Abraham und die Sterne am Himmel

Undank ist der Welten Lohn! Da ruft die GEO in einem Sonderheft die 100 größten Forscher aller Zeiten aus und übergeht dabei den größten, weil ersten, Forscher. Die Rede ist natürlich vom Begründer der Astronomie: von Abraham.

“Moment”, wird jetzt sicher der eine oder andere denken, “Abraham?” Als Stammvater der Israeliten kennt man ihn aus der Bibel, aber nun auch Stammvater der Astronomen, das scheint doch arg weit hergeholt.

Abraham als Vater der drei Weltreligionen. Moulins, bibliothèque municipale classée, Manuscrit 1, f. 256r. 12. Jahrhundert.

Abraham als Vater der drei Weltreligionen. Moulins, bibliothèque municipale classée, Manuscrit 1, f. 256r. 12. Jahrhundert.

Ist es auch, und zwar aus der jüdischen Antike, genauer den Antiquitates Judaicae, den Jüdischen Altertümern des Flavius Josephus.1 Dieser schrieb über Abraham, der zunächst in Chaldäa lebte, folgende Zeilen:

(158) Eine Erwähnung unseres Vaters Abraham findet sich bei Berosos, nicht namentlich, aber mit folgenden Worten: Nach der Sintflut, in der zehnten Generation, gab es bei den Chaldäern einen gerechten und bedeutenden Mann, erfahren auch in Himmelskunde.“ ((Flavius Josephus: Antiquitates Judaicae, 1,1-2,200. Vorveröffentlichung der Übersetzung des Institutum Judaicum Delitzschianum, 1,154-157, S. 21.))

Und weiter:

(154) Abraham […] gewann ungeheuer leicht Einsicht in alle Dinge und wirkte überzeugend auf alle, die ihm zuhörten und ging in seinen Einschätzungen nie fehl. (155) Daher begann er mehr als die anderen über Tugend nachzudenken und beschloss daraufhin, das allgemein übliche Gottesverständnis neu und anders zu fassen. So wagte er als erster, zu lehren, dass Gott Schöpfer des Alls sei, einer; und wenn von den übrigen (Mächten) eine etwas zum Lebensglück beitrage, tue dies jede nach seiner Anordnung und nicht aus eigener Kraft. (156) Er schloss das aus den wechselnden Vorgängen auf Erde und Meer und all dem, was sich mit Sonne, Mond und allen Himmelskörpern abspielt: Hätten sie (eigene) Kraft, würden sie ihre eigene Ordnung selbst regeln (so lehrte er); doch dass sie über keine solche verfügten, sei offensichtlich, und gar nichts zu unserem Nutzen beitragen könnten aus eigener Vollmacht, sondern dass sie entsprechend der Stärke des (ihnen) Befehlenden Dienst leisten müssten, dem gebührenderweise allein die Ehre und der Dank zu erweisen seien. (157) Als deswegen die Chaldäer und die übrigen Mesopotamier sich gegen ihn erhoben, hielt er es für gut umzusiedeln und bekam nach dem Willen und mit der Hilfe Gottes das kanaanäische Land; dort ansässig geworden, errichtete er einen Altar und brachte Gott ein Opfer dar.2

Abraham war nach Flavius Josephus nicht nur ein Experte in der Astronomie, mit Hilfe seiner Sternkunde erfand er nebenbei auch noch den Monotheismus (man beachte die Reihenfolge!). Daneben war Abraham exzellent in der Lehre, wovon vor allem die Ägypter profitierten.

(166) Die Ägypter hatten (damals) an anderen Sitten Gefallen (als andere) und machten die Lebensregeln anderer schlecht, wurden deswegen (sogar) unter sich feindselig; da besprach er sich mit ihrer jedem, spottete über die Begründungen, die sie für ihre eigenen (Ansichten) vorbrachten, und wies nach, dass sie gehaltslos waren und nichts Wahres an sich hatten. (167) Er wurde folglich von ihnen bewundert in diesen Zusammenkünften als überaus verständig und als ein Mann mit enormer Begabung nicht nur nachzudenken, sondern auch mit seinen Worten zu überzeugen in allem, was er zu lehren sich vornahm; so schenkte er ihnen die Arithmetik und vermittelte ihnen die gesamte Astronomie. (168) Denn vor dem Kommen Abrahams nach Ägypten waren die Ägypter in diesen Dingen unwissend; von den Chaldäern kamen sie nach Ägypten, von wo sie auch zu den Griechen gelangten.3

Das astronomische Wissen der Antike, der Ägypter und Griechen sei also weniger deren eigener Verdienst, sondern ginge in Wahrheit auf Abraham zurück. Damit ist es letztlich gar nicht heidnischen Ursprungs, sondern wurzelt im monotheistischen Judentum und dient auch als Möglichkeit der Gotteserkenntnis.

Ab dem 11. Jahrhundert tritt Abraham übrigens vermehrt als Nutzer eines astronomischen Instruments auf, von dem hier schon vermehrt die Rede war, dem Astrolab.4 Und das wohl nicht ohne Grund. Während Astronomie gerade im frühen Mittelalter vor allem auf tradiertem Buchwissen basierte (nicht nur, aber vor allem), begannen Gelehrte wie Hermann von der Reichenau und Wilhelm von Hirsau mit der Beobachtung und Messung des Sternenlaufes, unter anderem anhand des Astrolabs.5

Abraham mit Astrolab. Ausschnitt aus Paris, BNF Lat. 12117, f. 106r. 11. Jahrhundert.

Abraham mit Astrolab. Ausschnitt aus Paris, BNF Lat. 12117, f. 106r. 11. Jahrhundert.

Diese wissenschaftliche Tätigkeit stieß nicht überall auf Gegenliebe. Das lag wohl weniger an der Wissenschaftfeindlichkeit des Mittelalters, sondern an der Erwartung, dass Mönche sich eigentlich auf das Gebet konzentrieren sollten. Verdächtig war darüber hinaus auch die Herkunft des Wissens bzw. des Instrumentes, dem sich die Forscher bedienten: dem muslimischen Orient.6

Durch die Verbindung ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit mit Abraham konnten monastische Wissenschaftler gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie entkräfteten zum einen den Vorwurf, einer heidnischen Tätigkeit nachzugehen; zum anderen stellten sie ihre wissenschaftliche Tätigkeit dem täglichen Gebet zumindest ein bisschen gleich. Wenn schon Abraham die Sternenkunde als Weg zur Gotteserkenntnis diente, konnte sie für den einfachen Mönch so falsch nicht sein.

Auch der alte Abraham hatte dadurch – Dank der Vermittlung des Flavius Josephus – seinen Anteil an der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft. Ob das einen Platz unter den wichtigsten 100 Forschern in der GEO rechtfertigt, das sei anderen überlassen.

  1. Zu den Gründen, die Flavius Josephus zu dieser Verknüpfung von Abraham und Astronomie bewogen haben vgl. Reed, Annette Yoshiko: Abraham as Chaldean scientist and father oft he Jews. Josephus ant. 1.154-168 and the Greco-Roman discourse about astronomy/astrology. In: Journal for the Study of Judaism 35,2 (2004), S. 119-158.
  2. Ebd.
  3. Ebd., S. 22.
  4. Vgl. Borrelli, Arianna: Aspects of the astrolabe: architectonia ratio in tenth- and eleventh-century Europe. 2008, S. 170 und 212f.
  5. Vgl. Wiesenbach, Joachim: Wilhelm von Hirsau: Astrolab und Astronomie im 11. Jahrhundert. In: Schreiber, Klaus (Hg.): Hirsau St. Peter und Paul 1091-1991, Bd. 2. Stuttgart 1991, S. 109-154.
  6. Vgl. ebd., 145/146.

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/355

Weiterlesen

De mensura astrolabii: wie und warum man sich ein Astrolab basteln sollte

Vor einigen Tagen habe ich den letzten Teil der kleinen Reihe zum geozentrischen Weltbild des Mittelalters geschrieben: über die Himmelssphäre und ihren Einfluss auf das tägliche Leben. Dass das nicht unbedingt der einfachste Artikel der Reihe war, liegt wohl vor allem an der Schwierigkeit, sich die abstrakt formulierten Vorgänge plastisch vorzustellen.

Das ging den Menschen im Mittelalter natürlich nicht anders. Auch sie taten sich häufig schwer, die Informationen in den lateinischen Texten zu einem großen gedanklichen Modell des Kosmos zu destillieren oder ein solches von den Erscheinungen am Himmel zu abstrahieren.

Gelehrter mit Astrolab. Psalter aus dem 13. Jahrhundert. Paris, BnF, Arsenal, ms. 1186 rés., fol. 1v.

Zum Glück fand ungefähr um das Jahr 1000 herum ein kleines orientalisches Hilfsmittel seinen Weg nach Europa: das Astrolab (im verlinkten Wikipedia-Artikel findet sich die wichtigste Literatur zum Einstieg). Dieses Gerät ist ein Mess- und Vorhersageinstrument für so ziemlich alles, was den hochmittelalterlichen Astronomus interessierte. Ein astronomisches Schweizer Taschenmesser, wenn man so will. Außerdem half es dabei, die komplexen Phänomene am Himmel zu veranschaulichen. Es ist also auch als didaktisches Tool für den Unterricht nutzbar.

TED Video zum Gebrauch des Astrolabs. Hier auch mit deutschem Untertitel.

Ein Astrolab besteht aus verschiedenen aufeinandergelagerten Scheiben, mit denen sich für einen jeweils bestimmten Punkt auf der Erde die wahrnehmbaren Abläufe am Himmel simulieren und vorhersagen lassen. Es zeigt zum Beispiel den Stand der Sonne an, den Sternenhimmel einer jeweiligen Position, die Länge des Tages zu einem bestimmten Datum, und und und.

Oxford, Bodleian Library, MS Ashmole 304, fol. 2v

So simpel Astrolabien zu nutzen sind, so schwierig ist ihre Herstellung. Damit meine ich weniger die Schmiedekunst an sich, sondern vor allem das Erstellen einer korrekten Himmelsprojektion, bei der man die wichtigen Informationen (Ekliptik, Wendekreise, Himmelspol, usw.) eines dreidimensionalen Kugelmodells auf eine zweidimensionale Scheibe projizieren muss (die Problematik ist bei Arianna Borrelli: Aspects of the Astrolabe, Stuttgart 2008 recht anschaulich erklärt). Dabei halfen zwar entsprechende Beschreibungen oder Abbildungen; da jedes Astrolab für eine bestimmte Position neu konstruiert werden musste, erforderte diese Herstellung trotzdem einen Meister seines Faches, der nicht nur eine umfassende Kenntnis der Astronomie, sondern auch der Geometrie besitzen musste – und außerdem ein sehr ausgeprägtes Vorstellungsvermögen.

Brügge, Öffentliche Bibliothek, Ms. 522, f. 61v. Hier ist allerdings lediglich die Rückseite des Astrolabs dargestellt, nicht die kompliziertere Projektion auf der Vorderseite. (Abbildung: Openbare Bibliotheek Brugge, Lizenz http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)

Heute geht das glücklicherweise einfacher: Unter http://in-the-sky.org/astrolabe/ hat Dominic Ford Projektionen für diverse Breitengrade erstellt (die sich aber auch auf die eigene Koordinate ändern lassen), mit denen sich sehr einfach ein voll umfängliches Astrolabium erstellen lässt. Wie man das Gerät dann nutzt, hat er in einem kleinen Aufsatz erklärt: http://in-the-sky.org/astrolabe/astrolabe_jbaa.pdf

Das ganze ist nicht nur hilfreich, um sich die Grundlagen mittelalterlicher Astronomie zu erschließen, ein Astrolabium ist darüber hinaus auch ein schickes Statusobjekt und must have für den Gelehrten von Welt – meiner Meinung nach damals wie heute!

Jan van Eyck, Der heilige Hieronymus im Gehäuse von 1442

 

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/162

Weiterlesen

Über das geozentrische Weltbild des Mittelalters III – die Planeten und Ihre Bewegungen

Nachdem im letzten Beitrag der sublunare Bereich des Kosmos thematisiert wurde, nähert sich die Reihen heute der himmlischen Welt mit einigen Erklärungen zu den Planeten, die auf sieben Sphären die Erde umwandern. In den Ausführungen zur sublunaren Welt habe ich mich vor allem auf die Vorstellung von Aristoteles gestützt, der die vier Elemente unter der Sphäre des Mondes anordnet. Bis ins 12. Jahrhundert ging aber man davon aus, dass das Element des Feuers den Raum der Planeten einnehmen würde, den Äther. So schreibt Wilhelm von Conches in seinem Erstwerk, der Philososphia mundi:

„Also das Feuer: es ist die Erstreckung vom Mond nach oben hin, die auch Äther genannt wird. Seine Ausstattung aber ist all das, was oberhalb des Mondes erblickt wird, d.h. die Fixsterne und Wandelsterne.“[1]

Vor der Rezeption von Aristoteles naturphilosophischen Schriften, also vor dem 13. Jahrhundert, war das die gängige Beschreibung der himmlischen Sphären. Die himmlischen Sphären beherbergten zunächst die Planeten, die man von den Fixsternen am Firmament unterschied (dazu im nächsten Beitrag). Der angelsächsische Mönch Beda schreibt im frühen Mittelalter in seiner Enzyklopädie De natura rerum:

„The stars [gemeint sind die Fixsterne], borrowing their light from the sun, are said to turn with the world since they are fixed in one place, as opposed to being carried unfixed, with the world standing still. The exception is those that are called planets, that is, wanderers.”[2]

Bei Macrobius, einem im Mittelalter hoch geschätzten spätantiken Autor, lesen wir:

„The errant planets were thus named by the ancients because they are borne along in their own course, moving from west to east in a contrary direction to that of the greatest or celestial sphere; moreover, they all have similar movements and travel at the same rate of speed, and yet they do not all complete their orbits in the same amount of time.“[3]

Zunächst zu den Planeten selbst. Sieben kannte man an der Zahl, wobei man Sonne und Mond ebenfalls als Planeten ansah. Die Erde galt natürlich nicht als Planet und Pluto war noch nicht bekannt. Diese Planeten wandern auf einer eigenen Umlaufbahn oder Sphäre um die unbewegliche Erde, wie auf dieser Abbildung des Kosmos schön zu sehen ist.

 

Für ihren Erdumlauf brauchen die Planeten unterschiedlich lange, da ihre Kreisbahn bei zunehmender Entfernung zur Erde natürlich größer wird. Hieraus – und natürlich durch ihre unterschiedliche Sichtbarkeit – lässt sich dann auch eine Reihenfolge der Planeten ableiten, die in Antike und Mittelalter aber nicht unumstritten war. Im Kern war vor allem die Position der Sonne in diesem System umstritten.

Beda hat sich zum Beispiel für folgende Variante entschieden, der auch die Abbildung inhaltlich folgt (was aber nicht bedeutet, dass die Abbildung auf Beda basiert):

 „The highest of the planets is the star of Saturn, freezing cold by nature, completing a circuit of the zodiac in thirty years. Next is the star of Jupiter, temperate, completing its circuit in twelve years. Third is the star of Mars, blazing hot, completing its circuit in two years. In the middle is the sun, completing its circuit in 365 days and a quarter. Beneath the sun is Venus, which is also called Lucifer and Vesper, completing its circuit in 348 days. It never recedes further from the sun than 46 degrees. Next to it is the star of Mercury, with a circuit swifter by nine days. Sometimes it shines before the rising of the sun, sometimes after its setting. It is never remoter from the sun than 22 degrees. Last is the moon, accomplishing its course in 27 and 1/3 days, thereafter lingering in company with the sun for two days.”[4]

Wilhelm von Conches folgt eher Platon, der eine andere Reihenfolge vertritt und wählt dabei eine Argumentation, die recht typisch für das hohe Mittelalter ist:

 „Hierauf ist zu erörtern, warum die Chaldäer meinen, die Sonne sei der vierte, Platon und die Ägypter, sie sei der sechste Planet. Die Wahrheit ist, daß die Sonne unterhalb von Merkur und Venus in der Nähe des Mondes ist. Da nämlich der Mond kalt und feucht ist, war es nötig, daß ihm die Sonne, die warm und trocken ist, benachbart sei, auf daß durch die Sonnenwärme die Mondkälte, durch ihre Trockenheit seine Feuchtigkeit gemildert würde, damit die Sonne nicht, wenn sie in Erdnähe steht und dann über sie dominiert, übermächtig einherkäme und die Erde aus dem Gleichmaß bringe.“[5]

Im späten Mittelalter entscheidet man sich dann unter dem Einfluss von Aristoteles endgültig dafür, die Sonne an die vierte Stelle zusetzen.

So viel zur Reihenfolge der Planeten – zurück zu deren bereits angesprochene Bewegung, die den modernen Menschen im ersten Moment wohl etwas irritieren dürfte. Klar, wir wissen heute, dass sich die Planeten inklusive Erde um die Sonne drehen. Von der Erde aus gesehen lässt sich der Lauf der Planeten aber durchaus als Kreisbahn um die Erde beschreiben (Unregelmäßigkeiten in dieser Kreisbahn wurden durchaus registriert und durch verschiedene Theorien in das geozentrische Weltbild integriert). Es ist wichtig zu verstehen, dass sich im Grunde zwei Bewegungen der Himmelskörper beobachten lassen, eine „natürliche“ und eine „erzwungene“:

 „It was almost a general opinion of all the philosophers that the sun, the moon, and the other planets move by natural motion from west to east […]. But although their movement is contrary to the firmament’s, still the firmament [gemeint ist die Sphäre der Fixsterne] draws them back with it daily to the west and east.”[6]

Einmal am Tag werden also alle Planeten ohne eigenes Zutun von Ost nach West getragen. Am augenscheinlichsten natürlich die Sonne, die damit den Sonnentag erleuchtet. Diese Bewegung entspringt aber eigentlich nicht den Planeten (sie entspricht nicht deren natürlicher Bewegung), sondern wird durch die Sphäre der Fixsterne ausgelöst – wem das jetzt nicht ganz klar ist, der sollte einfach den Beitrag zum Firmament abwarten. Die Planeten selbst bewegen sich in ihrer natürlichen Bewegung eigentlich von West nach Ost (natürlich gibt es auch hier unterschiedliche Positionen antiker und mittelalterlicher Gelehrter), und zwar durch den sogenannten Zodiak, den Tierkreis.

 

Himmelskarte mit Tierkreiszeichen und Sternbildern in Deckfarben auf grünem Untergrund aus BSB CLM 210, fol. 113v

Dieser Tierkreis ist eigentlich nichts anderes als ein Hintergrund, ein Maßstab, vor dem man den Lauf der Planeten messen kann. Dazu muss man wissen, dass die damals bekannten Planeten des Sonnensystems sich auf einer Fläche um die Sonne bewegen.

Bahn der Planeten um die Sonne (Quelle: Wikimedia Commons)

Betrachtet man von der Erde aus den Nachthimmel, werden die Planeten also immer vor dem Hintergrund der selben, wenn auch wechselnden, Sternzeichen zu sehen sein, bis sie ihre Kreisbahn vollendet haben. Diesen Kreis durch die Sternzeichen nannte man den Tierkreis, den Zodiacus. Wer sich die obige Karte genauer ansieht, kann diesen Zodiacus am Rand des letzten Kreises erkennen.

Da die einzelnen Planeten unterschiedlich große Bahnen besitzen, umwandern sie nicht nur die Erde, sondern auch den Tierkreis in unterschiedlicher Zeit. Der Mond braucht dazu etwa einen Monat, die Sonne ein Jahr. Die Bahnen mit ihren Umlaufzeiten sind ebenfalls auf der obigen Karte abgebildet.

Die Sonne durchwandert also jedes Sternzeichen in etwa in einem Monat, und zwar von West nach Ost. Das bedeutet, dass sie etwa jeden Monat vor (im Sinne von vor dem Hintergrund eines) bzw. mit einem anderen Sternzeichen des Tierkreises aufgeht. Gleiches gilt in anderen Zeitabständen für alle Planeten. Gerade der Lauf der Sonne und des Mondes hatte große Auswirkungen auf das Leben auf der Erde, sie bedingten zum Beispiel die unterschiedlichen Jahreszeiten.

Der Umlauf der Planeten – vor allem von Sonne und Mond ­ war für die Menschen im Mittelalter daher extrem wichtig. Außerdem ließ sich darüber die Zeit bestimmen, vor allem das äußerst wichtigen Osterdatum (der Ostertermin war jeweils der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond). Durch ihre zyklischen Bewegungen erlaubten die Planeten nicht nur das bloße feststellen des Datums, man konnte diese Bewegungen sogar durch mathematische Prozesse vorhersagen und in ablesbare Tabellen umwandeln, so dass man die Sterne und Planeten selbst gar nicht mehr beobachten musste.

Thorney Computus, Oxford, Saint John’s College, MS 17, fol. 7v und 8r. Quelle: http://blog.metmuseum.org/

Die jeweilige Position der Planeten war aber auch aus anderen Gründen wichtig. Jedem Planeten schrieb man bestimmte Eigenschaften zu, die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus hatten. Die Planeten konnten etwa Krankheiten verstärken, oder die Laune vermiesen, aber auch angenehme Seiten des Lebens waren von ihnen betroffen. So schreibt Wilhelm von Conches:

„Der vierte [Planet] ist, nach Anordnung der Platoniker, die Venus, ein warmer und feuchter Stern; darum ist sie heilsam. Sie umläuft den Tierkreis in ungefähr einem Jahre. Man lastet ihr an, sie habe mit Mars Ehebruch getrieben, weil sie im oberen Abschnitt ihres Umlaufkreises, wenn sie in die Nähe des Mars gerat, weniger heilsam ist. Göttin der Wollust wird sie genannt, weil sie Warme und Feuchte zuteilt und da ja in denen, die warm sind und feucht, die Wollust stark ausgeprägt ist (dies, worüber wir im Kapitel über den Menschen ausführlicher sprechen werden, wollen wir nur kurz antönen, um Venus [der Göttin der Gefälligkeit] gefällig zu sein: die Warm Trockenen verlangen arg nach der Wollust wegen ihrer Hitzigkeit, doch wegen ihrer Trockenheit vertragen sie die Wirkung nicht; und wenn sie Wollust genießen, so schadet sie ihnen sehr. Die Kalt-Feuchten dagegen verlangen kaum nach ihr, doch vertragen sie ihre Wirkung gut. Doch die Kalt-Trockenen verlangen nicht nach der Wollust und vertragen ihre Wirkung nur selten. Die Warm-Feuchten dagegen verlangen nach ihr und genießen auch ihre Lust, und ihrem Körper ist der Genuß sehr zuträglich).“[7]

In einer Handschrift des 13. Jahrhunderts aus dem Zisterzienserkloster Altzella (UB Leipzig MS 1306) hat man übrigens genau diesen Abschnitt geschwärzt – wohl um die Novizen nicht von ihren eigentlichen Aufgaben im Kloster abzulenken.

Gefährlich konnte es werden, wenn sich bestimmte Planeten in einem Sternzeichen zu einer sogenannten Konjunktion versammelten. Eine solche Versammlung war aus der Sicht der Zeit durchaus in der Lage schlimme Katastrophen auszulösen. Zum Glück erlaubte die zyklische Bewegung der Himmelskörper eine Vorhersage solcher Ereignisse. Als sogenannte Toledobriefe (angeblich erstellt von einem Astronomen aus Toledo, dem damaligen Eldorado der Astronomie), zirkulierten Prophetien, in denen vor einer solchen Versammlung und schwerem Sturm und Erdbeben gewarnt wurde.[8]

Noch im 16. Jahrhundert formulierte der Tübinger Professor Johannes Stöffler eine ähnliche Warnung, die, befeuert durch den Druck, zu der so genannten Sintflut Debatte führte:

„Im Monat Februar ereignen sich 20 Konjunktionen, von denen 16 in einem wäßrigen Sternzeichen passieren, die zweifellos auf so ziemlich dem ganzen Erdkreis bezüglich Wetter, Königreiche, Provinzen, Verfassung, Würden, Vieh, Meerestiere und alle Landbewohner Veränderung, Wechsel und Bewegung bedeuten, wie sie sicherlich seit Jahrhunderten von Geschichtsschreibern oder von den Massen kaum wahrgenommen wurden. Erhebet daher eure Häupter, ihr Christen!“[9]

Der scheinbare Umlauf der Planeten beruht nach heutigem Kenntnisstand natürlich auf falschen Annahmen. Trotzdem konnte er im Rahmen des geozentrischen Weltbildes genutzt werden und ermöglichte relativ präzise astronomische und chronologische Vorhersagen, die sich sogar mathematisch automatisieren ließen. Dass diese Vorhersagen mitunter Befürchtungen auslösten, die wir heute als Aberglauben verlachen würden, mag uns heute befremdlich vorkommen. Im Grunde basierten sie aber auf den wissenschaftlichen Vorstellungen ihrer Zeit.

 

[1] Wilhelm von Conches: Philosophia mundi (ed. und üb. von Maurach, Gregor). Pretoria 1980, S. 138.

[2] Beda: On the Nature of Things and On Times (üb. von Kendall, Calvin und Wallis, Faith). Liverpool 2010, S. 80.

[3] Macrobius: Commentary on the dream of Scipio (üb. von Stahl, William Harris). New York 1990, S. 148.

[4] Beda: On the Nature of Things (wie Anm. 2), S. 81 (Hervorhebungen von mir).

[5] Wilhelm von Conches: Philosophia (Wie Anm. 1), S. 149.

[6] Wilhelm von Conches: A dialogue on natural philosophy (üb. von Ronca, Italo). Notre Dame 1997. S. 68.

[7] Wilhelm von Conches: A dialogue on natural philosophy, S. 147.

[8] Vgl. etwa Grauert, Hermann von: Meister Johann von Toledo. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse (1901) S. 111-325 (https://archive.org/stream/sitzungsberichte1901bayeuoft#page/110/mode/2up); aktueller: Mentgen, Gerd: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter. Stuttgart 2005.

[9] Stuhlhofer, Franz: Humanismus zwischen Hof und Universität. Georg Tannstetter (Collimitius) und sein wissenschaftliches Umfeld im Wien des frühen 16. Jahrhunderts. Wien 1996, S. 136. Zur Sintflutdebatte im Allgemeinen vgl. Talkenberger, Heike: Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten astrologischer Flugschriften 1488–1528. Tübingen 1990; außerdem Mentgen (Wie Anm. 6).

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/167

Weiterlesen

Über das geozentrische Weltbild des Mittelalters II – die sublunare Welt

Bevor ich heute ein paar Worte zum Aufbau der sublunaren Welt verliere, vorneweg ein kurzer Disclaimer: Mir geht es hier vor allem darum, einen möglichst simplen Einstieg in das mittelalterliche Weltbild zu geben. Viele wichtige Autoren, Theorien und Forschungskontroversen des Mittelalters muss ich daher leider unter den Tisch fallen lassen. Wenn möglich, versuche ich, mittelalterliche Autoren zu Wort kommen zu lassen, auch wenn diese nicht die Urheber der vorgestellten Theorien sein sollten.

Der mittelalterliche Kosmos erinnert ein Stück weit an eine Zwiebeln, die aus verschiedenen, umeinander angeordneten „Schichten“ besteht. Im Zentrum dieser Zwiebel findet sich die Erde, begrenzt wird sie, quasi als Schale, durch die Ebene der Fixsterne. Dazwischen sind die Planeten inklusive Sonne und Mond.

Sphärenmodell am Freiburger Münster – Foto: privat

 

 Diese Schichten, oder richtiger Sphären, lassen sich untereinander Qualitativ unterscheiden: in einen sublunaren (also unterhalb der Sphäre des Mondes) und einen himmlischen Bereich. Während die himmlische Welt durch den Menschen nicht beeinflusst werden kann, stellt die sublunare Welt, also die Sphären unterhalb des Mondes im weitesten Sinne dessen Lebensbereich dar – und um diesen dreht sich der heutige Beitrag.

Die sublunare Welt besteht aus vier Elementen oder verschiedenen Mischtypen. Ideengeschichtlich lässt sich diese Vorstellung (wie auch die Einteilung in sublunar und himmlisch) auf Aristoteles zurückführen[1], ich möchte aber mit Wilhelm von Conches, den ich schon des Öfteren zu Wort kommen lassen habe, beginnen. Im Dragmaticon (nach der englischen Übersetzung von Italo Ronca[2]) schreibt dieser: „In his [hier ist Aristoteles gemeint] opinion, the four elements exist from the moon downward […]; all things below the moon are either elements or consist of them.“ (Buch III, cap. 5)

Die vier Elemente sind natürlich die Erde, das Wasser, die Luft und das Feuer. Sie haben verschiedene Eigenschaften und nehmen einen jeweils eigenen Ort im Weltgefüge ein: Über der Erde findet sich Wasser. Über dieser Schicht Luft, und als letztes Element vor den himmlischen Sphären, das Feuer.

ROEM_003r

Die sublunaren Sphären nach Hartmann Schedel aus seiner Weltchronik (Druck Nürnberg 1943, Digitalisat UB Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00309000 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/)

Diese Anordnung ist nicht willkürlich, sondern lässt sich durch Logik und Beobachtung durch die Schwerkraft herleiten: Zum einen hat jedes Element sein ihm eigenes Gewicht (Am schwersten ist die Erde, am leichtesten das Feuer): „[T]here is no part of earth or water that, if raised for some cause, would not descent once that cause was removed; and the heavier earth is than water, the faster it is in this motion toward the center.“ (Buch II, cap. 6, 5) Umgekehrt sei es bei den Elementen Luft und Feuer: sie würden natürlicherweise nach oben streben.

For since every place except earth is higher than water, and it is contrary to the nature of water to ascend, and since the lowest place is occupied by a more solid element [nämlich die Erde], water cannot move by any kind of transfer.” (Buch II, cap. 6, 11) Gleiches gilt für Luft, die nicht aufsteigen kann, weil sie durch das leichtere Element des Feuers begrenzt wird. „In conclusion, the fabric of the world remains unshaken because of the great bodies, which are called elements by some, have no place to which to move by transfer.” (Buch II, cap. 6, 12)

In der Mitte dieser sublunaren Welt befindet sich also die Erde. Sie ist unbeweglich. „If you want a rational argument: from ist bulkiness, coldness, and dryness“, das sind Qualitäten dieses Elements, die Wilhelm an anderer Stelle ausführt, „the earth is insensible, heavy, and immovable.“ (Buch II, cap. 6, 7).

Sie hat aufgrund der Schwerkraft darüber hinaus die Form einer Kugel, weil “the stars that appear at one latitude do not appear at another: the star of Canopus, which is visible in Egypt, is not visible at our latitude. This would never happen if the earth were flat. Therefore, the earth is round and spherical.” (Buch VI, cap. 2, 6, einen anderen Beweis habe ich hier schon vorgestellt). Besonders schön ist dieser Aufbau der sublunaren Welt in Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique, MS. 9231, fol. 281v zu finden.

T-O_Mappa_mundi

Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique, MS. 9231, fol. 281v

Die Welt verstanden als geographischer Raum wurde im Mittelalter vor allem auf zwei Arten dargestellt[3],

  1. als TO-Karte
  2. als Zonenkarte

Eine TO-Karte ist oben abgebildet. Im Grunde zeigen diese Karten lediglich einen kleinen Ausschnitt der bekannten und als bewohnbar erachteten Welt: Mittelmeer, Nil und Don teilen diese bekannte Welt in drei Teile, von denen im Osten Asien 2/4, Europa und Afrika jeweils ¼ der Landmasse einnehmen. Aus kosmologischer Sicht viel interessanter sind aber die sogenannten Zonenkarten.

Martianus Capella, einer der fürs Mittelalter ganz wichtigen spätantiken Autoren, die entscheidend zum kosmologischen Wissen des Mittelalters beigetragen haben, schreibt hierzu (in der etwas manirierten Übersetzung von Hans Günter Zekl[4]):

Der Erdkreis wird geschieden in fünf Zonen […]. Drei davon haben die Unbilden des Wetters durch vieles Allzuviel von Gegensätzen für menschliche Besiedlung verbannt: Die zweie, die auf beiden Seiten an die Achse [das wären die Pole um die Erdachse] grenzen, die liegen unter ungeheurem Frost und Kälte und geben angesichts des Falls von Schnee und Eis den Anlaß, sie zu meiden; der mittlere dagegen [der Äquator], von heißem hauch der Flammen ausgedörrt, brennt allem, was da lebt, den Zugang fort, wenn es da nähertreten will. Die andern zwei (die jetzt noch dasind) haben mit Einzug wohlgemischten Lebensatems dem, was da atmet, die Besiedlung erlaubt.“ (Buch VI, 602)

Auf der gesamten Rundungskrümmung der Erde haben sie sich um die obere sowohl wie um die untere Halbkugel herumgelegt. Denn beiderseits trennt Erde die zwei an ihr in Halbkreisform gegebenen Teile mit allerlei Verschiedenheit ab, d.h., sie hat eine obere Hälfte – die bewohnen wir, und es umgibt uns der Okeanus; und eine andere, die untre eben.“ (ebd.)

Auf dieser Hälfte leben unsere Antipoden, also nach heutigem Verständnis etwa die Australier, die man sich im Mittelalter zum Beispiel so vorstellte:

tumblr_md8fvdLFug1qe866ho1_1280

Antipoden. Aus einer Abschrift von De civitate Dei; Nantes, Bibliotheque Municipale, Ms. fr. 8, fol. 163.

Kartographisch lässt sich das etwa so darstellen, wie in der Arnsteinbibel (Achtung, die Karte ist geostet!): Umgeben von zwei sich schneidenden Ozeanen (der eine ist als Kreis um die Welt dargestellt, der andere als mittlerer Streifen) befindet sich die Welt, die man in fünf verschiedene Zonen teilen kann.

Zonenkarte aus British Library, Harley 2799, fol. 242v

Zonenkarte aus British Library, Harley 2799, fol. 242v

Von diesen Zonen sind jeweils zwei bewohnt, drei aber unbewohnt: die Zonen an den Polen starren vor Kälte, während die mittlere Zone, die sich auf der Karte mit dem mittleren Ozean deckt, völlig verbrannt und ausgedörrt ist (perusta). Tatsächlich ist diese Zone so heiß, dass man sie gar nicht überqueren kann. Von den bewohnbaren Zonen kennen wir daher nur eine, die nördliche, die unserer bekannten Welt entspricht, und die man ihrerseits als TO-Karte darstellen kann.

So viel zur sublunaren Welt, zu den himmlischen Regionen dann das nächste Mal.

[2] Italo Ronca, A dialogue on natural philosophy : translation of the new Latin critical text with a short introduction and explanatory noteses. Notre Dame 1997.

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/150

Weiterlesen

Und sie steht doch? Über das geozentrische Weltbild des Mittelalters I

“a circle of blackness shifts slightly […] and becomes a world under darkness, its stars the lights of what will charitably be called civilization. For, as the world tumbles lazily, it is revealed as the Discworld – flat, circular, and carried through space on the back of four elephants who stand on the back of Great A’tuin, […] a turtle ten thousand miles long, dusted with the frost of dead comets, meteor-pocked, albedo-eyed.”[1]

Das Leben ist ungerecht! Während Autoren unserer Zeit dafür gefeiert werden, bizarre Welten zu entwerfen, so rümpfen wir bei den Welterklärungen der Vergangenheit schon bei der kleinsten Ungenauigkeit die Nase. Gerade gegenüber dem Mittelalter fahren wir dabei zur Verurteilung als intellektuell dunkles Zeitalter schwere Geschütze auf, z.B.: das geozentrische Weltbild.

Der Kosmos nach Hartmann Schedel aus seiner Weltchronik (Druck Nürnberg 1943, Digitalisat UB Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00309000 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/)

Der Kosmos nach Hartmann Schedel aus seiner Weltchronik (Druck Nürnberg 1943, Digitalisat UB Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00309000 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/)

Diese Vorstellung, die anstatt der Sonne die Erde als Zentrum des Alls erachtet, gilt wohl als Prototyp mittelalterlicher Rückständigkeit und Vernunftfeindlichkeit. Während es heliozentristische Vorstellungen schon in der Antike gegeben hätte, hätte das dogmatische Christentum mit Feuer und Kreuz immer und immer wieder die Vernunft unterdrückt, so eine – nicht nur in den Untiefen des Internets – weit verbreitete Vorstellung.

Dabei ist diese Vorstellung nicht nur unfair[2], sie lässt auch drei entscheidende Punkte außer Acht:

  1. Das Mittelalter hat das geozentrische Weltbild gar nicht selbst „verbrochen“, das war die griechische Antike
  2. In eben dieser Antike gab es noch viel „absurdere“ Weltbilder
  3. Das geozentrische Weltbild ist mitnichten absurd, im Gegenteil es ist im höchsten Maße vernünftig

Ich glaube diese Vorurteile rühren vor allem daher, dass Vielen gar nicht bewusst, wie komplex und clever das geozentrische Weltbild aus Sicht der Zeit eigentlich ist. In der folgenden Artikelreihe will ich dieses Weltbild, das immerhin mehrere Jahrtausende das Bild der Menschen von der Welt bestimmte, daher etwas näher erläutern. Beginnen möchte ich mit ein paar grundsätzlichen Bemerkungen über den Umgang mit überkommenen Wissenschaftsvorstellungen.

Als „wissenschaftlich“ erscheint uns heute oft, was sich im Laufe der Zeit als richtig herausgestellt hat. Das geozentrische Weltbild ist daher eine irrige Annahme, ergo unwissenschaftlich. Die Geschichte der Naturwissenschaft, also auch die Geschichte der Kosmologie verstehen wir auch heute noch oftmals als eine Aufklärungsgeschichte, an deren Ende natürlich der aufgeklärte Mensch der Neuzeit steht.

Aus Camille Flammarion, L'Atmosphere: Météorologie Populaire. Paris 1888, S. 163. (Digitalisat aus den Wiki Commons)

Aus Camille Flammarion, L’Atmosphere: Météorologie Populaire. Paris 1888, S. 163. (Digitalisat aus den Wiki Commons)

 Eine solche Geschichte vom wissenschaftlichen Fortschritt kann man durchaus erzählen, aber – um mit Rodney Thomson zu sprechen – “The least that one might say of this is that it is a variant of history written from the victor’s viewpoint, with the attendant limitations of balance and perspective.[3] Genauso wenig, wie man einer mittelalterlichen Kathedrale nicht in erster Linie durch das Betonen ihrer Defizite gegenüber moderner Architektur begegnet, sollte man auch das mittelalterliche Weltbild nicht vor dem Hintergrund des aktuellen physikalischen Wissensstandes bewerten: Zum einen, weil dadurch der Sinn für die faszinierenden Eigenheiten der jeweiligen Kultur verloren geht; zum anderen aber auch, weil nicht alles, was sich als falsch herausgestellt hat, zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht vernünftig gewesen sein kann.

Im Grunde gibt es drei Möglichkeiten, wie Mensch sich ein Bild von der Welt machen kann:

  1. Mythisch
  2. Spekulativ
  3. Empirisch

Der moderne Mensch würde sein eigenes Weltbild eindeutig unter der dritten Kategorie einordnen und sich klar von mythischen und spekulativen Weltbildern, unter die er wohl das geozentrische Weltbild einreihen würde, abgrenzen wollen. So einfach ist es aber nicht!

Zunächst muss man festhalten, dass das geozentrische Weltbild keineswegs eine dogmatische Erfindung des christlichen Mittelalters war. Im Gegenteil, wie auch das heliozentrische Weltbild, musste es sich im Laufe der griechischen Antike erst gegen einer Reihe durchaus bizarrer Weltentwürfe durchsetzen[4]: Hierunter archaische Welterklärungen, wie sie zuweilen bei Homer durchscheinen; aber auch heute durchaus geschätzte Philosophen wie die Pythagoräer erdachten Kosmosmodelle, die uns gelinde gesagt befremdlich vorkommen müssen: Hier sein die Wikipedia zitiert, vor allem des letzten Satzes wegen:

Das älteste Modell, das wir kennen, ist dasjenige des Philolaos aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Es nimmt ein Zentralfeuer an, das den Mittelpunkt des Universums bildet und um das die Himmelskörper einschließlich der Erde kreisen. Für uns ist es unsichtbar, da die bewohnten Gegenden der Erde auf der ihm stets abgewandten Seite liegen. Um das Zentralfeuer kreist auf der innersten Bahn die Gegenerde, die für uns ebenfalls unsichtbar ist, da sie vom Zentralfeuer verdeckt wird. Darauf folgen (von innen nach außen) die Erdbahn und die Bahnen von Mond, Sonne und fünf Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn). Umschlossen ist das Ganze von einer kugelförmigen Schale, auf der sich die Fixsterne befinden. Aristoteles kritisierte dieses System, da es nicht von den Erscheinungen, sondern von vorgefassten Ansichten ausgehe; die Gegenerde sei nur eingeführt worden, um die Zahl der bewegten Körper am Himmel auf zehn zu bringen, da diese Zahl als vollkommene galt.

Das geozentrische Weltbild ist also mitnichten mythisch, es ist auch nur in geringem Maße spekulativ, es ist eigentlich äußerst empirisch, wie Arianna Borrelli richtig betont hat:

„This image of the world appears today hopelessly outdated, and might be seen as the product of abstract philosophical speculations, having little or nothing to do with reality. As a matter of fact, though, the homocentric-spheres-model offers a faithful representation and clever explanation of the way heavenly bodies are seen to move in the sky when time passes or when humans travel.[5]

Das ist ein ganz zentraler Punkt: Das geozentrische Weltbild entspricht ziemlich genau dem All, wie man es von der Erde aus betrachtet erfährt und vermessen kann, etwa als Himmelsglobus:

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 902, fol. 81, www.e-codices.unifr.ch (http://www.e-codices.unifr.ch/en/list/one/csg/0902)

Himmelsglobus mit Sternzeichen in Ms St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 902, fol. 81, www.e-codices.unifr.ch (http://www.e-codices.unifr.ch/en/list/one/csg/0902)

Es ist als „interaction between a form of mathematical reasoning based on geometrical imagination and natural philosophy[6], also eigentlich eine Mischung zwischen der zweiten (spekulativ) und dritten (empirisch) Kategorie und unserem eigenen Ansatz damit gar nicht so unähnlich.

In das (übrigens lateinische und arabische) Mittelalter ist das geozentrische Weltbild durch spätantike Autoren tradiert worden, wo es von den Mönchen des frühen Mittelalters mit dem Segen des karolingischen Herrscherhauses gefestigt wurde[7]. Interessant ist, dass es gerade während der Spätantike durchaus auch christliche Gegenentwürfe gab, die sich aber aus naheliegenden Gründen (siehe Bild) nicht gegen das rationale geozentrische Weltbild durchsetzen konnte.

Die Welt im Tabernakel nach Cosmas Indicopleustes Topographia Christiana (6. Jahrhundert) (Digitalisat Wiki Commons)

Die Welt im Tabernakel nach Cosmas Indicopleustes Topographia Christiana (6. Jahrhundert) (Digitalisat Wiki Commons)

Das geozentrische Weltbild ist daher also mitnichten das Werk verblendeter christlicher Fundamentalisten. Es basiert nicht einfach auf mythischen oder spekulativen Gedankenmodellen, sondern bildet die scheinbaren Vorgänge am Himmel ab. Das bestimmende Weltbild der Antike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit war daher kein intellektueller Rückschritt, sondern muss – aus der Zeit heraus bewertet – im Gegenteil als Fortschritt verstanden werden. Wie dieses Weltbild genau ausgesehen hat, das möchte ich in den nächsten Tagen und Wochen etwas näher erläutern.

 

[1] Terry Pratchett, Pyramids, London 1989, S. 7.

[2] ganz abgesehen von dem sehr wichtigen Punkt, dass das heliozentrische Weltbild mitnichten durch die Kirche unterdrückt wurde, aber das ist eine andere Geschichte, http://www.zeit.de/1980/46/galileo-galilei-war-kein-maertyrer.

[3] Rodney Thomson, Richard Southern and the twelfth-century intellectual world. In: Journal of religious history Bd. 26 (2002) S. 264-273, hier S. 271.

[4] Einführend in die griechische Astronomie: Árpád Szabó, Das geozentrische Weltbild: Astronomie, Geographie und Mathematik der Griechen. Stuttgart 1992.

[5] Arianna Borrelli, Aspects of the astrolabe. Stuttgart 2008, S. 36.

[6] Ebd.

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/136

Weiterlesen