Barbaren (V): In allen Himmelsrichtungen

Vor allem in der chinesischen Antike wurden die nicht-chinesischen Ethnien (“Barbaren”) auch nach den vier Himmelsrichtungen eingeteilt (die “fünfte” Himmelsrichtung – die Mitte – war ja für die Chinesen selbst reserviert).

Mit dem Osten verband man die yi 夷, mit dem Süden assoziierte man die man 蠻, mit dem Westen die rong 戎 und mit dem Norden die di 狄.[1] Während die rong und die di bald aus dem Bewusstsein und damit auch aus den Quellen verschwunden waren, machten die Begriffe man 蠻 und yi 夷 in späterer Zeit eine erstaunliche Karriere.

Nachdem die Mongolen China erobert hatten, teilten sie während ihrer Herrschaft (Yuan-Dynastie 1271-1368) die Bevölkerung in vier Gruppen ein. Nach der aus Inner- und Westasien stammenden Gruppe und den bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter mongolische Herrschaft gekommenen Nordchinesen wurden die Südchinesen, die erst mit dem Ende der Südlichen Song-Dynastie (1127-1279) unter die Kontrolle der Eroberer gekommen waren, offiziell als nanren 南人 (“Leute aus dem Süden”) bezeichnet. Meistens wurde diese Gruppe jedoch mit dem abwerteten Begriff manzi 蠻子 (der von den Chinesen selbst für alle indigenen Ethnien des Südens verwendet worden war) bezeichnet. [2] – Auf diesen Begriff gehen auch die Bezeichnungen “Manzi” und “Mangi” bei Marco Polo zurück.[3]

Der Begriff yi 夷 – ursprünglich für die östlichen “Barbaren” gebraucht, hatte spätestens zur Zeit der Ming-Dynastie (1368-1644) eine Umdeutung erfahren – als yibing 夷兵 (“fremde Soldaten”) waren Mongolen, Uiguren und Angehörige anderer innerasiatischer Ethnien bezeichnet worden, die im Norden und Nordwesten des Chinesischen Reiches rekrutiert worden waren, um zeitweilig in der chinesischen Armee Dienst zu tun.[4] Andererseits wurden während der Ming-Zeit auch die Japaner mit dem Begriff dongyi 東夷 (also “Ostbarbaren”) belegt.[5] Der Begriff spielte in den chinesisch-westlichen Beziehungen dann auch zur Zeit der Opiumkriege (1839-1860) eine Rolle. Vom für die chinesische Seite vertraglich festgelegten Verbot, den Begriff yi 夷 weiterhin auf die Europäer (und Amerikaner) anzuwenden, bis zu dessen endgültigen Verschwinden sollte es allerdings noch einige Jahre dauern …

Die ersten vier Teile der Serie:
Barbaren (I): Die “Haarigen”
Barbaren (II): Roh oder gekocht?
Barbaren (III): Großnasen/Langnasen
Barbaren (IV): “Fremde Teufel”

  1. Vgl. dazu den kurzen Überblick bei Endymion Wilkinson: Chinese History. A New Manual (Cambridge MA, Third rev. printing, 2013) 352 f.
  2. Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 327 (no. 3922 und ebd., 339 (no. 4099).
  3. Zu den Berichten Marco Polos vgl. zuletzt Hans Ulrich Vogel: Marco Polo was in China. New evidence from currencies, salts and revenues (Monies, markets, and finance in East Asia, 1600-1900; Leiden 2012).
  4. Vgl. Hucker: Dictionary of Official Titles, S. 268 (Nr. 2986).
  5. Vgl. dazu Wilkinson: New Manual, 352. Zur ursprünglichen Anwendung des Begriffs dongyi vgl. Fang Weigui: “Yi” 夷, “Yang” 洋, “Xi” 西 und “Wai” 外. Zum wort- und begriffsgeschichtlichen Wandel des Chinesischen im 19. Jahrhundert.” In: Orientierungen 1/2000, S. 16,

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1440

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Unterschiede zwischen Nord und Süd (II)

Im ersten Teil dieser losen Serie (Unterschiede zwischen Nord und Süd (I)) wurden Differenzierungen zwischen Nord- und Süchina betrachtet, die in der chinesischen Sprache gleichsam zu stehenden Wendungen geworden sind.

Der chinesische Literaturwissenschaftler Jiang Kanghu 江亢虎 (1883-1954), der unter anderem 1930-1933 an der kanadischen McGill University tätig war, widmete sich in seiner 1935 erschienenen Einführung in die Geschichte der chinesischen Kultur[1] den Unterschieden zwischen Nord- und Südchina. Jiang schrieb, dass diese Unterschiede schon im Wesen der Menschen deutlich zutage treten würden. Während die Bevölkerung Nordchinas als „dull, slow, conservative, and stubborn“ charakterisiert werden könne, wären die Südchinesen „clever, quick, more radical, but less stable.“ Auch im Zusammenhang mit der äußeren Erscheinung der Menschen sah er deutliche Unterschiede: die Nordchinesen wären „usually tall, heavy, and strongly built“, während man die Südchinesen als „comparatively small in size“ bezeichnen könnte. Der Norden habe mehr Gelehrte hervorgebracht, aus dem Süden dagegen wären eher die Literaten („more belles lettres writers“) gekommen. Einer eher materialistischen Philosophie im Norden stehe eine mehr idealistische Philosophie im Süden Chinas gegenüber. Für den Bereich der traditionellen chinesischen Kampfkunst (wushu 武術) nannte Jiang folgende Unterschiede: im Norden eher „offensive and active“, im Süden eher „defensive and passive“. Im Hinblick auf die Herkunft von Persönlichkeiten in Geschichte und Politik formulierte Jiang das folgende Modell: während die Mehrheit der Dynastiengründer aus dem Norden stammte, kamen die bedeutenden Staatsmänner überwiegend aus dem Süden – eng damit verknüpft und in diesem Sinne auch logisch erscheint seine letzte Gegenüberstellung: während Nordchina „more military leaders“ hervorgebracht habe, stammten aus dem Süden Chinas „more political leaders“. [2].

Offen bleibt, auf welche Quellen Jiang für diese Zusammenstellung zurückgegriffen hat: handelte es sich dabei ausschließlich um in der chinesischen Tradition fest etablierte Zuschreibungen oder griff er zur Veranschaulichung der Unterschiede auch auf “westliche” Darstellungen zurück?

  1. Kiang Kang-hu [Jiang Kanghu]: Chinese Civilization. An Introduction to Sinology (Shanghai: Chung Hwa Book Co. Ltd., 1935) 94.
  2. Alle Zitate ebd.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1197

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (V): die Mitte

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten, (III) der Süden und (IV) der Westen.

Zum Abschluss dieser Serie folgt die letzte der “fünf Himmelsrichtungen” (wu fang 五方) , nämlich die Mitte (zhong 中). Das Schriftzeichen “stellt eine von einem Pfeil in die Mitte getroffene Zielscheibe dar und bedeutet als Verb ‘in die Mitte treffen’.” [1]

Im Westen hat die Bezeichnung Chinas als “Reich der Mitte” das Ende des Kaiserreiches (1911/1912) überdauert (vgl. “Middle Kingdom”, “Empire du Milieu”, “Regno di Mezzo”, etc.) – so unrichtig diese Übersetzungen – historisch betrachtet – auch sein mögen: Ursprünglich stand der Begriff (Zhongguo 中國) für die “mittleren Staaten”, die Region entlang des Gelben Flusses (Huanghe 黃河),die von den vier Barbaren – den di 狄 im Norden, den yi 夷 im Osten, den man 蠻 im Süden und den rong 戎 im Westen umgeben war. [2] Seine Herausbildung im modernen Sinne erlebte der Begriff Zhongguo mit der Qing-Dynastie (1644-1912), die ihn auf das gesamte unter ihrer Herrschaft stehende Gebiet bezog. Neben dem chinesischen Kernland (Zhongguo benbu 中國本部, im Deutschen meist als “das eigentliche China” oder das “China der 18 Provinzen” und im Englischen als “China proper” bezeichnet) fielen auch das Herkunftsgebiet der ethnisch mandschurischen Dynastie sowie die Gebiete der Mongolen darunter. Chinesische Gelehrte des 19. Jahrhunderte beschränkten den Begriff auf die oben erwähnten 18 Provinzen. [3]

Derartige Zentrumsvorstellungen fanden sich jedoch keineswegs ausschließlich in China. Von Kulturen, die das Zentrum der Welt in ihrem Bereich vermuteten und bisweilen auch durch eine entsprechende Symbolik repräsentierten, sind neben den altorientalischen Reichen (Babylonier, Perser) und den Kulturen des klassischen Altertums auch indische und präkolumbische Kulturen zu erwähnen [4]. Allein in China dürfte dieses Konzept schließlich auch für den Landesnamen gebraucht worden sein. [5]  Der Umstand dass man in China entsprechende Vorstellungen hatte, hatte spätestens im 18. Jahrhundert Eingang ins europäische Allgemeinwissen gefunden. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Vorstellungen über die Gestalt der Erde liest man in der Deutschen Encyclopädie:

“Aus diesen irrigen Vorstellungen folgten andere, z. B. daß man sich eine Stadt, eine Gegend, als die Mitte der Oberfläche der Erde dachte, dergleichen sich die Griechen von Delphi, welches daher ὀμφαλός, orbis umbilicus hies, die Juden von Jerusalem und noch heutzutage die Chinesen von Peking einbilden.” [6]

Nachdem Beijing erst im 15. Jahrhundert zur Hauptstadt des Reiches wurde, hatte man in der chinesischen Antike – zur Zeit der Han-Dynastie (3. Jh. v.- 3. Jh. n. Chr.) oder auch schon früher – das “Zentrum der Welt” (dizhong 地中) weiter südlich – etwa 80 Kilometer nordwestlich der damaligen Hauptstadt Luoyang 洛陽 (in der heutigen Provinz Henan) lokalisiert. Dieses “Zentrum der Welt” lag beim Songshan 嵩山, der traditionell als “heiliger Berg der Mitte” bezeichnet wurde.  [7] Die dortigen historischen Stätten wurden im Jahr 2010 auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gesetzt. [8]

[1] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 195 (“Mitte”). [nach oben]

[2] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise, Bd. 2, S. 248 (Nr. 2719, ‘中國’). [nach oben]

[3] Vgl. dazu Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 421 f. [nach oben]

[4] Manfred Lurker: Wörterbuch der Symbolik (Stuttgart, 5. Aufl. 1991) 852 f. (“Zentrumssymbolik”). Vgl. auch Alvin P. Cohen: Introduction to Research in Chinese Source Materials (New Haven: Yale University Press, 2000) 537. Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass. 2000) 132 (Box 2: Zhongguo 中國). – Zur Zentrumssymbolik im alten Orient vgl. die Hinweise bei Friedhelm Hartenstein: “Kosmologische Implikationen des biblischen Monotheismus” In: Christoph Markschies, Johannes Zachhuber (Hg.): Die Welt als Bild. Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern  (Berlin 2008) 22 Anm. 22. [nach oben]

[5] Wilkinson: Chinese History, 132. [nach oben]

[6] Deutsche Encyclopädie, Bd. 8 (Frankfurt 1782) S. 691 (“Erde”). [nach oben]

[7] Cohen: Introduction, 537. [nach oben]

[8] “Historic Monuments of Dengfeng in “The Centre of Heaven and Earth” (http://whc.unesco.org/en/list/1305). [nach oben]

 

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/323

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (IV): der Westen

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten und (III) der Süden)

Das Schriftzeichen xi 西 (Westen) zeigt einen Vogel, der sich am Abend – wenn die Sonne im Westen steht – in seinem Nest niedergelassen hat. Nach traditionellen Vorstellungen korrespondiert der Westen mit dem Planeten Venus, mit der Farbe Weiß, mit dem Herbst, mit der Lunge und mit der Wandlungsphase Metall. [1]

Nicht nur der Osten sondern auch – und im noch stärkeren Maße – der Westen galten seit dem Altertum als die “klassischen Himmelsrichtungen für das Paradies” [2].

Im Westen vermutete man den Sitz der Xiwangmu 西王母, der “Königlichen Mutter des Westens”. Der Begriff leitete sich ursprünglich von einem Ortsnamen ab und erhielt schließlich – nicht zuletzt durch das für die Transkription verwendete Zeichen  mu 母 (Mutter) die später geläufige Bedeutung. Wie Fracasso einleitend schreibt, haben wenige Figuren des chinesischen Pantheon so viel Aufmerksamkeit erhalten wie Xiwangmu [3]. Als Sitz der “Königlichen Mutter des Westens” galt das Kunlun 崑崙-Gebirge. Wurde die Göttin zunächst in den düstersten Farben geschildert, so wandelte sich ihr Äußeres in späteren Texten und in der Ikonographie grundlegend. Nach Ferdinand Lessing zeigen bildliche Darstellungen “eine vornehme chinesische Dame [...] deren Erscheinung die Mitte hält zwischen mädchenhafter Zartheit und der Fülle der Matrone.” [4] Anläßlich ihres Geburtstages, den sie – so die Vorstellungen – am 3. Tag des 3. Monats des chinesischen Mondkalenders feiert, lädt sie Götter und Unsterbliche ein, um diesen die nur alle paar tausend Jahre reif werdenden “Pfirsiche der Unsterblichkeit” (pantao 蟠桃) aufwarten zu lassen. [5]

Die mit dem Westen verknüpften Paradiesvorstellungen wurden mit der Verbreitung des Buddhismus in China weiter verstärkt. Die Jingtu 淨土-Schule (“Schule des Reinen Landes”) des Buddhismus verehrte besonders den Buddha Amitābha, der das “Reine Land”, das im Westen gelegene Paradies, regiert. Einige weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Buddhismus geprägt worden waren, enthielten das Schriftzeichen xi 西 (Westen): Indien wurde mit Xiguo 西國 (Land im Westen) und Sanskrit mit Xiyu 西語 (Sprache des Westens) wiedergegeben. [6]

Ab dem 10. Jahrhundert wurden die Meere Südostasiens mit dem Begriff Xiyang 西洋(“Westlicher Ozean”) bezeichnet. Für die bedeutenden maritimen Expeditionen des Zheng He 鄭和 in den Indischen Ozean wurde ebenfalls der Ausdruck xia Xiyang 下西洋, “den westlichen Ozean befahren”) gebraucht. Schon kurz nach ihrem Erscheinen an den Küsten Chinas zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden schließlich die Europäer unter anderem auch als Xiyang ren 西洋人 (“Menschen vom westlichen Ozean”) bezeichnet. Im frühen 17. Jahrhundert prägten die Jesuitenmissionare und deren chinesische Mitarbeiter den Ausdruck Da Xiyang 大西洋 (“Großer Westlicher Ozean”), der fortan für den Atlantik stand. [7]

 

[1] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise Bd. 2, S. 940 (Nr. 4080). [nach oben]

[2] Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück, 142. [nach oben]

[3] Ricardo Fracasso: “Holy Mothers of Ancient China. A New Approach to the Hsi-wang-mu Problem.” In: T’oung Pao 74 (1988) 1-46. – Vgl. auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 203 f. (“Xi Wangmu”). [nach oben]

[4] Zitiert nach Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 136-138 (“Hsi-wang-mu”). [nach oben]

[5] Welch: Art, 204. [nach oben]

[6] Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 729. [nach oben]

[7] Wilkinson: Chinese History, 729 f. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/184

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (III): der Süden

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden und (II) der Osten)

Das Schriftzeichen nan 南 (“Süden”) zeigt ein Gebiet mit üppiger Vegetation. [1] Traditionell ordnete man dem Süden das Element (die Wandlungsphase) Feuer – einer der Namen des Feuergottes lautete Nanfangjun 南方君 (“Herr der südlichen Gegenden”) [2] – und die Farbe Rot zu (erst im 20. Jahrhundert wurde der Osten “rot”). Von den Planeten war dem Süden der Mars zugeordnet, von den Jahreszeiten der Sommer und von den inneren Organen das Herz. [3]

Mit dem Süden, der nach chinesischen Vorstellungen mit dem Leben assoziiert wird, ist traditionell auch der Gott der Langlebigkeit (Shouxing 壽星), eine Gestirnsgottheit, verknüpft: Dieser residiert in einem Palast im Süden, in dessen Garten auch das Kraut der Unsterblichkeit wachsen soll:

“Daher die Auffassung, daß, wenn ‘der Alte des Südscheffels’ [nanji laoren 南極老人] erscheine, im Reich der Mitte Frieden herrsche. Man opfert ihm, um langes Leben und damit zusammenhängend Gesundheit und Glück zu erlangen.” [4]

Rituellen Vorschriften entsprechend saß der Kaiser bei Audienzen mit dem Gesicht nach Süden gewandt, empfing so die positive Energie (yang) und somit “gleichsam als einziger die Ausstrahlung des Himmels aus der Richtung, wo die Sonne am hellsten scheint.” [5]

Zur Zeit der Yuan-Dynastie (1260/1279-1368) war nanren 南人 (“Menschen aus dem Süden”) die Bezeichnung der untersten der vier offiziellen Kategorien der BevölkerungAls nanren wurden all jene Bewohner Chinas bezeichnet, die bis 1279 im Herrschaftsbereich der Südlichen Song-Dynastie gelebt hatten. Die alternative Bezeichnung manzi 蠻子 lebte auch im Begriff Mangi beziehungsweise Manzi fort, den Marco Polo für Südchina verwendete. [6]
Ein Hinweis auf den Süden ist auch im chinesischen Ausdruck für Kompass enthalten. Der chinesische Ausdruck für Kompass lautet zhinan 指南 (bzw. zhinanzhen 指南針 , d.i. Kompassnadel), bedeutet wörtlich “der nach Süden weisende” beziehungsweise “Südweiser” und im übertragenen Sinn “Handbuch”. [7]

 

[1] Robert Morrison: A Dictionary of the Chinese Language. In Three Parts. Part II. Vol. I (Macao 1819), 608: “The region of heat and luxuriant vegetation. The region which contains and cherishes plants and living creatures.” [nach oben]

[2] Vgl. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art (2008) 162 (“God of Fire”). [nach oben]

[3] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise, Bd. 4, S. 559 (Nr. 8080). [nach oben]

[4] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München: Diederichs, 5. Aufl., 1996) 171 f. (“Langlebigkeit, Gott der”). [nach oben]

[5] Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt (1985) 67. [nach oben]

[6] Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford: Stanford University Press, 1985) 339 (Nr. 4099). [nach oben]

[7] Herbert A. Giles: A Chinese-English Dictionary (Shanghai: Kelly & Walsh, 2. Aufl. 1912) 1007 (Nr. 8128). [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/182

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (II): der Osten

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden)

Das chinesische Schriftzeichen für Osten (dong 東) zeigt eine Sonne, die hinter einem Baum aufgeht. Analog dazu steht im Schriftzeichen gao 杲 (d. i. hell, strahlend, grell) die Sonne über dem Baum und im Zeichen yao 杳 (d. i. “weit entfernt sein, ohne eine Spur hinterlassen zu haben”, verschwinden) die Sonne unter dem Baum. Nach traditioneller Auffassung korrespondierte der Osten mit dem Frühling, mit dem Planeten Jupiter, mit der Farbe blaugrün (qing 青), mit der Wandlungsphase/dem Element “Holz” und mit dem Körperorgan Leber. [1] Zudem galt der Osten bzw. die linke Seite “als Platz des Fürsten; daher ist sie auch – und mit ihr der Osten – die geehrte Seite.” [2]

In alten  Vorstellungen wurden vor der Ostküste die “Inseln der Seligen” vermutet. Nach Wolfgang Bauer könnten die Namen dieser drei Inseln – Penglai 蓬萊 (“Wucherndes Unkraut”), Fangzhang 方丈 (“Vierecksklafter”) und Yingzhou 瀛洲 (“Weltmeerkontinent”) – “ursprünglich ganz gewöhnliche Ortsnamen gewesen sein, obgleich alle drei jeweils ein Zeichen enthalten, das an Übernatürliches denken läßt” [3] Auf der Suche nach einem Elixier der Unsterblichkeit sandte der Erste Kaiser (reg. 221-210 v. Chr.) den Magier Xu Fu 徐福 (Xu Shi 徐市) mit einer Expedition zur Erkundung dieser Inseln aus. [4]


Donghuamen 東華門 (Östliches Blütentor), Kaiserpalast, Beijing – Foto: Georg Lehner

Der Leichnam des verstorbenen Herrschers wurde durch das Donghuamen 東華門 (“Östliches Blütentor”), das Tor  an der Ostseite des Palastareals, aus dem Kaiserpalast gebracht [5].

[1] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise VI 342 (no. 11836). Die Etymologie des Zeichens dong (Osten) wurde wiederholt besprochen, in einem “westlichen” Nachschlagewerk wohl zuerst bei Robert Morrison: A Dictionary of the Chinese Language. In Three Parts. Part II. Vol. I (Macao 1819), S. 950. [nach oben]

[2] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996), 178 (“Links und Rechts”). [nach oben]

[3] Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück. Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in der Geistesgeschichte Chinas (München: 2. Aufl., 1989 [1. Aufl. 1974]) 144. [nach oben]

[4] Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 743. [nach oben]

[5] Wilkinson: Chinese History, 825. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/180

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (I): der Norden

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen.

Das chinesische Schriftzeichen für “Norden” (bei 北) zeigte ursprünglich ein

“[...] Bild zweier mit dem Rücken zueinander stehender Menschen [...] [und bedeutet] somit eigentlich den Rücken zuwenden, dasjenige, dem man den Rücken zuwendet, denn in China wird der Norden immer als das Hintere, das Hintenbefindliche [...] angesehen. Aus diesem Grunde sind Hauseingänge, der Thron des Kaisers usw. nach Süden orientiert.” [1]

Das Schriftzeichen 北, das also ursprünglich “das Hintere” beziehungsweise “das Dunkle” bedeutete, wurde schließlich in der Bedeutung “Norden” gebraucht. Zur Wiedergabe der ursprünglichen Bedeutung “Rücken” wurde dem Schriftzeichen die Komponente rou 肉(Fleisch) hinzugefügt [2]

Von den fünf Wandlungsphasen (fünf “Elementen”) wird dem Norden der Wandlungsphase “Wasser” zugeordnet, ebenso die weibliche Urkraft (yin 陰)  [3]


Shenwumen 神武門 – Foto: Georg Lehner

Das Nordtor des ehemaligen Kaiserpalastes wurde bei der Erbauung des Palastkomplexes im 15. Jahrhundert zunächst Xuanwumen 玄武門 (“Tor des Dunklen Kriegers”) benannt. Der “Dunkle Krieger” (Xuanwu 玄武), unter anderem auch “Wahrer Krieger” (Zhenwu 真武) genannt, galt im Daoismus als Schutzgott des Nordens. Aus Gründen der Tabuierung des persönlichen Namens (Xuanye) des Kangxi-Kaisers (r. 1662-1722) erfolgte schließlich die Umbenennung des Tors in Shenwumen 神武門 (“Tor des Göttlichen Kriegers”). [4]

Nicht nur um die aus kosmologischer Sicht negativen Einflüsse sondern auch die winterlichen Stürme vom Kaiserpalast abzuhalten und vor allem aus geomantischen Überlegungen heraus, wurde das Erdreich, das beim Aushub des rund um die kaiserliche Residenz angelegten Wassergrabens anfiel, im Norden des Palastes zu einer künstlichen Erhebung – dem Aussichtshügel (Jingshan 景山), der bisweilen auch Kohlehügel (Meishan 煤山) genannt wurde – aufgeschichtet. Die fünf Pavillons, die sich auf dem beziehungsweise in der Nähe des Gipfels befinden, wurden erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet. [5]

Blick auf die “Verbotene Stadt”, vom Jingshan 景山 aus gesehen – Foto: Georg Lehner

 

[1] Bernhard Karlgren: Schrift und Sprache der Chinesen, übers. von Ulrich Klodt (Berlin: 2. Aufl. 2001 [1. Aufl., 1975]), 38. [nach oben]

[2] Qiu Xigui: Chinese Writing, trans. Gilbert L. Mattos, Jerry Norman (Early China Special Monograph Series no. 4, Berkeley: The Society for the Study of Early China and the Institute of East Asian Studies, University of California,Berkeley, 2000) 186. [nach oben]

[3] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996), 294 (“Vorn/Hinten”). [nach oben]

[4] Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Tokyo 2008) 148 Anm. 4. [nach oben]

[5] Vgl. etwa Frank-Rainer Scheck (Hg.): Volksrepublik China. Kunstreisen durch das Reich der Mitte (Köln: 3. Aufl., 1988) 226 f. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/149

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