Ein Altländer Streit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks (Teil I)

Deiche und ihre Erhaltung und Bewirtschaftung stellen seit jeher eine konfliktreiche Angelegenheit dar. Aus dem repräsentativen Beispiel, der Ortschaft Twielenfleth, gelegen in der Ersten Meile des Alten Landes, kennen wir solche Streitigkeiten um die Zuständigkeiten der Deichbewirtschaftung aus dem späten 17. Jahrhundert. Die in Auszügen vorliegenden Akten aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Stade, Repositur 5 a Fach 270, Nr.68, Schwedisches Archiv 1646-1763 wurden in den Jahren 1685 bis 1687 in der Ersten Meile des Alten Landes in Twielenfleth im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit um die Bewirtschaftung eines Deiches verfasst.

Im Folgenden soll eine ausführliche Quellenuntersuchung vorgenommen werden und folgende Fragen bearbeitet werden: Welches Konfliktpotential – vor allem im rechtlichen Bereich – barg die Kabeldeichung im Alten Land am Ende des 17. Jahrhunderts, bei der jeder Altländer Bewohner für die Instandhaltung eines von den Deichbeamten zugewiesenen Deichabschnitts (Deichkabel) zuständig war?

Themenbezogene Inhaltsangabe

Im Folgenden sollen Inhalt und Sachverhalt der ausgewählten Auszüge aus behördlichen Akten in einer themenbezogenen Inhaltsangabe überblicksartig und interpretierend erschlossen werden. Ausgehend von der eingangs formulierten Fragestellung soll der Gedankengang der Quellenberichte Q1 bis Q 81 thematisch strukturiert und erfasst werden.

In der Akte Q1 vom 02.06.1685 beklagen „Grefen, Bürgermeister und Hauptleute des Alten Landes […] wegen des Zesterflethschen Deiches“, dass der Deich in Twielenfleth in der Ersten Meile im März  1685 „in solchem Schaden geraten ist, daß dadurch die ganze Meile in Gefahr war“. Bei der Ermittlung des zuständigen Deichinteressenten wurden die Verfasser vom Adligen Leutnant Joachim Dietrich von Zesterfleth an seinen Verwandten Herrn Christoffer von Zesterfleth verwiesen. Dieser verwies wiederum wiederholt auf die Witwe des Benedix von Düring, der er das Deichstück in einem Tauschgeschäft übergeben hatte. Die Witwe verneint aber, dass der Tauschhandel der beiden schon vollständig vollzogen sei und deswegen seien beide für die Instandhaltung des Deiches zuständig. Wegen der Gefahr im Verzug ermahnten die Verfasser die Witwe den Deich instandzusetzen und als diese nicht reagierte, pfändeten sie eine Tonne Bier und ein Pferd. Obwohl “die Deichrichter und Geschworenen die Frau von Düring fast täglich daran erinnerten, die Pfänder einzulösen, hat sie doch nichts am Deich machen lassen.“ Die Witwe von Düring ließ daraufhin ihr Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause“ holen, woraufhin die Deichrichter und Geschworenen es zurückholen wollten, aber es bei der Witwe mit „doppelten Schlössern an den Beinen geschlossen“, vorfanden und „der Voigt sich auch dasselbe verabfolgen zu lassen geweigert.“ 2

Als direkte Antwort auf das Aktenschreiben Q2, in der die Rückgabe des Pferdes bei 50 Goldfl. Strafe befohlen wird, schreibt die Witwe von Düring am 15.06.1685 in Q3 davon, wie sie sich geweigert hat, ihr gepfändetes Pferd wieder einzulösen und nicht gestatten könne „daß in der Francöper freien Gerichte dergelichen executiones sollen bewerkstelligt werden.“ Zudem habe ihr Junge, ohne vorausgehenden Auftrag, das Pferd „ohne die geringste Gewalttätigkeit losgemacht.“ Sie begründete ihr Vorgehen weiterhin mit der Unwissenheit darüber, dass Deichbeamte und Deichrichter solche Befehle erlassen dürften. Weiterhin glaubte sie, dass das „Francoper Junkerngericht“ von den „Herren Grefen und anderem Gerichtszwang […]befreiet sei“. Sie habe aber schließlich verfügt, dass das Pferd zurückgebracht und ihr Anteil des Deiches in Zesterfleth von 5 Morgen und 40 Ruten „in untadelhaftem Stand“ gebracht würde. Sie bat weiterhin um Verzeihung für ihr Vorgehen und verwies die „Grefen und Deichrichter“3 für die Instandsetzung der anderen Deichstücke auf die Zesterfleths. Schon am 15.6.1686 wurde das Pferd zurück an die Witwe von Düring gegeben.

In der Akte Q4 berichten die „Grefen Höpken und Heino zum Felde“ am 10.11.1686 davon, dass die Witwe einige „in Hollerner Kirchspiele liegende Ländereien durch einen Tausch von denen von Zesterfleth an sich gebracht“ hat und für diese nicht nur Kontributionen abführen muss, sondern auch für das bei Twielenfleth liegende Deichstück „ungeachtet sie mit dessen refection den Anfang hiebevor gemacht, zur Perfection und zum Stande zu bringen“4 die Kontribution abführen muss. Dem Befehl vom 13.12.1686 in Q5, die Instandhaltung des Deichstückes bei 50 Fl. Strafe fortzusetzen, entgegnet die Witwe von Düring in dem Schreiben Q65 vom 10.01.1687, dass ihr Ehemann vor seinem Tod „in trunkenem Mute und durch des anderen Teils Verleitung“ die Ländereien mit den Zesterfleths getauscht habe. Sie habe von alldem nichts gewusst und aber trotzdem „die Kontribution bezahlt und den Deich reparieren lassen.“ Durch die für die Witwe unerträglich hohe Deichlast und die Kontributionen bewegt, wollte die Witwe den Tauschhandel der Ländereien mit den Zesterfleths rückgängig machen. Als diese sich trotz eines gerichtlichen Verfahrens dem Rücktausch verweigerten, wollte die Witwe die Ländereien den Zesterfleths ohne Gegenwert überlassen und die Anwendung des Spatenrechtes gewähren, welches sie ernsthaft in Erwägung zieht „als unter der Kontributions- und Deichlast zu sitzen und zu schwitzen.“

In der Akte Q76 vom 02.03.1687 fordern vermutlich die Landesherren die „Grefen“ auf, weiter über den Vorfall zu berichten und verlangen, dass die Kinder der Witwe verschont werden, wenn diese die geforderten Arbeiten „bis nächstkünftigem Hofgerichte“ ohne Schädigung des dadurch sprechenden öffentlichen Interesses verrichtet haben. Als letzten Hinweis auf den Ausgang des Vorfalls liegt der Bericht in Q8 vor, in dem die „Grefen“ am 03.03.1687 davon berichten, dass die „auf ihren Hof geschickten Exekutoren mit Prügeln“ vertrieben wurden.

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Bibliographie:
  1. Vgl. StA, Rep.5 a, Fach 270, Nr.68, auszugsweise exzerpiert durch Michael Ehrhardt. Es handelt sich hierbei um 8 einzelne Korrespondenzen, die im Fließtext und/oder in den Fußnoten mit den Kürzeln Q1-Q8 angegeben werden.
  2. Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q1.
  3. Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q3.
  4. Für alle bisherigen Zitate dieses Absatzes. Siehe Q4.
  5. Alle folgenden Zitate dieses Absatzes. Siehe Q6.
  6. Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q7.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/08/ein-altlander-streit-um-die-bewirtschaftung-eines-deichstucks-in-twielenfleth-teil-i/

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Ein Altländer Streit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks (Teil II)

Klärung von Wissens- und Verständnisdefiziten

Anschließend sollen in diesem Abschnitt Auffälligkeiten und Besonderheiten des Quellenbefundes vorgestellt werden. Es soll weiterhin den bei der bisherigen Quellenuntersuchung auftretenden Unklarheiten und inhaltlichen Fragen gezielt nachgegangen werden, um Wissensdefizite zu beseitigen und die Aussagen der Quellen genauer in den historischen Kontext des späten 17. Jahrhunderts einordnen zu können.

Auffällig ist, dass die in den Quellen verwendete Sprache (Neuhochdeutsch) mit verschiedenen lateinischen Redewendungen (Bsp.: „Praestanda nicht praestiret“ , „pro declinanda turbatione jurisdictionis“, „sin praevio meo mandato“1) durchsetzt ist, die vermutlich im Zusammenhang mit rechtlichen Angelegenheiten ihre Verwendung fanden. Deutlich wird hieran, dass die Verfasser der jeweiligen Akten mit rechtlichen Themen bzw. Redewendungen wohl vertraut waren. Michael Ehrhardt ergänzt noch zu der Person der Witwe von Düring, dass sie die „Gerichtsherrin des adelig-freien Gerichts Francop“2 sei, somit waren ihr auch lateinische Redewendungen, die zum Teil auch dem typischen Sprachgebrauchs des Altländer Deichwesens entlehnt wurden, wohl bekannt. Weiterhin finden sich in den Quellenberichten viele heutzutage wenig bekannte Begriffe wie „Pupillen“ (Bedeutung: Minderjährige oder Rechtlich Unmündige Personen) oder „Permutationskontrakt“ (Bedeutung: Tauschhandel) enthalten.

Unverständlich erscheint zunächst, dass die Witwe von Düring in Q3 von zwei unterschiedlichen Vögten (Francoper und Neufelder Vogt) berichtet, die in Zusammenhang mit ihrem gepfändeten Pferd stehen. In der Quelle Q1, verfasst durch die „Grefen, Bürgermeister und Hauptleute des Alten Landes“, wird hingegen nur vom Francoper Vogt berichtet und dass das Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause, also aus ihrer Kön. May. Jurisdiktion geholt“ wurde. Zur Bereinigung dieses Widerspruchs bieten sich zwei Erklärungen an: 1. Die Witwe verwendet für denselben Vogt zwei unterschiedliche Bezeichnungen (Neufelder und Francoper Vogt). 2. Es gab zwei unterschiedliche Vögte und der Francoper Vogt brachte das Pferd nach 3 Tagen, die der Witwe gegeben wurde um das Pfand ein- bzw. auszulösen (Q1: „poenam caduci“) zu dem Neufelder Vogt. Von ihrer bewussten Verweigerung gegen die Pfandauslösung, nämlich das Pferd innerhalb der 3 Tage „aus des Frankoper Vogts Behausung wieder“ abholen zu können, wenn sie das Deichstück ausgebessert hat, spricht Q3. Der Neufelder Vogt würde dann in Q1 in der Passage erwähnt werden, in der das Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause, also aus ihrer Kön. May. Jurisdiktion geholt“ wurde. Demnach erwähnen die Verfasser von Q1 nicht explizit, von welchem Vogt das Pferd entwendet wurde, wobei auch die allgemeine Angabe „Kön. May. Jurisdiktion“ keine genaueren Schlüsse zulässt. In Q3 berichtet die Witwe unmissverständlich, von wem das Pferd entwendet wurde: „daß mein Junge für sich selbst und sine praevio meo mandato das mir abgepfandete Pferd aus des Neufelder Vogts Hause ohne die geringste Gewalttätigkeit losgemacht“. Aber wer war der Neufelder Vogt? Hier kann man nur vermuten, dass die Witwe hiermit einen im benachbarten Neuenfelde ansässigen Vogt meinte.

Weiterhin wirft die Quellenuntersuchung die Frage auf, ob die Deichbeamten wegen des in Q1 02.06.1685 erwähnten Sturms im März 1685 die Instandsetzung des Deiches in Twielenfleth mit ganz besonderer Dringlichkeit betreiben mussten. Der Twielenflether Deich wird in der Quelle Q1 als derjenige herausgestellt, „welcher ohnedas der gefährlichste im Lande ist, in solchem Schaden geraten ist, daß dadurch die ganze Meile in Gefahr war.“ Für diesen Sturm liegen bisher keine weiteren Quellen vor. Die zeitlich nahste und gut durch Quellen dokumentierte Flut ist die Erste Katharinenflut vom 25. November 1685, bei der besonders die Erste Meile stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die beschriebenen Folgen der Flut, wie eine verheerende mehrjährige ökonomische Krise  und damit verbundene Ernteausfälle, die Aufwendung hoher Summen für den Deichwiederaufbau, belastende Kontributionszahlungen und mangelnde Unterstützung durch die Schwedischen Landesherren, deuten auf die sozialen und politischen Umstände der untersuchten Quellen Q1-Q8 von 1685 bis 1687 hin.3

Auch die Flut vom 14. Mai 1678 hatte verheerende Folgen für das Alte Land und insbesondere auch für Twielenfleth, wo die Länge des Deichbruchs allein an einer Stelle sechs Altländer Ruten betrug.4 Man sieht hieran und an der Tatsache, dass einige der Twielenflether Deichstrecken im 17. Jahrhundert besonders den Fluten ausgesetzt waren5, dass die Geschichte von Twielenfleth6 durch die Gefahr von Deichbrüchen und Fluten stark geprägt war. Man musste als Deichgeschworene und Deichrichter schnell handeln, weil man die schlimmen Folgen von unzureichend ausgeführtem Deichbau und daraus folgenden Deichbrüchen kannte. Vor diesem Hintergrund müssen die Verfasser der untersuchten Quellen gesehen und verstanden werden. Die Kenntnis dieses historischen Kontextes offenbart viel vom Standort bzw. dem Horizont der Quellenautoren und von dem, was sie wissen und folglich auch berichten konnten.

Quellenkritik

Bei der Quellenkritik soll der Fokus vor allem auf die inhaltliche Kritik, nämlich die Glaubwürdigkeit der Quellenberichte sowie deren Aussagegehalt gelegt werden: Welche geschichtliche Wirklichkeit lässt sich den Darstellungen der Quellen entnehmen und welche Möglichkeiten der Aussage kann man von den Quellen erwarten? Die Quellen wurden im behördlichen Kontext verfasst und da sie einen Rechtstreit dokumentieren, könnte man auch danach fragen, ob oder was die Quellenautoren berichten und darstellen wollten, um ihre eigene Position zu verbessern?

Ausgehend von den Erträgen der bisherigen Quellenuntersuchung kann man die These aufstellen, dass das Konfliktpotential der Kabeldeichung im späten 17. Jahrhundert in Twielenfleth unter anderem darin lag, dass die Besitzverhältnisse der Ländereien und damit auch die Zuständigkeiten für die anliegenden Deichstücke nicht immer eindeutig geklärt waren. Insbesondere dann, wenn die Deichinteressenten adlig waren und/oder über mehr Land als der durchschnittliche Bauer verfügten, mussten diese auch mehr Deichstücke bewirtschaften sowie dementsprechende Kontributionen abführen, was besonders in wirtschaftlich schlechten Zeiten (wie in den Jahren 1685-1678) zusätzliches Konfliktpotential mit sich brachte.

Zusammenfassend ließe sich folgern, dass es im späten 17. Jahrhundert in der Ersten Meile in Twielenfleth und vermutlich im gesamten Alten Land in Bezug auf den Deichbau ein Problem der Zuständigkeiten gab. Die ökonomischen Voraussetzungen für die Kabeldeichung waren selbst für Adlige und wohlhabende Altländer nicht mehr ohne weiteres zu erfüllen. Diese aufgestellte These soll im Folgenden mit der gezielten Untersuchung des historischen Kontextes und mithilfe des bisher erarbeiteten Erkenntnisstands überprüft werden.

So wie es in den untersuchten Quellen Probleme der Deichbeamten mit der Witwe von Düring in Bezug auf die Instandhaltung des Deichstückes gab, so lassen sich auch weitere Beispiele im historischen Kontext finden. Aus anderen Quellenberichten weiß man, dass um 1691 die Gräfen „angesichts des desolaten Zustands der Deiche vor Twielenfleth im Sommer 1691 erneut von der Ersten Meile die Errichtung eines kleinen Stacks begehrten.“7 Die zu dem Bauvorhaben einberufene Interessensversammlung in der Ersten Meile wurde von den Deichinteressenten nur durch wenige Teilnehmer besucht. Das Bauvorhaben wurde von ihnen offensichtlich abgelehnt, weil viele von den Deichinteressenten lieber „mit Prozessen, Klagen und Appellationen schwanger gingen“ als Gelder für Verbesserungsarbeiten des Deiches, seien es noch so wenige, auszugeben.8 Mit dieser Kenntnis und der Berücksichtigung des historischen Kontextes sowie den Ergebnissen der Quellenuntersuchung kann man sagen, dass man in Twielenfleth, ungefähr zu der Zeit der Quellenberichte, scheinbar ein allgemeines Problem mit den Deichinteressenten hatte, die lieber Rechtsprozesse und Klagen auf sich nahmen als ihre zugewiesenen Deichstücke zu bewirtschaften. Als Gründe hierfür können vor allem finanzielle Ursachen angegeben werden, die auch bei den Darlegungen der Witwe von Düring in Q6 vordergründig angeführt werden.

Das Konfliktpotential der Kabeldeichung mit seinen finanziellen Bürden zeigt sich auch in dem ähnlich erscheinenden Fall, in der der Häuerling Dietrich Detjen im März 1685 ein Landstück mit Deichstücken bei Twielenfleth vom Amtsmann Peter Benecke des Neuen Klosters pachtete. Vorausgegangen war diesem Pachtvertrag die Vernachlässigung der Deichinstandhaltung durch den Vorpächter Ernst Lindemann, der auch die Pacht für das Land nicht mehr aufbringen konnte. Im Winter 1684/1685 setzte Benecke den Deich wieder instand und verpachtete das Landstück mit den Deichen an Detjen weiter, den die „Deichlast und der mittlerweile eingetretene Deichschaden […] aber dermaßen […]“ abschreckte, „daß er umgehend die Pacht kündigen wollte.“ Dies war aber nicht möglich, so dass der Pächter Detjen für die Erhaltung der Deiche aufkommen musste.

Das Problem der unklaren Besitzverhältnisse und Zuständigkeiten, wem ein Stück Land gehörte bzw. wer das zugehörige Deichstück bewirtschaften musste, zeigte sich parallel zu dem Rechtsstreit der Witwe von Düring in einem Verfahren gegen den Leutnant Joachim Dietrich von Zesterfleth. Er verweigerte es seine Deichstücke zu bewirtschaften und wehrte die von den Deichbeamten durchgeführte Pfändung mit gewaltsamen Mitteln ab. Er gab in seinem eigenem Anklageprozess gegen die Deichbeamten an, dass der Landbesitz samt dem Deichstücken zwar vor 200 Jahren seiner Familie gehörte, aber dann „auf unbekannten Wegen über das Stader Marienkloster in das Eigentum der Kirche zu Ahlerstedt gelangt sei.“9 Von Zesterfleth wies die Zuständigkeit für das Deichstück und die Bürde der Deichlast wiederholt und klar von sich, dennoch wurde ihm in einem weiteren Gerichtsverfahren das Land als eigentlicher Eigentümer zugewiesen. Die Angabe der Deichrichter, dass von Zesterfleth aber bis zum Einbruch des Wassers im März 1685 zusammen mit der Witwe von Düring die jeweiligen Deichstücke bewirtschaftet hatte, wies er damit zurück, dass er lediglich dem Pastor in Ahlerstedt auf freiwilliger Basis geholfen hätte ein Deichstück auszubessern. Hieran lässt sich deutlich erkennen, dass dort, wo die Zuständigkeiten für Deichstücke bei anfallenden Deicharbeiten von den Deichinteressenten abgewiesen wurden, Gerichtsverfahren einsetzten und teilweise widersprüchliche Angaben seitens der Deichinteressenten gemacht wurden, wem das Land gehörte und wer damit auch die Deichlast zu bewältigen hatte. Auch der Witwe von Düring kann analog dazu durchaus vorgeworfen werden, dass sie ihre Unwissenheit über die Gültigkeit des Altländer Deichwesens für ihre Landstücke zunächst vorgeschoben haben könnte, um sich den Verpflichtungen zu entziehen. An späterer Stelle beklagt sie sich wiederum deutlich über die abzugebenden Kontributionen und die Deichlast, was voraussetzt, dass sie sich der eigentlichen Verantwortung und der damit verbundenen Kosten der Bedeichung bewusst war.

Der bei der Quellenkritik zu untersuchende Aspekt der Glaubwürdigkeit der Quellen und ihrer Darstellungen lässt sich mit den angeführten Beispielen aus dem historischen Kontext hinreichend stützen. Es gibt durchaus weitere Beispiele, die vom Sachverhalt her den Geschehnissen der Quellen Q1 – Q8 ähneln. Daher erscheint die in den Quellen dargestellte geschichtliche Wirklichkeit authentisch und stimmig mit dem historischen Kontext im späten 17. Jahrhundert. Auch die aufgestellte These lässt sich mit den angeführten Beispielen aus dem historischen Kontext überprüfen und belegen.

Fazit

Zum Abschluss dieser durchgeführten Quellenuntersuchung kann man feststellen, dass die ausgewählten Auszüge aus Akten in ihrem Inhalt und der geschichtlichen Wirklichkeit, die sie transportieren, als durchaus repräsentativ für die Geschehnisse im späten 17. Jahrhundert in der Ersten Meile des Alten Landes in Twielenfleth gelten können. Der in den Quellen behandelte Rechtsstreit behandelt einen in der Frühen Neuzeit in Twielenfleth und im Alten Land durchaus gängigen Vorgang, bei der Deichinteressenten nicht ihrer Deichpflicht nachkamen und in einen Rechtsprozess mit dem jeweiligen Deichverband gerieten. Bezüglich der historischen Authentizität der Verfasserschaft sowie der Plausibilität des Quellengehalts lassen sich daher keine Unstimmigkeiten mit dem heutigen Forschungsstand feststellen, so dass die Quellen als authentisch befunden werden können. Die auf Grundlage der Quellenuntersuchung aufgestellte These und gleichzeitig mögliche Beantwortung auf die in der Einleitung formulierte Fragestellung, lässt sich mit weiteren Beispielen aus dem historischen Kontext stützen. Das Konfliktpotential der Kabeldeichung lag im späten 17. Jahrhundert in Twielenfleth unter anderem darin, dass die Zuständigkeiten für die Ländereien und damit auch für die der anliegenden Deichstücke nicht immer eindeutig geklärt waren. Als auffälligstes Ergebnis der Quellenuntersuchung wird deutlich, dass das Deichbauwesen und die Instandhaltung der Deiche für das Alte Land zwar überlebenswichtig waren, aber das System der Kabeldeichung für viele Altländer Bewohner, selbst für die wohlhabenderen, nicht mehr finanzierbar war. Die strukturellen Defizite des Altländer Deichwesens im späten 17. Jahrhunderts werden am System der Kabeldeichung offenbar: Die Zuständigkeiten für Ländereien waren häufig nicht geklärt, die Finanzierung der Deichinstandhaltung für die Deichinteressenten war aufgrund von Sturmfluten, Wirtschaftskrisen nicht zu bewältigen und die dabei schnell aufkommenden und langwierigen Gerichtsprozesse verzögerten den Deichbau und die Instandhaltung der Deiche weiter und gefährdeten letztendlich ganze Ortschaften im Alten Land.

Empfohlene Zitierweise:

Blümel, Jonathan (2011): Ein Altländer Rechtsstreit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Bibliographie:
  1. Siehe Q1. bis Q4.
  2. Siehe Ehrhardt, Michael: „Ein guldten Bandt des Landes“ – Zur Geschichte der Deiche im Alten Land. (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden, Band 18). Stade 2003.  S. 298. Und weitere Erläuterungen zur Familiengeschichte der Witwe von Düring: Vgl. Siemens, Hans Peter: Das Alte Land : Geschichte einer niederelbischen Marsch. Stade 1951. S. 272.
  3. Vgl. Ehrhardt 2003. S. 520ff. und S. 508f. sowie Röper, Carl: Bilder und Nachrichten aus dem Alten Land und seiner Umgebung. Band 3. Jork 1988. S. 404.
  4. Vgl. Ehrhardt 2003. S. 439ff.
  5. Ebenda S. 118.
  6. Vgl. Michael Ehrhardts Ausführungen über Siedlungsrücknahmen nach Deichbrüchen am Anfang des 17. Jahrhunderts in Twielenfleth. Ehrhardt 2003. S. 469-470.
  7. Siehe Ehrhardt 2003. S. 303.
  8. Ebenda S. 303.
  9. Siehe Ehrhardt 2003. S. 298.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/08/ein-altlander-streit-um-die-bewirtschaftung-eines-deichstucks-teil-ii-2/

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