Systematik eines Urlaubs.


Was der Krieg Heinrich Echtermeyer lehrte.

Lukas Boch/Michael Boch

 

Bereits der erste überlieferte Feldpostbrief, den der Landwirt Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard schreibt, enthält die Bitte, ein Urlaubsgesuch beim örtlichen Amtmann einzureichen.[1] Diesen Wunsch formuliert er über seine gesamte Briefkorrespondenz hinweg immer wieder. In seinen überlieferten 58 Feldpostbriefen und Postkarten an seinen Bruder kommt das Wort „Urlaub“ in jedem dritten,[2] der Begriff „Gesuch“ in jeden fünften[3] Schreiben vor. Die enorme Wichtigkeit des Themas Urlaub lässt sich folglich schon an der schieren Quantität der Erwähnungen in seiner Korrespondenz erkennen. Dabei hat es den Anschein, als entwickele Echtermeyer regelrechte Gesuchsstrategien. Die Entwicklung dieses Systems manifestiert sich in den immer komplexer werdenden Anweisungen an seinen Bruder und wohl auch seine Frau, von denen wir über die Briefe an Bernhard Kenntnis erlangen. Offenbar ist für Echtermeyer ein Kompetenzzuwachs in einen Bereich nachzuweisen, den der Landwirt zuvor nicht berührte.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/875

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Die Vermittlerrolle des Bruders

Leonie Volmer

Familie Heinrich Echtermeyer
Familie Heinrich Echtermeyer

In der Arbeiterschicht führte die kriegsbedingte Abwesenheit der Männer nicht selten zu einschneidenden Veränderungen in der Familienstruktur, aus der die Frauen zumindest phasenweise gestärkt hervorgingen.[1] Anders war dies hingegen in den bäuerlichen Schichten. Die Frau war schon immer als feste Familienarbeitskraft miteingeplant, das verdiente Geld Familienlohn. Gravierende Änderungen in der Familienstruktur blieben aus, als die Männer in den Krieg zogen und die Frauen mit der Aufgabe, die Familie zu versorgen, zu Hause zurück blieben. Trotz allem fehlte eine Arbeitskraft. Heinrich Echtermeyer verließ sich darauf, dass sein Bruder Bernhard zumindest einen Teil seiner Rolle auf dem heimatlichen Hof in Halverde übernahm, wie aus seinen Briefen deutlich hervorgeht: „[Ich] Bitte Dich, hilf meiner Frau so gut zurecht wie Du kannst.“[2] Solche und ähnliche Wendungen finden sich in seinen Feldpostsendungen immer wieder.

Bernard und Maria Echtermeyer
Bernard und Maria Echtermeyer

Es ist auffallend, wie häufig Echtermeyer in diesen Briefen und Postkarten an seinen Bruder von seiner Frau schreibt.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/693

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In Erwartung auf (mehr) Briefe


Die psychologische Funktion des Briefverkehrs

Johannes Reichert

Während des Ersten Weltkrieges wurden 28,7 Milliarden Feldpostbriefe verschickt.[1] Es ist nicht verwunderlich, dass sich die neueste Forschung auch mit der psychologischen Funktion dieser Feldpostbriefe auseinandergesetzt hat. Denn Briefe aus der Heimat hielten die Moral aufrecht, stärkten den Zusammenhalt in der Familie, waren Informationsrohr für Front und Heimat gleichermaßen und machten den Soldaten Hoffnung, ihre Familie und Heimat wiederzusehen.[2] Gleiches gilt auch für den Soldaten Heinrich Echtermeyer. Von Beginn seines Fronteinsatzes an, war der Wunsch und die Forderung nach Post von seiner Familie zentraler Bestandteil seiner Briefe in die Heimat.

„Bitte schreibet wohl wieder was da bei euch neues gibt“[3] – so oder so ähnlich enden mit vier Ausnahmen alle seiner uns vorliegenden an seinen Bruder Bernhard adressierten 58 Briefe und Feldpostkarten. Die einzigen Briefe, in denen ein solches Einfordern weiterer Briefe und das Bitten um ein regeres Schreiben nicht thematisiert werden, sind ein Brief aus dem Juli 1916, in dem sich Heinrich Echtermeyer auf der Reise in eine andere Stellung an der Front befindet, sowie drei Briefe aus dem März 1917.[4] In diesen Briefen vom 1.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/723

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Wer ist der eigentliche Feind?

Lea Griesing

Vor und zu Beginn des Ersten Weltkrieges herrschte in Deutschland eine patriotische Hochstimmung, ja eine „Atmosphäre sich überbietender Vaterlandsliebe“.[1] Die unterschiedlichsten Autoren verfassten patriotische Lieder, Gedichte, Bücher und gestalteten Broschüren und Plakate. Die deutsche Propaganda setzte dabei visuell ganz auf Bilder entschlossener und siegesgewisser Soldaten, in denen der eigene Ehemann, Sohn oder Vater wiedererkannt werden sollte. Und mehr noch:

„In Deutschland dienten die propagandistischen Bilder – auch [die] für das feindliche Ausland bestimmten – fast ausschließlich der Bestätigung des deutschen Selbstbildes als überlegenes Kulturvolk das sogar noch im Krieg seinen Feinden Gerechtigkeit widerfahren ließ; ein unschuldiges Opfer, das gerade aufgrund seiner Überlegenheit angegriffen wurde.“[2]

Die eigene Selbstüberhöhung brachte bei erfolgreicher Propagandawirkung zugleich mit sich, dass das Gegenüber als untergeordnet angesehen wurde und Feindbilder entstanden. Die selbst zugeschriebene Opferposition verstärkte im ,Idealfalle‘ die übersteigerte Abwehrhaltung gegenüber dem Feind. Stereotype Feindbilder wurden propagiert und sollten Teil der deutschen Mentalität werden.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/264

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Hof und Heimat als Rückzugsort vor dem Krieg

Niklas Maximilian Schepp

 

„Wenn Ihr mit die Arbeit Nicht fertig werden könnt, laß ruhig liegen, den je größer der Hunger wird je eher ist alle, b[l]os[s] soviel das Frau und Kinder was zu Essen habt. Sonst laßen sie uns Urlaub geben. Ihr müßt nur sehen wenn ich nicht in Urlaub komme, wie Ihr am leichsten mit der Arbeit fertig werd, und das der Acker nicht ganz verwilder, und alle etwas bestellt wird, den ich habe wenig Spaß davon.“[1]

So schreibt der Landwirt Heinrich Echtermeyer am 20. März 1917 in einem Feldpostbrief von der Front an seinen Bruder. In seinen überlieferten Feldpostsendungen wird fortwährend deutlich, wie sehr er sich um die Bestellung seiner Äcker sowie um die Versorgung seines Viehs sorgt.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/590

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Die Abschiedsformel als Spiegel des Erlebten.

Jakob Heyman

 

„Nun sch[l]ieße ich, und hoffe das Du schreibst was das alle gibt und das bald Friede wird, und das ich glücklich zurückkomme. Darum zu Gott beten. Es herzlich Dein Bruder Heinrich Auf Fröhliches Baldiges Wiedersehen“.[1]

Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, letzte Seite des Feldpostbriefes vom 18. Januar 1917.
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, letzte Seite des Feldpostbriefes vom 18. Januar 1917.

Diese Verabschiedung wirkt auf den ersten Blick beinahe übertrieben lang. Trotzdem sind ähnlich lange Verabschiedungen in Echtermeyers Briefen keine Seltenheit.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/559

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Rückzug in das Gewöhnliche.


Immer nur die gleichen ‚Floskeln‘?

Fabian Köster/Dennis Krause

In der Forschung reduziert sich das Phänomen der Sprachlosigkeit in Feldpostbriefen zunächst auf drei Ursachen: die Angst vor der Zensur, die intendierte Schonung der Rezipienten und ein Sprachverlust in Folge des Erlebens beispiellosen Grauens.[1] Demnach würde ein Frontsoldat, ein leeres Blatt Papier vor Regen und Schmutz schützend, im Schützengraben kauern und überlegen, bevor er den Stift ansetzt: Was darf, will und kann ich nicht schreiben? Bereits eine solch simple Übertragung auf eine konkrete Situation vermittelt, dass eine solche retrospektive Kategorisierung an ihre Grenzen stößt. Denn natürlich werden Soldaten auch einfach ‚drauf los‘ geschrieben haben, nicht immer darauf bedacht, ihre Gedanken einer rationalen Prüfung zu unterziehen. Wenn Heinrich Echtermeyer immer wiederkehrende Begrüßungs- und Abschiedsformeln in scheinbar mechanischer Manier aufs Papier bringt, dann wirken jene Formulierungen dennoch vordergründig funktionell, ja beinahe floskelhaft.

Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostkarte vom 15. Oktober 1916.
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostkarte vom 15. Oktober 1916.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/197

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Rückzug in das Gewöhnliche.


Immer nur die gleichen ‚Floskeln‘?

Fabian Köster/Dennis Krause

In der Forschung reduziert sich das Phänomen der Sprachlosigkeit in Feldpostbriefen zunächst auf drei Ursachen: die Angst vor der Zensur, die intendierte Schonung der Rezipienten und ein Sprachverlust in Folge des Erlebens beispiellosen Grauens.[1] Demnach würde ein Frontsoldat, ein leeres Blatt Papier vor Regen und Schmutz schützend, im Schützengraben kauern und überlegen, bevor er den Stift ansetzt: Was darf, will und kann ich nicht schreiben? Bereits eine solch simple Übertragung auf eine konkrete Situation vermittelt, dass eine solche retrospektive Kategorisierung an ihre Grenzen stößt. Denn natürlich werden Soldaten auch einfach ‚drauf los‘ geschrieben haben, nicht immer darauf bedacht, ihre Gedanken einer rationalen Prüfung zu unterziehen. Wenn Heinrich Echtermeyer immer wiederkehrende Begrüßungs- und Abschiedsformeln in scheinbar mechanischer Manier aufs Papier bringt, dann wirken jene Formulierungen dennoch vordergründig funktionell, ja beinahe floskelhaft.

Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostkarte vom 15. Oktober 1916.
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostkarte vom 15. Oktober 1916.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/197

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Sorge um die Heimat

Florian Steinfals

Die Desillusionierung der größtenteils freiwilligen Soldaten, die auf Ruhm und Abenteuer gehofft hatten, erfolgte während des Ersten Weltkrieges bereits früh. Die Hoffnung auf einen schnellen Sieg hatte sich schon bald als Illusion herauskristallisiert, konnte doch ein solcher von keiner kriegsführenden Seite errungen werden. Besonders an der Westfront entwickelte sich der Bewegungs- rasch zu einem Stellungskrieg. Infolge der erhöhten Feuerkraft und -rate der neuen Waffen wie Artillerie und Maschinengewehre, stieg auch die Verlustrate rapide an.[1] Allein auf französischer Seite starben zwischen dem 20. und 23. August 1914 mehr als 40.000 Soldaten.[2] Die ständige Gefahr durch die Artillerie, die selbst in den vermeintlich sicheren Stellungen nicht gebannt werden konnte, dazu eine schlechte Versorgung, Ratten und fürchterliche Entstellungen durch Schrapnellgeschosse bei den Kameraden, machten das Leben der Soldaten in ihren Schützengräben schier unerträglich.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/299

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Zwischen den Zeilen.


Die soziale und psychologische Funktion von Feldpostbriefen

Lucinda Jäger

Wer heute etwas über den Krieg aus Feldpostbriefen herausfiltern möchte, der werde – so der Literaturwissenschaftler Jens Ebert über die Arbeit mit dieser Quelle – in vielen Fällen im ersten Moment enttäuscht, ja bleibe beim Lesen „hilflos zurück“.[1] Denn eben so oft verwundern nicht nur die Themen, sondern auch die Art, wie über diese geschrieben wird. Mehr noch werfen gerade jene Themen Fragen auf, die in der Feldpostkommunikation ausgespart bleiben: der Kriegs- und Frontalltag und die damit verbundenen, meist negativen, traumatischen Erlebnisse der Soldaten. Auch in den Briefen Heinrich Echtermeyers an seinen Bruder Bernhard wird die Kriegswirklichkeit oftmals allein fragmentarisch beschrieben. In den 58 überlieferten Feldpostbriefen und ‑karten berichtet er allenfalls sporadisch und wenn, so wenig detailliert über die von ihm erlebten Kriegsereignisse an der Ostfront. Stattdessen überwiegen scheinbar triviale Themen wie Wettereindrücke und Naturwahrnehmungen, Fragen nach der Heimat oder sich wiederholende Begrüßungs- und Abschiedsformeln.[2]

Feldpostbriefe erfüllten sowohl für Soldaten als auch für deren Verwandte in der Heimat eine soziale und psychologische Funktion: Sie ermöglichten ein Aufrechterhalten der familiären und sozialen Netzwerke, festigten beidseitig soziale Bindungen.[3] Der Historiker und Geschichtsdidaktiker Peter Knoch beschreibt Feldpostbriefe als „lebenswichtige Verbindungsfäden zwischen getrennten Menschen; sie geben dem Frontsoldaten inneren Halt und Lebenssinn, den Verwandten daheim sind sie immer aufs neue Lebenszeichen.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/177

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