Public Historians: Dahin gehen, wo es brennt…

Day 9 Occupy Wall Street September 25 2011 Shankbone 27

Source: David Shankbone, Creative Commons Attribution 3.0 Unported, Wikimedia Commons

Dominik Rigoll hat hier vor einem Jahr geschrieben, eine kritische Geschichte müsse sich an die Tabus heranwagen. An die allgemeinen und an die „eigenen“. Sie müsse dahin gehen, wo es wehtut. Ich will diese These aufgreifen und verstärken: Engagierte Historikerinnen und Historiker müssen in Zukunft vor allem wieder dahin gehen, wo es brennt. Sie müssen effektiver in die öffentlichen Debatten eingreifen.

Occupy History: Die praktische Unterstützung einer Bewegung

Wagen wir einmal einen Blick über den großen Teich. Da ist seit zwei Monaten das Weblog Occupy History online (nicht verwechseln mit dieser gleichnamigen Seite). Betrieben wird die Seite zur Unterstützung von Occupy Wall Street und der Occupy Bewegungen in den USA. Auf dieser Webseite findet man entsprechend Beiträge zur Finanzwelt, zur Geschichte des zivilen Ungehorsams, Erinnerungen an historische Konflikte, Besetzungen und Polizeigewalt – und natürlich eine Geschichte des Pfeffersprays. Das selbsterklärte Ziel ist “revive a sense of national memory, to restore context and continuity to the conversation”.

Nun kann man diese nationale Fokussierung von Occupy History angesichts des globalen Charakters des Kapitalismus in Frage stellen. Und es werden viele zustimmen, wenn ich sage, dass diese Form der Erinnerungspolitik nicht reichen wird. Das Ziel wäre doch etwas weiter zu stecken: die Entwicklungen der heutigen Verhältnisse analysieren, sie in den historischen und sozialen Kontext stellen, um daraus differenziert Handlungsmöglichkeiten in den politischen Kämpfen aufzuzeigen. Das ist sicher alles wünschenswert. Aber wer kann das? Und ist das nicht eine sehr “deutsche” Herangehensweise? Erst einmal über Jahre das Konzept debattieren?

Ich finde es viel wichtiger, dass Leute anfangen, als Historikerinnen und Historiker Themen von Bewegungen aufzugreifen, um ihren spezifischen Beitrag für die tagesaktuellen Diskussionsprozesse zu leisten. Und das ohne sich gleich aufzuspielen und zu behaupten, bereits auf alles eine fertige Antwort zu haben. Mir gefällt erst einmal diese Haltung. Und mir gefällt dieser sehr praxisnahe Ansatz.

Campaigning von Historikerinnen und Historikern

Und sucht man weiter in den USA, stellt man fest, dass Occupy History absolut kein Einzelfall ist. Schon nach kurzer Recherche findet man ähnlich gelagerte Projekte, die sogar noch wesentlich aktiver Themen in die Gesellschaft tragen. Hier nur wenige Beispiele von History News Network (HNN):

  • Die Historians against War sind wahrscheinlich dem einen oder der anderen bekannt als Aktionskreis gegen den Irak-Krieg.
  • Beim Network of Concerned Historians war unleugbar Amnesty International Vorbild. Es werden jährliche Länder-Berichte publiziert. Vor allem setzt man sich aber international für verfolgte Historikerinnen und Historiker ein. Ob in der Türkei, in Aserbaidschan, Russland, Peru, Ruanda oder sonst wo.
  • The Feminist Historians for a new New Deal, eine Kampagne im Rahmen der Präsidentschaftswahl.

Die kanadische Active History oder History is a Weapon wären weitere Beispiele aus dem ganzen “demokratischen” bis “radikalen” Spektrum (im us-amerikanischen Wortsinn), die jeweils auf ihre Weise versuchen, eine tagesaktuell eingreifende Wissenschaft zu organisieren. Und das ist die Gemeinsamkeit der hier genannten Projekte. Ganz selbstverständlich wird etwa eine anstehende Präsidentschaftswahl genutzt, um Themen in der demokratischen Öffentlichkeit zu platzieren, um  Lern- und Diskussionsprozesse anzustoßen. Und selbst eine Fachzeitschrift wie die Radical History Review ist mit ihren Heftthemen verhältnismäßig nah am tagesaktuellen Geschehen. Die letzten Ausgaben beschäftigten sich mit dem 11. September, “Radical Foodways”, “Enclosures”, “Rethinking the Political Economy of Nature in a Global Age”.

Digital Public Historians

Mir scheint, sowas fehlt bei uns. Natürlich gibt es viele geschichtspolitische Akteure, die qualitativ ausgezeichnete Arbeit leisten, unterstützenswert und sympathisch, die sich auch als bewegungsnah verstehen und langfristige Ziele verfolgen. Das ist nicht mein Thema. Aber die unmittelbare Bereitstellung historischer Analysen und geschichtswissenschaftlich fundierter Argumente für tagesaktuelle Konflikte (Europa, Finanzkrise …) ist nur selten zu finden. Ist es nicht so? Und wenn ich recht habe, warum ist es so? Und was kann man daran ändern?

Und ist es dann nicht so, dass wir im deutschsprachigen Raum mehr über den Tellerrand schauen müssten? Über die eigene fachliche Nische hinaus? Sollten wir nicht stärker davon ausgehen, welche Fragen aktuell gestellt werden? Die bestehenden Netzwerke und das Internet ermöglichen es doch, viel schneller auf diese Anforderungen zu reagieren. Gefragt sind dabei im besten Sinne Intellektuelle, die diese Informationen zusammenstellen, aufbereiten, weitergeben, andiskutieren.

Viele nordamerikanischen Webprojekte sind hier beispielgebende Orientierungspunkte, aber man muss diese Projekte nicht einfach kopieren. Es gibt verschiedene politische Felder und Formen. Man kann Quellen und Paper publizieren, Awards ausschreiben, Resolutionen verabschieden, Videoblogs starten. Was immer geeignet erscheint und wofür ausreichend Leute da sind. Wesentlich scheint mir, die Balance zwischen langfristigen Forschungsprojekten und tagesaktuellen Kampagnen zu finden. Aber das wäre doch ein schönes Ziel für 2012: Raus aus den Nischen, und dahin gehen, wo es brennt.

Wer weitere (Gegen-)Beispiele hat, einfach hier als Kommentar posten :-)


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Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/12/28/public-historians-dahin-gehen-wo-es-brennt/

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Karl Bosl in Cham abmontiert

Wie die Süddeutsche Zeitung (sueddeutsche.de, 29.11.2011, 12:20) gestern berichtete und der Nachrichtendienst für Historiker verlinkte, hat der Stadtrat von Cham vergangene Woche beschlossen Karl Bosl (1908-1993) die Ehrungen durch seine Geburtsstadt abzuerkennen. Ummittelbar danach wurde das Straßenschild des nun ehemaligen Prof.-Karl-Bosl-Platzes abmontiert. Gleiches soll mit einer 50.000 Euro teueren Bronzebüste Bosls geschehen, die die Stadt 2003 aufgestellt hatte.  Zuvor hatte der Stadtrat den Stadtarchivar Timo Bullemer beauftragt, Vorwürfe zu prüfen, Bosl habe seine Rolle als Widerstandskämpfer während der NS-Zeit erfunden.

Bosl – Erneuerer der Bayerischen Landesgeschichte im Sinne einer Struktur- und Sozialgeschichte in den 1950er und 60er Jahren -  war seit 1930 Mitglied des Stahlhelm gewesen, im Mai 1933 in die NSDAP, in den NS-Lehrerbund und danach auch in die SA eingetreten. Der Historiker Matthias Berg verweist in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft darauf, dass Bosl zunächst keine aktive Rolle in den NS-Organisationen eingenommen habe, die Mitgliedschaft  sogar nach Wohnungswechseln einschlafen ließ. Nach seiner Promotion 1938 allerdings erwies sich Bosl als linientreuer Nachwuchsforscher und übernahm ein Forschungsprojekt des SS-Ahnenerbes zur Lehensgeschichte. Dass dem jungen Bosl keine Dozentur zuerkannt wurde, lag viel eher daran, dass das Kriegsende nahte, als an einer vermeintlich Widerstandstätigkeit, wie Bosl nach 1945 vorgab. Um eine Einstufung als ‘Mitläufer’ zu verhindern, gab Bosl unter Eidesstatt an, er sei Mitglied des Ansbacher Widerstands gewesen. Zeugen oder Quellenbelege gibt es dafür keine. Im Gegenteil deuten die von Berg  untersuchten Akten auf eine ‘mustergültige’ Wissenschaftlerkarriere und Vernetzung im NS-Wissenschaftsapparat hin, die vor allem über die Beziehung zu seinem Lehrer Karl-Alexander v. Müller ging.

Vgl. Matthias Berg, Lehrjahre eines Historikers. Karl Bosl im Nationalsozialismus, in: ZfG 59 (2011) 1, S. 45-63.


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/11/30/karl-bosl-in-cham-abmontiert/

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Gesucht: Alternative Konzeptionen zu Europa

Manche in im linken Spektrum sind ja der Meinung, dass die heutige Europäische Union ein neoliberales, imperiales und undemokratisches Projekt sei, an dessen Fortbestand man nicht interessiert sein müsse. Dagegen ist einzuwenden, dass ein Auseinanderfallen der Europäischen Union unvermeidlich den nationalistischen und rechten Kräften Auftrieb geben würde. Und es fehlt heute an Visionen für eine demokratische und soziale Integration der europäischen Gesellschaften. Es gibt zwar Teilkonzepte, aber das wars dann auch schon.

Und deshalb sind meiner Meinung nach auch engagierte Historikerinnen und Historiker gefragt: Denn in der Geschichte der Linken gab es, soweit ich weiß, immer wieder vereinzelt Programmatiken für ein demokratisches und solidarisches Europa. Deswegen frage ich mal in die Runde: Hat jemand Ideen oder Hinweise? Beispielsweise zu interessanten Konzepten des europäischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg, in der Partisanenbewegung, aber auch in der Nachkriegszeit und rund um „1968″? Was und wer sollte berücksichtigt werden? Was würde eurer Meinung nach in eine alternative europäischen Geschichte reingehören? Nicht nur ideengeschichtlich, sondern darüber hinaus. Gibt es Leute, die sich damit beschäftigen?


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/09/24/gesucht-alternative-konzeptionen-zu-europa/

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«Jefe» Franco? Wie krass ist das denn?

Von der Empörung, die das Erscheinen des spanischen biographischen Lexikon in der spanischen Öffentlichkeit ausgelöst hat, erfahren wir dank Kollege Eisenmengers Sprachkompetenz in seinem ausführlichen Berichts. Im besagten Lexikon, das eben erschienen ist, wird Francisco Franco als “Generalisimo e jefe del Estado español” bezeichnet, ja, fast gefeiert (PDF-Auszug: hier). Dass die Verfolgungen politischer Gegner nicht [...]

Quelle: http://weblog.hist.net/archives/5449

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