Médias 19: eine digitale Plattform für die französischsprachige Presse des 19. Jahrhunderts (Mittwochstipp 76)

Médias 19 ist eine Webplattform für Ressourcen zur französischsprachigen Presse des 19. Jahrhunderts und der sie begleitenden medialen Kultur. Aus einem französisch-kanadischen ANR/FQRSC-Projekt hervorgegangen, existiert das von Guillaume Pinson (Universität Laval) und Marie-Eve Thérenty (Universität Montpellier 3) geleitete Portal bereits … Weiterlesen

Quelle: https://francofil.hypotheses.org/3587

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Wie der Drang nach Aufmerksamkeit unsere Welt verändert

von Michael Meyen und Maria Karidi

Öffentliche Legitimation

Darum geht es heute. Niemand kann auf positive Medienresonanz verzichten, und jeder will negative Berichte verhindern. Der Begriff Medialisierung beschreibt Medienwirkungen zweiter Ordnung: Wie ändern sich Politik, Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft, weil die Akteure den Massenmedien Einfluss zuschreiben und sich deshalb an die Medienlogik anpassen?

Vereinfachen, zuspitzen, übertreiben

Zeitungen, TV- und Radiosendungen sehen heute in Deutschland ganz anders aus als vor 30 Jahren. Berichtet wird jetzt nicht mehr, was Politiker und Bildungsbürger für wichtig halten, sondern das, was Aufmerksamkeit verspricht. Das Ergebnis kann man jeden Tag beobachten: Es wird auf Details und auf Fachsprache verzichtet und um Exklusivnachrichten gekämpft. Manche Themen schaffen es, für kurze Zeit überall aufzutauchen (Fußball-WM, Pegida), und andere kehren immer wieder, weil sich alle dafür interessieren (Rückenschmerzen, Rentenbeginn). Medienangebote wollen uns überraschen und originell sein. Deshalb wird vereinfacht, zugespitzt und übertrieben. Ursache für den Wandel sind die Zulassung des kommerziellen Rundfunks Mitte der 1980er Jahre und der Siegeszug des Internet. Allein die viel größere Zahl an Medien hat den Konkurrenzdruck verschärft. Dass die neuen Angebote anderen Erwartungen bedienen, verändert auch die alten.

Strategien: (Spitzen-)Personal und Medientraining

In medialisierten Gesellschaften werden Top-Positionen auch nach Medientauglichkeit besetzt. Minister, Manager, Zoodirektoren und Fußballtrainer bekommen Medientraining und werden doppelt unterstützt: von PR-Managern und von Profis, die sich nicht für den Auftritt auf der Medienbühne eignen.

Ressourcen: PR, Gebäude, Arenen

Die PR wird ausgebaut und professioneller. Erstens gibt es heute viel mehr PR-Leute als vor 30 Jahren und zweitens sind journalistische Fähigkeiten und Kontakte hier inzwischen Bedingung. Genau wie das Spitzenpersonal werden Prestige-Gebäude heute nach Medientauglichkeit bewertet (Zentralen, Museen, Theater, Stadien).

Programme I: Events (Regeln und Rhythmus)

Wann ein Event stattfindet, entscheidet die Logik des Mediensystems: Es geht darum, die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen und negative Berichte zu vermeiden. Das bedeutet: keine Überschneidung mit Mega-Events (Fußball!), so viele VIPs wie möglich, attraktive Orte, gute Bedingungen für Journalisten und Einmaligkeit.

Programme II: Regeln, Routinen, Entscheidungen

Bürokratien neigen immer mehr dazu, die interne Organisation, Arbeitsabläufe und Entscheidungen am Kriterium öffentliche Legitimation auszurichten. Im Sport (und keineswegs nur dort) werden Regeln so geändert, dass die Präsenz von Kameras und Journalisten genauso gesichert ist wie Bilder und Berichte, die der Medienlogik entsprechen.

Von der vierten Gewalt zum Werbekanal für Partikularinteressen?

Medialisierung verändert die Arbeitsbedingungen in den Medien. Je mehr Geld und Personal Unternehmen und Parteien, Sportvereine und Kultureinrichtungen in öffentliche Legitimation investieren, umso schwieriger werden kritischer und investigativer Journalismus. Ausbau und Professionalisierung der PR (vorangetrieben von ausgebildeten Journalisten), Medientraining für Spitzenpersonal, maßgeschneiderte Events und Behörden, die wissen, wonach die Medien suchen: All das erschwert es Journalisten, einen Blick hinter die Hochglanzfassaden zu werfen und das zu thematisieren, was nicht von selbst in das Licht der Scheinwerfer gelangt.

Diese Tendenz ist auch deshalb bedrohlich, weil im Moment gerade die ökonomische Basis wegbricht, die 150 Jahre lang für die Finanzierung von Journalismus gesorgt hat. Werbetreibende sind heute nicht mehr auf die Kopplung mit Medieninhalten angewiesen, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Medien als Kontrolleur der Mächtigen, Medien als vierte Gewalt, Medien als Lieferant von Orientierung und unabhängiger Information: Die Gesellschaft muss entscheiden, wie wichtig ihr das ist und wie viel sie dafür ausgeben möchte.

Klicks, Klicks, Klicks: Gefangen in der Aufmerksamkeitsspirale

Jeder weiß, dass Nachrichtenseiten im Internet einer ganz eigenen Logik folgen. Geklickt wird, was wir noch nicht kennen und was Neugier oder Grundbedürfnisse bedient. Ein Redakteur des Marktführers Spiegel Online: „Nackte Satanisten im Wald. Wenn das drüber steht, läuft der Artikel super. Sex mit deformierten Zwergen. Das läuft auch.“ Neben Klicks geht es um Likes und Shares und damit nicht immer zwangsläufig um das, was gesellschaftlich relevant ist.

Was das alles mit FAZ und Zeit, mit Süddeutscher Zeitung und Tagesschau zu tun hat? Atemlosigkeit und Aufmerksamkeitsgier (die Internetlogik) sind dabei, die traditionellen Qualitätsmedien anzustecken. Journalisten beobachten sich gegenseitig und konkurrieren um Exklusivität. Was bleibt, wenn Zeitungsleser und TV-Zuschauer die Nachrichten längst kennen? Antwort: ein neuer Dreh, Zuspitzung und Dramatisierung, eine originelle Meinung – erst recht in einer Zeit, in der das Geld für aufwändige Recherchen knapp wird. Auch hier tut eine öffentliche Debatte not: Wollen wir wenigstens einige Angebote aus der Aufmerksamkeitsspirale befreien? Müssen wir das vielleicht sogar?

Quelle: http://medialogic.hypotheses.org/120

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