Die chinesische Schrift … und was angehende Historiker/innen darüber wissen sollten

Die Möglichkeit, im Rahmen der in der Studieneingangs- und Orientierungsphase (BA Geschichte) vorgesehenen Vorlesung “Theorien und Geschichte schriftlicher Quellen und Medien” in 60-70  Minuten die Geschichte der chinesischen Schrift zu präsentieren (Universität Wien, 29. 10. 2014), stellt zumindest in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung dar: einerseits soll ein einführender Längsschnitt durch die Geschichte der chinesischen Schriftkultur geboten werden, andererseits muss auch der politisch-kulturelle Hintergrund (Orakelwesen in der chinesischen Antike, Vereinheitlichungen und “Reformen” der chinesischen Schrift, Einflüsse von Konfuzianismus und Buddhismus auf die Entwicklung von Schriftkultur, Anfänge von Papier und Buchdruck, etc.) berücksichtigt werden.

Nachdem unter anderem “epochen- und  raumübergreifendes Grund- und Orientierungswissen über Schriftkultur” sowie “Grund- und Orientierungswissen über Geschichte, Funktion, Bedeutung und Analyse schriftlicher [...] Quellen”[1] vermittelt werden soll, hat sich die folgende Vorgangsweise geradezu angeboten:

Einleitend wurden die zentralen Faktoren bei der Entwicklung der Schrift (Wandel der Schreibmaterialien, ästhetische Vorstellungen (Kalligraphie!), neue Möglichkeiten und Techniken der Vervielfältigung, gesellschaftliche Umbrüche) benannt. Es folgten Beispiele für die zur Rektonstruktion der Geschichte der chinesischen Schrift wichtigen Schriftträger (Knochen, Bronze, Stein, Bambus, Holz, Papier – die auf Seide geschriebenen Bücher wurden der Vollständigkeit halber am Rande erwähnt).[2]

Die Ausführungen zu jüngeren Debatten um die schrifttypologische Einordnung/Beschreibung des Chinesischen wurden bewusst kurz gehalten – ebenso der Hinweis auf die sechs Strukturtypen (liushu 六書) chinesischer Schriftzeichen.

Die Frage nach der Anzahl der chinesischen Schriftzeichen wurde aus drei Blickwinkeln beleuchtet: 1.) Anzahl der allgemein gebräuchlichen Schriftzeichen, 2) Anzahl der Schriftzeichen in zweisprachigen Chinesisch-Wörterbüchern und 3) Anzahl der Schriftzeichen in einsprachigen Wörterbüchern und Zeicheninventaren (Beispiel: Unicode).

Eine Graphik verdeutlichte dann Entwicklung, Abfolge und Zusammenhänge der wichtigsten Schriftstile (Große und Kleine Siegelschrift, Kurialschrift, Modellschrift, Schreibschrift und Konzeptschrift). Als Beispiel für die so genannte “wilde Konzeptschrift” wurde ein Ausschnitt aus der Autobiographie des buddhistischen Mönchs Huaisu (8. Jh.n.Chr.) gezeigt.[3]. Ebensowenig durfte ein Blick auf das älteste erhaltene gedruckte datierte Buch – das Diamantsutra aus dem Jahr 868 n. Chr. – fehlen.[4]

Um den vorgegebenen Zeitrahmen einhalten zu können, folgte dann ein “Sprung” ins 18. Jahrhundert – zu einer Seite aus der wohl umfassendsten jemals gedruckten (chinesischen) Enzyklopädie (Gujin tushu jicheng 古今圖書集成 , d.i. “Sammlung von Texten und Illustrationen aus alter und neuer Zeit”, 1720er Jahre).

Auf Beispiele zur Ordnung und Anordnung der chinesischen Schriftzeichen (unter anderem eine Seite aus einem frühen (1872) chinesischen Telegraphencode) folgten dann zusammenfassende Bemerkungen zu der nach der Gründung der Volksrepublik China (1949) in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführten Schriftreform (Vereinfachung der Schriftzeichen, Verbreitung des Hochchinesischen, Entwicklung einer Lautumschrift). Erläuterungen zu nicht nur schriftgeschichtlich bemerkenswerten Einzelheiten der Seite 1 der Renmin Ribao 人民日報 (“Volkszeitung”) vom 20.12.1977 standen am Ende des Vortrags.

  1. Vgl. dazu Universität Wien, Studienpläne Geschichte, Studienplan-Wiki
  2. Dabei wurde auch auf einige der im Rahmen der Serie Kulturgeschichte Chinas im Netz vorgestellten Sammlungen zurückgegriffen.
  3. Vgl. http://www.npm.gov.tw/masterpiece/fPreview.aspx?sNo=04001004
  4. Vgl. British Library, Turning the Pages.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1458

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Vier Schätze des Studierzimmers (IV)

Sobald die Tusche auf dem Reibstein angerieben worden ist, konnte und kann man zum Pinsel greifen. Durch ihre Bedeutung für Malerei und Kalligraphie stellen Tusche und Pinsel “vielleicht sogar das prägnanteste Ausdrucksmittel”[1] der chinesischen Kunst dar. In der Phrase bi mo zhi yan 筆墨紙硯 (d.i. Pinsel, Tusche, Papier, Reibstein), die für die wichtigsten Utensilien des Kalligraphen steht, wird der Pinsel gar an erster Stelle genannt.

Während die Legende dem Qin-General Meng Tian 蒙恬 (ausgehendes 3. Jh.v.Chr.) die Erfindung des Pinsels zuschreibt, ist jedoch davon auszugehen, dass der Pinsel schon viel früher Verwendung gefunden hatte, spätestens nachdem man dazu übergegangen war, Texte auf Bambus und Seide zu schreiben. [2]

Bei der Herstellung des Pinsels werden Tierhaare (von Hirsch, Ziege, Hase, Fuchs und Wolf) oder Vogelfedern verwendet.[3]. Stand das Zeichen bi 筆 früher ausschließlich für Pinsel, so bezeichnet es (mit entsprechenden Zusätzen) heute alle Schreibgeräte.

Die Bedeutung des Pinsels für Literatur und Kultur fand nicht zuletzt in frühen Klassifikationen chinesischer Literatur ihren Niederschlag. In seinem Wenxin diaolong 文心彫龍 (“Literarische Gesinnung und das Schnitzen von Drachen”), in dem er die literarischen Werke in 34 Kategorien einteilte, ordnete Liu Xie 劉勰 Prosawerke unter die Rubrik bi 筆 ein, während er die Dichtung in der Rubrik wen 文 – zu wen vgl. Annäherungen zum Kulturbegriff im Chinesischen – auflistete.[4]. Diese Unterscheidung, die also Ende des 5./Anfang des 6. Jahrhunderts verbreitet gewesen zu sein scheint, wird später auch bei dem japanischen Mönch Kūkai (774-835) erwähnt:

“In der Art, Texte zu schreiben, gibt es nur bi und wen. Wen umfaßt Gedichte, Rhapsodien, Inschriften, Preisungen, Ermahnungen, Würdigungen, Klagelieder und dergleichen mehr; bi umfasst Erlasse, Pläne, Throneingaben, Stellungnahmen, Briefe, Berichte usw. Oder um es direkt zu sagen: was sich reimt, ist wen, und was sich nicht reimt, ist bi.”[5]

Die Homophonie von bi 筆 (Pinsel) und bi 必 (sicher, sicherlich) fand etwa in der chinesischen Symbolik ihren Niederschlag. Ist der Pinsel durch die Nabe eines Rades gesteckt, bedeutet dies “er wird sicher treffen” (hier machte man sich die Bedeutungen von zhong 中 (einerseits “Mitte”, andererseits “ein Ziel treffen”) zunutze. Diese Anspielung soll den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass ein Kandidat bei den Beamtenprüfungen, die erst eine Karriere als Gelehrten-Beamter ermöglichten, bestehen möge/werde. [6]

 

  1. Thomas O. Höllmann: Das alte China. Eine Kulturgeschichte (München 2008) 221.
  2. Vgl. Helwig Schmidt-Glintzer: Geschichte  der chinesischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (München, 2. Aufl., 1999) 84.
  3. Eine nützliche Übersicht über die Herstellung und die einzelnen Teile des Pinsels sowie über die verschiedenen Formen von Pinselspitzen in Grove Art Online: China § XIII,4 Brushes sowie Asia-Art.net: Chinese Brush-Painting.
  4. Vgl. Grand Dictionnaire Ricci de la lange chinoise, Bd. IV, S. 987 (Nr. 8813. Zum Wenxin diaolong vgl. chinaknowledge.de: Wenxin diaolong.
  5. Zitiert nach Schmidt-Glintzer: Geschichte der chinesischen Literatur, 251
  6. Vgl. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 230 (‘Pinsel’), Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 264 (‘Writing Instruments’).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/558

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