Thüringische Leichenpredigten – das Beispiel J. G. Heinold

Anläßlich des Editionsprojekts AutoThür, in dessen Rahmen erste Texte freigeschaltet worden sind, möchte ich nicht nur pauschal auf dieses wundervolle Projekt verweisen, sondern auch ein wenig tiefer bohren. Dabei geht es mir gar nicht darum, einen Text in all seinen Facetten zu würdigen; dazu bedarf es doch spezieller Kenntnisse und auch besonderer Rechercheanstrengungen. Gleichwohl lassen sich auch schon nach einer ersten Lektüre einige Bemerkungen machen und mögliche Besonderheiten feststellen.

Im Folgenden möchte ich auf die Leichenpredigt des Johann Georg Heinold eingehen, der 1614 im fränkischen Rothenburg ob der Tauber geboren wurde und dort eine von Armut geprägte Kindheit und Jugend verlebte. Für das Jahr 1635 erwähnt Heinold die „feindselige Tyllische Ausplünderung“ der Stadt, die acht Tage lang gedauert habe. Das verwundert, da es nur schwer mit historischen Fakten zusammenzubringen ist. Daß Truppen nach ihrem Kommandeur benannt wurden, ist damals durchaus üblich gewesen. So berichtet Heinold später für 1637 von den „Panirischen“, die die Elbschanze bei Wittenberg eingenommen hätten: Hier handelte es sich also um schwedische Truppen unter dem Feldmarschall Johan Banér. Doch welche Truppen sollen die „Tyllische Ausplünderung“ begangen haben?

Bezug nimmt Heinold zweifelsohne auf den Generalleutnant der Katholischen Liga, Johann Tserclaes Graf von Tilly. Doch der war bereits 1632 nach seiner schweren Verwundung im Kampf gegen die Schweden verstorben. Sein Neffe und Erbe, der den Namen Tilly weiterführte, hatte m.W. nie ein wirklich namhaftes Kommando inne; er kann hier nicht gemeint sein. Hat Heinold also einen Fehler gemacht, indem er einfach die Truppen auch dann noch nach Tilly benannt hat, obwohl dieser Kommandeur längst tot war? Das kann durchaus der Fall sein.

Genauso kann aber auch die Datierung falsch sein. Denn Tilly hat tatsächlich Rothenburg eingenommen. Das geschah Ende Oktober 1631. Damals kam es auch zu tagelangen Plünderungen, die Stadt litt sehr und mußte auch eine Garnison aufnehmen. Rothenburg fiel dann später wieder an die Schweden, doch unmittelbar nach der schwedischen Niederlage bei Nördlingen im September 1634 wurde Rothenburg erneut belagert. Kurz danach wurde die Stadt mit Akkord eingenommen und mußte eine große Summe Geld zahlen. Plünderungen und Ausschreitungen gab es aber offenbar nicht, zumindest nicht im großen Stil. Das Problem bleibt, daß diese zweite Einnahme der Stadt nicht 1635, sondern schon 1634 erfolgte, und zudem nicht von kurbayerischen oder ligistischen – wenn man so will „Tillyschen“ – Truppen, sondern durch kaiserliche Einheiten unter Piccolomini.

Wie auch immer, so scheinen hier doch einige historische Fakten durcheinandergegangen zu sein. Mit der Nennung Tillys scheint nur klar, daß es offenbar kurbayerische Truppen waren, die Rothenburg plünderten. Auffällig ist an der Stelle übrigens, daß sie dafür acht Tage Zeit bekommen haben. Nach damaligem Kriegsgebrauch war es üblich, daß eine (im Kampf) eingenommene Stadt den Soldaten drei Tag lang zur Plünderung freistand; Magdeburg im Jahr 1631 ist das berüchtigte Beispiel dafür. Andererseits ist wohl verbürgt, daß Rothenburg im Herbst 1631 tatsächlich länger als drei Tage den Söldnern preisgegeben wurde.

Ein letzter Gedanke zu den Tillyschen im Jahr 1635: Wenn in dieser Leichenpredigt historische Fakten durcheinander geraten sind, was läßt dies für Rückschlüsse auf den Text und seine Entstehung selbst zu? Heinold starb im Jahr 1691, und wahrscheinlich wird diese Leichenpredigt auch nicht viel früher entstanden sein. Dabei geht es gar nicht darum, daß dem Greis am Lebensende Fehler unterlaufen sind. Viel aufschlußreicher ist, in welcher Weise der Zeitzeuge Heinold im Rückblick die Vorgänge des Kriegs sieht: Offenbar amalgamierten die Ereignisse in der Form, daß ein Feldherr wie Tilly als die prägende Figur des kurbayerischen Militärs angesehen wurde; die Namen anderer Kommandeure dagegen verblaßten in der Erinnerung.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/267

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