Das Video zum Vortrag ist ab sofort online:
Fünf Minuten mit Hartmut Rosa (3/2014)
Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Begründer der Beschleunigungstheorie und viel gefragter Gesprächspartner im deutschen Feuilleton. Daniel Meyer vom Studentenmagazin Akrützel stellt dem renommierten Gesellschaftstheoretiker nicht nur Fragen rund um seine Person und … Continue reading
Digitale Spuren der Soncino-Gesellschaft
Das Jahr 1932 brachte die letzte Versammlung der Soncino-Gesellschaft, die NS-Zeit erzwang ihr sang- und klangloses Ende. Bis dahin aber, in kaum zehn Jahren, hatten die »Soncinos« weit über hundert nachgewiesene, meist kleinere, aber auch etliche stattliche Drucke befördert, heute rare und gesuchte Stücke — und damit eine den eigenen Zielen mehr als entsprechende Wirksamkeit entfaltet. Am 15. Mai 1924 hatte sich in Berlin diese Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches gegründet. Angeregt von dem Studenten Herrmann Meyer machte es sich der bibliophile Verein zum Ziel, das Buchwesen als Kulturleistung zu fördern und dem anspruchsvollen jüdischen Buch zur adäquaten Form zu verhelfen. Das Wirken dieser Gesellschaft hat naturgemäß zu (Buch-) Drucken geführt, mittlerweile können wir aber auch online und frei zugänglich ihren Spuren nachgehen.
Im redaktionellen Teil des Jüdischen Adressbuchs für Groß-Berlin 1931 (S. 89) lesen wir einen Eintrag über die Soncino-Gesellschaft (siehe nachstehende Abbildung) und, in aller Kürze, das Programm: »Der Verein erstrebt die Förderung des guten und schönen jüdischen Buches. Er fordert die Beobachtung der Postulate moderner Buchkultur bei der Herstellung jüdischer Bücher.«
Der Verein brachte es in nur wenigen Jahren auf ca. 800, nicht selten namhafte Mitglieder, auch international, so gehörten ihm etwa aus Palästina der Schriftsteller Chaim Bialik oder Salman Schasar (der spätere Präsident Israels) an. Besonderes zahlreich waren die Mitglieder natürlich aus Berlin, und so finden wir viele von ihnen im Jüdischen Adressbuch. Es ist auch für die Provenienzforschung, insbesondere im Zusammenhang anderer Quellen von Interesse, etwa der mehrfach gedruckten (1924, 1927), aber heute kaum zu beschaffenden Mitgliederlisten der Soncino-Gesellschaft — die aber leider (noch) nicht digital zu finden sind. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: In den Digital Collections des Center for Jewish History New York (CJH) können wir einen Archivbestand betrachten, der einen maschinenschriftlichen Entwurf (mit handschriftlichen Bearbeitungen) des ersten Mitgliederverzeichnisses und etliche weitere Raritäten enthält.
Ulrich Heider hat 2006 ein ansprechendes und sympathisches Büchlein herausgegeben1 — in seiner Anmutung den Soncino-Notizen nachempfunden, selbst ein bibliophiles Kleinod (auch wenn es gelegentliche Druckfehler enthält und ein hebräisches Titelblatt auf den Kopf stellt).2 Es enthält die bisher umfangreichste Bibliografie der Drucke der Soncino-Gesellschaft.3 Rainer Fürst und Klaus Schreiber haben dies Bändchen zu recht ernst genommen — aus ihrer (bibliothekarisch geprägten) kritischen Perspektive hat es dabei allerdings manche Feder lassen müssen. Empfehlens- und nachlesenswert ist ihre Rezension, online als PDF erhältlich, weil sie für den interessierten »Soncino-Forscher« sehr kundige und weiterführende Hinweise bietet. Interessant ist auch die Einschätzung, dass noch »keineswegs die definitive Bibliographie der Publikationen der Soncino-Gesellschaft vorliegt«.
Zu den Überraschungen (und zum digitalen Fortschritt) gehört, dass man heute vom Desktop aus zu dieser wünschenswerten Bibliografie noch etwas beitragen könnte. Denn wiederum in der Sammlung des CJH stoßen wir auf das folgende Buch als Soncino-Publikation, das man dort betrachten und sogar als PDF herunterladen kann:
Der Prophet Jona. Zweiter in der Judith-Type hergestellter Druck der Ernst Ludwig Presse. Übertragung von Martin Luther. Holzschnitte von [Adam] Antes. Darmstadt: Kleukens 1924. Von diesem Werk wurden einhundert Exemplare und zwar die Nummern 41 bis 90 und 191 bis 240 als erste Sonderpublikation der Soncino-Gesellschaft … ausgegeben.
»Jona« ist nicht nur optisch, sondern auch herstellungstechnisch (die Lettern sind in die Holzdruckplatte geschnitten), sehr interessant, anschauen lohnt sich. Heider führt allerdings nur den Judith-Band (1923/1925) unter Sonderpublikationen auf, für den eine in jeder Hinsicht eigene Type entworfen und entsprechend benannt worden war. Beide Drucke scheinen in der Gesamtschau eher untypisch für die Soncino-Gesellschaft, aber sie waren ja in dieser frühen Phase aus der Produktion der Ernst Ludwig Presse »nur« übernommen.
1929 aber hatte die Soncino-Gesellschaft mit der Ausgabe des Buches Sirah eine eigene Linie gefunden. Abraham Horodisch notierte zur neuesten Publikation, dass nun »zum ersten Male das Hauptgewicht auf graphische Schöpfungen eines zeitgenössischen jüdischen Künstlers gelegt« war. Jeweils auf Doppelseiten finden wir darin die Illustrationen, die »prägnanten« Holzschnitte von Jakob Steinhardt, gruppiert mit den hebräischen Lehrsprüchen und ihren deutschen Übersetzungen. »Nur wer die Technik des Setzens kennt, vermag zu Ermessen, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, wieviele Versuche verworfen werden mussten, bis das erwünschte Seitenbild erreicht war.«4
Selbst heute, mit digitalen Methoden, ist ein solches Unterfangen eine keineswegs leichte Aufgabe, und Software, die hochwertigen und ohne Einschränkung auch hebräischen Satz unterstützt, keine Selbstverständlichkeit. Auch dieses Werk können wir bei CJH in Farbe betrachten und als PDF (schwarzweiß) herunterladen (und noch ein weiteres, Noemi, ebenfalls von Jakob Steinhardt illustriert, der 1929 zudem Mitglied des Vereins wurde).
Die buchkünstlerischen Eigenschaften wird man am Digitalisat allerdings kaum erahnen, geschweige denn erfahren können: So liest man gern auf der Seite des Jüdischen Museums Berlin die Beschreibung der dort »nahezu vollständig« vorhandenen Soncino-Sammlung, und dass sie im Lesesaal zugänglich ist. Das ist auch deshalb ein besonderer Bestand, weil er aus dem Nachlass des Gründers selbst, Herrmann Meyer (Mitgliedsnummer 1), stammt.
Nicht weniger wichtig ist die Judaica-Sammlung Frankfurt. Auch sie hält einige bemerkenswerte Ausgaben der Soncino-Gesellschaft bereit, die insbesondere mit dem aktiven und wegweisenden Wirken von Aron Freimann im Verein zusammenhängen: Dazu zählen die Fabeln des Kuhbuches, die Satzungen der Soncino-Gesellschaft (1924), die Festschrift für Aron Freimann. Ebenfalls vorrätig ist das Lesebuch für jüdische Kinder. Zum Besten der jüdischen Freyschule (ursprünglich Berlin 1779) von David Friedländer (Titelvignette nebenstehend). Es galt in den 1920er Jahren weithin als verschollen, bis es Moritz Stern 1927 als Faksimile für die Soncinos neu herausbrachte. Wer in der Frankfurter Sammlung einfach mal stöbert, der stellt fest, dass sich die Recherche als Volltextsuche auf die mittlerweile integrierten Bestände jüdischer Periodika von compactmemory ausdehnt — prima!
Ernst Fischer hat 2002 festgestellt, online nachzulesen: »Viele Fragen stehen unbeantwortet im Raum: Was ist aus den Bücherschätzen der 700 bis 800 Mitglieder der Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches geworden«?5. In diesem Zusammenhang fällt besonders das vorbildliche Unterfangen Provenienz-Wiki6 auf: es bietet eine von Michaela Scheibe verfasste Seite zu dem Sammler Moritz Simon, Schatzmeister der Soncino-Gesellschaft, der auch zwei Drucke zum Soncino-Bestand beisteuerte.
Schließlich findet sich eine Festrede von Abrahm Horodisch (PDF) auf der Jahresversammlung des Vereins in Berlin 1926 wieder in der Zeitschrift Kalonymos (Steinheim-Institut), ebenso (m)ein Beitrag Freude am schönen Buch …. Nicht zuletzt wurde es wohl Zeit, einen Artikel über die Soncino-Gesellschaft für die Wikipedia zu schreiben — der Anfang ist gemacht.
(Verfasst anlässlich des Gründungstages der Soncino-Gesellschaft vor neunzig Jahren am 15. Mai 1924).
- Ulrich Heider: Die Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches e. V. (1924–1937) (Schriftenreihe der Kölner Antiquariatstage, Heft 1), Köln: Privatdruck 2006.
- Was daran erinnert, dass eine digitale Fassung ja auch die Verbesserung erlaubte.
- Basierend auf Abraham Horodisch: Ein Abenteuer im Geiste. Die Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches, in: Bibliotheca docet – Festgabe für Carl Wehmer, Amsterdam: Verlag der Erasmus-Buchhandlung 1963, S. 181–208.
- Abraham Horodisch: Jakob Steinhardt. Neun Holzschnitte zum Buche Sirah, in: Mitteilungen der Soncino-Gesellschaft, Nr. 4, Februar 1929, S. 9.
- Ernst Fischer: Zerstörung einer Buchkultur. Die Emigration jüdischer Büchersammler aus Deutschland nach 1933 und ihre Folgen, in: Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Neue Folge XVII. Juni 2002.
- ProvenienzWiki – Plattform für Provenienzforschung und Provenienzerschließung
Quelle: http://djgd.hypotheses.org/223
Soziale Arbeit in Sozialen Unternehmen als Bindeglied einer funktional differenzierten Gesellschaft – Die politische Aktivierungsprogrammatik als Leviathan der sozialen Sicherheit – von Joschka Sichelschmidt und Ino Cramer
Abstract: Gesellschaftliche Modernisierungsphänomene lassen den Bedarf an sozialen Hilfeleistungen ansteigen. Soziale Unternehmen, die eine intermediäre Stellung zwischen Subjekt(en) und Staatsform einnehmen und der Aufgabe nachgehen, soziale Risiken zu beseitigen oder zu mindern, bilden in der flexiblen und dynamischen Gesellschaft einen Ort … Continue reading
Abstract zum Vortrag: Voix perdues? Ungültige, verstreute und andere „sinnlose“ Stimmen bei Wahlen im Jahr 1848 (Thomas Stockinger)
Im Rahmen der auf diesem Blog bereits angekündigten Tagung „Kultur und Praxis der Wahlen. Eine Geschichte der modernen Demokratie“ / „Culture and Practice of Elections. A History of Modern Democracy“ am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald (veranstaltet von Hubertus Buchstein und Hedwig Richter) wird Thomas Stockinger am 16. Mai 2014 vortragen. Vorab wird hier ein Abstract zu seiner Präsentation verfügbar gemacht.
Das vollständige Tagungsprogramm gibt es als PDF-Datei hier.
Voix perdues? Ungültige, verstreute und andere „sinnlose“ Stimmen bei Wahlen im Jahr 1848 (Frankreich und Österreich)
Zweckrationales Handeln, das die Chancen maximiert, erwünschte Kandidatinnen oder Kandidaten die zu vergebenden Mandate erringen zu sehen, zählt seit langem zu den landläufigen, dabei aber durchaus fragwürdigen Erwartungen an Wählerinnen und Wähler. Abweichungen davon sind in dieser Perspektive in erster Linie als Zeichen demokratischer Inkompetenz zu interpretieren, allenfalls noch als Geste des Protests. Die meisten aktuellen Wahlrechte geben vor, dass alles, was auf einem Stimmzettel vermerkt ist, aber nicht als eindeutige Willensäußerung zugunsten einer der registrierten Kandidaturen gedeutet werden kann, ungültig ist, sofern es nicht den Stimmzettel selbst ungültig macht. Der „Wählerwille“ hat sich entweder nach den vorgezeichneten Alternativen zu richten, oder er kann nicht zur Kenntnis genommen werden.
Die frühesten Anwendungen des Massenwahlrechts waren Situationen, in denen diese Kanalisierung weniger effizient funktionierte als später, und in denen deshalb etliche Aspekte der damit verbundenen Problematik besonders deutlich hervortraten. Die Veranstalter und die Ausführenden dieser Wahlen sahen sich mit beträchtlichen Zahlen von Voten (zumeist materialisiert als Stimmzettel) konfrontiert, die sich aus verschiedenen Gründen nicht leicht in ein eindeutiges, numerisch exaktes Wahlresultat einrechnen ließen. Stimmen verteilten sich auf sehr viele verschiedene Personen, darunter solche, die nicht als Kandidaten aufgetreten waren oder nach Meinung der Wahlveranstalter gar nicht als solche in Frage kamen. Kandidaten wurden nicht deutlich genug für eine sichere Identifizierung bezeichnet, oder es wurden Angaben über sie vermerkt, die für eine solche nicht nötig gewesen wären. Die nach späteren Maßstäben oft noch recht unpräzisen rechtlichen Normen boten für den Umgang damit nur eine unzureichende Handhabe, weshalb auch die Entscheidungen der Wahlkommissionen vielfach sehr uneinheitlich ausfielen.
Der Vortrag nähert sich diesen Erscheinungen ausgehend von Stimmzetteln und Wahlprotokollen als Primärquellen und in Anknüpfung insbesondere an die Arbeiten von Yves Déloye und Olivier Ihl. Anhand konkreter Beispiele aus den Parlamentswahlen des Revolutionsjahres 1848 in Frankreich und in der Habsburgermonarchie (speziell Niederösterreich) soll gezeigt werden, dass zur Deutung dieser Phänomene die Kategorien „Ignoranz“ und „Protest“, obwohl beide relevant sind, nicht ausreichen. Sowohl in von Wahlnormen und Erwartungen abweichendem Verhalten der Wähler als auch in den voneinander divergierenden Reaktionen darauf spiegelte sich nicht bloß blindes Herantasten an eine ungewohnte politische Praxis, sondern vielmehr konkurrierende Vorstellungen davon, was Wählen und Repräsentation überhaupt zu bedeuten hatten, wie sie funktionierten und wie sich das Verhältnis zwischen Wählenden und Gewählten zu konstituieren hatte, welche Eigenschaften einen geeigneten Kandidaten machten, sowie auf welche geographischen Räume und sozialen Gruppen sich Repräsentation, Kandidatur und Wahl bezogen. Das scheinbar „Sinnlose“ erweist sich dabei als Teil älterer oder alternativer Logiken des Wählens, die sich nicht durchsetzten, sondern im Laufe der weiteren Entwicklung hin zu einem für die europäisch-atlantischen Gesellschaften zunehmend einheitlichen Grundmodell des Wahlvorgangs bis zur Unsichtbarkeit marginalisiert wurden.
Krieg um Kreta
Die Beratungen und Sondierungen auf dem Friedenskongreß wurden im Sommer 1645 durch ein neues Thema bereichert: „Es hetten die Türckhen albereit in Candia [= Kreta; M.K.] ein statt eingenommen undt contra datam fidem alles darinnen unbarmhertzig nidergehawen.“ So hatte es der päpstliche Nuntius den kurbayerischen Gesandten mitgeteilt (Bericht an Kurfürst Maximilian vom 3.8.1645, in: Die diplomatische Korrespondenz Kurbayerns zum Westfälischen Friedenskongreß, Bd. 2: Die diplomatische Korrespondenz Kurfürst Maximilians I. von Bayern mit seinen Gesandten in Münster und Osnabrück, Teilband 2: August – November 1645, bearb. v. Gabriele Greindl und Gerhard Immler (Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns, 2/2), München 2013, S. 352). Die Invasion starker osmanischer Truppen auf Kreta im Juni 1645 war tatsächlich ein Ereignis, das europaweit für Aufsehen sorgte. Wie waren die Vorgänge einzuschätzen, und wie ging man in Münster mit dieser Nachricht um?
Auf den ersten Blick möchte man an das übliche Spiel mit den Stereotypen denken, wie es vom Nachrichtenwesen auch schon in dieser Zeit virtuos gespielt wurde. Die Hinweise auf gebrochene Zusagen und die Unbarmherzigkeit der Kriegführung bedienten sicherlich vorhandene Reflexe, die sich um die Begriffe der „Türkengefahr“ rankten. Doch ging es hier gar nicht so sehr um einen vielleicht sogar wohligen Grusel angesichts grausiger Neuigkeiten von einem weit entfernten Kriegsschauplatz im östlichen Mittelmeer.
Vielmehr wurde diese Nachricht sofort in die laufenden diplomatischen Aktivitäten einsortiert und für bestimmte Zielsetzungen instrumentalisiert. So hatten die bayerischen Gesandten sicher gern vom allgemeinen Friedensappell des Papstes an die anderen Mächte nach München berichtet, zumal der päpstliche Gesandte vor allem den französischen Vertretern die „pericula Europae“ vor Augen geführt habe (ebd.). Denn die kurbayerische Seite war in diesen Wochen und Monaten sehr um einen allgemeinen Waffenstillstand bemüht; zu groß waren die Belastungen des Kriegs, zu vage die Aussicht auf militärischen Erfolg. Entsprechend bezogen sich die bayerischen Gesandten, als sie Anfang August wieder mit den Franzosen verhandelten, auch auf den osmanischen Angriff auf Kreta und machten daraus ein Argument in eigener Sache: Wie könne man es vor Gott verantworten, wenn in Deutschland katholische und gehorsame Fürsten und Stände angegriffen und verfolgt würden, während der Erbfeind der Christenheit jede Gelegenheit habe, „in Europam einzuebrechen […] unnd alle unmenschliche tyranney zu verüben“? (Bericht an Maximilian vom 8.8.1645, ebd. S. 359).
Wenn es weiter hieß, daß man besser die Truppen nicht bei den Kämpfen im Reich verwenden, sondern sie gegen die Osmanen führen sollte, stand dahinter durchaus ein altbekannter Gedanke: Die Einigkeit der Christen sollte der Verteidigung gegen die osmanische Bedrohung zugute kommen. Ähnliche Gedanken waren schon in früheren Jahren des Dreißigjährigen Kriegs immer wieder einmal aufgekommen; sie lassen sich etwa bei Wallenstein, Tilly, Pappenheim oder bei Père Joseph nachweisen. Teilweise schien dahinter durchaus eine gewisse Kreuzzugsromantik durch, doch hier ging es – eigentlich sehr durchsichtig – um etwas ganz anderes: Bayern wollte dringend ein Ende der Kämpfe im Reich. Und wenn die Türkengefahr ein weiteres Argument bot, um das Ziel eines armistitium zu befördern, griff man in den Verhandlungen eben auch Nachrichten aus dem Türkenkrieg auf: Das Schicksal Kretas ging in diesem Fall auch den Gesandten in Münster sehr nahe.
Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/445
Kommunikationsstrategien für Archive (12. Mai 2014, Archivtag RLP/Saarland)
Textfassung und PPT-Folien meines kurzen “Impulsreferats” zum Thema stelle ich hier online zur Verfügung. Ich danke Elisabeth Steiger für die kurzfristige Mithilfe an Text und Folien.
Impulsreferat 12. Mai 2014, Worms
Folie 1
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich habe jetzt die Aufgabe, Ihnen über das Thema Kommunikationsstrategien und Öffentlichkeitsarbeit zu berichten, aus der Sicht eines Kommunalarchivars.
Ich habe Ihnen eine ganze Reihe von Folien mitgebracht und wir haben wenig Zeit.
Ich beginne also die Präsentation mit der folgenden Folie:
Folie 2
Nein, das ist nicht die offizielle Losung des Stadtmarketings.
Das Stadtarchiv ist das Gedächtnis der Stadt – so verstehen wir uns und so möchten wir das Archiv auch „bewerben“ und unsere Kunden inspirieren. Speyer ist als Stadt sehr bekannt und mit einem überregional positiven Image besetzt; Speyer ist touristisch sehr gut entwickelt, hat eine reiche und lange Geschichte – sichtbar auch an so manchen baulichen Zeugnissen.
Folie 3
Ah, das sollte hier aber nicht stehen. Da ist mir jetzt eine Folie reingerutscht, die ich für den österreichischen Archivtag vorgesehen hatte. Das ist die statistisch gesehen erfolgreichste Nachricht des Österreichischen Staatsarchivs überhaupt…
Folie 4
Jetzt passt es wieder.
Speyer toppt Wien,- Speyer toppt aber auch, ganz klar, Manhattan – zumal man in Speyer früher (im Jahr 1931) auf die Idee für eine solche Aufnahme gekommen ist.
Folie 5
Wie auch immer, eigentlich bietet Speyer einen guten Nährboden für eine gewisse Außenwirkung und Wahrnehmung eines Archivs in der Speyerer Bevölkerung – und darüber hinaus! Und über die traditionellen Nutzergruppen hinaus – ohne diese aus den Augen zu verlieren.
Es geht mir im jetzt darum, zu zeigen, wie eine Öffentlichkeitsarbeit im Netz aussehen kann.
Folie 6
Zurück zum Domfoto.
Wir haben das Foto im März mit dem Hinweis, dass Speyer ja viel cooler als Manhattan sei, in einem von uns genutzten sozialen Netzwerk eingestellt. Hier gebe ich Ihnen nur den Hinweis, dass dieses Netzwerk weltweit von gut 1,2 Milliarden Menschen genutzt wird und dass es weltweit mehr Beitragsaufrufe hat als das gesamte restliche Netz zusammen – sieht man von der Suchmaschine google mal ab.
Folie 7
Das Foto wurde innerhalb weniger Tage über 20.000 mal aufgerufen. Der „Traffic“, wie man neudeutsch sagt, war in jeder Hinsicht enorm.
Folie 8
Öffentlichkeitsarbeit bietet nun gerade für Kommunalarchive die Chance, aus der reinen „Verwaltungsecke“ herauszukommen – als Stadtarchiv ist man nun einmal sehr oft in die Vermittlung und Erforschung der städtischen Geschichte eingebunden. Sie ist gerade hier eine Notwendigkeit – und man sollte den PR-Tiger reiten. Besonders auch im digitalen Zeitalter, sonst wird man irgendwann herunterfallen.
Trotzdem: klassische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hat immer noch erhebliche Bedeutung, wird diese auch weiterhin haben – aber sie kann mithilfe etwa der Sozialen Medien erheblich potenziert werden.
Wie auch immer man vorgeht: Themen, Projekte, Veranstaltungen, das Archiv an und für sich – all dies sollte regional, lokal, aber auch bei Bedarf fachlich im Gespräch gehalten werden. Es geht dabei auch um Kommunikation und neue Wege zur Offenheit – gerade bei Einrichtungen, die medial eher als Archiv-Kellerverliese im sonntäglichen „Tatort“, und sehr selten als etwas spezielle, aber wichtige Kulturguteinrichtungen in den Medien auftauchen.
Die Nutzung der Sozialen Medien für die Archiv-PR ist übrigens mehr eine Sache der eigenen Einstellung; es geht viel weniger um Technikkenntnisse.
Folie 9
Der Einsatz Sozialer Medien sollte meines Erachtens ganzheitlich sein. Es geht nicht nur um Facebook. Wir nutzen Facebook und vor allem auch den Kurznachrichtendienst Twitter sehr intensiv; für Fotos und virtuelle Ausstellungen setzen wir auf Flickr und Pinterest, wir haben einen eigenen kleinen Videokanal; für Vorträge und Präsentationen bietet sich „Slideshare“ gut an. Dazu kommen mehrere Blogs, die von uns betreut oder wenigstens mitbetreut werden. Am bekanntesten wird sicher das „Offene Archive“-Blog sein. Aber das ist nur ein Beispiel.
Das Ganze wird ergänzt um einen gewissen digitalen content, der sukzessive ausgebaut wird; ich freue mich auch über unsere mittlerweile relativ umfassende und moderne Homepage.
Sie ist aber relativ statisch – sie ist kein mobiles „Echtzeitmedium“ wie etwa Twitter und andere Soziale Medien.
Man kann den Einsatz der Sozialen Medien teilweise sicher mit einem „Schaufenster“ in das Archiv, in das Magazin, zu den Archivalien usw. vergleichen. Es ist aber nicht unbedingt und immer ein Hochglanz-Schaufenster – und das wäre ja auch unglaubwürdig, oder?
Auch als Archivare dürfen wir Fragen stellen, und dürfen wir die Nutzer zur Mithilfe aufrufen.
Folie 10
So, jetzt ein Blick auf einige der Blogs. Links im Bild sehen Sie die Begleitung einer umfassenden Fotobearbeitung durch das Blog „Archivar-Kamera-Weltkrieg“ – wir machen damit auf einen bislang völlig unbekannten Fotobestand zum 2. Weltkrieg aufmerksam.
Was machen, wenn vor vielen Jahren umfangreiche Dokumentationen, etwa zu Zwangsarbeitern und zur Verfolgung der Juden, angelegt worden sind? Wir haben uns für ein virtuelles Gedenkbuch entschieden und kommen damit der Verpflichtung nach, frühere Forschungen nicht irgendwann auf den Servern der Stadt zu verlieren. Regelmäßige Blogbeiträge halten das Thema in der Öffentlichkeit. Hier hat auch die Kombination mit der klassischen Pressearbeit gut gegriffen: wir hatten eine erheblich überregionale Berichterstattung.
Folie 11
Schlaglichter auf die Speyerer Geschichte: das können kleine, bislang kaum bekannte Archivalien sein. Wir bloggen derzeit zum Ende des 2. Weltkriegs in Speyer „taggenau“ einen Bericht und ergänzen ihn um Hinweise auf Archivbestände, Plakate und andere historische Umstände.
Folie 12
Wir nutzen die Sozialen Medien, um analoge Ausstellungen im Nachgang virtuell sichtbar zu machen. Ganz einfach geht das mit Flickr oder auch dem Bildernetzwerk Pinterest (das Sie hier sehen).
Wir wollen demnächst eine Ausstellung zu Zeichnungen aus dem 1. Weltkrieg virtuell verlängern, indem der Besucher mittels QR-Codes in eine vertiefte und ausführlichere Darstellung der Zeichnungen einsteigen kann. Wer zu wenig Ausstellungsfläche hat, muss halbwegs kreative Lösungen suchen.
Folie 13
Thema Vorträge: Was sagt uns das, wenn bei einer Fortbildung gut 20 Teilnehmer anwesend waren. Alles schön und gut, aber die virtuelle Präsentation der Folien auf Slideshare wurde gut 1.000x angesehen.
Folie 14
Andere Vorträge wurden noch wesentlich öfter angesehen. Auch wenn es natürlich nicht egal ist, ob zu unseren Archiv-Vorträgen oder unseren „auswärtigen“ Vorträgen 10, 30 oder 80 Besucher kommen – die „klicks“ online übertreffen dies um ein Vielfaches.
Folie 15
Warum nicht einmal an einen eigenen Videokanal für das Archiv denken oder selbst gleich etwas aufzeichnen?
Folie 16
Stichwort „Vernetzung“: ein Tweet, also ein Text von maximal 140 Zeichen, wurde von einem Moderator des Rhein-Neckar-Fernsehens gelesen.
Folie 17
Es folgte die Einladung zu einem Interview über YouTube, Twitter und das Stadtarchiv.
Folie 18
Ich komme langsam zum Schluss.
Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, dass die Archivare in ihrer täglichen Arbeit Anwendungen verwenden, die dem Prinzip einer Arbeitsorganisation 2.0 verpflichtet sind.
Das kann ein Dashboard wie Tweetdeck sein, mit dem ich meine Twitter-Accounts vernetzen und effektiv gestalten kann.
Folie 19
Arbeitsorganisation kann die Nutzung von Videokonferenzen oder Chatprogrammen beinhalten. Wie wäre es mal mit einer Livesendung oder einem Interview auf googles „Hangouts on air“? Der oberste Archivar der Vereinigten Staaten macht so etwas übrigens.
Folie 20
Ausstellungen, Projekte und Projektanträge lassen sich gut über kollaborative Arbeitsumgebungen bearbeiten. Zumindest dann wenn man keine Staatsgeheimnisse, sondern das Reichskammergericht des 16. Jahrhunderts bearbeitet.
Folie 21
Letzter Hinweis und auch ein kleiner Tipp: Die Aufgaben eines Archivs, inklusive der Öffentlichkeitsarbeit, lassen sich gut über Anwendungen wie diese hier verwalten.
Aber damit will ich es nun bewenden lassen.
Folie 22
Ich schließe mit dem Motto „Türen auf“ der Sendung mit der Maus. Am 3. Oktober erwarten wir hoffentlich zahlreiche kleine Besucher. Wir werden natürlich analog wie digital dafür werben und darüber berichten. Und die Maus ist ja nun nicht irgendwer. Warum sollte man da als Archiv nicht mal mitmachen und sein Zielpublikum, das ja von Erziehungsberechtigten begleitet wird, erweitern?
Folie 23
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Ad fontes: “bibliotheca.gym” – ein neues Blog!
Manch ein Reisender war Jahrhunderte unterwegs. Heutige Forscher reisen, real oder virtuell, um an die Quellen zu kommen, zum Beispiel für die Geschichte Bayerns.
Womöglich trägt die eine oder andere der schriftlichen Quellen den Stempel einer historischen Gymnasialbibliothek oder eines Gymnasialarchivs? Mag ein solcher Stempel für die eigene Forschung auch eher marginal sein, für das Blog bibliotheca.gym könnte er nebst der solchermaßen in ihrer Provenienz gekennzeichneten Schrift indes eine Bereicherung darstellen – deshalb bitte das Blog anschauen und gerne mitmachen!
Die sogenannte Causa Stralsund, der Verkauf einer geschlossenen Gymnasialbibliothek aus dem Stadtarchiv in Stralsund 2012, hat gezeigt, wie gefährdet heute diese Sammlungen sind, nicht zuletzt, weil die spezielle Sammlungsform – und damit auch ein Stück Bildungsgeschichte unseres Landes – in Vergessenheit geraten ist.
Vernetzung hilft der Forschung und dient überdies der Bewahrung schriftlichen Kulturguts ersten Ranges!
Christoph Deeg, Gaming und Social Media in Archiven – Ein Grundkonzept
Das Video und die Präsentation des Kurzvortrags (4. April 2014, Offene Archive 2.1) sind jetzt online!
Zwei Orte der Wissenschaft
Die Doktorarbeit basiert auf einer Reihe Inkunabeln und Alten Drucken. Obwohl inzwischen die meisten als Scan im Internet recherchiert werden können, war es dennoch nötig, diese in einigen ausgewählten Bibliotheken nachzurecherchieren. Im Zuge dessen habe ich mich für jeweils einen … Continue reading →