Wie Elisabeth heilig wurde. (Teil 1)

Im heutigen Bistum Görlitz, zu dem meine Heimatstadt Cottbus gehört, ist es üblich, dass sich die jungen Katholiken zu ihrer Firmung, im Alter von 14 oder 15 Jahren, auch intensiv mit Heiligen auseinandersetzen. Jede und jeder Jugendliche sollte sich in seiner Vorbereitung eine Heilige bzw. einen Heiligen aussuchen, die oder der dann als eine Art spirituelle Inspiration und für manche sogar zum Vorbild wird. Den Namen dieses Heiligen nimmt man als Firmnamen an. Ich entschied mich dann für Johanna von Orleons, obwohl ich weder Stimmen hörte, noch in einen patriotischen Krieg ziehen oder gar am Ende auf dem Scheiterhaufen landen wollte. Aber im Mittelalter war das eine gute Möglichkeit, heilig zu werden. Bei meinen Freundinnen standen Theresa von Avila, Hedwig von Schlesien und natürlich Elisabeth von Thüringen hoch im Kurs.

Um Elisabeth von Thüringen dreht es sich ja immer wieder in diesem Blog und nun schauen wir mal, wie sie eigentlich heilig wurde. Die Frage ist, was die junge ungarische Königtochter eigentlich genau angetrieben hat, sich religiös so sehr zu engagieren. Wirklich seriös kann man diese Frage nicht beantworten, denn wir wissen nicht, was sich genau in ihrem Kopf abgespielt hat. Es bereitet Psychologen heute schon Schwierigkeiten, die Gedanken- und Gefühlswelt mancher Zeitgenossen richtig zu analysieren, bei einer historischen Persönlichkeit ist das abschließend nicht möglich und bleibt im Nebel der Geschichte. Sicher ist aber, dass sie sich mit der damals noch jungen Armutsbewegung des Franziskus von Assisi verbunden fühlte und diesen radikalen Weg der Nachfolge Christi auch gehen wollte.[1] Sie war allerdings eingebunden in das Leben als Landgräfin von Thüringen auf der Wartburg mit allen Pflichten und Privilegien. Als ihr Mann Ludwig im Kreuzzug blieb, verweigerte sie eine weitere Heirat und baute sich ein religiöses Leben nach ihren Vorstellungen in Marburg auf.  Elisabeth war ein Kind ihrer Zeit und so dachte sie auch.

Ihr damaliger Beichtvater und spiritueller Mentor war Konrad von Marburg, der zur damaligen Elite des deutschen intellektuellen Klerus gehörte. Er hatte an einer der „Elite-Universitäten“ wie Paris oder Bologna studiert und war einer der wohl radikalsten Ketzerprediger der Zeit. Er war es, dem Elisabeth gegenüber ein Gehorsamsgelübde ablegte. Solche Gelübde hatten auch Klara von Assisi Franziskus gegenüber und Maria von Oignies gegenüber Guido von Nivelles abgelegt.[2] Gehorsam war Teil der franziskanischen Spiritualität, der sich Elisabeth verbunden fühlte, genauso wie Askese, Ablehnung von Sexualität, jeglichem Genuss oder Luxus, ja eine regelrechte Feindlichkeit des eigenen Körpers gegenüber. Elisabeth wollte in Armut leben und entsagte ihrem hochadeligen Leben mit all seinen Privilegien. Freilich konnte sie es sich, im Gegensatz zu den meisten ihrer Landsleute, aussuchen, arm zu sein. Genau diese Einstellung, die Gründung des Hospitals in Marburg und ihre Arbeit dort trafen den Nerv der Zeit.[3]

Wie das mit der Geschichte der Heiligkeit einer Persönlichkeit nun einmal ist, beginnt die eigentliche Geschichte erst, wenn diese tot ist, so auch bei Elisabeth. Als Elisabeth 1231 starb, kamen die Menschen aus der Umgebung nach Marburg und verehrten sie als Heilige, obwohl sie noch nicht mal begraben war. Die Leute wollten sie als Heilige verehren und taten dies auch.

Caesarius von Heisterbach schreibt in seiner Elisabeth-Vita, dass während der drei Tage, als Elisabeth aufgebahrt dalag, viele Menschen aus der näheren und ferneren Umgebung nach Marburg kamen, um Elisabeth die letzte Ehre zu erweisen. Zudem schreibt er:

„Als ihr hochheiliger Leib, in ein graues Gewand gehüllt, das Gesicht mit Tüchern gebunden, auf der Bahre lag, haben viele der Anwesenden, die von der Heiligkeit ihres Körpers wussten, aus Verehrung kleine Stückchen von den Tüchern abgeschnitten und abgerissen, manche schnitten von den Nägeln ihrer Hände oder Füße etwas ab.“[4]

Es wäre nicht möglich gewesen, die Leiche, wie damals bei Heiligen üblich, zu zerteilen, in kostbare Gefäße zu verpacken und zur Anbetung auszustellen. Eine öffentliche Verehrung war bis zur offiziellen Heiligsprechung, wofür es damals ein geregeltes Verfahren gab, verboten.[5] Manche Gläubige hielt es trotzdem nicht davon ab, sich im Vorfeld einer Heiligsprechung schon mal eine Reliquie, also ein Stück der Leiche, bzw. eines Kleidungsstückes o.ä., zu sichern.

Sie wurde erst einmal in einem einfachen Bodengrab in ihrem Hospital bestattet. Archäologisch sprechen wir bei einem Grab in dieser Lage innerhalb eines Kirchenschiffs oder einer Hospitals, das in der Mittelachse oder sogar in direkter Nähe zum Hauptaltar angelegt ist, von einem Stiftergrab. Solche Grabstätten sind Privilegierten, in der Regel Adligen, vorbehalten, die das jeweilige Kloster, Kirche, Hospital u.ä. gegründet bzw. mit Finanzmitteln ausgestattet haben. Die Personen bekamen nach ihrem Tod eine Öffentlichkeit, die der normalen Bevölkerung verwehrt blieb. Auch Elisabeth wurde dieses Privileg zuteil und die Menschen bekamen so auch Zugang zu ihrem Grab, was wichtig war, denn dort geschahen die Wunder, welche für ein ordentliches Heiligsprechungsverfahren nötig waren.[6]

Fortsetzung folgt…

[1] M. Werner, Elisabeth von Thüringen, Franziskus von Assisi und Konrad von Marburg, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige (Petersberg 2007) 110-115

[2] M. Werner, Elisabeth von Thüringen, Franziskus von Assisi und Konrad von Marburg, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige (Petersberg 2007) 115-116

[3] M. Wehrli-Johnes, Armenfürsorge, Spitaldienst und neues Büßertum in den frühen Berichten über das Leben der heiligen Elisabeth, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige (Petersberg 2007) 154-155

[4] E. Könsgen (Hrsg.) Caesarius von Heisterbach. Das Leben der heiligen Elisabeth und andere Zeugnisse, Veröff. Hist. Kommission Hessen 67,2 = Kleine Texte mit Übersetzungen 2 (Marburg 2007) 89

[5] J. Straub, Die Heiligengräber der Schweiz ihre Gestalt und ihr Brauchtum – Ein Beitrag zur Geschichte der Schweizerischen Heiligenverehrung. Diss. Zürich maschinenschr. 1987, 60

[6] M. Borgolte, Stiftergrab/ Grabkirche, LexMA 177-178

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/1067

Weiterlesen

Wenn der Tote falschrum in der Grube liegt

Die Archäologie ist die Wissenschaft der materiellen Hinterlassenschaften des Menschen. Eine dieser Hinterlassenschaften ist der Mensch selbst, nach dem er gestorben ist. Damit ist die Erforschung der Bestattungskultur von zentraler Bedeutung.

Mit dem Durchsetzen des Christentums in der Spätantike und dem frühen Mittelalter veränderte sich auch die Bestattungssitte. Die Leute wurden auf Gräberfeldern und später auf Friedhöfen bei der Pfarrkirche beigesetzt. Die Leichname wurde ausgestreckt auf den Rücken und mit dem Kopf nach Westen in den Sarg bzw. in ein Tuch gehüllt in die Grube gelegt. Das bleibt im Wesentlichen bis in das 19.-20. Jahrhundert so. Natürlich gibt es Entwicklungen in der Bestattungssitte durch die Jahrhunderte und Traditionen, die von Region zu Region differieren. Aber darauf möchte ich gar nicht so genau eingehen. Klarzustellen ist nur: Auf christlichen Friedhöfen werden die Verstorbenen in der Regel mit ausgetrecktem Körper, den Kopf in Richtung Osten zeigend, beigesetzt.

Wenn das nicht so ist, wird das für Archäologen interessant.

Auch im Umfeld der Elisabethkirche in Marburg war ein Friedhof, der vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein belegt wurde. Die archäologische Untersuchung von menschlichen Gräbern ist nicht einfach und vor allem zeitaufwendig. Die in der Regel skelettierten Überreste müssen vorsichtig freipräpariert werden.  Dann werden die Toten geborgen und, sofern es finanziell möglich ist, anthropologisch untersucht. Im Umfeld der Elisabethkirche wurde im Laufe der Jahrhunderte eigentlich überall um die Kirche herum begraben und diese Gräber entsprechen alle, von Details abgesehen, der oben beschriebenen „Norm“ der christlichen Bestattung: ausgetreckte Rückenlage und der Kopf liegt im Westen. So weit, so unspektakulär.

Vier Gräber weichen davon ab, da liegt der Kopf im Osten und der Blick ist gen Westen gerichtet. Aber warum?

Ab dem 16./17. Jahrhundert gibt es auf Friedhöfen immer wieder unterschiedlich orientierte Gräber, was mit einer wachsenden Individualisierung zusammenhängen kann, aber nicht muss.  Was die umgekehrte Orientierung betrifft, gibt es Hinweise, die für einen bestimmten gesellschaftlichen Stand des Verstorbenen sprechen und zwar in katholischen Kreisen.

In einem der weitverbreitetsten katholischen Erbauungsbücher des 17./18. Jahrhunderts Leonard Goffinés Hauspostill bzw. „Christ-Catholische Unterrichtungen von allen Sonn- und Feyr-Tagen des gantzen Jahrs“  ist zu lesen, dass die die Leiche eines Priesters während der Aufbahrung mit den Kopf zum Hochaltar gerichtet in der Kirche liegen soll, also nach Osten. Bei den anderen Verstorbenen sollen die Füße in Richtung Hauptaltar zeigen.

„Die Gläubigen werden gegen Sonnenaufgang begraben, um anzudeuten, dass sie Christo entgegenharren, der der Aufgang auf der Höhe genannt wird und dessen Stimme sie hören werden, wenn er sie zur Auferstehung ruft; die Priester aber gegen Abend, zum Zeichen, dass sie am letzten Gerichtstage der ihnen anvertrauten Seelen gegenübergestellt werden, um Rechenschaft über ihre Pflege und Zeugnis wider oder für sie abzulegen.“

Auch im Rituale Romanum von 1614 ist ähnliches zu lesen. Ein Rituale ist ein liturgisches Buch, das die Beschreibungen aller liturgischen Handlungen enthält, die nicht die Heilige Messe betreffen. Das Rituale Romanum ist das Rituale, welches im Zuge des Konzils von Trient, des Konzils der sogenannten Gegenreformation, zusammengestellt worden ist.

Bereits in der ersten vorbereitenden Zusammenstellung des Rituales Kardinals Julius Antonius Sanctorius, ist die Vorschrift, wie ein verstorbener Priester  aufgebahrt und bestattet werden soll, enthalten.

Das Spannende daran ist, dass es diese Vorschrift im Mittelalter nicht zu geben scheint. Auch archäologisch ist diese einigermaßen regelmäßig auftretende Sitte nicht nachgewiesen.

Die Frage ist nur, warum sollen Priester ab dem 16. Jahrhundert anders herum bestattet werden?

Hier liegt die Antwort in der Gegenreformation selbst. Martin Luther lehrte das „Priestertum aller Getauften“, in Rom sah man das bekanntermaßen anders und betonte die hervorgehobene Stellung des Priesters, offenbar auch nachdem dieser gestorben war.

Im Umfeld der Elisabethkirche in Marburg wurden vier Bestattungen freigelegt, bei denen der Kopf nach Osten gerichtet war. Die Skelette waren allerdings so stark beschädigt, dass bei keinem anthropologisch einwandfrei das Geschlecht bestimmt werden konnte. Nur ein Skelett konnte als „tendenziell männlich“ angesprochen werden.

Und da haben wir auch schon eines der Hauptprobleme bei der Untersuchung von Bestattungssitten. In den wenigsten Fällen liegt dem/der Verstorbenen im Grab eine Plakette mit Namen, Geburtsdatum und gesellschaftlichem Rang und Konfessionszugehörigkeit bei. Und so bleibt, die Ansprache der vier Gräber, deren Kopf nach Osten zeigt, als katholische Priestergräber eine gut begründete Hypothese.

Der Blogpost beruht im Wesentlichen auf den Artikel Tilmann Mittelstraß in den Bayrischen Vorgeschichtsblättern:

T. Mittelstraß, Zur Archäologie der christlichen Priesterbestattung, BayVgBl 68, 2003, 137-171

T. Mittelstraß, Archäologie der Gegenreformation. Spuren der nachtridentinischen Erneuerung der katholischen Kirche in archäologischen Befunden und Funden aus Oberbayern, Mitt. dt.Ges. Arch. Mittelalters u. Neuzeit 18, 2007, 21-33

Eine brauchbare einigermaßen aktuelle Zusammenfassung des Forschungsstandes:

H. Kenzler, Totenbrauch und Reformation. Wandel und Kontinuität, in: Mitt dt. Ges. für Arch. Mittelalters u. Neuzeit 23, 2011, 9-34

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/925

Weiterlesen