Eine digitale Schriftkunde, auch für den Dreißigjährigen Krieg

Auch wenn es bereits stattliche Quelleneditionen zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs gibt, ist die Masse der überlieferten und noch nicht gesichteten und bearbeiteten Archivalien immer noch so riesig, daß ein ganzes Forscherleben nicht ausreicht, sie zu bewältigen. Das muß aber nicht entmutigen, genauso wenig wie die paläographischen Herausforderungen bei der Entzifferung der Schriften des 17. Jahrhunderts. Tafelwerke, anhand derer man in universitären Übungen erste Gehversuche in diese Richtung machen kann, gibt es zwar schon sehr lange. Nun aber bieten die Staatlichen Archive Bayerns eine digitale Schriftkunde an, anhand derer handschriftliche Quellen aus den unterschiedlichen bayerischen Staatsarchiven vom 8. bis zum 20. Jahrhundert als Übungsmaterial aufbereitet werden.

Das Angebot knüpft an analoge Vorbilder an, ist aber nicht nur für die archivarische Ausbildung bestimmt, sondern will allgemein Hilfestellung bieten „für wissenschaftliche, heimatkundliche oder genealogische Forschung“ – entsprechend der digitalen Nutzungsmöglichkeiten. Ausgangspunkt ist das Archival selbst, das als Scan präsentiert wird.

[...]

Quelle: https://dkblog.hypotheses.org/710

Weiterlesen

Der Reiz der Archivalien – Besuch in einem Kölner Archiv

Es ist nicht unbedingt einfach, für alle thematischen Aspekte der Kölner Stadtgeschichte entsprechende Quellen aufzutuen, die sich gut im universitären Unterricht einsetzen lassen. Zwar hilft der 2. Band aus der Reihe Quellen zur Geschichte der Stadt Köln zum Spätmittelalter und zur Frühen Neuzeit ein gutes Stück weiter; doch wirklich aus dem Vollen zu schöpfen, ist auch hier schwierig. Was kann man also sonst noch machen? Es bleibt nur der Weg ins Archiv, um dort zu schauen, welche ungehobenen Schätze noch das Bild der Geschichte bereichern können. Konkret plante ich mit den Studierenden meiner aktuellen Veranstaltung im Wintersemester einen Besuch im Historischen Archiv des Erzbistums Kölns.

Wie läßt sich ein solcher Besuch organisieren und was kann von ihm erwarten? In meiner Wahrnehmung werden derartige Lokaltermine meist zur Vorführung des jeweiligen Hauses genutzt, was auch völlig legitim ist. Und so werden dann aus allen möglichen Beständen beispielhaft Quellen vorgeführt, gern auch prominente Stücke, angefangen von den ältesten Urkunden, vorzugsweise von historischen Giganten wie Karl dem Großen, bis hin zu Schreiben Bismarcks oder Adenauers. Auf diese Weise kann auch Grundsätzliches über ein Archiv vermittelt werden, und sicher wird auch auf diese Weise das Faszinosum der alten Materialien den einen oder anderen in seinen Bann schlagen.

Dennoch war es nicht das, was mir vorschwebte, und ich war froh, in Joachim Oepen einen Archivar zu finden, der gerne bereit war, sich mit den Studierenden einfach mal auf einige thematisch einschlägige Dokumente zu stürzen und dann versuchen, mit diesen zu arbeiten. Es gab also nur eine kurze thematische Einführung, dann wurden 2- oder 3köpfige Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit einem Dokument beschäftigen sollten. Natürlich war klar, daß es hier nicht um eine auch nur annährend vollständige Erschließung gehen konnte. Aber sich quellenkritisch einem Dokument zu nähern und es als historische Quelle zunächst einfach zu beschreiben und dann vielleicht auch einzuordnen, war ein Versuch wert.

Gute 40 Minuten waren für die Stillarbeit vorgesehen. Während dieser Zeit standen Joachim Oepen und ich bereit, um vor allem bei der Entzifferung von Schriften zu helfen. Zu bearbeiten waren ganz unterschiedliche Quellen wie Kirchenbücher, Chroniken von Ordenskongregationen, auch Statuten eines Ordens und Regelverzeichnisse für die Klosterämter, Amtsbücher einer Bürgersodalität, Korrespondenzen von geistlichen Gemeinschaften mit der Stadt und Generalvikariatsprotokolle. Dieses Quellenpotpourri war nicht nur bunt gemischt, sondern war teilweise in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache geschrieben – zumindest mit den verschiedenen Handschriften eine echte Herausforderung für die Studierenden.

Ich gebe gern zu, daß ich im Vorfeld durchaus Bedenken hatte, wie sich die Studierenden schlagen würden. Sie haben aber meine Befürchtungen im Nu zerstreut. Es war bei der abschließenden Kurzvorstellung wunderbar zu sehen, wie sich alle durchweg zu tragfähigen Befunden durchgearbeitet haben und ihre jeweilige Quelle so vorstellen konnten, daß ihr historischer Wert deutlich wurde. Warum hat es nun so geklappt? Sicher braucht man schon eine leistungsstarke und auch –willige Arbeitsgruppe, auch die exzellente Vorbereitung und das Engagement seitens des Archivars spielen eine große Rolle. Dazu kam aber für die Studierenden auch die Möglichkeit, die Archivalien nicht nur zu bestaunen, sondern sich eigenständig mit ihnen zu beschäftigen und schlichtweg historisch zu arbeiten. Wenn man dann noch wie in unserem Fall feststellt, daß es tatsächlich möglich ist, sich auch mit auf den ersten Blick furchtbar krausen Schriften und Sprachformen produktiv auseinanderzusetzen, ist dies eine wichtige Erfahrung – zunächst für die Studierenden, aber auch für mich als Lehrender. Und darüber hinaus, so hoffe ich, haben wir auch einiges über Köln im 17. Jahrhundert erfahren.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/592

Weiterlesen

München, Oktober 1619: Verhandlungen über Hilfen für Habsburg

Wie kann das Haus Habsburg auf die rebellischen Böhmen reagieren? Genau um diese Frage ging es, als Ferdinand II., frisch zum Kaiser gewählt und gekrönt, auf dem Heimweg in seine Erblande Anfang Oktober 1619 in München Station machte. Hier wollte der Kaiser mit Maximilian von Bayern über mögliche Hilfsleistungen verhandeln. Das Ergebnis dieser Beratungen war bekanntermaßen der sog. Münchner Vertrag vom 8. Oktober, der die Grundlage für das Eingreifen Bayerns und der Katholischen Liga in den Böhmischen Konflikt darstellte.

Die Vereinbarungen waren eine Weichenstellung nicht nur für den Böhmischen Krieg, sondern legten auch Konfliktlinien bis zum Kriegsende 1648 fest. Insofern handelt es sich beim Münchner Vertrag um ein zentrales Dokument des Dreißigjährigen Kriegs. Aufschlußreich sind aber auch die Vor- und Verhandlungsakten, die ich im Rahmen einer universitären Übung durchgearbeitet habe. Denn hier sind das politische Kalkül, das Herzog Maximilian verfolgte, und sein politisches Denken noch deutlicher greifbar als im eigentlichen Vertragstext.

Gerade die Erklärung, mit der Maximilian die Verhandlungen am 2. Oktober eröffnete, eignet sich dafür sehr gut: Die Bereitschaft, sich militärisch zu engagieren, ist vorhanden. Gleichzeitig läßt man in München keinen Zweifel daran, daß der Herzog „haubt der expedition“ sein solle. Dazu wird der Gedanke der Defension betont, vor allem auch als Legitimation gegenüber den anderen, gerade auch protestantischen Reichsständen. Maximilian liegt jedoch sehr daran, die politische Verantwortung ganz nach Wien zu verschieben: Der Einsatz zugunsten des Kaisers soll den Charakter eines „aufgetragnen ambts“ entsprechen. Überhaupt soll der Kaiser sich darum kümmern, im Reich um Verständnis für diese Rüstungen zu werben, da sonst der Untergang des Reichs drohe (sogar die Türkengefahr wird wieder einmal bemüht). Besonders soll sich Wien um Kursachsen bemühen; hier empfiehlt Maximilian, die calvinistische Karte zu spielen und auf die weitgespannten Absichten der Calvinisten zu verweisen. Daß er am Ende auch auf den Hl. Stuhl, Polen, Frankreich und andere Potentaten verweist, macht deutlich, daß auch ein Reichsfürst wie Maximilian von Anfang an die europaweite Dimension des Konflikts stets im Blick hatte.

Anhand dieser Materialien wird das außergewöhnliche politische Format des bayerischen Herzogs klar erkennbar. Dazu gehört auch eine eindeutige Interessenpolitik, die wiederum stark von dem Bemühen geleitet ist, in der Reichsöffentlichkeit nicht als verantwortlich zu erscheinen. Auffallend auch der Eifer, diesem Konflikt in jedem Fall den Anstrich eines Religionskriegs zu nehmen.

Insgesamt haben sich die Textpassagen in der Veranstaltung bewährt; es ließ sich gut damit arbeiten. Die bayerische Eröffnungserklärung ist leicht zugänglich in: Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 1. Teil, 1. Band: Januar 1618 – Dezember 1620, auf Grund des Nachlasses von Karl Mayr-Deisinger bearb. u. erg. v. Georg Franz (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Neue Folge), München 1966, S. 232-235. Für die Verhandlungen zum Münchner Vertrag insgesamt können die Ausführungen bei Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern, 1573‑1651, München 1998, S. 503-509, herangezogen werden. Albrechts Erläuterungen geraten in diesem Fall durchaus apologetisch. Aber Maximilian hat mitunter in der Fachliteratur ein derart negatives Image, daß ein wenig Empathie gar nicht verkehrt wirkt. Die mit Blick auf Maximilian durchweg positive Einordnung des Vertrags erscheint mir nämlich durchaus schlüssig.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/354

Weiterlesen

Digitalisierte Quellen – Segen oder Fluch für die universitäre Lehre?

In diesen Tagen beginnt das neue Semester, in dem ich eine Veranstaltung zum Dreißigjährigen Krieg anbiete. In den Mittelpunkt werde ich wie üblich eine intensive Quellenlektüre stellen. Auf diese Weise möchte ich grundsätzliche Probleme dieser Zeit und mögliche historische Herangehensweisen exemplifizieren. Das Angebot an verfügbaren Quellen für diese Epoche ist mehr als üppig: Eine lange Wissenschaftstradition hat vorzügliche Quelleneditionen auf den Weg gebracht; zu den gedruckten Sammlungen kommen seit einigen Jahren Digitalisate der zeitgenössischen Publizistik in geradezu unübersehbarer Menge. Eigentlich ein Traum für jeden, der sich mit dieser Zeit beschäftigt. Und doch ist mir, gerade mit Blick auf die universitäre Lehre, nicht sonderlich wohl dabei.

Denn der Effekt, den ich damit in der Seminarsituation erziele, ist nicht frei von Enttäuschungen: Die Studierenden fremdeln sehr mit dem Frühneuhochdeutschen, und bevor sie überhaupt die Schwierigkeit der Sprache erfahren, müssen sie die Hürde der Fraktur überwinden. Dabei geht es oftmals so mühsam zu, daß es weniger ein Lesen als vielmehr ein Decodieren wird. Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort. Bei den in dieser Zeit nicht unüblichen syntaktischen Ungetümen verliert man schnell den Sinnzusammenhang. Am Ende sehe ich bei den Teilnehmern oftmals viel Frustration.

Ich kann nicht verhehlen, daß auch meinerseits Frustration aufkommt. Denn meine unerschütterliche Naivität läßt mich immer wieder glauben, daß die Studis sich schon durchbeißen werden, daß sie es irgendwann einfach wissen wollen und daß ihre Zähigkeit am Ende siegt. Dann würden wir nicht nur über verwechselte Binnen-f und ‑s reden, sondern endlich auch zum historischen Inhalt kommen – auf den es ja eigentlich ankommt.

Am Ende muß ich oftmals sehr viel an Analyse und Ergebnissen in die Lerngruppe hineingeben, um überhaupt inhaltliche Fortschritte zu erzielen. Damit läßt sich leben. Aber der Reiz, sich selbst mit zeitgenössischen Druckwerken auseinanderzusetzen, scheint nicht mehr wirklich zu verfangen. Wo ist die Faszination geblieben, nicht nur wissenschaftliche Editionen inklusive umfassender Erläuterungen zu lesen, sondern sich selbst ganz unmittelbar auf die Drucke dieser Zeit einzulassen? Mein Eindruck ist, daß es über die Jahre immer schwieriger wird, die Faszination für diese historische Epoche anhand von Druckwerken zu vermitteln.

Ja, jetzt spricht der alte Mann: Früher war alles besser! Mir selbst gefällt diese Rolle überhaupt nicht, aber was ist da zu tun? Klar, ich kann meine Didaktik überprüfen, und tue mich auch nicht schwer damit, grundlegende Kenntnisse zu Schrift und Druck der Frühmoderne zu vermitteln: Dann muß man eben einige Schritte zurückgehen, von mir aus auch Ansprüche zurückschrauben. Was ich in diesem Kontext aber wirklich bedaure, ist, daß darüber die Zeit für die inhaltliche historische Analyse nur so dahinschmilzt. Die Möglichkeiten, sich im Schrifttum des 17. Jahrhunderts geradezu zu suhlen, waren für einen Historiker nie besser als heute. Und doch scheint es – zumindest in der universitären Lehre – schwieriger denn je geworden zu sein. Oder sehe ich hier einfach zu schwarz?
(Keine Sorge, die Veranstaltung werde ich wie gewohnt durchziehen …)

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/327

Weiterlesen