Das Impressum: warum es so wichtig ist und wie man es richtig anlegt

Zum Impressum gibt es viele Fragen und mit diesem Beitrag hoffentlich auch ein paar Antworten. Gerade wegen der juristischen Spielräume und Unklarheiten empfehlen wir bei de.hypotheses.org ein Impressum anzulegen. Wie man das macht und welche Angaben dazu wichtig sind, soll mit diesem Beitrag geklärt werden.

Rechtliche Situation

Bevor wir einen neuen Blog in den Katalog von de.hypotheses.org aufnehmen, überprüfen wir zum einen die Einrichtung des Blogs (z.B. sindalle Standard-Bilder ersetzt worden?  Gibt es bereits einige Beiträge? Funktionieren die Menus?) und das Impressum. Ist noch nicht alles fertig, schreiben wir die Autoren an, damit diese Punkte nachgebessert werden.

Ein Impressum ist wichtig, damit der Autor oder Herausgeber eines Blogs kontaktiert werden kann. Das kann passieren, wenn es Rechtsstreitigkeiten gibt. Doch ein Impressum ist auch die Visitenkarte eines Blogs und ermöglicht die Kontaktaufnahme von Interessenten und die weitere Vernetzung. Warum nicht auch den Twitter- und Facebook-Account dort verlinken?

Eigentlich ist ein Impressum für ein völlig privat bzw. aus familiären Interessen betriebenes Blog in Deutschland gar nicht notwendig. Nach §5 des Telemediengesetzes muss ein Impressum jedoch bei „geschäftsmäßig“ betriebenen Blogs vorhanden sein. Bei den wissenschaftlichen Blogs ist es oft schwierig zu trennen, ob jemand gerade dienstlich-wissenschaftlich, d.h. in irgendeiner Form „geschäftsmäßig“ bloggt oder nicht. Diese Frage, ab wann ein Blog „rein privat“ oder geschäftsmäßig ist, ist rechtlich insgesamt noch umstritten.

Beim Rundfunkstaatsvertrag §55, der ebenfalls relevant ist, wird vielmehr auf die Inhalte der Blogs geachtet. Wer regelmäßig journalistisch-redaktionell gestaltete Inhalte bloggt, die zur Meinungsbildung beitragen können, benötigt ein Impressum. Hier ist es auch schwer zu entscheiden, wann dies der Fall ist. In der Regel wird bei uns regelmäßig gebloggt und auf die ein oder andere Art können die Artikel auch zur Meinungsbildung beitragen. Auch solche Fragen sind bisher gerichtlich nicht eindeutig entschieden.

Dass die Server für hypotheses.org in Frankreich stehen, aber trotzdem bei de.hypotheses.org überwiegend Akademiker aus Deutschland bloggen, macht die Lage noch etwas unübersichtlicher. Schlussendlich gilt auch hier: Jeder ist für seinen Blog und dessen Impressum selbst verantwortlich.

Da die rechtliche Lage wie gezeigt nicht in jedem Fall klar ist, raten wir dringend dazu, ein Impressum  nach deutschem Recht anzulegen. Die passenden Gesetzestexte, nämlich das „Telemediengesetz“ und der „Rundfunkstaatsvertrag“,  lassen sich hier im Detail nachlesen:

http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__5.html

http://www.lmk-online.de/service/rechtsgrundlagen/rundfunkstaatsvertrag/#c2343

Welche Angaben gehören in ein Impressum?

Die folgenden Angaben sollten im Impressum angegeben werden:

  • Vollständiger Vorname und Name (Eine Kürzung wie z.B. M. Mustermann würde nicht ausreichen.)
  • Vollständige Adresse (Das darf auch die Institutsadresse sein, so lange die Post dort wirklich ankommt.)
  • Telefonnummer (Bei einer Institutstelefonnummer sehe ich kein Problem, diese zu veröffentlichen.)
  • Email-Adresse (Notwendig, damit man über den  „elektronischen Weg“ kontaktiert werden kann. Mindestens Email oder Telefonnummer sollten vorhanden sein, am besten beides.)
  • Verantwortliche Redakteure (Bei Gruppenblogs sollten diese genannt werden, ebenfalls mit den obigen Angaben.)
  • Optional: Soziale Netzwerke (So können sich Interessierte vernetzen und Kontakt aufnehmen. Dies wird aber vom Gesetzgeber nicht verlangt, erfüllt aber vermutlich den Punkt der “eletronischen Kontaktaufnahme”.)

Wenn diese Angaben schon mal im Blog stehen, kann nicht mehr viel schiefgehen. Diese Angaben sind je nachdem zu erweitern. Wenn jemand einen besonderen Beruf ausübt, z.B. Psychotherapeut ist, muss er ggfs. noch die Zulassungsbehörde und weitere Angaben hinzufügen. Wenn jemand mit dem Blog auch nur kleine Geldbeträge verdient, gehört  eine Umsatzsteuernummer ins Impressum. Letzteres ist bisher meines Wissens nach nicht der Fall.

Was bedeutet „leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar“ (TMG §5)?

Die Seite "Impressum" lässt sich ganz einfach anpassen!

Die Seite “Impressum” lässt sich ganz einfach anpassen!

In der Praxis bedeutet es, dass man das Impressum von jedem Artikel im Blog direkt finden können muss. Am einfachsten ist es dazu den vorgefertigten Menüpunkt „Impressum“ zu nutzen und die gleichnamige Seite dahinter entsprechend auszufüllen. Dieser Menüpunkt erscheint so überall und erfüllt die genannten Kriterien.

Wo gibt es weitere Informationen?

Das institutionelle und juristische Umfeld der Wissenschaftsblogs ist bereits im Bloghaus beschrieben worden:

http://bloghaus.hypotheses.org/dokumentation/hypotheses-org-anwendungsdokument/das-institutionelle-und-juristische-umfeld-der-wissenschaftsblogs

Klaus Graf hat ebenfalls mehrere Artikel zum Thema geschrieben. Dort finden sich auch Verweise auf Impressum-Generatoren. Der folgende Link ermöglicht einen guten Einstieg:

http://archiv.twoday.net/stories/165211515/

Zwei Dinge zum Schluss: Da ich kein Jurist bin, kann ich hier keine rechtsverbindliche Beratung abgeben. Einerseits ist jeder Einzelfall etwas anders, daher ist diese Anleitung ein Versuch, für die meisten Fälle eine praktikable Lösung zu finden. Andererseits ist bisher kein Fall bei de.hypotheses.org vorgekommen, dass jemand wegen eines fehlenden oder unvollständigen Impressums Probleme bekommen hat. Dies soll auch weiter so bleiben. Gerade darum bitten wir alle Blogger darum, ihr Impressum nochmal zu überprüfen und anhand dieser Anleitung auszufüllen.

Quelle: http://bloghaus.hypotheses.org/706

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stadtteilgeschichten.net – Was bietet ein Bürgerarchiv 2.0?

stadtteilgeschichten.net, das Bürgerarchiv zur Alltagsgeschichte, ging 2005 online.

Es war also Zeit, anlässlich der diesjährigen Tagung der AG Regionalportale am 15. Mai 2013 in Hamburg einen Blick auf das bisher Geleistete und auf das für die Zukunft noch Ausstehende zu werfen.

Die nachfolgende Präsentation bietet Ihnen einige lessons learned zu den Themen Crowdsourcing, User Generated Content und Kollaboration im Bürgerarchiv 2.0

Für den gemeinnützigen Verein stadtteilgeschichten.net ist diese Präsentation ein erster Schritt hin zur Entwicklung einer digitalen Strategie zur organisatorischen und technischen Weiterentwicklung des Bürgerarchivs zur Alltagsgeschichte.

Für weiterführende Kommentare wären wir allen Leser_innen daher besonders dankbar.

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/770

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… in saecula saeculorum. – Bestandserhaltung im Alltag. – Teil 2: Lebensweise und Gesundheitsgefahren von Schimmel

Schimmel ist einer der weniger gern gesehenen Begleiter der täglichen Arbeit in Archiven und Bibliotheken. Seine Lebensweise, die Grundlagen seines Wachstums, die von ihm im Papier ausgelösten Prozesse und die Gesundheitsgefahren für den Menschen müssen verstanden werden, um damit richtig umgehen zu können. Der Erhalt eines Bestandes kann durch Schimmel in Frage gestellt werden – aber was noch viel wichtiger ist (und worüber nicht so gern geredet wird): Schimmel stellt eine große Gefahr für die menschliche Gesundheit dar, besonders, wenn man ihm dauerhaft ausgesetzt ist.

Buchseite mit üppigem Schimmelbefall

Buchseite mit üppigem Schimmelbefall

“Jetzt war ich bei drei Bibliothekstagungen, und drei Mal war Schimmel ein Thema.” – Dieser Satz, der jüngst bei einer Veranstaltung in Salzburg fiel, drückt die Situation, in der sich Bibliotheken und Archive befinden, sehr gut aus. Schimmel ist der häufigste Schädling, der in Archiven und Bibliotheken vorkommt, er ist allen gut bekannt und er stellt eine Gesundheitsgefahr dar. Es ist also kein Wunder, dass Tagungen von Archivaren und Bibliothekaren manchmal eher wie eine Selbsthilfegruppe schimmelgeplagter Mitarbeiter erscheinen. Doch soll hier keinesfalls moniert werden, dass darüber gejammert würde. Das Erzählen der eigenen Erlebnisse mit der Schimmelbelastung führte in den letzten Jahren zu einem verstärkten Erfahrungsaustausch, gerade unter den kirchlichen Bibliotheken. Das Wissen und die Erfahrungen, die sich die Mitarbeiter des Archivs der Erzdiözese Salzburg und der Salzburger Diözesanbibliothek in den letzten Jahren angeeignet haben, soll hier präsentiert werden. In diesem zweiten Teil der Serie zur Bestandserhaltung soll allerdings noch nicht auf bestandserhalterische Maßnahmen im Bezug zu Schimmel eingangen werden. Hier soll es um den Schimmel als solchen und seine Lebensweise gehen. Außerdem sollen vor den bestandserhalterischen Maßnahmen die wesentlich wichtigeren Mittel zur Sicherung der eigenen Gesundheit zur Sprache gebracht werden.

Schimmel ist ein Pilz und erfüllt daher in der Natur die Rolle des Destruenten, also die Rolle dessen, der komplexe Molekülgebilde aufspaltet und damit wieder als Nährstoffquelle verfügbar macht. Das versucht ein Pilz natürlich auch bei Papier. Schimmel geht dabei immer den Weg des geringsten Widerstandes – er siedelt sich also dort an, wo seine Ernährungsgrundlage mit einfachen Mitteln sichergestellt ist und bleibt auch dort zunächst an der Oberfläche. Und ein Drittes ist zu bedenken: Schimmel ist ubiquitär, er ist in der Atemluft, auf jeder Oberfläche in Form von Sporen enthalten, Staub besteht unter anderem aus Schimmelsporen und Pilzhyphen – das sterile Archiv ist also ein nicht erreichbarer Zustand, völlige Schimmelfreiheit kann nicht das Ziel der Bestandserhaltung sein. Was bedeuten diese drei Faktoren in der Praxis: Staub bietet für den Schimmel eine beinahe ideale Ansiedlungsmöglichkeit: er bietet genügend leicht erreichbare Nahrung und enthält die Keimzellen seines Wachstums (Sporen und Pilzhyphen) bereits in unterschiedlicher, aber oft recht hoher Konzentration, in sich. Stark staubige Bücher neigen also in einem Fall von erhöhter Luftfeuchtigkeit und Temperatur eher dazu, Schimmelbefall zu zeigen, als gereinigte, saubere Bücher. Schimmelpilze reagieren außerdem stark auf Veränderung der Umgebungsbedingungen: schon eine kurzzeitige Erhöhung der Luftfeuchtigkeit, etwa durch einen Ausfall der Klimaanlage, kann dazu führen, dass Schimmel zu wachsen beginnt, aber auch eine Verschlechterung seiner Umgebungsbedingungen führt zu gewissen, unter Umständen unerwünschten Reaktionen: Beispielsweise kann Bestrahlung durch UV-Licht, etwa in Form von Sonnenlicht, zwar den Schimmel abtöten, zuvor versucht der sich allerdings, je nach Art, durch massive Pigmenteinlagerung zu schützen. Diese Pigmenteinlagerung ist dann natürlich auch im Papier gut sichtbar, selbst wenn der Schimmel beseitigt wurde. Eine Artbestimmung anhand der Farbe ist beim Schimmel durch diese Eigenschaft der starken Abhängigkeit von Umgebungsbedingungen daher auch kaum möglich – wie wir später noch sehen werden, aber auch nicht sehr hilfreich. Schimmel wächst, wie gesagt, dort, wo es für ihn einfach ist – also zuerst an der Oberfläche, in Ritzen, in die er eindringen kann, wenn z.B. Staub einrieselt, in Buchrücken, in Mikroklimaten, die in Magazinen durch ungünstige Aufstellung entstehen können. Ein durch Schnallen gut geschlossenes, an einem durchlüfteten Ort aufgestelltes Buch ist vor Schimmelgefahr relativ sicher. Schließlich versucht Schimmel sich so schnell und so weit als möglich auszubreiten. Durch Schimmelbefall entstandene Stäube enthalten in hoher Konzentration Sporen und Pilzhyphen – sie unvorsichtigerweise im Magazin zu verteilen, etwa durch Unachtsamkeit beim Buchtransport, kann fatal enden.

Vom Schimmel abgebautes Papier in einem Buch des 16. Jhs.

Vom Schimmel abgebautes Papier in einem Buch des 16. Jhs.

Oben wurde bereits angedeutet, dass Schimmel eine Gesundheitsgefahr für den Menschen darstellt. Eine eher selten vorkommende direkte Ansiedlung von Schimmelpilzen am Menschen – Schimmelpilze, die auf Papier leben, haben üblicherweise Anforderungen an ihre Umwelt, die sich stark von den Bedingungen des menschlichen Körpers unterscheidet – ist in jedem Fall als schlimmstes Szenario im Auge zu behalten. Der Befall von Atemwegen, Augen, Mund und Fingern kann vorkommen und lang anhaltende gesundheitliche Probleme mit sich bringen. Eine Desinfektion der Hände nach direktem Kontakt mit Schimmel, Schutzkleidung, und Sauberkeit sind hier der beste Schutz – doch dazu in einem späteren Artikel. Eine oft unterschätzte Gefahr, die noch dazu nicht davon abhängt, ob der Schimmel noch am Leben ist oder nicht, sind die vom Pilz gebildeten Toxine, Stoffwechselprodukte, die Allergien und in manchen Fällen auch Krebserkrankungen auslösen können. Erste Symptome einer zu hohen Schimmelkonzentration vor allem in der Atemluft sind Müdigkeit, erhöhte Feuchtigkeit der Nasenschleimhaut, Juckreiz, Appetitlosigkeit. Diese Stoffwechselprodukte bleiben auch dann vorhanden und gefährlich, wenn der Schimmel abgestorben ist, oder durch verschiedene Methoden abgetötet wurde. In manchen Fällen kann das Abtöten sogar zu einer Erhöhung der Gesundheitsgefahr führen, wenn z.B. durch Gammabestrahlung die Schimmelzellen aufplatzen und sämtliche Stoffwechselprodukte freigelegt werden.

Literaturempfehlung:

Meier, Christina/Petersen, Karin: Schimmelpilze auf Papier. Ein Handbuch für Restauratoren ; biologische Grundlagen, Erkennung, Behandlung und Prävention. Tönning 2006.

Quelle: http://aes.hypotheses.org/245

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Gedanken zum “Schreiben im Autorenkollektiv”

Der Prozess des wissenschaftlichen Schreibens ist in der Regel einsam. Mit dem Material aus den diversen Bibliotheken und Archiven, seinen Notizen und Exzerpten sitzt der Wissenschaftler am Schreibtisch und arbeitet an Form und Inhalt seines Textes. Der Austausch mit Fachkollegen ergibt sich eher fernab des Schreibtisches bei Forschungskolloquien oder wissenschaftlichen Tagungen.

Hebt sich das “Schreiben im Autorenkollektiv”, wie es bei der Netzbiographie geschieht, hiervon ab? Der Begriff deutet zunächst an, dass der Prozess des Schreibens gemeinsam vollzogen wird. Dennoch ist auch jeder Autor der Netzbiographie während des Schreibens zunächst auf sich allein gestellt. Der Blickwinkel auf den jeweiligen biographischen Abschnitt ist also zunächst subjektiv und nicht der eines Kollektivs, dass ihm beim Schreiben “über die Schulter sieht”. Und dennoch gewinnt das Autorenkollektiv im weiteren Prozess des Schreibens für die Netzbiographie an Einfluss auf den Text des einzelnen Autors.

Das “kollektive Schreiben” der Netzbiographie beinhaltet dabei nicht allein die gegenseitige Bestätigung oder Widerlegung von Ergebnissen der Mitautoren. Die Arbeit und der Ausstausch in einem Autorenkollektiv bieten darüber hinaus einen direkten Zugang zu den Expertisen und Ansätzen der Mitautoren und führen somit auch zu einer wesentlichen Erweiterung der Perspektiven auf den eigenen Themenbereich. Was sich hieraus ergibt, ist weniger ein “miteinander” als “aufeinander zu Schreiben” (vgl. Blogbeitrag vom 16.07.2013). Die oftmals eher mikrohistorischen Darstellungen der einzelnen Themengebiete der Netzbiographie gewinnen durch diese Synergieeffekte zwischen den einzelnen Beiträgen an Tiefe, da sie die individuellen “Sehepunkte” in einen direkten Zusammenhang zueinander stellen können.

Als Beispiel kann hier der Beitrag zur Tätigkeit Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dycks in der napoleonischen Ehrenlegion dienen. Für sich allein genommen erscheint das Themengebiet des Beitrags sehr klar umgrenzt. In der Zusammenschau aller Themengebiete ergeben sich allerdings relativ unerwartete Verbindungen zu verschiedensten Gebieten, wie etwa “Freimaurerei”, “Botanik” oder “Großgrundbesitzer”. Die Perspektiven dieser “verwandten” Beiträge und damit das Wissen der Mitautoren kann durch das einfache Setzen eines Links abgeschöpft werden. Salm-Reifferscheidt-Dycks Tätigkeit für die napoleonische Ehrenlegion kann hierdurch sehr viel genauer in ihrer Bedeutung vermessen werden.

Martin Otto Braun

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/188

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Lieutenant-General Jochmus / Jochmus Pascha / Jochmus Freiherr von Cotignola: der transkontinentale Lebensweg eines Ministers der Zentralgewalt

 

Er zählt nicht zu den bekannten Gestalten unter den Regierungsmitgliedern der Provisorischen Zentralgewalt, und auch die historische Forschung hat von ihm wenig Notiz genommen: August Giacomo Jochmus. Wenige Jahre nach seinem Tod wurden einige in seinem Nachlass druckfertig vorliegende Schriften entsprechend seiner eigenen testamentarischen Verfügung herausgegeben1; sie enthalten eine autobiographische Skizze2 sowie ein kurzes, wesentlich darauf fußendes Lebensbild, das der Editor Georg Martin Thomas erstellte3. Der 1905 veröffentlichte Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie4 fasste nochmals die dort gebotenen Angaben zusammen – und seit dann ist so gut wie gar nichts mehr zu Jochmus erschienen. In neueren Lexika sucht man ihn vergebens, auch sonstige Forschungsliteratur zu ihm ist kaum zu finden, allenfalls hie und da eine beiläufige Erwähnung5. Was heute über seinen Lebensweg bekannt ist, dürfte daher zum überwiegenden Teil direkt oder mittelbar auf seine eigenen Angaben zurückgehen – ein Mangel, dem auch hier nur in wenigen Einzelheiten abgeholfen werden kann.

Zeitgenössische Karte des nordspanischen Kriegsschauplatzes im Feldzug von 1836Zeitgenössische Karte des nordspanischen Kriegsschauplatzes im Feldzug von 1836.

In jedem Fall war es ein ausgesprochen vielfältiges Leben, das er führte – im Hinblick auf Orte, Milieus und Betätigungen. Jochmus war 1808 in Hamburg geboren; über sein Elternhaus ist nicht viel überliefert. Der Vater starb früh. Nach dem Willen seiner Mutter hätte Jochmus den Beruf eines Kaufmanns ergreifen sollen, zog jedoch eine militärische Laufbahn vor6. Bereits mit 19 Jahren ging er nach Griechenland, um sich den Philhellenen anzuschließen, und machte dort die Feldzüge von 1827 bis 1829 mit; danach war er einige Jahre als Hauptmann des Generalstabs im griechischen Kriegsministerium beschäftigt, wobei er unter anderem mit Vermessungs- und Planungsarbeiten befasst gewesen zu sein scheint. Über Vermittlung des britischen Gesandten in Athen schloss er sich 1835 während des Ersten Carlistenkrieges in Spanien der Anglo-Spanischen Legion an, die auf der Seite der Königin Isabella kämpfte. Hier stieg er weiter rasch auf und brachte es bis zum Brigadegeneral und Chef des Generalstabs des spanischen Armeecorps in Kantabrien; zu dieser Zeit gewann er auch die wohlwollende Aufmerksamkeit des britischen Außenministers Henry John Temple, Viscount Palmerston7. 1838 ging er nach England und wurde von dort nach Konstantinopel entsendet, um mit dem britischen Gesandten Lord John Ponsonby (der 1849 als Botschafter in Wien nochmals ein wichtiger Korrespondent Jochmus’ war) die von Großbritannien angeführte Intervention mehrerer europäischer Mächte in Syrien in die Wege zu leiten.

Ibrahim Pascha (Gemälde von Charles-Philippe Larivière)Ibrahim Pascha (Gemälde von Charles-Philippe Larivière)

Dort hatten die Streitkräfte des Ibrahim Pascha, Sohn des faktisch autonomen Gouverneurs von Ägypten Mehmet Ali Pascha, wiederholte Versuche der osmanischen Armee zurückgeschlagen, die Kontrolle des Sultans über die Gebiete an der Ostküste des Mittelmeers wiederherzustellen. Frankreich unterstützte zudem die ägyptische Seite, was den Konflikt auch zum potentiellen Kriegsanlass zwischen den europäischen Mächten werden ließ: zur sogenannten „Orientkrise“ von 1839–18418, parallel zur für die Entwicklung in Deutschland bedeutsamen „Rheinkrise“9. Jochmus erreichte hier, im Alter von wenig mehr als 30 Jahren, den Höhepunkt seiner aktiven militärischen Tätigkeit zunächst als Chef des Generalstabs der kombinierten englischen, österreichischen und osmanischen Landstreitkräfte, dann in der Schlussphase der Kämpfe als deren Befehlshaber. Als solcher verdrängte er im Winter 1840/41 die ägyptischen Truppen aus Syrien und trug damit zur Schaffung der militärischen Voraussetzungen für den „Meerengenvertrag“ von 1841 bei, der die Krise vorerst beilegte10. Jochmus trat in der Folge in das osmanische Kriegsministerium ein, wo er im Range eines Paschas von zwei Roßschweifen bis 1848 beschäftigt blieb. Während seiner Zeit im Osmanischen Reich knüpfte er offenbar auch jene Kontakte zur österreichischen Diplomatie und zu Mitgliedern des habsburgischen Kaiserhauses, die für seinen späteren Weg von großer Wichtigkeit waren; doch sollte er sich auch enge Verbindungen zu England zeit seines Lebens bewahren.

Im April 1848 verließ Jochmus seine Stellung in Konstantinopel und kehrte nach Deutschland zurück – den späteren Darstellungen zufolge anscheinend aus freien Stücken und veranlasst durch die Märzrevolution11. Im diesbezüglichen Erlass des Sultans, der sich in seinem Nachlass findet, ist freilich nicht von einer Resignation die Rede, sondern von einer Neuorganisierung des Ministeriums, durch welche für ihn keine weitere Verwendung bestehe12. Auch die Aktivitäten Jochmus’ während des folgenden Jahres sind weitgehend unbekannt. Im Mai 1849 hielt er sich in Baden auf, als er von Seiten des Reichsverwesers – bezeichnenderweise durch den österreichischen Gesandten bei der Reichsstadt Frankfurt und ehemaligen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt, Ferdinand von Menßhengen – mit der Aufforderung kontaktiert wurde, „ein Reichs-Ministerium zu bilden und daran Theil zu nehmen“13. Seine Heranziehung scheint also von Anbeginn an vor allem durch seine Beziehungen zur österreichischen Diplomatie veranlasst gewesen zu sein. Die Bildung des letzten Ministeriums der Zentralgewalt verlief freilich hektisch und recht konfus, da neben Jochmus noch weitere Persönlichkeiten mit ähnlichen Aufträgen bedacht worden waren und viele potentielle Minister angesichts der denkbar ungünstigen Lage der Zentralgewalt ablehnten14. Letztlich erhielt Jochmus, der zeitweise auch zum Finanz- und Handelsminister vorgeschlagen worden war, das Außen- und ein neuerrichtetes Marineministerium.

Wie das Ministerium insgesamt, dem unmittelbar nach seiner Vorstellung von der Nationalversammlung das Misstrauen ausgesprochen wurde, so stieß auch Jochmus seitens der erbkaiserlichen Partei wie der Linken auf scharfe Ablehnung. Maximilian von Gagern lästerte in Anspielung auf Jochmus’ Karriere in Konstantinopel, die ihm wohl als Söldnertum ausgelegt wurde, angesichts der fortschreitenden Auflösung der Versammlung werde den neuen Minister bald nichts mehr hindern, „statt des Kreuzes auf der Paulskirche die drei Roßschweife mit dem Halbmond aufzupflanzen“15. Selbst sein Ministerkollege Johann Hermann Detmold nannte Jochmus nach einem guten Monat gemeinsamer Tätigkeit einen „Strohkopf“ und freute sich darüber, dass dieser den Reichsverweser auf dessen mehrmonatigem Kuraufenthalt in Gastein begleitete, weil in seiner Abwesenheit „die Sachen viel einfacher und leichter“ gingen16. Dennoch fällt es schwer, sich dem Urteil anzuschließen, von den Mitgliedern des letzten Reichsministeriums habe Jochmus „am wenigsten konkrete Arbeit“ geleistet17.

Eines von mehreren Projekten Jochmus’ zur Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Österreich (Fürstlich Leiningensches Archiv Amorbach, Familienarchiv, Nachlass Fürst Karl zu Leiningen, Karton VI)

Vielmehr scheint er in mehrerlei Hinsicht keine unwichtige Rolle gespielt zu haben: Durch das rasch aufgebaute besondere Vertrauensverhältnis zum Reichsverweser, das sich auch nach dem Ende der Zentralgewalt in einem bis fast an das Lebensende des Erzherzogs fortgesetzten Briefwechsel niederschlug18, dürfte er viel dazu beigetragen haben, jenen trotz seiner immer wieder starken Rücktrittsgelüste zum Verbleiben zu bewegen19. Auch an den Verhandlungen sowohl mit den deutschen Regierungen als auch mit außerdeutschen Mächten über die Auflösung der Zentralgewalt und den Übergang zu einer neuen gemeinsamen Institution der deutschen Staaten war er, obwohl sie formell überwiegend vom Ministerpräsidenten Wittgenstein geführt wurden, maßgeblich beteiligt; dabei spielte er nicht zuletzt seine etablierten Verbindungen zur britischen Diplomatie immer wieder aus20 und legte zudem selbst mehrere Pläne zur Neuordnung Mitteleuropas vor21.

Schließlich sei noch darauf  hingewiesen, dass gerade Jochmus’ Marineressort im Sommer und Herbst 1849 zu den aktivsten Dienststellen der Zentralgewalt zählte, weil es eine Flotte mit einem knappen Dutzend Kriegsschiffen und ein entsprechend zahlreiches Personal unter sich hatte22. Dies stand im Kontrast dazu, dass ab Mai 1849 der Geschäftsgang einiger Ressorts (insbesondere des Justiz- und des Handelsministeriums, aber in beträchtlichem Maße auch des Inneren) nahezu zum Erliegen kam, weil in Abwesenheit eines Parlaments weder Gesetzgebungsprojekte noch zu vollziehende Beschlüsse vorhanden waren und auch die Kooperation der Einzelstaaten hinsichtlich ihrer inneren Angelegenheiten gegen Null ging. In den Sitzungsprotokollen des Reichsministeriums aus diesem Zeitraum tritt Jochmus daher keineswegs als inaktiver Minister in Erscheinung, sondern hatte im Gegenteil häufig über Flottenangelegenheiten zu berichten, unter anderem über die schwierige Suche nach einem sicheren Winterhafen oder über die Auseinandersetzungen um das erbeutete dänische Kriegsschiff „Gefion“. Diese Fregatte war nach dem glücklich verlaufenen Seegefecht vor Eckernförde am 5. April 184923 in deutsche Hände geraten und wurde, obwohl in unbrauchbarem Zustand, unter dem Namen „Eckernförde“ der deutschen Flotte eingegliedert. Nach dem im Juli mit Dänemark geschlossenen Waffenstillstand wäre Preußen nur zu gerne bereit gewesen, den materiell wenig wertvollen Rumpf zurückzugeben; die Schleswig-Holsteiner hingegen waren ebenso wie die von Jochmus vertretene Zentralgewalt entschlossen, die symbolträchtige Trophäe zu halten. Angesichts der drückenden Übermacht der Dänen zur See und der preußischen Truppen zu Lande kam es so weit, dass Jochmus den Befehlshaber der kleinen Reichsflottenmannschaft der „Eckernförde“ anwies, das Schiff im Falle eines Gewaltstreichs in die Luft zu sprengen24. Letztlich fand sich ein Kompromiss, der das Schiff durch Überwinterung in einem preußischen Hafen zwar der Verfügung Schleswig-Holsteins entzog, aber formell der Zentralgewalt und der deutschen Kriegsmarine erhielt.

Nach dem Ende der Provisorischen Zentralgewalt im Dezember 1849 bekleidete Jochmus längere Zeit keine öffentlichen Ämter. Finanziell unabhängig, konnte er es sich leisten, in den 1850er Jahren eine mehrjährige Weltreise zu unternehmen, während der er sich nicht nur neuerlich längere Zeit im arabischen Raum aufhielt, sondern auch Indien, China und Amerika besuchte. Er rühmte sich später auch, mit der einzigen Ausnahme Portugals jedes europäische Land bereist zu haben25. Er veröffentlichte Reiseberichte und Militärhistorisches in der Zeitschrift der Londoner Royal Geographical Society26 und wurde 1858 korrespondierendes Mitglied der Wiener Geographischen Gesellschaft27. Seit 1856 lebte er zumeist in Wien, weil sein Adoptivsohn Carlos dort die Offiziersausbildung begonnen hatte. Sichtlich band sich Jochmus, der bereits im November 1849 für sein Wirken als Reichsminister den österreichischen Leopolds-Orden erhalten hatte28, in diesen Jahren zusehends enger an den österreichischen Staat. Der Österreichisch-sardinische Krieg von 1859 bot eine erste Gelegenheit, bei der die Aufnahme Jochmus’ in die österreichische Armee als Feldmarschallleutnant beabsichtigt war, was jedoch vor dem raschen Ende des Kriegs nicht mehr vollzogen wurde.

Zu Anfang des folgenden Jahres wurde Jochmus in den österreichischen Adel als „Freiherr Jochmus von Cotignola“ erhoben. Das italienisch klingende Adelsprädikat hatte er selbst ausgewählt – wie aus Notizen in seinem Nachlass hervorgeht, hatte er im Vorfeld der Adelserhebung intensive genealogische Nachforschungen angestellt und insbesondere die gewagte Behauptung zu erhärten versucht, die Familie Jochmus (welche nach eigener Überlieferung aus Böhmen nach Norddeutschland gekommen war) stamme von italienischen Adeligen ab und sei insbesondere mit den Sforza-Herzögen von Mailand verwandt, unter deren Ahnen er einen „Giacomuzzo“ ausgemacht hatte29. In seine an die österreichischen Behörden eingereichten Papiere hatte er diese eher hanebüchenen Kombinationen letztlich nicht aufgenommen, sondern nur jenes „Cotignola“, das ihm als Besitzung der Sforza-Ahnen untergekommen war, wohl ohne Erläuterung der Hintergründe vorgebracht30. Diese an sich recht belanglose Episode wirft vielleicht einiges Licht darauf, was einem Mann mit einem so abenteuerlichen bisherigen Lebensweg alles als möglich erscheinen konnte: Wer es von Hamburg über Griechenland, Spanien, Syrien und Konstantinopel bis Frankfurt und Wien gebracht hatte, englischer Offizier, osmanischer Pascha und deutscher Reichsminister gewesen war, sich Freund und Briefpartner eines britischen Ministers, eines österreichischen Erzherzogs, aber auch russischer Adliger und Diplomaten nennen konnte, warum sollte der nicht auch mit italienischen Dynasten verwandt sein?

Für seine letzte Lebensphase scheint sich Jochmus allerdings vorbehaltlos Österreich verschrieben zu haben. In einer Denkschrift an Carlos von 1864 äußerte er sich höchst verbittert über die Entwicklungen in Deutschland seit 1849 und wollte mit der Vorstellung eines deutschen Staates nichts mehr zu tun haben: „[...] als im Jahre 1859 Deutschland sich selbst aufgab, ‘indem es Oesterreich verließ’, habe ich mich besitzlich und staatsrechtlich unverweilt, nach ernstester Erwägung von Deutschland losgesagt. Die höchste Lebensbedingung der Staaten, wie der Individuen ist die Ehre. Mein Entschluß ist gerechtfertigt worden [...] ‘Die deutsche Frage’ – sagte hingegen vor wenigen Wochen, bei Eröffnung des Reichsrath der Abgeordneten deren Präsident Ritter von Hasner – ‘ist die Nichtigkeits-Beschwerde gegen den verlorenen Proceß der Weltgeschichte’. – Verloren in letzter Instanz 1859, denn es ist mindestens gegen die Wahrscheinlichkeits-Berechnung, daß eine spätere Generation den dummen Frevel der Gegenwärtigen wieder gutmachen könne. Dem Finis Poloniae steht das Finis Germaniae ‘als Gesammt-Nation’, historisch begründet, zur Seite. Hauptursachen beider Erscheinungen sind der Mangel an innerer Organisations-Fähigkeit und an Staatszwecks-Gemeinsamkeit gegenüber dem Auslande. Der deutsche Bund bildete weder eine einheitliche Nation, noch eine Regierung. Seinem Wesen nach war er ein Staaten-Verband ‘deutscher Völkerschaften’ und dieser ist durch den thatsächlichen, wenn auch nicht formellen, Bundesbruch Preußens 1859 zerrissen worden; denn die Zerklüftung von 1863 in Frankfurt am Main und von 1864 in Schleswig-Holstein sind nur ‘Folgen’ des ersten Bundesbruches.“31 Die Schuld sah Jochmus also unzweideutig bei Preußen – eine Haltung, die durchaus als logische Fortsetzung seines Wirkens von 1849 verstanden werden kann32.

Der Preußisch-österreichische Krieg von 1866 brachte ihm dann doch noch die Würde eines Feldmarschallleutnanten der österreichischen Streitkräfte; allerdings dauerte auch diesmal die Ernennung so lange, dass der Waffengang bereits entschieden war, bevor Jochmus aktiv werden konnte. Er zog sich danach aus dem öffentlichen Leben zurück und reiste 1870–71 nochmals um die Welt. Seine letzten Jahre verbrachte er, anscheinend von einer langwierigen Krankheit gezeichnet, bei seiner Schwester in Bamberg, wo er auch starb33.

Trotz des Vorhandenseins eines recht umfangreichen Nachlasses und der vier Bände gedruckter Schriften ist es nicht leicht, sich ein Bild von der Persönlichkeit Jochmus’ zu verschaffen. Er hat im Laufe seines Lebens eine außerordentliche Fülle von Rollen gespielt und sich in verschiedenen, zum Teil fast inkompatibel erscheinenden Milieus bewegt. Die Vorstellung, dass einmal sein weltumspannender Lebensweg jenseits des Bereichs der Miszelle quellengestützt aufgearbeitet werden könnte, ist zugleich verlockend und einschüchternd: Ersteres, weil dies Licht in viele Aspekte der Verflechtung Europas mit anderen Weltregionen, insbesondere dem heutigen Nahen Osten, zu bringen verspräche. Potentiale, aber auch Grenzen und Ambivalenzen des globalen wie des innereuropäischen Kulturkontakts im 19. Jahrhundert müssten an Jochmus sichtbar werden: Wie viel verstand er wirklich von den Menschen und Lebensweisen der Länder, die er teils als Beobachter und Forscher, teils und vor allem aber als Soldat im Dienste des Interventionismus europäischer Mächte bereiste? Hat er sich etwa die türkische oder arabische Sprache je angeeignet? Konnten Begegnungen in solchem Kontext für gegenseitiges Verständnis sorgen, oder führten sie eher zur weiteren Ausprägung von Abgrenzungen Europas gegen Außereuropa im wissenschaftlichen wie im politischen Diskurs? – Einschüchternd ist demgegenüber die Vorstellung, wie hoch die Ansprüche an die Bearbeitung einer Jochmus-Biographie wären, die nicht seinen eigenen retrospektiven Aussagen verpflichtet bliebe, sondern seinen diversen Lebensstationen an Ort und Stelle archivalisch nachginge. Die Zahl der zu bereisenden Länder und Institutionen, die verschiedenen zu beherrschenden Sprachen und Überlieferungszusammenhänge, wären von einer einzigen Person kaum oder gar nicht zu bewältigen. Dem kann natürlich auch im Rahmen unseres Eichstätter Projekts nicht abgeholfen werden. Wohl aber verspricht dieses, über die Tätigkeit Jochmus’ in jenem Jahr 1849 einiges bekannt zu machen, das bis jetzt in den Frankfurter Akten vergraben war.

 

  1. THOMAS, Georg Martin (Hrsg.): August von Jochmus’ Gesammelte Schriften, 4 Bde., Berlin 1883–1884.
  2. Ebd., Bd. 3, IX–XII.
  3. THOMAS, Georg Martin: Vorerinnerung des Herausgebers, in: THOMAS, Georg Martin (Hrsg.): August von Jochmus’ Gesammelte Schriften, Bd. 1: The Syrian War and the Decline of the Ottoman Empire 1840–1848 in Official and Confidential Reports, Documents, and Correspondences with Lord Palmerston, Lord Ponsonby, and the Turkish Authorities, Volume 1, Berlin 1883, VII–XXI, hier IX–XV.
  4. CRISTE, Oscar: Jochmus: August Freiherr J. von Cotignola, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 50, Leipzig 1905, 745–746.
  5. Vgl. etwa BERTSCH, Daniel: Anton Prokesch von Osten (1795–1876). Ein Diplomat Österreichs in Athen und an der Hohen Pforte. Beiträge zur Wahrnehmung des Orients im Europa des 19. Jahrhunderts (Südosteuropäische Arbeiten 123), München 2005, 104–105, mit Benutzung einer Quelle aus dem Nachlass Jochmus; GOREN, Haim: Dead Sea Level. Science, Exploration and Imperial Interests in the Near East, London 2011, 91–92, 97–98.
  6. THOMAS, Vorerinnerung, X; leicht abweichende Angaben bei CRISTE, Jochmus, 745.
  7. WEBSTER, Charles: The Foreign Policy of Palmerston 1830–1841. Britain, the Liberal Movement and the Eastern Question, 2 Bde., London 1951, hier Bd. 1, 450.
  8. Eine ausführliche Darstellung aus britischer Sicht bietet WEBSTER, Foreign Policy, Bd. 2, 619–776. Für neuere Bearbeitungen mit genauerem Eingehen auf die Ereignisse in der Levante vgl. FARAH, Caesar E.: The Politics of Interventionism in Ottoman Lebanon, 1830–1861, Oxford – London 2000, 30–51; KARSH, Efraim – KARSH, Inari: Empires of the Sand. The Struggle for Mastery in the Middle East, 1789–1923, Cambridge (Massachusetts) – London 1999, 36–41. Wichtige Aktenstücke finden sich bei HUREWITZ, Jacob Coleman: The Middle East and North Africa in World Politics. A Documentary Record, Bd. 1: European Expansion, 1535–1914, New Haven – London 1975, 267–279.
  9. Zu dieser vgl. GRUNER, Wolf D.: Der Deutsche Bund, die deutschen Verfassungsstaaten und die Rheinkrise von 1840. Überlegungen zur deutschen Dimension einer europäischen Krise, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 53 (1990) 51–78.
  10. Abdruck bei HUREWITZ, Middle East, Bd. 1, 279.
  11. CRISTE, Jochmus, 745. Ausgesprochen vage formulierte Jochmus selbst seine Darstellung des Abgangs: THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 3, X.
  12. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II.
  13. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 42, Menßhengen an Jochmus, 10. Mai 1849.
  14. Fürstlich Leiningensches Archiv Amorbach, Familienarchiv, Nachlass Fürst Karl zu Leiningen, Karton V, Denkschrift „Das Ministerium Wittgenstein“ (wohl von Alexander von Bally verfasst); vgl. JACOBI, Helmut: Die letzten Monate der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland (März – Dezember 1849), Frankfurt am Main 1956, 105–110.
  15. PASTOR, Ludwig von: Leben des Freiherrn Max von Gagern 1810–1889. Ein Beitrag zur politischen und kirchlichen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Großenteils nach ungedruckten Quellen bearbeitet, Kempten – München 1912, 303.
  16. STÜVE, Gustav (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Stüve und Detmold in den Jahren 1848 bis 1850 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 13), Hannover – Leipzig 1903, 244: Detmold an Johann Karl Bertram Stüve, 4. Juli 1849.
  17. So, ohne nähere Begründung, JACOBI, Letzte Monate, 109.
  18. Zahlreiche dieser Briefe sind publiziert bei THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 4.
  19. Zu dieser Auffassung gelangte bereits VALENTIN, Veit: Geschichte der deutschen Revolution von 1848–49, 2 Bde., Berlin 1930–1931, Bd. 2, 466.
  20. Vgl. die Korrespondenz und Akten bei THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 3.
  21. Er ließ insgesamt vier Projekte in Form von Diagrammen lithographisch vervielfältigen und verbreiten. Exemplare finden sich in seinem eigenen Nachlass sowie in jenem von Karl zu Leiningen: Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana C II Nr. 5; Fürstlich Leiningensches Archiv Amorbach, Familienarchiv, Nachlass Fürst Karl zu Leiningen, Karton VI. Nur die Amorbacher Überlieferung kennend, gelangte Veit Valentin zu der irrigen Annahme, dass die Blätter von Fürst Leiningen herrühren müssten: VALENTIN, Revolution, Bd. 2, 468f., 671. Die Urheberschaft Jochmus’ geht jedoch aus seinen Bemerkungen dazu in Verbindung mit der Münchner Überlieferung ebenso hervor wie aus einem Begleitschreiben zu einer Sendung von Exemplaren der Blätter an Arnold Duckwitz: Staatsarchiv Bremen, 7,183: Nachlass Arnold Duckwitz, Mappe 6, Jochmus an Duckwitz, 19. Dezember 1849.
  22. Eine im Dezember 1849 vorgelegte Übersicht weist für die Flotte eine faktische Mannschaft von 921 Mann bei einer Sollstärke von 1503 Mann aus: BArch, DB 52/16, fol. 91. Hinzu kommt das zivile Personal im Ministerium. Zur deutschen Kriegsmarine von 1848/49 vgl. BÄR, Maximilian: Die deutsche Flotte von 1848–1852. Nach den Akten der Staatsarchive zu Berlin und Hannover dargestellt, Leipzig 1898; HUBATSCH, Walther – BERNARTZ, Hanswilly – FRIEDLAND, Klaus – GALPERIN, Peter – HEINSIUS, Paul u. a.: Die erste deutsche Flotte 1848–1853 (Schriftenreihe des Deutschen Marine-Instituts 1), Herford – Bonn 1981; MOLTMANN, Günter: Die deutsche Flotte von 1848/49 im historisch-politischen Kontext, in: RAHN, Werner (Hrsg.): Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848–1985. Vorträge und Diskussionen der 25. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte 1985 (Schriftenreihe des Deutschen Marine-Instituts 9), Herford 1985, 21–41; PETTER, Wolfgang: Programmierter Untergang. Die Fehlrüstung der deutschen Flotte von 1848, in: MESSERSCHMIDT, Manfred – MEIER, Klaus A. – RAHN, Werner – THOSS, Bruno (Hrsg.): Militärgeschichte. Probleme – Thesen – Wege (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 25), Stuttgart 1982, 150–170.
  23. STOLZ, Gerd: Die schleswig-holsteinische Erhebung. Die nationale Auseinandersetzung in und um Schleswig-Holstein von 1848/51, Husum 1996, 121–125.
  24. Jochmus teilte ein umfangreiches Dossier an Akten und Schriftverkehr in dieser Angelegenheit als Zirkularschreiben den Bevollmächtigten sämtlicher deutschen Staaten bei der Zentralgewalt mit, um die Unterstützung ihrer Regierungen für die Position der Zentralgewalt anzurufen: BArch, DB 52/15, fol. 5–27.
  25. THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 3, XI.
  26. JOCHMUS, August Giacomo: Notes on a Journay into the Balkan, or Mount Haemus, in 1847, in: The Journal of the Royal Geographical Society 24 (1854) 36–85; JOCHMUS, August Giacomo: Commentaries (Written in 1830 and 1834.) 1. On the Expedition of Philip of Macedon against Thermus and Sparta; 2. On the Military Operations of Brennus and the Gauls against Thermopylae and Aetolia; 3. On the Battle of Marathon etc.; 4. On the Battle of Sellasia, and the Strategic Movements of the Generals of Antiquity between Tegea, Caryae, and Sparta, in: The Journal of the Royal Geographical Society 27 (1857) 1–53; JOCHMUS, August Giacomo: On the Battles of Sellasia, Marathon, and Thermus, in: Proceedings of the Royal Geographical Society of London 1 (1857) 481–483.
  27. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 49–50.
  28. Vgl. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 45.
  29. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 79. Die Säule im Familienwappen bot zu weiteren Spekulationen in Richtung einer Verwandtschaft mit den Colonna Anlass.
  30. Österreichisches Staatsarchiv Wien, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Adel HAA AR, Karton 210.
  31. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana C II Nr. 5.
  32. Nach THOMAS, Vorerinnerung, XV, soll Jochmus dennoch 1871 bei der Schaffung des Wilhelminischen Reiches Genugtuung empfunden haben: „[...] das hohe, stolze Gefühl, ein Deutscher zu sein, trat nun auch bei Jochmus voll in seine Rechte ein“. Sofern dies keine – nach damaligem Empfinden – Behübschung durch den Herausgeber der (in Berlin erschienenen) Schriften Jochmus’ ist, wäre es ein weiterer Beleg für die außerordentliche Wandelbarkeit seiner Einstellungen.
  33. CRISTE, Jochmus, 746; THOMAS, Vorerinnerung, XV.

 

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/201

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Augmented Space – Augmented Reality: Technologischer Wandel – Gesellschaftlicher Wandel?

Von Claas Pollmanns Soziale Umbrüche und Gesellschaften im Wandel – so das Thema unserer Blogreihe. Für die Generation der Digital Natives gab es nie ein Leben ohne Internet – es war schon immer da. Das Internet wirkt sich dabei weitreichend … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5287

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… in saecula saeculorum. – Bestandserhaltung im Alltag – Teil 1: Grundlagen

Ein Archivale oder ein Buch einer Bibliothek kann aus vielen Gründen dem Verfall preisgegeben sein. Sei es, weil das Material von Grund auf schlecht fabriziert ist, sei es, dass äußere Umstände zu einem beschleunigten Verfall führen. Drei Faktoren sind es, die Archivare und Bibliothekare zur Bestandserhaltung bestimmen können und immer im Auge haben müssen: die Lagerungstemperatur, die Luftfeuchtigkeit und das Nahrungsangebot für eventuelle Schädlinge. Welche Maßnahmen das Archiv der Erzdiözese Salzburg und die Diözesanbibliothek Salzburg in diesem Bereich setzen, soll in diesem Artikel ein wenig näher beleuchtet werden.

Bestünden unser Archiv und unsere Bibliothek alleine aus Einzelblättern aus Papier, wäre eine Lagerung unter 0° C und eine möglichst niedrige Luftfeuchtigkeit wohl die beste Umgebung um die Bestände “in saecula saeculorum” zu erhalten. Wollte nun jemand diese Bestände benutzen, stünden wir schon vor dem ersten Problem: Lange Aufwärm- und Abkühlzeiten wären nötig um Kondenswasserbildung und Feuchtigkeitseintrag in die Magazine zu vermeiden. Arbeit in den Magazinen wäre außerdem bei diesen Temperaturen nur schwer möglich und nicht besonders angenehm. Da ein Archiv- und Bibliotheksbestand nie nur aus Papier, sondern auch aus Pergament, Leder, Textilien und Leim besteht, muss zwischen den Bedürfnissen (vor allem Feuchtigkeitsbedürfnissen) der einzelnen Materialien ein Kompromiss gefunden werden. Leder und Pergament, Holz und Bindeleim brauchen eine höhere Luftfeuchtigkeit als Papier, um ihre Form nicht zu verlieren. Archivmitarbeiter brauchen Temperaturen, die einer Arbeitsumgebung angemessen sind. Und zu guter Letzt soll die Lagerung auch nicht zu viel kosten. Eine Dauertiefkühlung der Magazine ist also keine angemessen erscheinende Variante. Die in der Literatur und Fachwelt immer wieder empfohlenen Lagerbedingungen (ca. 18° C, ca. 45-55% rel. Luftfeuchtigkeit, möglichst geringe Schwankungen) stellen einen Kompromiss zwischen den zahlreichen Bedürfnissen der gelagerten Materialien dar.

Luftfeuchtigkeit und Temperatur zu kontrollieren und zu verändern, bzw. vor Veränderung zu bewahren ist keine einfache Angelegenheit. Schon die Bauweise eines Magazinraumes hat darauf großen Einfluss. Eine Kontrolle dieser Umweltbedingungen ist unter günstigen Umständen durch bloße Lüftung und gute Wärmeisolierung möglich. Zweifellos ist dafür einige Fachkenntnis von Nöten, bei entsprechender Bauweise und günstigen Umgebungsbedingungen kann dadurch aber durchaus das Klima eines Magazins den oben geschilderten Erfordernissen entsprechend gehalten werden – kleinere Betriebsunfälle und Unachtsamkeiten sind dennoch immer möglich. Unser Archiv besitzt mehrere Tiefspeicher, eine Klimakontrolle durch Lüften ist daher nur schwer möglich. Die hohe Anzahl an Regentagen in Salzburg, die vom Mönchsberg ausgehende Feuchtigkeit und die Staub- und Abgasbelastung in der Stadt sind weitere Argumente gegen ein Magazin, das durch Frischluft klimatisiert wird. Daher werden die klimatischen Bedingungen unsere Magazine durch eine alle Bereiche abdeckende Klimaanlage geregelt. Die Komplexität dieser Anlage ist für einen durchschnittlichen Archivmitarbeiter nur schwer durchschaubar. Fehler können nur mit Hilfe entsprechender Fachkräfte aus dem Bereich der Klimatechnik behoben werden und Betriebsunfälle und Unachtsamkeiten sind hier ebenso möglich, wie bei der oben geschilderten “technikfreien” Methode der Magazinklimatisierung. Das Fazit aus diesen Überlegungen muss also lauten: Das Klima entzieht sich letztlich immer ein wenig unserer vollständigen Kontrolle. Egal, wie ideal ein Archiv angelegt ist, egal wie viel in eine Klimaanlage investiert wird – eine Restunsicherheit bleibt erhalten. Ein paar Stunden erhöhte Luftfeuchtigkeit im Raum mit einem Bestand, der sich schon anfällig gezeigt hat, genügen um den Albtraum eines Archivars oder Bibliothekars zur flaumig weißen Schimmelwirklichkeit werden zu lassen – und kaum einer, der diesem Albtraum nicht schon begegnet ist.

Starker oberflächlicher Schimmelbefall an Büchern, die direkt an einer Wand standen

Weißer Schimmelflor an feucht gelagerten Büchern

Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es aber neben der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur noch einen dritten Faktor, der aber gerne übersehen wird: das Nahrungsangebot für Schädlinge. Ein solcher Schädling ist meist der Schimmel, manchmal auch ein Schwammbefall, hie und da auch Insekten. Das Nahrungsangebot in Form von Papier, Pergament, Leder und Leim wird sich dem Schädling schwer entziehen lassen, das würde schließlich die Vernichtung des Bestandes bedeuten. Was aber bewirkt werden kann, ist den verschiedenen Schädlingen eine Ansiedlung durch leicht erreichbare Nahrung möglichst schwer zu machen, kurz gesagt: Sauberkeit.

Staub ist ein großer Feind des Buches. Staub enthält Schimmelsporen, Bakterien und unter Umständen auch Insektengelege. Darüber hinaus ist Staub sehr nährstoffreich für Pilze aller Art und leicht erreichbar. Hat er Gelegenheit ins Innere eines Buches einzudringen, werden auch allerhand Schädlinge mit eingebracht. Falls Staub durch einen Schimmelbefall gebildet wurde und daher viele Pilzsporen und Hyphen enthält, hat er auch ein gewisses toxisches Potential und ist damit für den Menschen gesundheitsschädlich. Ist ein Bestand stark staubig und verschmutzt, wird er sich bei erhöhter Luftfeuchtigkeit und Temperatur auch viel anfälliger für einen Schädlingsbefall zeigen. Ein Bestand, der sauber und einigermaßen staubfrei ist, zeigt auch bei länger andauernden, weniger günstigen klimatischen Bedingungen nicht sofort Spuren eines Schädlingsbefalls. Ein sauberes Blatt Papier wird mit etwas Glück selbst bei einem Wasserschaden ohne Schädlingsbefall davonkommen.

Einige Links mit weiterführenden Informationen zum Thema Bestandserhaltung:

Quelle: http://aes.hypotheses.org/240

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Vom Buchdruck zum Social Web: Medien zwischen Subversion und Reproduktion – Von Benjamin Köhler

Von Benjamin Köhler Medienentwicklung (als technischer Wandel) und Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen (als kultureller Wandel) bedingen sich immer wechselseitig (vgl. Ogburn 1957, Gillwald 2000), wobei neue soziale Praktiken und Techniken einen langen Weg des Aushandelns und Ausprobierens gehen (vgl. Jäckel 2005; … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5270

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Was ist eine Randtypen-Tafel?

Die Frage schlug mir entgegen, als ich erzählte, was ich denn gerade so treibe. Unter Archäologen werden die verschiedensten Begriffe verwendet, die selbstverständlich erscheinen, aber nur für Archäologen selbstverständlich sind. Das betrifft manchmal auch Zusammensetzungen, die nur aus gebräuchlichen Wörtern bestehen, wie z. B.: Randtypen-Tafel.

Zunächst, was heißt hier Tafel? Tafeln werden für die Abgabe-Version bzw. für die Drucklegung einer archäologischen Arbeit angefertigt und sind ganzseitige Übersichten. In diesem Fall also eine ganzseitige grafische Übersicht von Randtypen. Das heißt, man erstellt eine typologische Übersicht von Rändern, in diesem Fall Ränder von Keramikgefäßen, die auf der Ausgrabung geborgen worden sind.

Typologische Übersicht bedeutet, dass das Fundgut nach bestimmten formalen Eigenschaften klassifiziert worden ist. Das ist die Voraussetzung für eine spätere Einordnung, Datierung etc.

Das ganze klappt bei Keramik besonders gut. Keramik gehört zu den am häufigsten geborgenen Materialien, weil sie zum Ersten sehr häufig hergestellt und benutzt wurde, zum Zweiten, weil sie sich unter fast allen Bedingungen im Boden erhält und zum Dritten, weil sie sehr schnell kaputt geht und nur bedingt reparierbar ist. 

Im Mittelalter sind Keramiken als Massenware von spezialisierten Handwerkern hergestellt worden und die Handwerker hatten ein bestimmtes Formen-Repertoire, das sich am Nutzen und am Zeitgeschmack orientiert.

Der Clou ist jetzt aber, dass diese Gefäße, wenn sie ausgegraben werden, in der Regel kaputt sind. Das heißt, in einem großen Haufen Keramik, der vor mir auf dem Tisch liegt, liegen Ränder, Böden, Henkel oder Tüllen einzeln und ohne Zusammenhang herum.

Foto: Maxi Platz

 

Deswegen muss ich mir einen Überblick verschaffen, welche Ränder oder Böden im Fundgut vorhanden sind. Da Archäologie eine Wissenschaft ist, muss ich den Nachweis darüber führen, also bilde ich sie ab.  Das reicht aber noch nicht, ich muss die Kriterien meiner Klassifikation erläutern, in dem ich den Scherben als Typ beschreibe.

Die Einordnung des Keramik-Spektrums erfolgt zu allererst in sogenannte Warenarten. (Dazu habe ich schon mal einen Post veröffentlicht.) Dann erfolgt eine Typologisierung der Randscherben, der Bodenscherben und der Angarnierungen (z.B. Henkel, Tüllen). Diese Beschreibung sollte einer gewissen Norm entsprechen, damit auch jede/r FachkollegIn etwas damit anfangen kann. Eine solche Richtschnur gibt unter anderem der „Leitfaden zur Keramik-Beschreibung“[1], ein Werk, das jede/r MittelalterarchäologIn kennt, benutzt (und nicht mit in den Urlaub nimmt).

Bei einer Ausgrabung, wie den Untersuchungen im Umfeld der Elisabethkirche, wurden Funde aus unterschiedlichen Zeitepochen geborgen. Die Vorlage der Keramik-Typologie dient zum einen dazu, Schichten, Befunde usw. zu datieren und einzuordnen, aber auch bisherige lokale Typologien zu ergänzen und/oder zu verifizieren. Bestimmt werden also zum Ersten die Warenarten, zum Zweiten die Randtypen, die Bodentypen, Angarnierungen, Deckel usw., zum Dritten das zu rekonstruierende Gefäßformenspektrum, also z. B. Töpfe, Schüsseln, Kannen, Becher oder Ofenkacheln.

Das wichtige ist jetzt aber, welche Typen kommen in welcher Zeitphase vor? Und was kann man daraus ableiten?

Zur Veranschaulichung: Ein paar Randtypen aus Marburg

 

Randtyp 1a        

Ausbiegender, leicht verdickter Rand mit leicht gerundeter nach außen geneigter Randleiste.

 Randtyp 1b                

Ausbiegender verdickter Rand mit gerundeter einwärts geneigter Randleiste und Innenkehle. Die Innenkehle kann dabei sehr deutlich ausgeprägt sein.

Randtyp 2a                

Ausbiegender leicht verdickter Rand mit leicht gekehlter einwärts geneigter Randleiste mit Innenkehle.

Randyp 3b                  

Steiler, nach außen leicht trichterförmig ausgezogener Rand mit gekehlter Mündung. (Becherkachel)

Umsetzung: Maxi Platz

Typen-Tafeln sind also grafisch aufgearbeitete Übersichten von Ergebnissen der Kleinfundauswertung. Sie veranschaulichen, dienen zur Beweisführung, aber auch als Vorlage für weitere archäologische Untersuchungen in der näheren Umgebung.

[1] I. Bauer/ W. Endres/ B. Kerkhoff-Hader/ R. Koch /H.-G. Stephan, Leitfaden zur Keramikbeschreibung (Mittelalter-Neuzeit). Terminolgie-Typologie-Technologien (Kallmünz/Opf. 1987)

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/724

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Fünf Fragen an… Élodie Lecuppre-Desjardin (Lille III)

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview (Foto: T. Hiltmann)

Frau Lecuppre-Desjardin, herzlichen Dank, dass Sie sich im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe Zeit für ein Interview nehmen. Wir würden Ihnen gerne einige mehr oder weniger persönliche Fragen bezüglich ihrer Erfahrungen als in Frankreich arbeitende Historikerin sowie zum Inhalt Ihrer Präsentation stellen.

Viele französische Absolventen der Geisteswissenschaften gehen nach dem Studium in den Schuldienst. Warum haben Sie sich für eine akademische Laufbahn entschieden?

Zunächst einmal schätze ich mich sehr glücklich, Beruf und Leidenschaft miteinander vereinen zu können. Ich kann mir jedoch auch Forschung nicht ohne Lehre vorstellen. Es wäre egoistisch, sich mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zu isolieren und aus dem Erkenntnisgewinn nur eine persönliche Befriedigung zu ziehen. Der wichtigste Aspekt meines Berufs ist wohl die intellektuelle Herausforderung. Ich bin von Natur aus neugierig und als Historikerin vor allem fasziniert von der facettenreichen Gesellschaft des 14. und 15. Jahrhunderts, die oft als Übergangsgesellschaft verstanden wird. Vielleicht auch, weil ich zu den Menschen des ausgehenden Mittelalters eine professionelle Distanz habe. Zu dieser intellektuellen Herausforderung gehört aber auch der Austausch mit Studierenden, der mir für meine Forschung neue Perspektiven eröffnet. Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Arbeit, sich in Details zu vertiefen. Erst die Konfrontation mit meinen Studenten zwingt mich, meine Ergebnisse auf verständliche Weise zu vermitteln. Auch wenn es sich paradox anhört, hilft mir dieser Vereinfachungsprozess persönlich weiter. Die Lehre ist mir also besonders wichtig. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Letztendlich habe ich mich ganz einfach aus meiner Leidenschaft für Geschichte für eine wissenschaftliche Karriere entschieden.

Sie sind Maître de conférences für mittelalterliche Geschichte in Lille. Lässt sich die Arbeit als Forscherin mit sehr hoher Lehrverpflichtung mit Privat- und Familienleben vereinbaren?

In Frankreich hat man als Maître de conférences sehr viel Sicherheit und auch Freiheit, da man verbeamtet ist und keiner direkten Kontrolle unterliegt. Trotzdem investiere ich extrem viel Zeit in die Erneuerung und Verbesserung meiner Lehrveranstaltungen. Zudem hat man als Wissenschaftlerin nie wirklich Feierabend, es gibt immer ein neues Werk oder einen wissenschaftlichen Artikel zu lesen. Man hört ja nie mit dem Denken auf. Ich habe das Glück, mit einem Mediävisten verheiratet zu sein, der das Wesen meiner Arbeit kennt und versteht. Wir haben zwei kleine Kinder und wenn ich um 17 Uhr nach Hause komme, bin ich bis abends natürlich ausschließlich für sie da, ab 21 Uhr sitze ich aber wieder am Schreibtisch. Hätte mein Mann nicht zufällig den gleichen Beruf und das damit verbundene Verständnis für meine Forschung, wäre das alles sicher unmöglich.

Wie sind Sie zu Ihrem Forschungsthema gekommen? Worauf beruht Ihre Faszination für Burgund?

Für mich ist Burgund ein interessantes „Labor“ politischer Erfahrungen, die Konzentration aller politischen Spielräume und Möglichkeiten der Menschen des 15. Jahrhunderts. Die Geschichte der Herzöge von Burgund zeigt, wie ich in meinem Vortrag erläutert habe, wie angreifbar die Idee des modernen Staates in Bezug auf das Mittelalter ist. An Burgund kann man das Durchspielen ganz verschiedener Modelle beobachten – das französischen Modell, das imperiale, das Modell des italienischen Stadtstaates und so weiter. Das Faszinierendste an Burgund sind für mich die vielen Brüche und Widersprüche und die Kultur, in der die politischen Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Anhand dieses einen Untersuchungsgegenstandes kann man den Machtapparat einer ganzen Epoche verstehen und nachvollziehen, wie Hof, Stadt oder auch Justiz in dieser Zeit funktionierten. Nicht zuletzt lässt sich die Problematik des Falls Burgund auch auf die heutige Zeit übertragen: Das Beispiel der EU zeigt, wie es Jürgen Habermas kürzlich angesprochen hat, wie schwierig vor dem Hintergrund der verschiedenen Sprachen, Kulturen und Geschichten noch immer die Konstruktion eines überregionalen Staatsgebildes ist.

Ziel Ihres Projektes ist die Habilitation. Welche Besonderheiten gibt es beim französischen Habilitationsprozess im Unterschied zum deutschen? In Frankreich bleibt man ja während seiner gesamten akademischen Karriere mehr oder weniger beim gleichen Thema. Das ist im deutschen Hochschulsystem ja nicht der Fall.

Voraussetzung für die französische Habilitation ist wie für die deutsche erst einmal die Promotion. In Frankreich muss man für die Habilitation dann aber insgesamt drei Werke präsentieren: eine Sammlung aufeinander aufbauender wissenschaftlicher Artikel, ein neuartiges Forschungsprojekt und zuletzt eine so genannte Égo-histoire, bei der man auf etwa hundert Seiten erläutert, wie und warum man Geschichte schreibt, was man unter Geschichtswissenschaft versteht und wie man sich seinen zukünftigen Beruf vorstellt. Eine Art Karriereplan also. Ich selbst forsche ja am Beispiel Burgunds vor allem zur politischen Kommunikation. Es machte Sinn, nach meiner Dissertation mit diesem Thema und im selben Stil weiterzuarbeiten. Es stimmt nämlich, dass man in Frankreich bei seinem thematischen Schwerpunkt bleibt, denn wenn man sich einmal für Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte oder Rechtsgeschichte entschieden hat, ist es schwierig, das noch einmal zu ändern. Trotzdem gibt es genug Abwechslung. So beschäftige ich mich ja am Beispiel Burgund zugleich mit urbaner Geschichte und der Geschichte von Staatlichkeit.

Können Sie abschließend erklären, warum die Idee des Staates in der französischen Mediävistik eine so große Rolle spielt?

Historiker erforschen ja immer auch ihre eigenen Wurzeln. In Frankreich hat das Nachdenken über den Zusammenhang zwischen Staat, Land, Nation und Region eine lange Tradition. Bei meiner Habilitation habe ich oft einen Satz zu Ende geschrieben und dann gedacht: „Nein, das geht nicht. Das ist zu teleologisch, zu französisch.“ Als französische Forscherin ist es besonders schwer, sich von dieser Denktradition der starken Staatsidee zu lösen. Dabei beschäftige ich mich ja auch mit Vergleichender Geschichte, bei der es außerordentlich wichtig ist, sein Untersuchungsobjekt kritisch zu reflektieren. Ebendiese Reflexion hilft dabei, sich vor Enthusiasmus, vor jeder überhöhten Emotionalität gegenüber seinem Untersuchungsgegenstand schützen.

Frau Lecuppre-Desjardin, wir bedanken uns für das Gespräch. 

Gespräch und Redaktion: Helena Kaschel
Unter Mitwirkung von Laura-Marie Krampe, Yannis Krone, Jan Pieper, Jörg Schlarb und Simon Siegemeyer.

Das Interview entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung “Einführung in die französischsprachige Geschichtsforschung – aktuelle Tendenzen (Lektüre, Übersetzung, Diskussion mit französischen Gästen)”, welche die Vortragsreihe begleitet.

Informationen zu Élodie Lecuppre-Desjardin: hier
zur deutschsprachigen Zusammenfassung des Vortrags: hier

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/840

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