Kaum ist im Fußball wieder einmal ein Tor geschossen worden, das aber nicht gewertet wurde (Bundesliga, 1.Spieltag, TSG Hoffenheim, K. Volland, siehe u.a. focus.de) kommt der Schrei nach dem Einsatz von Torlinientechnologie erneut auf.
Dass die benachteiligte TSG Hoffenheim mit der Entscheidung unglücklich ist mag nicht verwundern. Doch wie es scheint sind sehr viele andere Akteure ebenfalls für den sofortigen Einsatz von Torlinientechnologie. Auf faz.net wird z.B. der beteiligte Schiedsrichter zitiert:
Schiedsrichter Kinhöfer gab die Unnahbarkeit auf, die seine Zunft so oft umweht, und forderte technische Hilfe an: „Wir Schiedsrichter würden es begrüßen, wenn diese Geschichte uns abgenommen wird. Aber das ist halt nicht so. Dementsprechend müssen wir die Entscheidung treffen – und die war heute leider falsch“, sagte Kinhöfer.
Die Einzigen, die sich dem Heilsbringer Torlinientechnologie (wobei hier anzumerken ist, dass unterschiedliche Versionen herumschwirren, was genau für eine Art von Torlinientechnologie eingesetzt werden soll; von Torkameras bis Chip im Ball) widersetzen zu scheinen sind die Verantwortlichen der Deutschen Fußball Liga (DFL). Auf sportal.de wird Andreas Rettig, der Geschäftsführer der DFL zitiert:
“Dass die Entscheidung in Hoffenheim die Diskussion über die Torlinien-Technologie neu entfacht, ist verständlich. Derzeit gibt es nach unserer Einschätzung jedoch noch kein perfekt ausgereiftes System, welches diese tiefgreifende und möglicherweise dann endgültige Entscheidung einer sofortigen Einführung rechtfertigt. So lässt die FIFA derzeit noch eine Fehlertoleranzgrenze von drei Zentimetern zu”, sagte Rettig.
In Bezug auf meinen Beitrag zum Thema Torlinientechnologie im Februar unterstütze ich diese kritische, abwartende und beobachtende Haltung der DFL. Denn im Gegensatz zu der weit verbreiteten “technological fix” Meinung, dass Torlinientechnologie die endgültige und einzig wahre Lösung des Problems ist, ist das Problem zum jetzigen Zeitpunkt noch lange nicht gelöst. Auch Torlinientechnologie, die selbstständig entscheidet, kann Fehler machen. Dies sollte man sich insbesondere auch dann vor Augen führen, wenn es tatsächlich einmal zu einer Einführung kommen sollte: Denn die Entscheidung einer visuellen Torlinientechnologie basiert wie auch der menschliche (Schiedsrichter-) Blick ebenso auf einer gesellschaftlich situierten, subjektiven und partikularen Sichtweise. Die Entscheidung einer Torlinientechnologie ist deshalb nicht zwangsläufig besser. Im Gegenteil könnte es sogar zu einem Gefühl von “falscher Transparenz” (vgl. Collins & Evans 2012: 907)1 kommen: D.h. duch den Einsatz der Technologie denkt man, dass es jetzt gerechter zugeht (weil alle Situationen richtig erkannt werden würden), obwohl auch die Technologie Fehler machen kann, das aber in der öffentlichen Wahrnehmung nicht verankert ist.
Ich würde es wegen der bereits vorhandenen Fernsehkameras in den oberen Ligen deshalb nach wie vor für sinnvoll halten (auch um dem endlosen Schrei nach Torlinientechnologie entgegenzukommen), die Einführung eines einfachen Video Reviews zu überlegen: Falls es zu einer strittigen Torlinienszene kommt (wie oft passiert das tatsächlich in Relation zu den absolut gespielten Minuten?2 ) kann das dreiköpfige Schiedsrichterteam unter dem Vorsitz des sog. vierten Offiziellen ein-zwei- oder dreimalig pro Spiel eine Unterbrechung des Spiels vornehmen und sich die Szene auf den zur Verfügung stehenden Fernsehbildern anschauen. Die einfache Mehrheit der drei vor-Ort Begutachtungen entscheidet. So wäre gewährleistet, dass die Schiedsrichter auf genau der selben Basis entscheiden können, wie das milionenfache, diskutierende Fernsehpublikum. Die Entscheidung wäre für jeden nachvollziehbar und gerecht. Wenn man die letzten strittigen Szenen (Volland Tor, Lampard Tor WM 2010) als Beispiel nimmt, waren sich bei der Betrachtung der TV Bilder im Nachhinein ja auch alle einig, dass es sich um reguläre Tore gehandelt hat.
Ein Problem bleibt natürlich bei allen Arten von Entscheidungstechnologien im Fußball bestehen: Wie kann die Integrität des Fußballs bis hin zur untersten Spielklasse gewährleistet werden? Wie kann man argumentieren, dass zwar in den oberen Klassen Technologien wie der Video Review eingesetzt werden, wenn sich die unteren Klassen einen solchen Einsatz nicht leisten können? Das Argument, dass es in den oberen Klassen um viel Geld geht lasse ich dabei aber nicht zählen.
- Collins, Harry & Evans, Robert (2012): Sport-decision aids and the ”CSI-effect”: Why cricket uses Hawk-Eye well and tennis uses it badly. Public Understanding of Science 2012, 21, 904-921.
- Bei einem normalen Bundesligaspieltag werden bei neun Spielen z.B. schon insgesamt mehr als 810 Minuten gespielt.