Mittwoch, den 2. Juli 2014 findet im Plenarsaal des LWL-Landeshauses unser Workshop “Tourismusüberlieferung als historische Quelle – Touristiker, Archive und Forschung im Diskurs” statt. Programm und Einladung haben wir in diesem Blog bereits online gestellt.: http://archivamt.hypotheses.org/426
Jetzt kommen die Abstracts, die eine interessante und innovative Tagung versprechen. Wie immer wir es zum Workshop und den Beiträgen eine Publikation geben. Wir sind gespannt auf die Veranstaltung!
Tourismusüberlieferung als historische Quelle – Touristiker, Archive und Forschung im Diskurs
Abstracts
Dr. Matthias Frese (LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster)
Historische Tourismusforschung: Bedeutung, Quellenlage, Forschungsperspektiven
Die Tourismusbranche ist seit etlichen Jahren trotz aller Krisen eine Boombranche. Die Reiseziele liegen dabei seit Anfang der 1970er-Jahre überwiegend im Ausland. Im Jahr 2013 machten die innerdeutschen Reisen aber immerhin ca. 37% aus mit wachsenden Übernachtungszahlen. Diese Reiseziele befinden sich seit den Anfängen statistischer Erhebungen vor allem in den Alpen/Bayern, an der Nord- und Ostsee und im Schwarzwald, aber auch in den Mittelgebirgen wie im Sauerland und im Teutoburger Wald.
Die Reisegebiete in Westfalen bzw. NRW decken damit sowohl Ferienurlaube für Familien (z.B. Urlaub auf dem Bauernhof) als auch Kurzurlaube ins Münsterland, an die Stauseen im Sauerland oder Städte-reisen nach Münster, Paderborn, Soest oder ins Ruhrgebiet ab. Ergänzt werden diese Erholungs- und Kurzurlaube durch Eventtourismus und spezielle Veranstaltungen wie z.B. zur Industriekultur. Vor allem beim „Zweiturlaub“ aber auch bei den insgesamt kürzeren Erholungsurlauben (Durchschnitt 2013: 13 Tage) werden Stadt- und Landtourismus häufig kombiniert.
In Westfalen setzte der moderne Tourismus in die Kurbäder und in die Sommerfrischen wie in den meisten anderen Regionen sehr verhalten erst im 19. Jahrhundert ein, erlebte einen ersten Schub im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert (vor 1914) und kam dann ab Mitte der 1920er-Jahre in Schwung. Diese Entwicklung wurde gefördert durch verbesserte Reisemöglichkeiten, durch die Veröffentlichung von Reiseführern, durch die seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstehenden Verschönerungs- und Wandervereine, schließlich durch die Herausbildung einer touristischen Infrastruktur. Vor allem seit Anfang des 20.Jahrhunderts wurden zudem in rascher Folge Reiseorganisationen in Form von lokalen Verkehrsämtern und -vereinen, regionalen Verkehrsverbänden und schließlich kommerzielle Reisebüros und Reiseveranstalter gegründet. Insgesamt blickt der Tourismus (als Form des organisierten Reisens breiter Bevölkerungsgruppen) in Westfalen auf eine vergleichsweise kurze Geschichte zurück. Vorreiter waren hier Entwicklungen in England, in der Schweiz, aber auch im Rheinland.
Die historische Forschung hat diese moderne Form des Reisens lange Zeit wenig beachtet. Noch bis in die 1970er-Jahre liegen vor allem geographische, volkskundliche, soziologische und wirtschaftwissenschaftliche Untersuchungen zum Tourismus vor. Sozial-, wirtschafts- und kulturhistorische Fragestellungen greifen vermehrt erst seit den 1980er/1990er-Jahren tourismusgeschichtliche Themen auf. Es überwiegen dabei lokal- und regionalhistorische Zugangsweisen. Noch unlängst wurde die historische Forschung zum Tourismus aber als „Mauerblümchen“ tituliert oder als „Liliputaner“ im Vergleich zur immensen wirtschaftlichen Bedeutung der Tourismusbranche.
Der Vortrag skizziert – bezogen auf Westfalen – die historische Ausgangslage für den modernen Tourismus und beschreibt einige vorrangige Forschungsfelder. Im zweiten Teil werden in einem Überblick verschiedene Quellenbestände vorgestellt und Problemfelder und Desiderate für (zeit)historische Forschungen behandelt, so beispielsweise zur Überlieferung der Verkehrsvereine, der Reisebüros und Reiseveranstalter, aber auch der Urlauber und Reisenden. Hieraus folgend werden im dritten Teil schließlich einige Forschungsperspektiven entwickelt und die Notwendigkeit vermehrter regionaler Vergleichsstudien betont.
Jens Nieweg / Christian Stühring (Tourismus NRW e.V., Düsseldorf)
Zentral – regional – lokal: Institutionelle Tourismusförderung in NRW –
Organisationsstrukturen und Vernetzung
Der Tourismus NRW e.V. als Dachverband der nordrhein-westfälischen Tourismuswirtschaft versteht sich als Kompetenz-Zentrum für die Branche. Er hat das Ziel, den Tourismus-Standort Nordrhein-Westfalen weiter zu stärken. Das bevölkerungsreichste Bundesland ist mit rund 20 Millionen Gästen im Jahr bereits jetzt das zweitbeliebteste Reiseziel in Deutschland. Mit einem Bruttoumsatz von gut 30 Milliarden Euro sichert die Tourismusbranche rund 630.000 Arbeitsplätze in NRW.
Zu den Aufgaben des Verbandes gehören die Beratung seiner Mitglieder in allen touristischen Fragen, insbesondere Unterstützung der Regionen und Orte und der privatwirtschaftlichen Anbieter touristischer Leistungen, z.B. in Fragen des Qualitätsmanagements, der Innovationsförderung, der Profilierung durch Themenmarketing und bei Messeauftritten.
Weitere Aufgabengebiete wie die Marktforschung und das Landesmarketing tragen dazu bei, die Vernetzung der nordrhein-westfälischen Orts-, Regions- und Landesebene zu intensivieren. Gemeinsame Förderprojekte sowie der regelmäßige Austausch in Fachgremien zeichnen diese Zusammenarbeit ebenso aus wie der gemeinsame Aufbau einer Identität für die Tourismusdestination Nordrhein-Westfalen auf Basis und zur Stärkung der regionalen Tourismusprofile.
Thomas Weber (Sauerland-Tourismus e.V., Schmallenberg)
Aufgaben regionaler Tourismusverbände und deren Überlieferung –
Beispiel Sauerland-Tourismus
Aufgaben – Partner – Finanzierung
- Organisationsaufbau
- Federführende flächige Aufgaben / Projektbüros
- WanderWerkstatt
- RadWerkstatt
- Präventionswerkstatt
- Welche Unterlagen entstehen? u.a.
- Plakate von Ausstellungen und Veranstaltungen
- Einzeldruckerzeugnisse und Periodika
- Bilderserien, Videos, Clips
- Verzeichnisse, Verträge, Karten
- Presseberichte, Mitschnitte
- Souvenirs und Einzelstücke
- Worin bestehen die Defizite?
- Zahlreiche touristische Organisationen und Ehrenamtsinstitutionen – Wer archiviert?
- Welche Unterlagen haben über die Aufgabenerledigung hinaus historischen Wert?
- Problemanalyse
- Was passiert, wenn nichts passiert?
- Was würde uns fehlen?
- Wann merken nachfolgende Generationen, dass etwas Wesentliches aus der Kultur des Landes unwiederbringlich weg ist?
- Lösungsidee: Es gibt ein abgestimmtes, verbindliches System zur Archivierung touristischer Unterlagen in Westfalen.
- Lösungsweg: kostenschlank – effizient – nachhaltig – dauerhaft?!
Dr. Bärbel Sunderbrink (Stadtarchiv Detmold)
Im Schatten des Hermannsdenkmals. Bedeutung und Überlieferung des Detmolder Fremdenverkehrs
Detmold war spätestens mit dem Bau des Hermannsdenkmal ein bedeutender Anziehungspunkt für Reisende. Nicht nur Erholungssuche im Teutoburger Wald war deren Intention, sondern sie verbanden ihren Besuch vielfach mit nationaler Selbstvergewisserung im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem Denkmal. Die Quellen des Stadtarchivs dokumentieren ein bis in die Nachkriegszeit hinein stetiges Interesse an einer Fahrt ins Lipperland, das abhängig von den politischen Verhältnissen mit je anderen Inhalten gefüllt wurde. Aufgrund der Popularität des Ortes sind neben amtlichen Quellen und Dokumenten der örtlichen Akteure des Fremdenverkehrs auch private Überlieferungen für die Geschichte des Detmolder Fremdenverkehrs von besonderem Belang.
Reinhard Gämlich (Stadtarchiv Hilchenbach)
Fremdenverkehr in Hilchenbach und seine Überlieferung im Stadtarchiv
Mit der Gründung des Schlossberg-Verschönerungsvereins 1885, in Anlehnung an die 1255 erstmals erwähnte und 1292 namentlich als „Ginsberg“ genannt Burg, begann die Geschichte des Fremdenverkehrs in Hilchen-bach. 1902 wurde der „Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs in Hilchenbach und Umgegend“ gegründet, und durch umfangreiche Bemühungen konnte der Fremdenverkehr gesteigert werden, verbunden mit der Anerkennung als Luftkurort bis 1976. Reizvolle Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel der Marktplatz mit seinen historischen Fachwerkhäusern, der Kirche sowie der Wilhelmsburg, locken viele Besucher nach Hilchenbach.
Der Abschluss eines Leihvertrages mit dem Hilchenbacher Verkehrs- und Verschönerungsverein am 22. Januar 1990 und die Übergabe der Akten sind Grundlage für viele Archivforschungen. Nachweise im Findbuch des Stadtarchivs bilden eine weitere Quelle. Forschungsmöglichkeiten konnten somit geschaffen werden.
Kontakte zum heutigen Tourismus- und Kneippverein Hilchenbach e.V. und Überzeugungsarbeit zur Abgabe von Akten an das Stadtarchiv bilden eine weitere Grundlage des Vortrages. Auf Überlieferungslücken und wie diese geschlossen werden können, wird verwiesen.
Dr. Ralf Springer (LWL-Medienzentrum für Westfalen, Münster)
Die Bedeutung von Filmquellen für die Tourismusforschung am Beispiel der
Überlieferung des LWL-Medienzentrums für Westfalen
Filmische Stadt- und Landschaftsporträts als Mittel der touristischen Werbung sind fast so alt wie das Filmgeschäft selbst. Auch für Westfalen ist eine – regional unterschiedlich – dichte Filmproduktion für dieses Genre seit den 1910er-Jahren nachweisbar, obschon diese frühen Filmquellen zumeist nicht erhalten sind. Mit Entstehung und Professionalisierung der Fremdenverkehrsbüros stieg die Zahl und Qualität der Filmporträts, und auch mit der Überlieferung wird es besser: Im Filmarchiv des LWL-Medienzentrums lagern heute filmische Zeugnisse von den 1920er- bis in die 1980er-Jahre, in denen Orte, Städte, Regionen und die ganze Landschaft porträtiert werden. Dabei stehen aufwendig gestaltete Filme neben recht schlichten Werken, und selbst einfache Amateuraufnahmen können Quellen zur
Tourismusforschung darstellen. Der Beitrag will anhand von Beispielen aus dem umfangreichen Archivbestand einen Einblick in die breite Palette von touristischen Werbefilmen geben und dabei auf die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der ausgewählten Filmbeispiele eingehen.
Anette Gebauer-Berlinghof und Julia Emmy Rains (LAV NRW, Abt. Rheinland, Duisburg)
Amtliche und nichtamtliche Quellen in staatlichen Archiven am Beispiel des
Landesarchivs NRW
Im ersten Teil des Vortrags liegt das Augenmerk auf den Dokumenten des Landesarchivs NRW zu Tourismus, Reisen und Fremdenverkehr ab der Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die jüngere Vergangenheit. Das tourismusgeschichtliche Potenzial für die Forschung und die Tourismusbranche der amtlichen Unterlagen sowie der nichtamtlichen Quellen als Ergänzungs- und Parallelüberlieferung steht dabei im Mittelpunkt. Archivgut unterschiedlicher Provenienzen wird thematisiert und Anregungen zur Nutzung gegeben. Welche Quellen verwahrt das Landesarchiv etwa zu Verkehrsverbänden und -vereinen, zur Vermarktung einzelner Regionen als Reiseziele, zur Balance zwischen Natur- und Landschaftsschutz und touristischen Angeboten? Veranschaulichend werden Beispiele aus den drei Regionalabteilungen in Rheinland, Westfalen und Ostwestfalen-Lippe vorgestellt.
Der zweite Teil des Vortrags zeigt Perspektiven der Überlieferungsbildung des Landesarchivs NRW in Bezug auf die Tourismusgeschichte auf. Hierzu werden sowohl das amtliche Schriftgut der Ministerien, Behörden, Einrichtungen und Landesbetriebe als auch das Überlieferungsprofil für nichtamtliches und nichtstaatliches Archivgut in den Blick genommen. Es wird der Frage nachgegangen, wie aussagekräftiges Material über den Tourismus in Nordrhein-Westfalen mit seinen verschiedenen Facetten für die Zukunft gesichert werden kann.