Tanz steht in einem ganz besonderen Verhältnis zu Materialität und Produktion. Als performative Kunstform materialisiert er sich ereignishaft und verflüchtigt sich zugleich wieder. Die GRK-Kollegiatin Katharina Kelter versucht in ihrem Promotionsvorhaben “Tanzen zwischen Materialität und Immaterialität. Zum Produktionsprozess im zeitgenössischen Tanz” diese Abwesenheit bzw. die Immaterialität als Voraussetzung von Materialität zu denken und den Tanz als fortlaufenden Produktionsprozess zu untersuchen. Zu ihrer Forschung, aber auch zu ihren Erfahrungen als Stipendiatin und Kollegiatin des GRK1678 gibt Katharina Kelter im folgenden Interview ausführlich Auskunft.
Liebe Katharina, wie entstand Dein Interesse an “Materialität” und “Produktion”?
Mein Interesse für „Produktion“ ist eigentlich schon ziemlich früh im Studium entstanden. Sowohl in der B.A.- als auch in der M.A.-Arbeit habe ich mich mit verschiedenen Aspekten von Produktion im Tanz auseinandergesetzt – zunächst die Frage nach der Autorschaft und dann die Produktivität von Erinnerung. In diesem Kontext kam die Frage nach der spezifischen Materialität von Tanz fast automatisch dazu, da sich Tanz bzw. die tänzerische Bewegung als solche nicht in einem bleibenden stofflichen Artefakt materialisiert, sondern als Ereignis im Moment der Aufführung direkt wieder vergeht, sich verflüchtigt. Das beeinflusst wiederum in besonderem Maße den Produktionsprozess. Das Graduiertenkolleg kam mir mit seinem Ziel, die Relation und Interaktion dieser beiden Begriffe zu untersuchen, also gerade recht. Mein Hauptinteresse – wenn man das sagen kann – gilt aber nach wie vor dem Produktionsbegriff.
Dein Promotionsvorhaben untersucht die Materialität und die Produktion, die dem zeitgenössischen Tanz eingeschrieben sind. Mit welchen Methoden untersucht eine Kulturwissenschaftlerin Materialität und Produktion im Tanz? Mit welchen Quellen arbeitest du?
Wie gerade schon kurz angesprochen ist der Tanz eine flüchtige Kunstform und hat daher grundsätzlich mit einem methodischen „Problem“ zu tun, nämlich dass der eigentliche Untersuchungsgegenstand flüchtig ist. Es gilt also zum einen eine Dynamik bzw. einen Prozess zu analysieren und zum anderen auf mediale Übersetzungen zurückzugreifen. Darüber hinaus geht es mir in meinem Promotionsprojekt vor allem darum, Prozessualität als entscheidendes Charakteristikum einer Tanzproduktion herauszuarbeiten. Ich möchte u.a. aufzeigen, dass gerade mediale Übersetzungen Teil von Tanzproduktion sind. Medienanalysen spielen in meinem Projekt daher eine zentrale Rolle. Meine Quellen sind u.a. Filme, Bilder, Kataloge, Bücher, Archivmaterialien. Aber auch Interviews und Projekt- und Produktionsbegleitungen sind wichtige Quellen.
Eine Deiner Thesen ist, dass die Aufführung nicht mehr Ziel des zeitgenössischen Tanzes ist, sondern vielmehr die Arbeitsprozesse und die Materialität des Tanzes erfahrbar werden sollen. Die Orte, an denen sich professioneller Tanz ereignet, zeugen aber vielfach von einem traditionellen Kunstverständnis: Auf einer Bühne sieht ein zahlender Zuschauer eine Aufführung. Gibt es Anzeichen, dass auch diese räumliche Konfiguration aufgebrochen wird?
Du sprichst damit zwei verschiedene Punkte an: Zum einen die Existenz oder Notwendigkeit von Aufführung und zum anderen mein Verständnis von Produktion, bei dem die Aufführung nicht (mehr) im Fokus steht. Zunächst einmal ist die Aufführung in der derzeitigen Tanzlandschaft nicht mehr zwingendes oder notwendiges Ziel. Tanz präsentiert sich nicht nur in Bühnenformen, sondern es gibt vielfältige Produktions- und Erscheinungsformen, wovon die Aufführung ein Beispiel ist. Ich denke hier bspw. an Chantiers (sogenannte Baustellen), künstlerische Labore oder offene Proben – sprich Formate, die die „Unfertigkeit“, die Prozesshaftigkeit und Offenheit von Kunst – und von Tanz im Besonderen – in den Fokus rücken. Damit meine ich aber nicht, dass die Aufführung an sich obsolet geworden ist oder Tanz zukünftig nicht mehr auf der Bühne zu sehen sein wird. Natürlich ist Tanz als performative Kunstform auf den Moment des Aufführens angewiesen, alleine schon aus ökonomischen Gründen. Du sprichst also zu Recht den zahlenden Zuschauer an. Meine These ist jedoch, dass die Aufführung nicht das Ende, das fertige „Produkt“ und damit Höhepunkt des tänzerischen Produktionsprozesses ist. Die Produktion von Tanz beschränkt sich nicht auf Probenprozess und Aufführung, sondern auch ohne Aufführung – das „Produkt“ – und darüber hinaus findet Produktion statt. Die Aufführung bildet vielmehr nur einen Moment im Prozess der Produktion, der zwar am leichtesten wahrzunehmen ist, jedoch von vergleichsweise geringem Umfang ist. Ziel meines Promotionsprojekts ist es, den Blick von der Zentralstellung der Aufführung, vom „Produkt“ weg und hin zum Herstellungsprozess, hin zur Produktion zu richten.
Du kennst das Leben als Stipendiatin und Kollegiatin im GRK 1678. Worin liegen für dich die Differenzen zwischen Stipendium und Kollegiat?
Der größte Unterschied zwischen Stipendium und Kollegiat ist für mich ganz klar die Zeit, sich voll und ganz auf das eigene Projekt und das Angebot des GRKs konzentrieren zu können. Ich bin froh, dass ich zu Beginn meiner Promotion das Glück eines Stipendiums und damit Zeit und finanzielle Absicherung hatte. Durch das Stipendium hatte ich Zeit, an allen Veranstaltungen des Kollegs teilzunehmen und war immer und automatisch im Austausch mit den KollegInnen. Für dieses intensive Eingebunden-Sein in das Kolleg fehlt mir als Kollegiatin jetzt die Zeit. Ich arbeite seit einem Jahr als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg bei Gabriele Klein am Institut für Bewegungswissenschaft/Performance Studies, was für mich thematisch natürlich super ist. Meine Arbeit erlaubt es mir allerdings nicht mehr an allen Terminen des Kollegs teilzunehmen und auch der tägliche Austausch im Doktorandenraum fehlt. Aber glücklicherweise standen im letzten Jahr, im Gegensatz zu den ersten Semestern, relativ wenige Termine an, so dass es mir auch als Kollegiatin immer noch gut möglich war, vom Angebot des GRKs zu profitieren.