur Trockenaue. Natur und Geschichte der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein, hrsg. von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, Ubstadt-Weiher 2000. S. 23 ; Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2006. S. 103.
  11. Vgl. Coch: Einführung in den Naturraum, S. 23.
  12. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur., S. 103.
  13. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur., S. 103.
  14. Ebd. S. 104.
  15. Ebd. S. 104.
  16. Ebd. S. 104.
  17. Ebd. S. 99-103.
  18. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 143.
  19. Vgl. Geisthövel, Alexa: Restauration und Vormärz 1815-1847. Seminarbuch Geschichte, Paderborn 2008, S. 103.
  20. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 104.
  21. Vgl. Geisthövel: Restauration und Vormärz, S. 103.
  22. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 144.
  23. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 144.
  24. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 104.
  25. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 144.
  26. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 144.
  27. Vgl. Hertweck, Georg: Die Geschichte des Rheinufers von den Anfängen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, in: Rheinhafen Karlsruhe hrsg. von Ernst Bräuche (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 22), Karlsruhe 2001, S. 32.
  28. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 104.
  29. Ebd. S. 104-105.
  30. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 104-105. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 145.
  31. Vgl. Hertweck: Die Geschichte des Rheinufers, S. 31-32.
  32. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 105.
  33. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 145.
  34. Tümmers: Der Rhein, S. 144.
  35. Siehe Tümmers: Der Rhein, S. 144.
  36. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 111.
  37. Ebd. S. 111-112.
  38. Ebd. S. 111.
  39. Ebd. S. 112.
  40. Ebd. S. 113.
  41. Ebd. S. 113.
  42. Ebd. S. 113.
  43. Ebd. S. 113.
  44. Ebd. S. 113.
  45. Ebd. S. 114.
  46. Ebd. S. 113.
  47. Ebd. S. 113-114.
  48. Vgl. Schwabe, Erich: Das große Werk der Rheinkorrektion, in: Die Auen am Oberrhein. Ausmaß und Perspektiven des Landschaftswandels am südlichen und mittleren Oberrhein seit 1800, hrsg. von Werner A. Galluser und Andre Schenker, Basel/ Boston/Berlin 1992, S. 50.
  49. Vgl. Schwabe: Das große Werk der Rheinkorrektion, S. 50.
  50. Vgl. Meurer: Wasserbau und Wasserwirtschaft, S. 76-77.
  51. Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 147. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 125-126.
  52. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 143.
  53. Ebd. S. 125.
  54. Ebd. S. 125.
  55. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 123-124.
  56. Vgl. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, S. 124.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/02/wilde-flusslandschaft-oder-wertvolle-kulturlandschaft-uber-die-begradigung-des-oberrheins-ii/

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Ein Altländer Streit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks (Teil I)

Deiche und ihre Erhaltung und Bewirtschaftung stellen seit jeher eine konfliktreiche Angelegenheit dar. Aus dem repräsentativen Beispiel, der Ortschaft Twielenfleth, gelegen in der Ersten Meile des Alten Landes, kennen wir solche Streitigkeiten um die Zuständigkeiten der Deichbewirtschaftung aus dem späten 17. Jahrhundert. Die in Auszügen vorliegenden Akten aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Stade, Repositur 5 a Fach 270, Nr.68, Schwedisches Archiv 1646-1763 wurden in den Jahren 1685 bis 1687 in der Ersten Meile des Alten Landes in Twielenfleth im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit um die Bewirtschaftung eines Deiches verfasst.

Im Folgenden soll eine ausführliche Quellenuntersuchung vorgenommen werden und folgende Fragen bearbeitet werden: Welches Konfliktpotential – vor allem im rechtlichen Bereich – barg die Kabeldeichung im Alten Land am Ende des 17. Jahrhunderts, bei der jeder Altländer Bewohner für die Instandhaltung eines von den Deichbeamten zugewiesenen Deichabschnitts (Deichkabel) zuständig war?

Themenbezogene Inhaltsangabe

Im Folgenden sollen Inhalt und Sachverhalt der ausgewählten Auszüge aus behördlichen Akten in einer themenbezogenen Inhaltsangabe überblicksartig und interpretierend erschlossen werden. Ausgehend von der eingangs formulierten Fragestellung soll der Gedankengang der Quellenberichte Q1 bis Q 81 thematisch strukturiert und erfasst werden.

In der Akte Q1 vom 02.06.1685 beklagen „Grefen, Bürgermeister und Hauptleute des Alten Landes […] wegen des Zesterflethschen Deiches“, dass der Deich in Twielenfleth in der Ersten Meile im März  1685 „in solchem Schaden geraten ist, daß dadurch die ganze Meile in Gefahr war“. Bei der Ermittlung des zuständigen Deichinteressenten wurden die Verfasser vom Adligen Leutnant Joachim Dietrich von Zesterfleth an seinen Verwandten Herrn Christoffer von Zesterfleth verwiesen. Dieser verwies wiederum wiederholt auf die Witwe des Benedix von Düring, der er das Deichstück in einem Tauschgeschäft übergeben hatte. Die Witwe verneint aber, dass der Tauschhandel der beiden schon vollständig vollzogen sei und deswegen seien beide für die Instandhaltung des Deiches zuständig. Wegen der Gefahr im Verzug ermahnten die Verfasser die Witwe den Deich instandzusetzen und als diese nicht reagierte, pfändeten sie eine Tonne Bier und ein Pferd. Obwohl “die Deichrichter und Geschworenen die Frau von Düring fast täglich daran erinnerten, die Pfänder einzulösen, hat sie doch nichts am Deich machen lassen.“ Die Witwe von Düring ließ daraufhin ihr Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause“ holen, woraufhin die Deichrichter und Geschworenen es zurückholen wollten, aber es bei der Witwe mit „doppelten Schlössern an den Beinen geschlossen“, vorfanden und „der Voigt sich auch dasselbe verabfolgen zu lassen geweigert.“ 2

Als direkte Antwort auf das Aktenschreiben Q2, in der die Rückgabe des Pferdes bei 50 Goldfl. Strafe befohlen wird, schreibt die Witwe von Düring am 15.06.1685 in Q3 davon, wie sie sich geweigert hat, ihr gepfändetes Pferd wieder einzulösen und nicht gestatten könne „daß in der Francöper freien Gerichte dergelichen executiones sollen bewerkstelligt werden.“ Zudem habe ihr Junge, ohne vorausgehenden Auftrag, das Pferd „ohne die geringste Gewalttätigkeit losgemacht.“ Sie begründete ihr Vorgehen weiterhin mit der Unwissenheit darüber, dass Deichbeamte und Deichrichter solche Befehle erlassen dürften. Weiterhin glaubte sie, dass das „Francoper Junkerngericht“ von den „Herren Grefen und anderem Gerichtszwang […]befreiet sei“. Sie habe aber schließlich verfügt, dass das Pferd zurückgebracht und ihr Anteil des Deiches in Zesterfleth von 5 Morgen und 40 Ruten „in untadelhaftem Stand“ gebracht würde. Sie bat weiterhin um Verzeihung für ihr Vorgehen und verwies die „Grefen und Deichrichter“3 für die Instandsetzung der anderen Deichstücke auf die Zesterfleths. Schon am 15.6.1686 wurde das Pferd zurück an die Witwe von Düring gegeben.

In der Akte Q4 berichten die „Grefen Höpken und Heino zum Felde“ am 10.11.1686 davon, dass die Witwe einige „in Hollerner Kirchspiele liegende Ländereien durch einen Tausch von denen von Zesterfleth an sich gebracht“ hat und für diese nicht nur Kontributionen abführen muss, sondern auch für das bei Twielenfleth liegende Deichstück „ungeachtet sie mit dessen refection den Anfang hiebevor gemacht, zur Perfection und zum Stande zu bringen“4 die Kontribution abführen muss. Dem Befehl vom 13.12.1686 in Q5, die Instandhaltung des Deichstückes bei 50 Fl. Strafe fortzusetzen, entgegnet die Witwe von Düring in dem Schreiben Q65 vom 10.01.1687, dass ihr Ehemann vor seinem Tod „in trunkenem Mute und durch des anderen Teils Verleitung“ die Ländereien mit den Zesterfleths getauscht habe. Sie habe von alldem nichts gewusst und aber trotzdem „die Kontribution bezahlt und den Deich reparieren lassen.“ Durch die für die Witwe unerträglich hohe Deichlast und die Kontributionen bewegt, wollte die Witwe den Tauschhandel der Ländereien mit den Zesterfleths rückgängig machen. Als diese sich trotz eines gerichtlichen Verfahrens dem Rücktausch verweigerten, wollte die Witwe die Ländereien den Zesterfleths ohne Gegenwert überlassen und die Anwendung des Spatenrechtes gewähren, welches sie ernsthaft in Erwägung zieht „als unter der Kontributions- und Deichlast zu sitzen und zu schwitzen.“

In der Akte Q76 vom 02.03.1687 fordern vermutlich die Landesherren die „Grefen“ auf, weiter über den Vorfall zu berichten und verlangen, dass die Kinder der Witwe verschont werden, wenn diese die geforderten Arbeiten „bis nächstkünftigem Hofgerichte“ ohne Schädigung des dadurch sprechenden öffentlichen Interesses verrichtet haben. Als letzten Hinweis auf den Ausgang des Vorfalls liegt der Bericht in Q8 vor, in dem die „Grefen“ am 03.03.1687 davon berichten, dass die „auf ihren Hof geschickten Exekutoren mit Prügeln“ vertrieben wurden.

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Bibliographie:
  1. Vgl. StA, Rep.5 a, Fach 270, Nr.68, auszugsweise exzerpiert durch Michael Ehrhardt. Es handelt sich hierbei um 8 einzelne Korrespondenzen, die im Fließtext und/oder in den Fußnoten mit den Kürzeln Q1-Q8 angegeben werden.
  2. Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q1.
  3. Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q3.
  4. Für alle bisherigen Zitate dieses Absatzes. Siehe Q4.
  5. Alle folgenden Zitate dieses Absatzes. Siehe Q6.
  6. Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q7.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/08/ein-altlander-streit-um-die-bewirtschaftung-eines-deichstucks-in-twielenfleth-teil-i/

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Ein Altländer Streit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks (Teil II)

Klärung von Wissens- und Verständnisdefiziten

Anschließend sollen in diesem Abschnitt Auffälligkeiten und Besonderheiten des Quellenbefundes vorgestellt werden. Es soll weiterhin den bei der bisherigen Quellenuntersuchung auftretenden Unklarheiten und inhaltlichen Fragen gezielt nachgegangen werden, um Wissensdefizite zu beseitigen und die Aussagen der Quellen genauer in den historischen Kontext des späten 17. Jahrhunderts einordnen zu können.

Auffällig ist, dass die in den Quellen verwendete Sprache (Neuhochdeutsch) mit verschiedenen lateinischen Redewendungen (Bsp.: „Praestanda nicht praestiret“ , „pro declinanda turbatione jurisdictionis“, „sin praevio meo mandato“1) durchsetzt ist, die vermutlich im Zusammenhang mit rechtlichen Angelegenheiten ihre Verwendung fanden. Deutlich wird hieran, dass die Verfasser der jeweiligen Akten mit rechtlichen Themen bzw. Redewendungen wohl vertraut waren. Michael Ehrhardt ergänzt noch zu der Person der Witwe von Düring, dass sie die „Gerichtsherrin des adelig-freien Gerichts Francop“2 sei, somit waren ihr auch lateinische Redewendungen, die zum Teil auch dem typischen Sprachgebrauchs des Altländer Deichwesens entlehnt wurden, wohl bekannt. Weiterhin finden sich in den Quellenberichten viele heutzutage wenig bekannte Begriffe wie „Pupillen“ (Bedeutung: Minderjährige oder Rechtlich Unmündige Personen) oder „Permutationskontrakt“ (Bedeutung: Tauschhandel) enthalten.

Unverständlich erscheint zunächst, dass die Witwe von Düring in Q3 von zwei unterschiedlichen Vögten (Francoper und Neufelder Vogt) berichtet, die in Zusammenhang mit ihrem gepfändeten Pferd stehen. In der Quelle Q1, verfasst durch die „Grefen, Bürgermeister und Hauptleute des Alten Landes“, wird hingegen nur vom Francoper Vogt berichtet und dass das Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause, also aus ihrer Kön. May. Jurisdiktion geholt“ wurde. Zur Bereinigung dieses Widerspruchs bieten sich zwei Erklärungen an: 1. Die Witwe verwendet für denselben Vogt zwei unterschiedliche Bezeichnungen (Neufelder und Francoper Vogt). 2. Es gab zwei unterschiedliche Vögte und der Francoper Vogt brachte das Pferd nach 3 Tagen, die der Witwe gegeben wurde um das Pfand ein- bzw. auszulösen (Q1: „poenam caduci“) zu dem Neufelder Vogt. Von ihrer bewussten Verweigerung gegen die Pfandauslösung, nämlich das Pferd innerhalb der 3 Tage „aus des Frankoper Vogts Behausung wieder“ abholen zu können, wenn sie das Deichstück ausgebessert hat, spricht Q3. Der Neufelder Vogt würde dann in Q1 in der Passage erwähnt werden, in der das Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause, also aus ihrer Kön. May. Jurisdiktion geholt“ wurde. Demnach erwähnen die Verfasser von Q1 nicht explizit, von welchem Vogt das Pferd entwendet wurde, wobei auch die allgemeine Angabe „Kön. May. Jurisdiktion“ keine genaueren Schlüsse zulässt. In Q3 berichtet die Witwe unmissverständlich, von wem das Pferd entwendet wurde: „daß mein Junge für sich selbst und sine praevio meo mandato das mir abgepfandete Pferd aus des Neufelder Vogts Hause ohne die geringste Gewalttätigkeit losgemacht“. Aber wer war der Neufelder Vogt? Hier kann man nur vermuten, dass die Witwe hiermit einen im benachbarten Neuenfelde ansässigen Vogt meinte.

Weiterhin wirft die Quellenuntersuchung die Frage auf, ob die Deichbeamten wegen des in Q1 02.06.1685 erwähnten Sturms im März 1685 die Instandsetzung des Deiches in Twielenfleth mit ganz besonderer Dringlichkeit betreiben mussten. Der Twielenflether Deich wird in der Quelle Q1 als derjenige herausgestellt, „welcher ohnedas der gefährlichste im Lande ist, in solchem Schaden geraten ist, daß dadurch die ganze Meile in Gefahr war.“ Für diesen Sturm liegen bisher keine weiteren Quellen vor. Die zeitlich nahste und gut durch Quellen dokumentierte Flut ist die Erste Katharinenflut vom 25. November 1685, bei der besonders die Erste Meile stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die beschriebenen Folgen der Flut, wie eine verheerende mehrjährige ökonomische Krise  und damit verbundene Ernteausfälle, die Aufwendung hoher Summen für den Deichwiederaufbau, belastende Kontributionszahlungen und mangelnde Unterstützung durch die Schwedischen Landesherren, deuten auf die sozialen und politischen Umstände der untersuchten Quellen Q1-Q8 von 1685 bis 1687 hin.3

Auch die Flut vom 14. Mai 1678 hatte verheerende Folgen für das Alte Land und insbesondere auch für Twielenfleth, wo die Länge des Deichbruchs allein an einer Stelle sechs Altländer Ruten betrug.4 Man sieht hieran und an der Tatsache, dass einige der Twielenflether Deichstrecken im 17. Jahrhundert besonders den Fluten ausgesetzt waren5, dass die Geschichte von Twielenfleth6 durch die Gefahr von Deichbrüchen und Fluten stark geprägt war. Man musste als Deichgeschworene und Deichrichter schnell handeln, weil man die schlimmen Folgen von unzureichend ausgeführtem Deichbau und daraus folgenden Deichbrüchen kannte. Vor diesem Hintergrund müssen die Verfasser der untersuchten Quellen gesehen und verstanden werden. Die Kenntnis dieses historischen Kontextes offenbart viel vom Standort bzw. dem Horizont der Quellenautoren und von dem, was sie wissen und folglich auch berichten konnten.

Quellenkritik

Bei der Quellenkritik soll der Fokus vor allem auf die inhaltliche Kritik, nämlich die Glaubwürdigkeit der Quellenberichte sowie deren Aussagegehalt gelegt werden: Welche geschichtliche Wirklichkeit lässt sich den Darstellungen der Quellen entnehmen und welche Möglichkeiten der Aussage kann man von den Quellen erwarten? Die Quellen wurden im behördlichen Kontext verfasst und da sie einen Rechtstreit dokumentieren, könnte man auch danach fragen, ob oder was die Quellenautoren berichten und darstellen wollten, um ihre eigene Position zu verbessern?

Ausgehend von den Erträgen der bisherigen Quellenuntersuchung kann man die These aufstellen, dass das Konfliktpotential der Kabeldeichung im späten 17. Jahrhundert in Twielenfleth unter anderem darin lag, dass die Besitzverhältnisse der Ländereien und damit auch die Zuständigkeiten für die anliegenden Deichstücke nicht immer eindeutig geklärt waren. Insbesondere dann, wenn die Deichinteressenten adlig waren und/oder über mehr Land als der durchschnittliche Bauer verfügten, mussten diese auch mehr Deichstücke bewirtschaften sowie dementsprechende Kontributionen abführen, was besonders in wirtschaftlich schlechten Zeiten (wie in den Jahren 1685-1678) zusätzliches Konfliktpotential mit sich brachte.

Zusammenfassend ließe sich folgern, dass es im späten 17. Jahrhundert in der Ersten Meile in Twielenfleth und vermutlich im gesamten Alten Land in Bezug auf den Deichbau ein Problem der Zuständigkeiten gab. Die ökonomischen Voraussetzungen für die Kabeldeichung waren selbst für Adlige und wohlhabende Altländer nicht mehr ohne weiteres zu erfüllen. Diese aufgestellte These soll im Folgenden mit der gezielten Untersuchung des historischen Kontextes und mithilfe des bisher erarbeiteten Erkenntnisstands überprüft werden.

So wie es in den untersuchten Quellen Probleme der Deichbeamten mit der Witwe von Düring in Bezug auf die Instandhaltung des Deichstückes gab, so lassen sich auch weitere Beispiele im historischen Kontext finden. Aus anderen Quellenberichten weiß man, dass um 1691 die Gräfen „angesichts des desolaten Zustands der Deiche vor Twielenfleth im Sommer 1691 erneut von der Ersten Meile die Errichtung eines kleinen Stacks begehrten.“7 Die zu dem Bauvorhaben einberufene Interessensversammlung in der Ersten Meile wurde von den Deichinteressenten nur durch wenige Teilnehmer besucht. Das Bauvorhaben wurde von ihnen offensichtlich abgelehnt, weil viele von den Deichinteressenten lieber „mit Prozessen, Klagen und Appellationen schwanger gingen“ als Gelder für Verbesserungsarbeiten des Deiches, seien es noch so wenige, auszugeben.8 Mit dieser Kenntnis und der Berücksichtigung des historischen Kontextes sowie den Ergebnissen der Quellenuntersuchung kann man sagen, dass man in Twielenfleth, ungefähr zu der Zeit der Quellenberichte, scheinbar ein allgemeines Problem mit den Deichinteressenten hatte, die lieber Rechtsprozesse und Klagen auf sich nahmen als ihre zugewiesenen Deichstücke zu bewirtschaften. Als Gründe hierfür können vor allem finanzielle Ursachen angegeben werden, die auch bei den Darlegungen der Witwe von Düring in Q6 vordergründig angeführt werden.

Das Konfliktpotential der Kabeldeichung mit seinen finanziellen Bürden zeigt sich auch in dem ähnlich erscheinenden Fall, in der der Häuerling Dietrich Detjen im März 1685 ein Landstück mit Deichstücken bei Twielenfleth vom Amtsmann Peter Benecke des Neuen Klosters pachtete. Vorausgegangen war diesem Pachtvertrag die Vernachlässigung der Deichinstandhaltung durch den Vorpächter Ernst Lindemann, der auch die Pacht für das Land nicht mehr aufbringen konnte. Im Winter 1684/1685 setzte Benecke den Deich wieder instand und verpachtete das Landstück mit den Deichen an Detjen weiter, den die „Deichlast und der mittlerweile eingetretene Deichschaden […] aber dermaßen […]“ abschreckte, „daß er umgehend die Pacht kündigen wollte.“ Dies war aber nicht möglich, so dass der Pächter Detjen für die Erhaltung der Deiche aufkommen musste.

Das Problem der unklaren Besitzverhältnisse und Zuständigkeiten, wem ein Stück Land gehörte bzw. wer das zugehörige Deichstück bewirtschaften musste, zeigte sich parallel zu dem Rechtsstreit der Witwe von Düring in einem Verfahren gegen den Leutnant Joachim Dietrich von Zesterfleth. Er verweigerte es seine Deichstücke zu bewirtschaften und wehrte die von den Deichbeamten durchgeführte Pfändung mit gewaltsamen Mitteln ab. Er gab in seinem eigenem Anklageprozess gegen die Deichbeamten an, dass der Landbesitz samt dem Deichstücken zwar vor 200 Jahren seiner Familie gehörte, aber dann „auf unbekannten Wegen über das Stader Marienkloster in das Eigentum der Kirche zu Ahlerstedt gelangt sei.“9 Von Zesterfleth wies die Zuständigkeit für das Deichstück und die Bürde der Deichlast wiederholt und klar von sich, dennoch wurde ihm in einem weiteren Gerichtsverfahren das Land als eigentlicher Eigentümer zugewiesen. Die Angabe der Deichrichter, dass von Zesterfleth aber bis zum Einbruch des Wassers im März 1685 zusammen mit der Witwe von Düring die jeweiligen Deichstücke bewirtschaftet hatte, wies er damit zurück, dass er lediglich dem Pastor in Ahlerstedt auf freiwilliger Basis geholfen hätte ein Deichstück auszubessern. Hieran lässt sich deutlich erkennen, dass dort, wo die Zuständigkeiten für Deichstücke bei anfallenden Deicharbeiten von den Deichinteressenten abgewiesen wurden, Gerichtsverfahren einsetzten und teilweise widersprüchliche Angaben seitens der Deichinteressenten gemacht wurden, wem das Land gehörte und wer damit auch die Deichlast zu bewältigen hatte. Auch der Witwe von Düring kann analog dazu durchaus vorgeworfen werden, dass sie ihre Unwissenheit über die Gültigkeit des Altländer Deichwesens für ihre Landstücke zunächst vorgeschoben haben könnte, um sich den Verpflichtungen zu entziehen. An späterer Stelle beklagt sie sich wiederum deutlich über die abzugebenden Kontributionen und die Deichlast, was voraussetzt, dass sie sich der eigentlichen Verantwortung und der damit verbundenen Kosten der Bedeichung bewusst war.

Der bei der Quellenkritik zu untersuchende Aspekt der Glaubwürdigkeit der Quellen und ihrer Darstellungen lässt sich mit den angeführten Beispielen aus dem historischen Kontext hinreichend stützen. Es gibt durchaus weitere Beispiele, die vom Sachverhalt her den Geschehnissen der Quellen Q1 – Q8 ähneln. Daher erscheint die in den Quellen dargestellte geschichtliche Wirklichkeit authentisch und stimmig mit dem historischen Kontext im späten 17. Jahrhundert. Auch die aufgestellte These lässt sich mit den angeführten Beispielen aus dem historischen Kontext überprüfen und belegen.

Fazit

Zum Abschluss dieser durchgeführten Quellenuntersuchung kann man feststellen, dass die ausgewählten Auszüge aus Akten in ihrem Inhalt und der geschichtlichen Wirklichkeit, die sie transportieren, als durchaus repräsentativ für die Geschehnisse im späten 17. Jahrhundert in der Ersten Meile des Alten Landes in Twielenfleth gelten können. Der in den Quellen behandelte Rechtsstreit behandelt einen in der Frühen Neuzeit in Twielenfleth und im Alten Land durchaus gängigen Vorgang, bei der Deichinteressenten nicht ihrer Deichpflicht nachkamen und in einen Rechtsprozess mit dem jeweiligen Deichverband gerieten. Bezüglich der historischen Authentizität der Verfasserschaft sowie der Plausibilität des Quellengehalts lassen sich daher keine Unstimmigkeiten mit dem heutigen Forschungsstand feststellen, so dass die Quellen als authentisch befunden werden können. Die auf Grundlage der Quellenuntersuchung aufgestellte These und gleichzeitig mögliche Beantwortung auf die in der Einleitung formulierte Fragestellung, lässt sich mit weiteren Beispielen aus dem historischen Kontext stützen. Das Konfliktpotential der Kabeldeichung lag im späten 17. Jahrhundert in Twielenfleth unter anderem darin, dass die Zuständigkeiten für die Ländereien und damit auch für die der anliegenden Deichstücke nicht immer eindeutig geklärt waren. Als auffälligstes Ergebnis der Quellenuntersuchung wird deutlich, dass das Deichbauwesen und die Instandhaltung der Deiche für das Alte Land zwar überlebenswichtig waren, aber das System der Kabeldeichung für viele Altländer Bewohner, selbst für die wohlhabenderen, nicht mehr finanzierbar war. Die strukturellen Defizite des Altländer Deichwesens im späten 17. Jahrhunderts werden am System der Kabeldeichung offenbar: Die Zuständigkeiten für Ländereien waren häufig nicht geklärt, die Finanzierung der Deichinstandhaltung für die Deichinteressenten war aufgrund von Sturmfluten, Wirtschaftskrisen nicht zu bewältigen und die dabei schnell aufkommenden und langwierigen Gerichtsprozesse verzögerten den Deichbau und die Instandhaltung der Deiche weiter und gefährdeten letztendlich ganze Ortschaften im Alten Land.

Empfohlene Zitierweise:

Blümel, Jonathan (2011): Ein Altländer Rechtsstreit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Bibliographie:
  1. Siehe Q1. bis Q4.
  2. Siehe Ehrhardt, Michael: „Ein guldten Bandt des Landes“ – Zur Geschichte der Deiche im Alten Land. (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden, Band 18). Stade 2003.  S. 298. Und weitere Erläuterungen zur Familiengeschichte der Witwe von Düring: Vgl. Siemens, Hans Peter: Das Alte Land : Geschichte einer niederelbischen Marsch. Stade 1951. S. 272.
  3. Vgl. Ehrhardt 2003. S. 520ff. und S. 508f. sowie Röper, Carl: Bilder und Nachrichten aus dem Alten Land und seiner Umgebung. Band 3. Jork 1988. S. 404.
  4. Vgl. Ehrhardt 2003. S. 439ff.
  5. Ebenda S. 118.
  6. Vgl. Michael Ehrhardts Ausführungen über Siedlungsrücknahmen nach Deichbrüchen am Anfang des 17. Jahrhunderts in Twielenfleth. Ehrhardt 2003. S. 469-470.
  7. Siehe Ehrhardt 2003. S. 303.
  8. Ebenda S. 303.
  9. Siehe Ehrhardt 2003. S. 298.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/08/ein-altlander-streit-um-die-bewirtschaftung-eines-deichstucks-teil-ii-2/

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