Barbaren (II): Roh oder gekocht?

Im ersten Beitrag (“Barbaren (I): die “Haarigen”) zu chinesischen “Barbaren”-Diskursen beschäftigten wir uns mit Beschreibungen europäischer beziehungsweise ‘westlicher’ “Barbaren”. Seit ältester Zeit spiegeln – nicht nur die chinesischen – Barbaren-Diskurse Vorstellungen von angeblichen Abstufungen kultureller/zivilisatorischer Errungenschaften wider.

Eine der chinesischen Perspektiven unterschied zwischen “inneren” (neiyi 内夷) beziehungsweise “gekochten” Barbaren (sh(o)ufan 熟番) auf der einen Seite und “äußeren” (waiyi 外夷)  beziehungsweise “rohen” Barbaren (shengfan 生番) auf der anderen Seite.[1]

Das Begriffspaar roh/gekocht wurde von den Chinesen im Zusammenhang mit als “Barbaren” betrachteten Ethnien zumindest seit der Song-Zeit (960-1279) angewandt – zuerst zur Beschreibung der Miao 苗 im Südwesten Chinas.[2]

In späteren Berichten werden als eine Art “Zwischenstufe” die “semisinisierten Barbaren” (guihua shengfan 歸化生番) eingeführt. Wie Höllmann schreibt, erinnert diese dreistufige Einteilung “gänzlich unchinesisch – ein wenig an die Zubereitung eines Steaks [...] rawmediumwell done.”[3]. Eine ähnliche Dreiteilung etablierten die seit dem 17. Jahrhundert in verstärktem Maß nach Taiwan kommenden Chinesen für die indigene Bevölkerung dieser Insel. Neben den “gekochten” Barbaren, die nach ihren Wohngebieten auch als “Barbaren der Ebene” (pingpufan 平埔番) bezeichnet wurden und den “rohen” Barbaren (auch als “Bergbarbaren” (shanfan 山番) bezeichnet) wurde auch die Kategorie der “assimilierten” beziehungsweise “transformierten” Barbaren (huafan 化番) eingeführt.[4]

Während die als “gekochte” Barbaren bezeichneten Ethnien zur Übernahme der (han-)chinesischen Lebensweise bereit waren, blieben die “rohen” Barbaren ihren eigenen kulturellen Traditionen auch weiterhin verhaftet.

  1. Gudula Linck: “Die Menschen in den Vier Himmelsrichtungen.” Chinesische Fremdbilder. In: Helwig Schmidt-Glintzer (Hg.): Das andere China. Festschrift für Wolfgang Bauer zum 65. Geburtstag (Wolfenbütteler Forschungen 62; Wiesbaden: Harrassowitz, 1995) 257-289, hier v.a. 258 f., Magnus Fiskesjö: “On the ‘Raw’ and the ‘Cooked’ Barbarians of Imperial China,” Inner Asia 1 (1999) 139-168.
  2. Paul Barclay: “‘They Have for the Coast Dwellers a Traditional Hatred’: Governing Igorots in Northern Luzon and Central Taiwan, 1895-1915,” in: Julian Go, Anne L. Foster (Hg.): The American Colonial State in the Philippines. Global Perspectives (Durham 2003), 226.
  3. Thomas O. Höllmann: Das alte China. Eine Kulturgeschichte (München 2008) 74.
  4. Vgl. Chia-yu Hu: “Taiwanese Aboriginal Art and Artifacts: Entangled Images of Colonization and Modernization,” in: Yuko Kikuchi (Hg.): Refracted Modernity. Visual Culture and Identity in Colonial Taiwan (Honolulu 2007) 197.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1228

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Unterschiede zwischen Nord und Süd (II)

Im ersten Teil dieser losen Serie (Unterschiede zwischen Nord und Süd (I)) wurden Differenzierungen zwischen Nord- und Süchina betrachtet, die in der chinesischen Sprache gleichsam zu stehenden Wendungen geworden sind.

Der chinesische Literaturwissenschaftler Jiang Kanghu 江亢虎 (1883-1954), der unter anderem 1930-1933 an der kanadischen McGill University tätig war, widmete sich in seiner 1935 erschienenen Einführung in die Geschichte der chinesischen Kultur[1] den Unterschieden zwischen Nord- und Südchina. Jiang schrieb, dass diese Unterschiede schon im Wesen der Menschen deutlich zutage treten würden. Während die Bevölkerung Nordchinas als „dull, slow, conservative, and stubborn“ charakterisiert werden könne, wären die Südchinesen „clever, quick, more radical, but less stable.“ Auch im Zusammenhang mit der äußeren Erscheinung der Menschen sah er deutliche Unterschiede: die Nordchinesen wären „usually tall, heavy, and strongly built“, während man die Südchinesen als „comparatively small in size“ bezeichnen könnte. Der Norden habe mehr Gelehrte hervorgebracht, aus dem Süden dagegen wären eher die Literaten („more belles lettres writers“) gekommen. Einer eher materialistischen Philosophie im Norden stehe eine mehr idealistische Philosophie im Süden Chinas gegenüber. Für den Bereich der traditionellen chinesischen Kampfkunst (wushu 武術) nannte Jiang folgende Unterschiede: im Norden eher „offensive and active“, im Süden eher „defensive and passive“. Im Hinblick auf die Herkunft von Persönlichkeiten in Geschichte und Politik formulierte Jiang das folgende Modell: während die Mehrheit der Dynastiengründer aus dem Norden stammte, kamen die bedeutenden Staatsmänner überwiegend aus dem Süden – eng damit verknüpft und in diesem Sinne auch logisch erscheint seine letzte Gegenüberstellung: während Nordchina „more military leaders“ hervorgebracht habe, stammten aus dem Süden Chinas „more political leaders“. [2].

Offen bleibt, auf welche Quellen Jiang für diese Zusammenstellung zurückgegriffen hat: handelte es sich dabei ausschließlich um in der chinesischen Tradition fest etablierte Zuschreibungen oder griff er zur Veranschaulichung der Unterschiede auch auf “westliche” Darstellungen zurück?

  1. Kiang Kang-hu [Jiang Kanghu]: Chinese Civilization. An Introduction to Sinology (Shanghai: Chung Hwa Book Co. Ltd., 1935) 94.
  2. Alle Zitate ebd.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1197

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Kulturgeschichte Chinas im Netz (IV): Vier Jahre “Bibliotheca Sinica 2.0″

In loser Folge werden Webseiten präsentiert und rezensiert, die sich mit der Kulturgeschichte Chinas im weitesten Sinne beschäftigen. Vgl.  “Kulturgeschichte Chinas im Netz (I)” , “Kulturgeschichte Chinas im Netz (II)”, “Kulturgeschichte Chinas im Netz (III)”.

Bei der Lektüre und Durchsicht “westlicher” Darstellungen zur Kulturgeschichte Chinas drängt sich der Gedanke auf, den historischen Wurzeln dieser Fremdwahrnehmung, das heißt: der Darstellung der chinesischen Kultur in “westlichen” Publikationen nachzuspüren[1]

Für ältere Publikationen (bis zum Erscheinungsjahr 1939) liefert die “Bibliotheca Sinica 2.0″ – im Dezember 2009 in der derzeitigen Form begonnen und nunmehr mit bisher rund publizierten 2700 Artikeln – dafür die ideale Grundlage. Durch die Sammlung entsprechender Links erleichtert sie den Zugriff auf Digitalisate der “westlichsprachigen” China-Literatur.[2].

Die “alte” Weisheit, dass Digitalisierungsprojekte nur dann wirklich sinnvoll und “nachhaltig” sind, wenn die digitalisierten Bücher anschließend auch gelesen beziehungsweise von der Forschung rezipiert und ausgewertet werden, zeigte sich auch schon bei der Arbeit an “De rebus sinicis”.

Als Beispiel dafür können die dem Beitrag “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult” zu Grunde liegenden Recherchen dienen. Der Gedanke, für die Darstellung der für den konfuzianischen Staatskult dienenden Opfergelände – die vielfach auch als “Altäre” bezeichnet werden – auf J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (1918) – kam mir erst bei der Lektüre einschlägiger Sekundärliteratur.[3].

Eine Fülle weiterer Titel aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert mögen in ähnlicher Weise auch und gerade im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte Chinas herangezogen werden. Spiegeln die Publikationen jener Zeit (und – von einigen Ausnahmen abgesehen – nicht zuletzt auch die Arbeiten der damaligen Sinologen) zwar das damals vorherrschende sehr negative allgemeine China-Bild wieder, so enthalten Sie dennoch zahlreiche Informationen über die Kultur des zu Ende gehenden beziehungsweise bereits untergegangenen Kaiserreichs wieder. In diesem Sinne wird “De rebus sinicis” auch künftig auf diese Werke zurückgreifen. Das Motto dazu  könnte “Digital verfügbar und daher neu gelesen” lauten!

  1. Zahlreiche Beispiele für ein solches “Nachspüren” bietet Monika Lehner in ihrem Blog “Mind the gap(s)”.
  2. Zu Hintergrund und Geschichte der Bibliotheca Sinica 2.0″ vgl. “Mind the gap(s)”: “Bibliotheca Sinica 2.0.” vom 31.5.2013, publiziert anlässlich der Veröffentlichung des 2500. Artikels.
  3. Im konkreten Fall ein entsprechender Hinweis zum “Altar” des Ackerbaues bzw. zum “Altar des Ersten Landmanns” (Xiannongtan 先農墰): Peter Greiner: “Das Hofzeremoniell der Mandschu-Dynastie.” Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt  (Frankfurt a.M. 1985) 69 Anm. 6.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/927

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