Petition: Kein Redeverbot für akademische ‘Whistleblower’

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ein Gastbeitrag von Stefan Heßbrüggen

Am 14. 5. 2013 hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Empfehlungen zur ‘guten wissenschaftlichen Praxis’ veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem:

“Zum Schutz der Hinweisgeber (Whistle Blower) und der Betroffenen unterliegt die Arbeit der Ombudspersonen höchster Vertraulichkeit. Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn sich der Hinweisgeber mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. In diesem Fall verstößt er regelmäßig selbst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis. […] (vgl. geplante Ergänzung zu DFG, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Empfehlung 17, […]).”

Diese Vorschrift beruht also auf einer ‘geplanten’ Ergänzung der Empfehlungen der DFG zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, über die auf der heute (3.7.2013) zu Ende gehenden Mitgliederversammlung der DFG beraten worden ist. Das Ergebnis dieser Beratungen wird die DFG der Öffentlichkeit auf ihrer morgen (4.7.2013) stattfindenden Jahrespressekonferenz mitteilen.

Gegen diese neuen Regularien habe ich am 1.7.2013 eine Petition in Gang gesetzt, die aktuell bereits von über 150 Personen gezeichnet worden ist. Die Redaktion von de.hypotheses.org hat mir freundlicherweise die Gelegenheit gegeben, meine Motivation zu diesem Schritt in einem Gastbeitrag zu erläutern.

Ein intransparentes Verfahren

Das Verfahren zur Festlegung neuer Standards guter wissenschaftlicher Praxis war intransparent und selbst nicht den Werten der Wissenschaft verpflichtet. Dem entspricht das Ergebnis: Ich halte den Beschluss der HRK für normativ falsch und seine Folgen für schädlich. Sollte die DFG diesen Beschluss übernommen haben, sind seine Konsequenzen für das deutsche Wissenschaftssystem insgesamt kaum abzuschätzen, da die Vorgaben der DFG regelmäßig in universitätsinterne Satzungen und Ordnungen umgesetzt werden und somit Bindungswirkung nicht nur für jene entfalten, die Drittmittel von der DFG empfangen, Anträge begutachten usw. Vielmehr setzt die DFG den De-facto-Standard für gute wissenschaftliche Praxis in Deutschland insgesamt.

Umso bemerkenswerter ist es, dass ich bislang keinen Beleg dafür finden konnte, dass die DFG Fachgesellschaften oder die wissenschaftliche Öffentlichkeit insgesamt in ihre Überlegungen einbezogen hätte. An die Stelle eines solchen Diskurses traten wohl populärpsychologische Überlegungen zur Motivation von ‘Whistleblowern’. Als Beleg für den in der DFG anscheinend vorherrschenden Geist kann ein Gastbeitrag der DFG-Justitiarin Kirsten Hüttemann aus dem Jahr 2011 dienen:

“Die Motivationslage der anzeigenden Wissenschaftler (“whistleblower”) reicht vom ernsthaften Interesse an ehrlicher Wissenschaft, dem Bemühen um zielführende Konfliktlösungen, der verzweifelten Suche nach Klärung einer “verfahrenen” Situation auch bei zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten bis hin zu “Konkurrenzdenken” und Querulanz.”

Frau Hüttemann hat eins nicht verstanden: Die ‘Motivationslage der anzeigenden Wissenschaftler’ ist für die Validität geäußerter Vorwürfe vollkommen unerheblich. Wenn wissenschaftliches Fehlverhalten aufgedeckt wird, ist es der Wissenschaft (also uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern) völlig gleichgültig, ob dies aus Konkurrenzdenken oder Querulanz geschieht. Entscheidend ist einzig, ob der Vorwurf triftig ist. Das aber entscheiden Wissenschaftler/innen im fachwissenschaftlichen Diskurs.

Die Norm: falsch und schädlich

Damit sind wir bei der Frage, ob diese Regelungen normativ richtig sind. Die Antwort fällt leicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die heute geltenden Verfahren und Normen wissenschaftlichen Arbeitens sich in letzter Instanz der Aufklärung verdanken. Wesentliche Norm ist hier die der Publizität: Vorgänge, die mit dieser Vorgabe unverträglich sind, sind damit zugleich gegen die Werte der Aufklärung gerichtet. Ob dies im politischen Bereich uneingeschränkt zutrifft, muss hier nicht entschieden werden. Die Wissenschaft jedenfalls bedarf keiner Geheimverfahren, um ihrem Hauptzweck, der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis, zu genügen. Das hinter diesem Hauptzweck Rechte Einzelner etwa auf Vertraulichkeit oder Ehrschutz zurückzutreten haben, versteht sich von selbst: Niemand wird gezwungen mitzumachen. Jede und jeder weiß idealerweise spätestens am Ende des Studiums, dass dieser Preis zu zahlen ist.

Die von der HRK beschlossenen und von der DFG erwogenen Änderungen sind aber nicht nur falsch, sondern schädlich. Durch die unklare Definition des Begriffs ‘whistle blowing’ wird legitimes wissenschaftliches Handeln potentiell ‘kriminalisiert’, also als möglicher Verstoß gegen die Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis gebrandmarkt. Hieraus entsteht ‘Furcht, Unsicherheit und Zweifel’, also ein Klima, in dem gerade Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sich gründlich überlegen müssen, mit Vorwürfen an die Adresse anderer vorzutreten.

Schließlich, und dies ist wohl der größte Schaden, steht die deutsche Wissenschaft gerade im Begriff, sich im internationalen Maßstab lächerlich zu machen. Kaum ein Kollege im Ausland wird noch gerne die Zusammenarbeit mit einem Wissenschaftssystem suchen, das seine eigenen Maßstäbe in einem derart intransparenten Verfahren und mit derart fragwürdigem Ausgang festgelegt hat.

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Bisherige Veröffentlichungen zum Thema in chronologischer Reihenfolge, Stand 3.7.2013, 17h30 (bitte in den Kommentaren ergänzen!):

• Roland Preuß, Plagiatsskandale. Unis sehnen sich nach dem stillen Kämmerlein, in: Süddeutsche Zeitung, 10.6.2013, http://www.sueddeutsche.de/bildung/plagiatsskandale-unis-sehnen-sich-nach-dem-stillen-kaemmerlein-1.1692489.

• Klaus Graf, Plagiatsskandal. Unis wollen vertuschen, in: Archivalia, 10.6.2013, http://archiv.twoday.net/stories/434204837/.

• Erbloggtes, Es gibt kein Problem mit Wissenschaftsbetrug – solange niemand drüber redet, in: Erbloggtes, 23. 6. 2013, http://erbloggtes.wordpress.com/2013/06/23/es-gibt-kein-problem-mit-wissenschaftsbetrug-solange-niemand-druber-redet/.

• Erlebt, Bedenkliche Empfehlung der DFG, in: erlebt, 26. 6. 2013, https://www2.pms.ifi.lmu.de/erlebt/?p=9398.

• Raphael Wimmer, Warum die neue DFG Empfehlung Nr 17 der Wissenschaft schadet, in: Reflected Total Internal Frustration, 26. 6. 2013, http://raphaelwimmer.wordpress.com/2013/06/26/warum-die-neue-dfg-empfehlung-nr-17-der-wissenschaft-schadet/.

• Benjamin Lahusen, Gute wissenschaftliche Praxis, in: mops-block. Notizen aus der Rechtswelt, 28. 6. 2013, http://www.mops-block.de/bl-tagebuch/225-gute-wissenschaftliche-praxis.html.

• Erbloggtes, DFG berät über Ende des Rezensionswesens, in: Erbloggtes, 1. 7. 2013, http://erbloggtes.wordpress.com/2013/07/01/dfg-berat-uber-ende-des-rezensionswesens/.

• Stefan Heßbrüggen, Whistle blowing in the German University: A Regulatory Scandal in the Making, in: NewAPPS, 1.7.2013, http://www.newappsblog.com/2013/07/whistle-blowing-in-the-german-university-a-regulatory-scandal-in-the-making.html.


Veröffentlichungen zur Petition:

‣ Wissenschaftsallianz fordert Festungshaft für Rezensenten, in: Causa Schavan, 2.7.2013, http://causaschavan.wordpress.com/2013/07/02/wissenschaftsallianz-fordert-festungshaft-fur-rezensenten/.

‣ Don’t ban academic whistleblowing, in: Texttheater, 2.7.2013, http://texttheater.net/dont-ban-academic-whisteblowing.

‣ Erbloggtes, Offener Brief an Präsidenten von DFG und HRK, in: Erbloggtes, 2.7.2013, http://erbloggtes.wordpress.com/2013/07/02/offener-brief-an-prasidenten-von-dfg-und-hrk/.

‣ Klaus Graf, Werden Plagiate-Wikis par ordre de Mufti zum wissenschaftlichen Fehlverhalten erklärt?,  in: Netbib Weblog, 2.7.2013, http://log.netbib.de/archives/2013/07/02/werden-plagiate-wikis-par-ordre-de-mufti-zum-wissenschaftlichen-fehlverhalten-erklart/.

Tilmann Warnecke, “Guttenberg, Schavan und die Folgen: Maulkorb bei Plagiatsverdacht”, 3 7. 2013, http://www.tagesspiegel.de/wissen/guttenberg-schavan-und-die-folgen-maulkorb-bei-plagiatsverdacht/8443616.html

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Abbildung: Marine Sgt. at New Orleans, La., Library of Congress, http://www.loc.gov/pictures/resource/fsac.1a34989/.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/1431

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