Was ist eine Randtypen-Tafel?

Die Frage schlug mir entgegen, als ich erzählte, was ich denn gerade so treibe. Unter Archäologen werden die verschiedensten Begriffe verwendet, die selbstverständlich erscheinen, aber nur für Archäologen selbstverständlich sind. Das betrifft manchmal auch Zusammensetzungen, die nur aus gebräuchlichen Wörtern bestehen, wie z. B.: Randtypen-Tafel.

Zunächst, was heißt hier Tafel? Tafeln werden für die Abgabe-Version bzw. für die Drucklegung einer archäologischen Arbeit angefertigt und sind ganzseitige Übersichten. In diesem Fall also eine ganzseitige grafische Übersicht von Randtypen. Das heißt, man erstellt eine typologische Übersicht von Rändern, in diesem Fall Ränder von Keramikgefäßen, die auf der Ausgrabung geborgen worden sind.

Typologische Übersicht bedeutet, dass das Fundgut nach bestimmten formalen Eigenschaften klassifiziert worden ist. Das ist die Voraussetzung für eine spätere Einordnung, Datierung etc.

Das ganze klappt bei Keramik besonders gut. Keramik gehört zu den am häufigsten geborgenen Materialien, weil sie zum Ersten sehr häufig hergestellt und benutzt wurde, zum Zweiten, weil sie sich unter fast allen Bedingungen im Boden erhält und zum Dritten, weil sie sehr schnell kaputt geht und nur bedingt reparierbar ist. 

Im Mittelalter sind Keramiken als Massenware von spezialisierten Handwerkern hergestellt worden und die Handwerker hatten ein bestimmtes Formen-Repertoire, das sich am Nutzen und am Zeitgeschmack orientiert.

Der Clou ist jetzt aber, dass diese Gefäße, wenn sie ausgegraben werden, in der Regel kaputt sind. Das heißt, in einem großen Haufen Keramik, der vor mir auf dem Tisch liegt, liegen Ränder, Böden, Henkel oder Tüllen einzeln und ohne Zusammenhang herum.

Foto: Maxi Platz

 

Deswegen muss ich mir einen Überblick verschaffen, welche Ränder oder Böden im Fundgut vorhanden sind. Da Archäologie eine Wissenschaft ist, muss ich den Nachweis darüber führen, also bilde ich sie ab.  Das reicht aber noch nicht, ich muss die Kriterien meiner Klassifikation erläutern, in dem ich den Scherben als Typ beschreibe.

Die Einordnung des Keramik-Spektrums erfolgt zu allererst in sogenannte Warenarten. (Dazu habe ich schon mal einen Post veröffentlicht.) Dann erfolgt eine Typologisierung der Randscherben, der Bodenscherben und der Angarnierungen (z.B. Henkel, Tüllen). Diese Beschreibung sollte einer gewissen Norm entsprechen, damit auch jede/r FachkollegIn etwas damit anfangen kann. Eine solche Richtschnur gibt unter anderem der „Leitfaden zur Keramik-Beschreibung“[1], ein Werk, das jede/r MittelalterarchäologIn kennt, benutzt (und nicht mit in den Urlaub nimmt).

Bei einer Ausgrabung, wie den Untersuchungen im Umfeld der Elisabethkirche, wurden Funde aus unterschiedlichen Zeitepochen geborgen. Die Vorlage der Keramik-Typologie dient zum einen dazu, Schichten, Befunde usw. zu datieren und einzuordnen, aber auch bisherige lokale Typologien zu ergänzen und/oder zu verifizieren. Bestimmt werden also zum Ersten die Warenarten, zum Zweiten die Randtypen, die Bodentypen, Angarnierungen, Deckel usw., zum Dritten das zu rekonstruierende Gefäßformenspektrum, also z. B. Töpfe, Schüsseln, Kannen, Becher oder Ofenkacheln.

Das wichtige ist jetzt aber, welche Typen kommen in welcher Zeitphase vor? Und was kann man daraus ableiten?

Zur Veranschaulichung: Ein paar Randtypen aus Marburg

 

Randtyp 1a        

Ausbiegender, leicht verdickter Rand mit leicht gerundeter nach außen geneigter Randleiste.

 Randtyp 1b                

Ausbiegender verdickter Rand mit gerundeter einwärts geneigter Randleiste und Innenkehle. Die Innenkehle kann dabei sehr deutlich ausgeprägt sein.

Randtyp 2a                

Ausbiegender leicht verdickter Rand mit leicht gekehlter einwärts geneigter Randleiste mit Innenkehle.

Randyp 3b                  

Steiler, nach außen leicht trichterförmig ausgezogener Rand mit gekehlter Mündung. (Becherkachel)

Umsetzung: Maxi Platz

Typen-Tafeln sind also grafisch aufgearbeitete Übersichten von Ergebnissen der Kleinfundauswertung. Sie veranschaulichen, dienen zur Beweisführung, aber auch als Vorlage für weitere archäologische Untersuchungen in der näheren Umgebung.

[1] I. Bauer/ W. Endres/ B. Kerkhoff-Hader/ R. Koch /H.-G. Stephan, Leitfaden zur Keramikbeschreibung (Mittelalter-Neuzeit). Terminolgie-Typologie-Technologien (Kallmünz/Opf. 1987)

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/724

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Die verschlungenen Wege falscher und echter Reliquien

Reliquien der heiligen Elisabeth sind auf der ganzen Welt verstreut. Sie werden in wertvollen historischen Reliquiaren aufbewahrt und zu Festtagen herausgeholt und den Gläubigen gezeigt. Einige dieser Knochen können zweifellos als Fälschungen angesprochen werden. Verehrt werden sie häufig trotzdem.

Man unterscheidet landläufig zwei Arten von Reliquien: Hinterlassenschaften, die vom Körper der Heiligen selbst stammen oder sogenannte Berührungsreliquien. Letztere haben durch die Berührung des Heiligen selbst einen Teil der Heiligkeit in sich aufgenommen, so dass sie selbst als verehrungswürdig angesehen werden.

Die Forschung nach der Echtheit der Reliquien ist meist alles andere als einfach. In normalen Spitälern und Pfarreien reicht die Überlieferung häufig nicht weiter als ins 18. Jahrhundert. In manchen großen Domschätzen sind die Inventare während der Hussiteneinfälle oder während des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen.

Es gibt hunderte von Reliquien, deren Herkunft teilweise gut größtenteils aber auch gar nicht rekonstruierbar ist. Aber zwei Geschichten sind durchaus erzählenswert.

Eine spannende Geschichte ist der Verbleib des Hauptes der Elisabeth. Wie schon (Blogpost vom 18.10.2012) erläutert, wurde der Schädel bereits vor der feierlichen Erhebung der Gebeine am 1. Mai 1236 vom restlichen Körper getrennt. Kaiser Friedrich II setzte ihm selbst im Büßergewand gekleidet eine wertvolle Krone auf.  Der Kopf wurde danach gesondert aufbewahrt und zu verschiedenen Anlässen gezeigt und durch die Kirche oder die ganze Stadt getragen.

Heute erheben mehrere Orte den Anspruch darauf, im Besitz dieses Schädels zu sein.

Schädelreliquie 1: Unter den Reliquien des Elisabetherinnenkloster bei Wien, wohin die verblieben Leichenteile aus Marburg gebracht wurden, befindet sich ein Schädel.

Schädelreliquie 2: Im Dom von Udine befindet sich ein Haupt, das Elisabeth zugesprochen wird. Es steht auf dem Grabmal des seligen Bertrand von Aquileja. Karl IV, der mit dem Seligen befreundet war, besuchte Udine kurz nachdem er in Marburg gewesen war und könnte es bei dieser Gelegenheit gestiftet haben.

Schädelreliquie 3: In der Erzbischöflichen Kapelle von Besançon wird auch ein Elisabethkopf aufbewahrt, dessen Herkunft aber nicht weiter als ins 19. Jahrhundert zurückgeführt werden kann.

Schädelreliquie 4: In Brüssel befindet sich ein Kopf, der lange für das echte Haupt gehalten wurde, weil auf dem Reliquiar, die Inschrift zu finden ist: „Elisabeth de radice Jesse“ / „Elisabeth aus der Wurzel Jesse“. Fälschlich wurde statt „Jesse“- „Hesse“ gelesen. Die Reliquie sollte also nicht von  Elisabeth von Thüringen sondern von der Mutter Johannes des Täufers stammen.

Schädelreliquie 5: Das Elisabethhaupt im kolumbianischen Bogotá soll Anna von Österreich an die  Kolonie geschenkt haben. Es handelt sich um den Schädel eines jungen Mannes.

Schädelreliquie 6: Interessanter ist die Kopfreliquie im Historischen Museum in Stockholm.[1] Der Göttinger Historiker Percy Ernst Schramm, einer seiner Forschungsschwerpunkte waren Herrschaftssymbole, konnte in den 1950er Jahren nachweisen, dass es sich bei der Krone, tatsächlich um die des Staufers Friedrich II gehandelt hat.[2] Die Forschung war aufgerüttelt und die Zeit berichtete.[3] Link

Die Frage ist nun, wie kommt der Kopf der heiligen Elisabeth nach Stockholm? In Marburg kann der Schädel bis 1855 urkundlich verfolgt werden. Dann kam der Kopf nach Wien.

Quellen zufolge ist der Kopf als Kriegsbeute während der Eroberung der Feste Marienburg bei Würzburg neben vielen anderen Kunstschätzen in schwedische Hände gelangt und nach Stockholm gebracht worden.  Der Reliquienforscher Dickmann erklärt plausibel, dass während des Dreißigjährigen Krieges der Deutsche Orden viele Kunstschätze auf die Marienburg bei Würzburg zu deren Schutz verbrachte.[4]

Der Stockholmer Elisabethschädel wird in der Forschung als echt anerkannt.[5]

Eine zweite spannende Geschichte ist die des sogenannten Bechers der Elisabeth in Coburg. Er ist aus dickwandigem Glas und das florale Muster ist geschliffen. Solche Becher werden in der deutschsprachigen archäologischen Forschung  gewöhnlich als „Hedwigbecher“ bezeichnet, nach zwei sehr ähnlichen Gläsern in Krakau und Breslau, die der heiligen Hedwig, Elisabeths Tante, zugesprochen werden.[6]

sog. Glasbecher der hl. Elisabeth in Coburg (Abb.Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 145)

Im Mittelalter hat sich der Becher zusammen mit dem Gürtel und einem Löffel der Elisabeth in Besitz der Markgrafen von Meißen bzw. sächsischen Kurfürsten befunden. Sie sollen in der Schloßkapelle in Wittenberg aufbewahrt worden sein. Sie sind offenbar von der Wartburg dorthin gekommen, nachdem Thüringen Mitte des 13. Jahrhunderts an den sächsischen Hochadel gefallen war. Diese Gegenständen waren in regem Gebrauch: Sie wurden den werdenden Müttern der Familie, bei einer Entbindung gegeben, die sich durch deren Beisein eine gefahrlose und leichte Geburt versprachen.[7]

In der Reformationszeit gelangte der Becher in den Besitz Martin Luthers, der ihn bei seinen berühmten Trinkgelagen häufig benutzt haben soll. Wie er nach Coburg kam ist noch unklar.[8]

Theoretisch ist es durchaus möglich, dass Elisabeth so ein Glas besessen hat, denn solche Gläser, werden in der Regel zwischen dem 11. bis in die Mitte des 12. Jahrhundert eingeordnet.[9]

Letztlich ist es für die viele Gläubige nebensächlich, ob die Echtheit eines Fingers oder eines Stoffrestes einwandfrei nachzuweisen ist, schließlich muss ja was dran sein, sonst würde es ja nicht verehrt.

Ob falsch oder echt, spannende Geschichten erzählen diese Gegenstände allemal.

Weiterführende Literatur:

A. Andersen, Das Reliquiar mit der Krone, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 513-517

V. Belghaus, Der erzählte Körper. Die Inszenierung der Reliquien Karls des Großen und Elisabeth von Thüringen (Berlin 2005)

S. Beissel, Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland im Mittelalter (Nachdruck  Darmstadt 1983)

W. Brückner, Zu Heiligenkult und Wahlfahrtswesen im 13. Jahrhundert. Einordnungsversuch der volksfrommen Elisabeth-Verehrung in Marburg, in: Philips-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige (Sigmaringen 1981) 117-127

Th. Fuchs, Bericht über den Verbleib der Reliquien der hl. Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Katalog (Petersberg 2007) 462-463

U. Geese, Reliquienverehrung und Herrschaftsvermittlung. Die mediale Beschaffenheit der Reliquien im frühen Elisabethkult, Quellen u. Forsch. hessischen Gesch. (Darmstadt u. Marburg 1984)

[1] Zuletzt: B. Reudenbach, Kopf, Arm und Leib. Reliquien und Reliquiare der Heiligen Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Aufsätze (Petersberg 2007) 193-202

[2] P.E. Schramm, Kaiser Friedrich II Herrschaftszeichen. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, Philosophische Klasse 3, Folge 36, (Göttingen 1955)

[3] Chr. E. Lewalter, Stauferkronen in Stockholm. Umwege und Erfolg historischer Forschung, in: Die Zeit 23/ 1955, 9.6.1955

[4] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 10

[5] Zuletzt: St. Rösler, Inszenierungsstrategien Kaiser Friedrich II am Beispiel des Stockholmer Kopfreliquiars und der Translation der heiligen Elisabeth, in: Kunst-Macht-Öffentlichkeit (Berlin 2008)  23-35

[6] R. Koch, Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 273

[7] R. Koch, Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 281

[8] R. Koch, Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 272

[9] E. Baumgartner/ I. Krueger, Phoenix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters (München 1988) 86-105

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/209

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