Mobile Apps zur deutsch-jüdischen Geschichte

smartphone-rabbinerhaus-essenUnterwegs auf Informationsangebote zugreifen zu können, die in Handhabung und Darstellung für das mobile Gerät optimiert sind, vielleicht auf den aktuellen Standort Bezug nehmen, womöglich noch die eigenen Forschungsarbeit aktiv unterstützen — die Perspektiven mobiler Anwendungen sind faszinierend.

Ein living document zum Thema »Mobile Apps zur deutsch-jüdischen Geschichte« ist das Ziel unseres Blogbeitrags. Das ist zwar reichlich unscharf formuliert,1 aber die Auswahl ist ja noch überschaubar — oder etwa nicht ?

Es folgt also eine kleine Übersicht als Startpunkt (nicht sortiert und einstweilen mit den Selbstbeschreibungen seitens der Anbieter), sie soll fortlaufend aktualisiert und ergänzt werden. Kommentare, Hinweise auf weitere Apps, Erfahrungsberichte (einfach mal installieren und ausprobieren), Reviews, gern als Gastbeiträge, sind natürlich herzlich willkommen — im Grunde unverzichtbar für das Gelingen.

Das Interesse hängt auch mit Fragen der weiteren Gestaltung der Web-App Orte jüdischer Geschichte zusammen, die sich ebenfalls hier wiederfindet.

Jüdische Orte in Bayern | »Ziel des Projektes Jüdische Orte in Bayern ist ein innovatives virtuelles Jüdisches Museum Bayern. Mit Hilfe der App können vor Ort jüdische Erinnerungsstätten erarbeitet und erfahrbar gemacht werden …Dabei reicht der Blick vom Mittelalter bis in die Gegenwart und den heutigen Umgang mit jüdischen Kulturgütern.« → iOS

JüdischesWien | »Applikation, die BesucherInnen des Jüdischen Museums an Adressen Wiener jüdischer Geschichte führt. Diese Route verbindet die beiden Standorte des Museums in der Dorotheergasse und am Judenplatz.« → Android

Kölns jüdische Geschichte | »Dieser akustische Stadtspaziergang zur jüdischen Geschichte in Köln nimmt Sie anhand von fünf Etappen mit auf eine informationsreiche und bedeutsame Stadttour. Der Ausflug beginnt am historischen Rathaus in der Altstadt und endet auf dem jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd. Entlang einer akustischen Spurensuche veranschaulicht die App das Schicksal und die Regionalgeschichte der Juden in Köln.« → iOS

Erinnerungsorte für die Opfer des Nationalsozialismus | »Die App ermöglicht eine neue Form des Erinnerns an die Opfer des Nationalsozialismus. Sie finden mehr als 200 Erinnerungsorte mit Informationen über Gedenkstätten, Museen, Dokumentationszentren, Mahnmale und Initiativen, die an Menschen erinnern, die unter der NS-Gewaltherrschaft ermordet wurden. Die Orte werden mit einem Kurztext und Hinweisen zum pädagogischen Angebot vorgestellt, außerdem finden Sie Informationen zu Ansprechpartnern, Anfahrt und Öffnungszeiten.« → Android | iOS

Zwangsarbeit. Die Zeitzeugen-App der Berliner Geschichtswerkstatt | »Berlin war ein Zentrum der Zwangsarbeit: Zwischen 1938 und 1945 musste eine halbe Million Zwangsarbeiter – Männer, Frauen und Kinder – in Berliner Fabriken, Dienststellen und Haushalten arbeiten, so viele wie in keiner anderen Stadt Europas. Aus der „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt, lebten sie in über 3000 Lagern, direkt vor der Haustür der Berliner.« → Android | iOS

Berühmte Grabstätten auf historischen Friedhöfen in Deutschland | Die App zu »1.000 kulturhistorisch bedeutenden Grabmalen« und »37 national bedeutsamen historischen Friedhöfen in Deutschland« thematisiert auch die jüdischen Friedhöfe »Schönhauser Allee« sowie »Weißensee« (beide Berlin), »Langenfelde« und »Altona« (beide Hamburg) sowie den »Heiligen Sand« in Worms. Sie »navigiert den Nutzer zu den einzelnen Grabmalen und vor Ort können die Informationen als Audio-Datei abgespielt werden.« → Web-App

Orte jüdischen Lebens Berlin | »Diese App bietet Informationen zu Orten jüdischen Lebens in Berlin von 1933 bis 1945 … Über eine historische und eine aktuelle Karte sind Orte oder ganze Touren im Stadtgebiet zu finden. Zu jedem dieser Plätze existieren Informationen, Bilder, zum Teil auch Tonaufnahmen oder Filme. Zusätzliche Informationen können über Personenportraits, ein Glossar oder eine Zeitleiste gewonnen werden.« → Android

Visit USHMM (United States Holocaust Memorial Museum): The Museum’s Mobile App | Unter anderem: »My Visit: Create your own itinerary from exhibitions and events specific to the day of your visit. — Personal Stories: Explore the stories of individuals who experienced the Holocaust and refer to them throughout your visit. Discover more through items in our collections, including family photographs, personal artifacts, and videos of Holocaust survivors recounting their stories …« → Android | iOS

Orte jüdischer Geschichte | Die App führt zu ortsbezogenen Online-Artikeln (ca. 2.500, Wikipedia, epidat und weitere) zur deutsch-jüdischen Geschichte im Umkreis des aktuellen Standortes oder eines frei wählbaren Ausgangspunktes in Deutschland (und darüber hinaus). → Web-App

  1. Auf einen Aspekt, die Frage nach der Zielgruppe, weist der Untertitel des empfehlenswerten Beitrags Mobile History von Kristin Oswald hin: »Apps für Geschichtsinteressierte, Apps für Historiker«? Dann der Fokus: auf Inhalt oder auch methodische Hilfsmittel? Dann die Technik: nativ, hybrid, Web-App oder auch eine für mobil geeignete Webseite ? Und deutsch-jüdische Geschichte schließlich ist ohnehin ein mehr als weites Feld …

Quelle: http://djgd.hypotheses.org/444

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Lazarus Bendavid ›annotiert‹


Früher mit »spitzer Feder«, heute mit »Annotator« ?

Abb. 1: Digitalisierte Briefe von Lazarus Bendavid im Leopold-Zunz-Archiv

1. Digitalisierte Briefe von Lazarus Bendavid im Leopold-Zunz-Archiv

[→ abstract] Als ich 2013 einen Vortrag Jüdische Bibliophilie vorbereitete,1 stieß ich in der herausragenden Sammlung DigiBaeck auf die Selbstbiografie von Lazarus Bendavid. 2 Das eher bescheiden daherkommende (weil schon ältere) Digitalisat hatte zwar vom äußeren Anschein her weniger mit meinem damaligen Thema zu tun, es weckte aber mein Interesse — trotz oder gerade wegen des Fragezeichens in den Metadaten: »With manuscript additions and corrections by the author (?)«. Schaut man sich das genauer an, kommt man zu dem Schluss: Es kann sich nur um die »Fahnen«3 der 1806 publizierten Autobiografie Bendavids4 handeln, denn im schließlich gedruckten und veröffentlichten Exemplar, das ich per Fernleihe aus der SUB Göttingen beschaffen und einsehen konnte,5 finden sich diese von Hand angebrachten Korrekturanweisungen durchgängig umgesetzt.

2. Digitalisierte Fahnen der Selbstbiografie Bendavids

2. Digitalisierte Fahnen der Selbstbiografie Bendavids, annotiert

3. Metadaten der Autobiografie Bendavids, annotiert (SUB Göttingen)

3. Metadaten der Autobiografie Bendavids, annotiert (SUB Göttingen)

4. Eingabe einer Annotation mit Annotator (Titelkupfer, Jewish Theological Seminary)

4.  Annotieren mit Annotator (Titelkupfer, Jewish Theological Seminary)

Es ist naheliegend, dass Bendavid als Autor selbst die Fahnen korrigiert hatte, weitere Evidenz verschaffte der Vergleich der Handschrift mit seinen wenigen erhaltenen, ebenfalls digitalisierten Briefen.6 Bendavid erweist sich hier jedenfalls als durchaus geübter Redakteur, dem Fachsprache und -zeichen hinsichtlich Typografie, Drucksatz und -korrektur offensichtlich geläufig waren. Daraus ist ein Beitrag für die Zeitschrift »Kalonymos« entstanden.7

Bendavids eigenhändige Korrekturen in den Fahnen seiner Selbstbiografie

5. Bendavids eigenhändige Korrekturen in den (digitalisierten) Fahnen (PDF) seiner Selbstbiografie — Warum nicht direkt dort annotieren ?

Annotationen können, darum geht es mir hier, nach langer Zeit noch oder wieder von Interesse oder Bedeutung sein, und die Fahnen der Autobiografie sind ein augenfälliges Beispiel dafür. Und es gibt Bedarf, diesen Annotationen weitere hinzuzufügen. Auf Anhieb wird vielleicht nicht jeder lesen können, was Bendavid auf S. 66 notierte (Abb. 5): »Sollte es nicht möglich seyn, diesen Hurensohn8 hinüber zu bringen. Ich glaube es geht, wenn Sie so setzen, wie ich gezeichnet habe.« Der Korrekturbogen enthält zudem großflächige Streichungen, die sich ebenfalls nicht von selbst erschließen.

Warum jedoch das Erkannte und Entzifferte nicht gleich dort, direkt in der Quelle anmerken? Und an den Fahnen die Notiz anbringen, dass und wo die regulär erschienene Fassung zu finden ist. Und dort notieren, dass es weitere digitalisierte Dokumente in anderen Sammlungen, die ein Licht hierauf werfen, und eben auch Sekundärliteratur dazu gibt. Und all das möglichst sofort mit anderen Forschern teilen!

Versammelte Annotationen

6. Versammelte Annotationen

Mir scheint, dass Martin Raspe exakt dieses Szenario (auch) adressiert hat. »Eine Online-Ressource sollte den Benutzer durch „backlinks“ zu den referenzierenden Stellen in Werken / Datenbanken verweisen können.«9 Und mir scheint, dass das Softwareprojekt Annotator ein vielversprechender Ansatz ist. Die Abbildungen in diesem Blogbeitrag illustrieren, wie das funktionieren kann. Ein sogenanntes »Bookmarklet« (Abb. 6) erlaubt es, Annotationen scheinbar direkt auf den (ja tatsächlich nicht editierbaren, ›fremden‹) Webseiten anzulegen10 (hier Digibaeck, Göttinger Digitalisierungszentrum, Jewish Theological Seminary sowie Leopold-Zunz-Archiv, Abb. 1–4) und führt sie unter dem eigenen Account zusammen (Abb. 6). Annotationen können — müssen aber nicht — geteilt werden (Abb. 4). Statt also die Publikation, die diese Zusammenhänge herstellt, kennen zu müssen, findet der Leser deren Anmerkungen und Fußnoten jeweils an die referenzierten Quellen ›angeheftet‹ und zugleich zentral ›verwaltet‹ — ein Netz über dem »Netz«. Das Plug-in-Konzept lässt hoffen, dass auch Bildformate — die ja in digitalen Sammlungen vorherrschen, wenn man von den Metadaten absieht — sowie PDFs unterstützt werden.

Dies ist nur ein Szenario dieses faszinierenden Konzepts. Die maßgeblich von der Open Knowledge Foundation entwickelte Software wird von etlichen Projekten weiter vorangetrieben. Gerade auch wegen der vielfältigen Anwendungsperspektiven und des generischen Charakters hat eine Arbeitsgruppe von DARIAH-DE (der ich angehöre) nun eben diesen Annotator zur Integration in die »Digitale Infrastruktur für die Geisteswissenschaften« ausgewählt und Anregungen zur Anpassung im Rahmen einer geisteswissenschaftlichen Forschungsumgebung formuliert und veröffentlicht.11 Man darf gespannt bleiben auf die Weiterentwicklung dieser für die Geisteswissenschaften äußerst attraktiven Technik.

Lazarus Bendavid (1762--1832) (Wikimedia Commons, public domain)

Lazarus Bendavid (1762–1832) (Wikimedia Commons, public domain)

Abstract: There are some old and rare sources concerning the Jewish philosopher Lazarus Bendavid. These are now digitized and available on the web. By means of the software Annotator a connection between these digital documents can be made ​​and shared with other readers. The paper illustrates this approach. With respect to the various possible use cases a working group of DARIAH-DE has published a proposal to integrate »Annotator« into the Digital Research Infrastructure for the Arts and Humanities.

  1. Jüdische Bibliophilie und ihre Schätze im Web, Vortrag im Seminar »Buch im Judentum | Judentum im Buch. Bibel – Bibliotheken – Bibliophilie«, Steinheim-Institut, 14. Mai 2013.
  2. Fahnen der Selbstbiografie von Lazarus Bendavid auf DigiBaeck http://www.lbi.org/digibaeck/results/?qtype=pid&term=135737
  3. »Korrekturbogen« insbesondere in Zusammenhang mit den klassischen Druckverfahren.
  4. Bildnisse jetztlebender Berliner Gelehrten mit ihren Selbstbiographieen. Herausgegebenen von Moses Samuel Lowe. Zweite Sammlung. Berlin: J.F. Starcke und Leipzig: J.G. Mittler 1806.
  5. Dem ›Medienbruch Fernleihe‹ konnte ich übrigens für die Zukunft abhelfen, indem ich das Göttinger Exemplar als »Digiwunschbuch« (gegen eine angemessene Gebühr) digitalisieren ließ. URL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN756272378
  6. Teilnachlass von Lazarus Bendavid, Leopold-Zunz-Archiv http://www.jewish-archives.org/
  7. Harald Lordick: Porträt eines Typografen — Eine aufschlussreiche Quelle zu Lazarus Bendavid und Moses Samuel Lowe, in: Kalonymos 2013, Nr. 2, S. 7-11 http://www.steinheim-institut.de/edocs/kalonymos/kalonymos_2013_2.pdf#page=7 Vgl. auch „Großartig urbane Bildung“. Der Aufklärer Lazarus Bendavid, in: Kalonymos, 15 (2012), H. 3, S. 6–10 (mit Beata Mache) http://www.steinheim-institut.de/edocs/kalonymos/kalonymos_2012_3.pdf#page=6 (Vor wenigen Jahren noch hätte man für die erforderlichen Archiv- und Bibliotheksrecherchen weit reisen müssen, wenn man die genannten Raritäten und Unikate überhaupt in die Hand bekommen hätte — wenn das kein der Digitalisierung zu dankender Fortschritt ist!)
  8. Es muss eigentlich ›Hurenkind‹ heißen (Bezeichnung aus der Setzersprache für eine als Satzfehler geltende alleinstehende Zeile am Seitenbegin). Nebenbei ein schönes Beispiel dafür, wie wichtig bei Digitalisierungen das Bereitstellen von Seitenabbildern ist. Denn ob ein beanstandeter Umbruch tatsächlich korrigiert worden war, das war keiner der sekundären Textfassungen der »Selbstbiografie«, online oder gedruckt, anzusehen — nur dem Originalband selbst.
  9. Martin Raspe: Perspektiven der Forschung – PDF? Digitale Bildwissenschaft zwischen gestern und morgen http://www.digitale-kunstgeschichte.de/w/images/0/01/Raspe-PerspektivenDerForschung-PDF.pdf. Vortrag in der Sektion »Bedrohte Besitzstände, verlorene Werte? Die Geisteswissenschaft von der Kunst und die neuen digitalen Verfahren«, DHd 2014. http://www.digitale-kunstgeschichte.de/w/images/0/01/Raspe-PerspektivenDerForschung-PDF.pdf#page=23
  10. Webseitenbetreiber können Annotator selbstverständlich auch direkt einbinden und die Annotationsfunktion damit ihren Lesern anbieten.
  11. Vgl. »DARIAH-DE annotation service« https://dev2.dariah.eu/wiki/x/Sg8CAg (DARIAH-DE (BMBF), Cluster 6 »Annotationen«).

Quelle: http://djgd.hypotheses.org/360

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Datenbank der in der NS-Zeit verbannten und verbotenen Autoren und Bücher

In der Auftaktveranstaltung von Coding da Vinci wurde auch die Datenbank der vom NS-Regime verbannten und verbotenen Bücher — im NS-Jargon ›Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums‹ — vorgestellt. Man kann diese Liste frei herunterladen, als strukturierte Datenbank (im mittlerweile recht gebräuchlichen JSON-Format). Das mag etwas gewöhnungsbedürftig sein, ist aber angemessen, lassen sich doch maschinenlesbar strukturierte Daten gut analysieren und weiterverarbeiten.

NS-Liste verbotener Bücher (DARIAH-DE Geo-Browser)

Erscheinungsorte der durch die NS-Liste(n) verbotenen Bücher im Zeitverlauf (DARIAH-DE Geo-Browser)

Die Liste enthält beinahe 6.000 Einträge (5885). Mehr als tausend der Bücher waren in Berlin erschienen (1071). Die frühesten Bücher, kaum zu glauben, stammen aus den 1840er Jahren (1843). Ein Jahrhundert nach ihrem Erscheinen waren also diese Texte für bürgerliche Freiheit und Frauenemanzipation, gegen Zensur, wieder ›gefährlich‹ geworden. Das letzte Buch wurde noch im Jahr 1944 verboten.

Zum Datensatz gibt es einen online recherchierbaren Katalog sowie Hintergrundinformationen zu den NS-Listen.  Lizenz (CC-BY) und  Datenbankschema klärt die Metadatenseite. Im Web findet sich übrigens auch noch eine weitere Fassung als Allegro-Datenbank, und es lohnt sich, den informativen Wikipedia-Artikel Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus zu Rate zu ziehen.

"Sämtliche Schriften"  verboten

Datensatz zu Salomo Friedlaender: »Sämtliche Schriften« von »Mynona« verboten

Werfen wir einen Blick in die Datenbank: ein durchaus typischer Datensatz, hier zu Salomo Friedlaender, ist nebenstehend abgebildet (JSON wurde hier mittels BaseX nach XML konvertiert). Alles, was Salomo Friedlaender je verfasst hatte — nun war es verboten. (Friedlaender war übrigens bekannter unter seinem Pseudonym »Mynona« — was sich auch auch rückwärts lesen lässt. Er war wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen oft Gast im Essener Rabbinerhaus, heute Standort des Steinheim-Instituts, und eine »Groteske« von ihm, Jakob Hankes Erlösung findet sich in Kalonymos online als PDF).

Beinahe 1000 Einträge enthalten dieses pauschale Verbot, das in hohem Maß jüdische Autoren traf: »sämtliche Schriften« heißt es auch bei Arnold und Stefan1 Zweig. Autoren wie Ferdinand Lassale, Karl Marx, Karl Liebknecht oder die Schriftstellerfamilie »Mann« traf das Verdikt »Sämtliche Schriften von und über …« Auch die Erinnerung an Rosa Luxemburg, sie wurde 1919 ermordet, suchte man so völlig auszuradieren. Und wenn die Bücher nur ein Vorwort eines verbannten Autors enthielten, wurden sie aus dem Verkehr gezogen. Ebenso pauschal konnte die »Gesamtproduktion« eines Verlages betroffen sein, oder etwa die »Forum-Bücher« der Exilverlage.

Das bedeutet natürlich auch, dass ein Großteil der betroffenen Bücher in der Liste gar nicht explizit genannt wird — spurlos verdrängt. Bezogen auf die einzelnen Buchtitel sieht man hier tatsächlich also nur die »Spitze des Eisbergs«. Gerade diese Unübersichtlichkeit und Heterogenität der Daten ist eine Herausforderung, verlangt nach einer »Statistik der Abwesenden«, wie es Heinrich Silbergleit in einem anderen Zusammenhang formulierte.

Was an Schrifttum ist durch die NS-Verfolgung bis heute untergegangen ? Sind Titel in OPACs nachgewiesen oder gar als Digitalisate verfügbar ? Lassen sich die gerissenen Lücken sichtbar machen ? Kann man eine Übersicht über die Gesamtheit dieser Werke, durch Verknüpfung mit anderen Datenbanken, herstellen ? (Wie) lässt sich das Ausmaß erfassen, begreifbar machen, vielleicht visualisieren ? Sind die Regale je wieder aufgefüllt worden ? Neuausgaben erschienen ? Oder sind die Autoren doch meist vergessen ? Was war ihr Schicksal ? Solche und andere Fragen wurden lebhaft diskutiert bei der Präsentation der Datenbank. Das rege Interesse sieht man an den Aktivitäten im sogenannten Hackdash von Coding da Vinci und auf die Ergebnisse des »Hackathons« darf man gespannt sein. @LebendigeListe ist eines der Projekte — ihr kann man schon jetzt auf Twitter folgen.

Bibliografische Daten sind Forschungsdaten! Importiert man die Liste in den DARIAH-DE Geo-Browser (die »Spitze des Eisbergs« erinnernd), lassen sich die ca. 4500 Datensätze erstaunlich leicht überblicken, erkennt man auf einen Blick den zeitlichen Schwerpunkt: ein Großteil der Verbote betrifft Literatur, die in den 1930er Jahren erschienen war. Vor 1918 sind Bücher in deutlich geringerer Zahl betroffen, mit Beginn der Weimarer Republik steigen die Zahlen an. Ebenso klar erkennbar ist, dass oppositionelle Literatur zunehmend weiter auf Deutsch, aber im Ausland erschien, insbesondere auch in der Schweiz. Und damit einhergehend wird natürlich auch die radikal verlaufende ›Gleichschaltung‹ in Deutschland grafisch sichtbar. Zusammenhänge, die man kennt, die aber durch  die interaktive Analyse und Visualisierung  erheblich an Präsenz gewinnen. Um so mehr würde es Sinn machen, das umfangreiche Schrifttum, das von den Pauschalverboten betroffen war, auch in eine solche Datenbank zu integrieren und dadurch sichtbar zu machen.

 

  1. In der Liste falsch »Stephan«

Quelle: http://djgd.hypotheses.org/296

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Digitale Spuren der Soncino-Gesellschaft

soncino-signetDas Jahr 1932 brachte die letzte Versammlung der Soncino-Gesellschaft, die NS-Zeit erzwang ihr sang- und klangloses Ende. Bis dahin aber, in kaum zehn Jahren, hatten die »Soncinos« weit über hundert nachgewiesene, meist kleinere, aber auch etliche stattliche Drucke befördert, heute rare und gesuchte Stücke — und damit eine den eigenen Zielen mehr als entsprechende Wirksamkeit entfaltet. Am 15. Mai 1924 hatte sich in Berlin diese Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches gegründet. Angeregt von dem Studenten Herrmann Meyer machte es sich der bibliophile Verein zum Ziel, das Buchwesen als Kulturleistung zu fördern und dem anspruchsvollen jüdischen Buch zur adäquaten Form zu verhelfen. Das Wirken dieser Gesellschaft hat naturgemäß zu (Buch-) Drucken geführt, mittlerweile können wir aber auch online und frei zugänglich ihren Spuren nachgehen.

Im redaktionellen Teil des Jüdischen Adressbuchs für Groß-Berlin 1931 (S. 89) lesen wir einen Eintrag über die Soncino-Gesellschaft (siehe nachstehende Abbildung) und, in aller Kürze, das Programm: »Der Verein erstrebt die Förderung des guten und schönen jüdischen Buches. Er fordert die Beobachtung der Postulate moderner Buchkultur bei der Herstellung jüdischer Bücher.«

jüdisches-adressbuch-soncino-gesellschaftDer Verein brachte es in nur wenigen Jahren auf ca. 800, nicht selten namhafte Mitglieder, auch international, so gehörten ihm etwa aus Palästina der Schriftsteller Chaim Bialik oder Salman Schasar (der spätere Präsident Israels) an. Besonderes zahlreich waren die Mitglieder natürlich aus Berlin, und so finden wir viele von ihnen im Jüdischen Adressbuch. Es ist auch für die Provenienzforschung, insbesondere im Zusammenhang anderer Quellen von Interesse, etwa der mehrfach gedruckten (1924, 1927), aber heute kaum zu beschaffenden Mitgliederlisten der Soncino-Gesellschaft — die aber leider (noch) nicht digital zu finden sind. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: In den Digital Collections des Center for Jewish History New York (CJH) können wir einen Archivbestand betrachten, der einen maschinenschriftlichen Entwurf (mit handschriftlichen Bearbeitungen) des ersten Mitgliederverzeichnisses und etliche weitere Raritäten enthält.

Ulrich Heider hat 2006 ein ansprechendes und sympathisches Büchlein herausgegeben1 — in seiner Anmutung den Soncino-Notizen nachempfunden, selbst ein bibliophiles Kleinod (auch wenn es gelegentliche Druckfehler enthält und ein hebräisches Titelblatt auf den Kopf stellt).2 Es enthält die bisher umfangreichste Bibliografie der Drucke der Soncino-Gesellschaft.3 Rainer Fürst und Klaus Schreiber haben dies Bändchen zu recht ernst genommen — aus ihrer (bibliothekarisch geprägten) kritischen Perspektive hat es dabei allerdings manche Feder lassen müssen. Empfehlens- und nachlesenswert ist ihre Rezension, online als PDF erhältlich, weil sie für den interessierten »Soncino-Forscher« sehr kundige und weiterführende Hinweise bietet. Interessant ist auch die Einschätzung, dass noch »keineswegs die definitive Bibliographie der Publikationen der Soncino-Gesellschaft vorliegt«.

Zu den Überraschungen (und zum digitalen Fortschritt) gehört, dass man heute vom Desktop aus zu dieser wünschenswerten Bibliografie noch etwas beitragen könnte. Denn wiederum in der Sammlung des CJH stoßen wir auf das folgende Buch als Soncino-Publikation, das man dort betrachten und sogar als PDF herunterladen kann:

Der Prophet Jona. Zweiter in der Judith-Type hergestellter Druck der Ernst Ludwig Presse. Übertragung von Martin Luther. Holzschnitte von [Adam] Antes. Darmstadt: Kleukens 1924. Von diesem Werk wurden einhundert Exemplare und zwar die Nummern 41 bis 90 und 191 bis 240 als erste Sonderpublikation der Soncino-Gesellschaft … ausgegeben.

»Jona« ist nicht nur optisch, sondern auch herstellungstechnisch (die Lettern sind in die Holzdruckplatte geschnitten), sehr interessant, anschauen lohnt sich. Heider führt allerdings nur den Judith-Band (1923/1925) unter Sonderpublikationen auf, für den eine in jeder Hinsicht eigene Type entworfen und entsprechend benannt worden war. Beide Drucke scheinen in der Gesamtschau eher untypisch für die Soncino-Gesellschaft, aber sie waren ja in dieser frühen Phase aus der Produktion der Ernst Ludwig Presse »nur« übernommen.

1929 aber hatte die Soncino-Gesellschaft mit der Ausgabe des Buches Sirah eine eigene Linie gefunden. Abraham Horodisch notierte zur neuesten Publikation, dass nun »zum ersten Male das Hauptgewicht auf graphische Schöpfungen eines zeitgenössischen jüdischen Künstlers gelegt« war. Jeweils auf Doppelseiten finden wir darin die Illustrationen, die »prägnanten« Holzschnitte von Jakob Steinhardt, gruppiert mit den hebräischen Lehrsprüchen und ihren deutschen Übersetzungen. »Nur wer die Technik des Setzens kennt, vermag zu Ermessen, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, wieviele Versuche verworfen werden mussten, bis das erwünschte Seitenbild erreicht war.«4

Selbst heute, mit digitalen Methoden, ist ein solches Unterfangen eine keineswegs leichte Aufgabe, und Software, die hochwertigen und ohne Einschränkung auch hebräischen Satz unterstützt, keine Selbstverständlichkeit. Auch dieses Werk können wir bei CJH in Farbe betrachten und als PDF (schwarzweiß) herunterladen (und noch ein weiteres, Noemi, ebenfalls von Jakob Steinhardt illustriert, der 1929 zudem Mitglied des Vereins wurde).

Die buchkünstlerischen Eigenschaften wird man am Digitalisat allerdings kaum erahnen, geschweige denn erfahren können: So liest man gern auf der Seite des Jüdischen Museums Berlin die Beschreibung der dort »nahezu vollständig« vorhandenen Soncino-Sammlung, und dass sie im Lesesaal zugänglich ist. Das ist auch deshalb ein besonderer Bestand, weil er aus dem Nachlass des Gründers selbst, Herrmann Meyer (Mitgliedsnummer 1), stammt.

lesebuch-vignetteNicht weniger wichtig ist die Judaica-Sammlung Frankfurt. Auch sie hält einige bemerkenswerte Ausgaben der Soncino-Gesellschaft bereit, die insbesondere mit dem aktiven und wegweisenden Wirken von Aron Freimann im Verein zusammenhängen: Dazu zählen die Fabeln des Kuhbuches, die Satzungen der Soncino-Gesellschaft (1924), die Festschrift für Aron Freimann. Ebenfalls vorrätig ist das Lesebuch für jüdische Kinder. Zum Besten der jüdischen Freyschule (ursprünglich Berlin 1779) von David Friedländer (Titelvignette nebenstehend). Es galt in den 1920er Jahren weithin als verschollen, bis es Moritz Stern 1927 als Faksimile für die Soncinos neu herausbrachte. Wer in der Frankfurter Sammlung einfach mal stöbert, der stellt fest, dass sich die Recherche als Volltextsuche auf die mittlerweile integrierten Bestände jüdischer Periodika von compactmemory ausdehnt — prima!

Ernst Fischer hat 2002 festgestellt, online nachzulesen: »Viele Fragen stehen unbeantwortet im Raum: Was ist aus den Bücherschätzen der 700 bis 800 Mitglieder der Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches geworden«?5. In diesem Zusammenhang fällt besonders das vorbildliche Unterfangen Provenienz-Wiki6 auf: es bietet eine von Michaela Scheibe verfasste Seite zu dem Sammler Moritz Simon, Schatzmeister der Soncino-Gesellschaft, der auch zwei Drucke zum Soncino-Bestand beisteuerte.

Schließlich findet sich eine Festrede von Abrahm Horodisch (PDF) auf der Jahresversammlung des Vereins in Berlin 1926 wieder in der Zeitschrift Kalonymos (Steinheim-Institut), ebenso (m)ein Beitrag Freude am schönen Buch …. Nicht zuletzt wurde es wohl Zeit, einen Artikel über die Soncino-Gesellschaft für die Wikipedia zu schreiben — der Anfang ist gemacht.

(Verfasst anlässlich des Gründungstages der Soncino-Gesellschaft vor neunzig Jahren am 15. Mai 1924).

  1. Ulrich Heider: Die Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches e. V. (1924–1937) (Schriftenreihe der Kölner Antiquariatstage, Heft 1), Köln: Privatdruck 2006.
  2. Was daran erinnert, dass eine digitale Fassung ja auch die Verbesserung erlaubte.
  3. Basierend auf Abraham Horodisch: Ein Abenteuer im Geiste. Die Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches, in: Bibliotheca docet – Festgabe für Carl Wehmer, Amsterdam: Verlag der Erasmus-Buchhandlung 1963, S. 181–208.
  4. Abraham Horodisch: Jakob Steinhardt. Neun Holzschnitte zum Buche Sirah, in: Mitteilungen der Soncino-Gesellschaft, Nr. 4, Februar 1929, S. 9.
  5. Ernst Fischer: Zerstörung einer Buchkultur. Die Emigration jüdischer Büchersammler aus Deutschland nach 1933 und ihre Folgen, in: Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Neue Folge XVII. Juni 2002.
  6. ProvenienzWiki – Plattform für Provenienzforschung und Provenienzerschließung

Quelle: http://djgd.hypotheses.org/223

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»Wiki und die Wissenschaft«

Wikipedia, das prominente Wiki, funktioniert, obwohl sich seine Autoren meist nicht kennen, sie in keiner gemeinsamen Kommunikationsstruktur und hierarchischen Beziehung zueinander stehen (was Entscheidungen nicht grundsätzlich einfacher macht), viele dort anonym unterwegs sind (was Destruktion Tür und Tor öffnet) und es kein (näher bestimmtes) gemeinsames und verbindendes inhaltliches Ziel gibt. Darüber kann man staunen, oder aber auf die Idee kommen, dass das einzige, was an dieser Aussage ganz falsch ist, das »obwohl« ist. Wikipedia funktioniert, »weil« … muss es wohl eher heißen.

Der potenzielle Einsatzbereich von Wikis hat eine enorme Spannbreite: als internes kollaboratives Werkzeug für kleine Arbeitsgruppen, fürs Projektmanagement, als Forschungsarchiv, als Redaktionssystem für die Publikation von Projektfortschritten und Forschungsergebnissen, als Plattform für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit … Wer aber ein Wiki einrichtet und dann, gefühlt oder tatsächlich, mit mangelnder und unausgewogener Beteiligung kämpft, muss sich fragen, ob eigentlich die Rahmenbedingungen stimmen. Stehen Hierarchien dagegen? (»Darf ich das so schreiben?«) – es ist eben nicht nur eine Frage der sachlichen Kompetenz, wer in einem gegebenen Umfeld »etwas zu sagen hat«. Steht das neue System in Kokurrenz mit längst im Projekt etablierten Verfahren? (»Das machen wir doch seit Jahren mit E-Mail – jetzt soll ich auch noch in einem Wiki arbeiten!«). Muss man die fortschreitende Kontrolle der individuellen Arbeitsleistung befürchten? – Wikis eignen sich ja (leider) auch dafür.

So gibt es in dieser Hinsicht wirklich Grund zur Reflexion, aber das war nur einer der vielen Aspekte, die ich aus der Konferenz »Wiki und die Wissenschaft« mitgenommen habe. Dass Wikis sich für eine Vielfalt von Zwecken eignen, dass ihr konkreter Einsatz solide erforscht und geplant gehört (und wird!), dass Wikis mit freien Inhalten nur so gut sein können, wie Wissenschaft, Kultur und Medien (die »Stakeholder«) ihnen das erlauben, dass man ihrem schier unendlichen Material mit Big-Data-Visualiserungen auf den Leib rücken kann, dass man weiter über Schnittstellen, Standards und Lizenzen reden muss, schließlich, dass »Listen to Wikipedia« nicht nur ein guter, sondern ebenso entspannender wie anregender Rat sein kann. Viel gelernt, was will man mehr !

Dem interessierten Publikum (und der Allgemeinheit) stand während der Konferenz das die Veranstaltungreihe begleitende Wiki zur Bearbeitung offen, und die Versorgung mit eduroam und weiterem WLAN war selbstverständlich – rundum gelungen.

Ein ganz subjektiver Eindruck der Berliner Gespräche zur Digitalen Kunstgeschichte IV. Wiki und die Wissenschaft, Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, 20. Feb. 2014.

Ach ja ! Was es auf sich hat mit »Listen to Wikipedia«, das verrät ein weiterer Klick …

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3095

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Smartphone-Web-App »Orte jüdischer Geschichte«

smartphone-app-orte-juedischer-geschichte-01Eine Gedenktafel für die 1938 zerstörte Synagoge, an deren einstigen Standort das Stadtbild längst nicht mehr erinnert, der alte jüdische Friedhof, unscheinbar und versteckt gelegen, ein ehemaliges ›KZ-Außenlager‹ mitten in der City – nur zu leicht läuft man, unwissend bleibend, daran vorbei. Das wäre es doch: Irgendwo aus dem Zug steigen, das Smartphone anschalten, und nachsehen: was gab es (und gibt es vielleicht noch) hier zur deutsch-jüdischen Geschichte? Das war meine Idee für die hier nun vorgestellte Web-App.

Doch woher die Daten nehmen? Wikipedia natürlich, die naheliegende (und für den digitalen Stand der Humanities vielleicht auch vielsagende) Antwort.

Iteriert man in der Wikipedia rekursiv über die Artikel, die dem Kategorienbaum Judentum in Deutschland angehören, so erhält man etliche Tausend Seiten als Ergebnis. Circa 1.500 davon sind georeferenziert. Die Smartphone-WebApp Orte jüdischer Geschichte1 erschließt und gruppiert diese mit Ortskoordinaten versehenen Wikipedia-Artikel zur deutsch-jüdischen Geschichte und zeigt sie (als Vorschau und mit Entfernungsangabe) im Umkreis eines gegebenen Ausgangspunktes an. Dieser »Point of View« lässt sich hier auf verschiedenen Wegen bestimmen. Der einfachste: Man startet die App im Browser des Smartphones, das ja die momentane geografische Position ermitteln kann (eventuell fragt der Browser nach, ob die Positionsbestimmung erlaubt wird). Alternativ lassen sich auch direkt Koordinaten eingeben. Besonders interessant aber wird es, wenn wir den praktischen DARIAH-DE-Service Getty Thesaurus of Geographic Names nutzen. Man gibt einen Ortsnamen ein, darauf wird dieser Dienst abgefragt und erlaubt, den von uns gemeinten Ort auszuwählen: Ein Klick (oder besser »Touch«) in die zurückgesendete Liste versetzt uns an einen beliebigen Ort, dessen Name bekannt ist, und lässt uns die Situation »vor Ort« erforschen.

Erfreulicherweise ist aber auch die Integration weiterer Datenquellen in Vorbereitung. Im Zusammenhang mit Projekten des Steinheim-Instituts ist das mit der Datenbank zur jüdischen Grabsteinepigraphik »epidat« (steinheim-institut.de) schon gelungen. Gespräche finden zudem statt im Rahmen des Netzwerks deutsch-jüdische Geschichte Nordrhein-Westfalen und Potenzial für Zusammenarbeit haben auch Angebote wie Stolpersteindatenbanken oder Webseiten wie »Orte jüdischer Geschichte und Gegenwart in Hamburg« (gis.hcu-hamburg.de). Ich selbst habe begonnen, einen Datensatz zu den NS-Bücherverbrennungen 1933 mit ihren brutalen antijüdischen Ausfällen zusammenzustellen.

Ebenfalls in Vorbereitung ist der naheliegende Zugang über eine Kartenvisualisierung. Entsprechend der ursprünglichen Idee ist die Anwendung für mobile Geräte konzipiert, sie funktioniert aber in jedem Webbrowser. Und tritt man einen Schritt zurück, zeichnet sich ja vielleicht eine generische Applikation ab, die für beliebige Wikipedia-Kategorien, etwa Kunst in Deutschland mit georeferenzierten Inhalten zu Kunst im öffentlichen Raum, Denkmalen, Skulpturen etc. funktionierte – oder darf es lieber Industriekultur oder Archäologischer Fundplatz sein?

Es gibt hier also etliche Aspekte, die demnächst eine genauere Betrachtung verdienen: Wikipedia und die Wissenschaft, das Potenzial generischer Schnittstellen, die zu (hoffentlich kreativer) Programmierung einladen, die jüngst angekündigte Linked-Open-Data-Zukunft der Getty Vocabularies (»Vocabularies as LOD«, getty.edu), die der App zugrunde liegende XML-Technik, die Frage nach dem geeigneten Datenmodell für weitere Datensätze, die infrastrukturellen Rahmenbedingungen, unter denen ein solches Angebot nachhaltig gedeihen kann, schließlich mobile first als vielleicht ein wenig provokante, aber wie mir scheint auch zeitgemäße Devise für Digital-Humanities-Anwendungen.

app-juedische-orte.de.dariah.euVielleicht ist es ja nicht nur mein Eindruck, dass eine solche Software eine neue, andere Perspektive auf verfügbare Daten erlaubt, die nicht nur aus fachlicher Sicht durchaus überraschen kann. Der schon recht zuverlässig funktionierende Prototyp hat gleichwohl noch unübersehbare Ecken und Kanten – über Feedback würde ich mich deshalb sehr freuen. Die App ist im Begriff, sich in die DARIAH-DE-Infrastruktur einzugliedern und ist erreichbar über die URL app-juedische-orte.de.dariah.eu/ sowie über den nebenstehenden QR-Code. Nur zu, Probieren geht über Studieren!

  1. Die Benennung gehört zu den anspruchsvolleren Aspekten des Projekts, und will zufriedenstellend nicht gelingen, geht es doch, je nach Sujet, hier vielleicht eher um »Kultur«, da eher um »deutsch«, dort um »deutsch-jüdisch«, um »mit«, um »gegen« … ein Smartphone-Display ist damit hoffnungslos überfordert.

Quelle: http://djgd.hypotheses.org/36

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